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Ein deutscher Hit mit schrägen Tönen ist zum Exportschlager
geworden: Mit ihren Billigläden Marke Lidl und den großen Kaufland-Märkten mischt die
Unternehmensgruppe Schwarz seit Jahren die Handelslandschaft auf. Auch außerhalb der Bundesrepublik,
in 14 europäischen Ländern.
Vor Ort in der Filiale beruht das Erfolgsrezept »Billig« auf Personalnotstand und
gnadenloser Hetze. Wo sich Unmut regt, geben sich die Testkäufer die Klinke in die Hand und
inszenieren Kündigungsgründe. Besonders bei Lidl, wo Betriebsräte Seltenheitswert haben.
»Wir schuften uns jeden Tag halbtot, und
der spielt den Wohltäter«, platzt es aus der 45-jährigen Lidl-Kassiererin Gabriele
Krüger (Name geändert) heraus. Ihr Ärger gilt Firmengründer Dieter Schwarz (62), einer
der reichsten Männer der Republik und Begründer des Handelsimperiums Lidl & Schwarz. Die
Klagen über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in seinem Unternehmen häufen sich. Gabriele
Krüger stolperte über den üblichen, hinterhältigen Trick der Testkäufe. Einmal
übersah sie eine senkrecht im Einkaufswagen stehende und in Metallfolie gehüllte Zahnbürste,
ein anderes Mal verbarg ein Prospekt eine durchgeschleuste CD. Alles hatte damit begonnen, dass die
Kassiererin ihre überfällige Eingruppierung in eine höhere Gehaltsgruppe verlangt hatte. Sie
ist nicht die einzige, die regelrecht terrorisiert wurde, bis sie darüber krank geworden ist und ihren
Arbeitsplatz erst recht verloren hat.
Die Kontraste im Lidl-Reich sind krass.
Herzstück des Firmengeflechts ist eine von Dieter Schwarz ins Leben gerufene Stiftung. Über
diesen Weg fördert der schwäbische Unternehmer vieles, was nach seiner Ansicht dem Fortschritt
dient. Mal sind es Stiftungsprofessuren an verschiedenen Universitäten, mal sind es Business Schools,
»Karriereschmieden für den Führungsnachwuchs«. Sein »eindrucksvolles Engagement
für wissenschaftliche, kulturelle und soziale Belange« wurde Ende April 2002 mit der
Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
Ein Blick hinter die Kulissen offenbart eine
andere Welt. Hier gilt das eherne Gesetz der Nettoleistung pro Filiale: monatlicher Umsatz geteilt durch
die verbrauchten Mitarbeiterstunden. Werden die Vorgaben nicht eingehalten, werden alle erdenklichen Wege
gefunden, auch bewährtes Personal fristlos zu entlassen. »Wenn man krank ist«, sagt die
stellvertretende Leiterin einer Lidl-Filiale in Berlin-Schöneberg, »heißt es: Bloß
keine Krankschreibung, nehmen Sie freie Tage.« Durchackern ohne Pause ist keine Seltenheit, 12 Stunden
Arbeitszeit, von denen nur 10 bezahlt werden. Viele Beschäftigte sind für 87 Stunden pro Monat
eingestellt, kommen aber bis auf 190 Stunden. Je nach Willkür der Verkaufsleiter werden
Überstunden bezahlt oder auch nicht. »Pro Minute sollen mindestens 40 Artikel über den
Scanner gezogen werden.«
Am Ende des Arbeitstags hat sich jede
Kassenbeschäftigte bis zu 600 Mal über das Laufband gebeugt, um in die Wagen zu schauen.
Kontrollspiegel gibt es hier und in anderen Läden keine. Dafür werden die Beschäftigten mit
Videokameras überwacht, Taschen, Spinde, sogar ihre privaten Pkw nach Arbeitsschluss auf eventuelles
Diebesgut kontrolliert.
Seit 2003 hat es bei Lidl System, dass gerade
langjährige, gut bezahlte Verkäuferinnen mit Vollzeitstellen unter fadenscheinigen Vorwänden
entlassen oder herausgemobbt werden. Damals wurden die Ladenöffnungszeiten verlängert (ohne
Mehreinstellung von Personal), das Rabattgesetz wurde bereits 2001 gelockert. Jetzt werden Minijobs
geschaffen.
Betriebsräte wurden bisher fast ausschließlich in Lidl-Lagern und bei Kaufland gewählt.
Das will Ver.di ändern. In den rund 2500 Filialen in der Bundesrepublik sollen flächendeckend
Betriebsräte durchgesetzt werden. Dafür will der Fachbereich Handel mit einer Kampagne sorgen,
welche die skandalösen Arbeitsbedingungen an die Öffentlichkeit bringt und hier für den
notwendigen Druck sorgt.
Am 8.März 2004, dem Internationalen
Frauentag, verteilten Ver.di-Haupt- und Ehrenamtliche bundesweit in nahezu 2000 Lidl-, Schlecker- und
Aldi(-Süd)-Filialen Informationsmaterial und kleine Geschenke. Das Echo bei den Betroffenen und in den
Medien war stark. Mit systematischen Filialbesuchen und Informationskampagnen will Ver.di erreichen, dass
Betriebsräte gewählt werden, damit die Arbeitsbedingungen verbessert werden können. Dabei
gehe es vor allem um Bezahlung nach Tarif, um den Schutz der Gesundheit und um Sicherheit. Um mehr
öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen, will Ver.di zudem prominente Paten anwerben.
Im letzten Jahr hat Ver.di Unterstützung
bekommen. Attac will die Kampagne mit eigenen Aktionen begleiten. Sie wenden sich in erster Linie an die
Käufer, die sich zumeist keine Gedanken darüber machen, wie ein Discounter wie Lidl es schafft,
so »konkurrenzlos billig« zu sein. Er schafft es nur auf Kosten der Beschäftigten. Die
Preiskriege und Rabattschlachten, die zwischen den Handelsketten toben, sind nur möglich, weil die
Erzeuger und die Arbeiterinnen, die die Produkte herstellen, für ihre Arbeit nichts mehr bekommen.
»Geiz ist geil« ist eine selbstmörderische Perspektive. »Arbeit in Würde«
könnte eine Gegenlosung sein.
Angela Klein
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