SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2005, Seite 10

Kampagne gegen Billiganbieter

Lidl geizt an Mitarbeitern

Ein deutscher Hit mit schrägen Tönen ist zum Exportschlager geworden: Mit ihren Billigläden Marke Lidl und den großen Kaufland-Märkten mischt die Unternehmensgruppe Schwarz seit Jahren die Handelslandschaft auf. Auch außerhalb der Bundesrepublik, in 14 europäischen Ländern.

Vor Ort in der Filiale beruht das Erfolgsrezept »Billig« auf Personalnotstand und gnadenloser Hetze. Wo sich Unmut regt, geben sich die Testkäufer die Klinke in die Hand und inszenieren Kündigungsgründe. Besonders bei Lidl, wo Betriebsräte Seltenheitswert haben.
»Wir schuften uns jeden Tag halbtot, und der spielt den Wohltäter«, platzt es aus der 45-jährigen Lidl-Kassiererin Gabriele Krüger (Name geändert) heraus. Ihr Ärger gilt Firmengründer Dieter Schwarz (62), einer der reichsten Männer der Republik und Begründer des Handelsimperiums Lidl & Schwarz. Die Klagen über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in seinem Unternehmen häufen sich. Gabriele Krüger stolperte über den üblichen, hinterhältigen Trick der Testkäufe. Einmal übersah sie eine senkrecht im Einkaufswagen stehende und in Metallfolie gehüllte Zahnbürste, ein anderes Mal verbarg ein Prospekt eine durchgeschleuste CD. Alles hatte damit begonnen, dass die Kassiererin ihre überfällige Eingruppierung in eine höhere Gehaltsgruppe verlangt hatte. Sie ist nicht die einzige, die regelrecht terrorisiert wurde, bis sie darüber krank geworden ist und ihren Arbeitsplatz erst recht verloren hat.
Die Kontraste im Lidl-Reich sind krass. Herzstück des Firmengeflechts ist eine von Dieter Schwarz ins Leben gerufene Stiftung. Über diesen Weg fördert der schwäbische Unternehmer vieles, was nach seiner Ansicht dem Fortschritt dient. Mal sind es Stiftungsprofessuren an verschiedenen Universitäten, mal sind es Business Schools, »Karriereschmieden für den Führungsnachwuchs«. Sein »eindrucksvolles Engagement für wissenschaftliche, kulturelle und soziale Belange« wurde Ende April 2002 mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
Ein Blick hinter die Kulissen offenbart eine andere Welt. Hier gilt das eherne Gesetz der Nettoleistung pro Filiale: monatlicher Umsatz geteilt durch die verbrauchten Mitarbeiterstunden. Werden die Vorgaben nicht eingehalten, werden alle erdenklichen Wege gefunden, auch bewährtes Personal fristlos zu entlassen. »Wenn man krank ist«, sagt die stellvertretende Leiterin einer Lidl-Filiale in Berlin-Schöneberg, »heißt es: Bloß keine Krankschreibung, nehmen Sie freie Tage.« Durchackern ohne Pause ist keine Seltenheit, 12 Stunden Arbeitszeit, von denen nur 10 bezahlt werden. Viele Beschäftigte sind für 87 Stunden pro Monat eingestellt, kommen aber bis auf 190 Stunden. Je nach Willkür der Verkaufsleiter werden Überstunden bezahlt oder auch nicht. »Pro Minute sollen mindestens 40 Artikel über den Scanner gezogen werden.«
Am Ende des Arbeitstags hat sich jede Kassenbeschäftigte bis zu 600 Mal über das Laufband gebeugt, um in die Wagen zu schauen. Kontrollspiegel gibt es hier und in anderen Läden keine. Dafür werden die Beschäftigten mit Videokameras überwacht, Taschen, Spinde, sogar ihre privaten Pkw nach Arbeitsschluss auf eventuelles Diebesgut kontrolliert.
Seit 2003 hat es bei Lidl System, dass gerade langjährige, gut bezahlte Verkäuferinnen mit Vollzeitstellen unter fadenscheinigen Vorwänden entlassen oder herausgemobbt werden. Damals wurden die Ladenöffnungszeiten verlängert (ohne Mehreinstellung von Personal), das Rabattgesetz wurde bereits 2001 gelockert. Jetzt werden Minijobs geschaffen.

Betriebsräte bilden

Betriebsräte wurden bisher fast ausschließlich in Lidl-Lagern und bei Kaufland gewählt. Das will Ver.di ändern. In den rund 2500 Filialen in der Bundesrepublik sollen flächendeckend Betriebsräte durchgesetzt werden. Dafür will der Fachbereich Handel mit einer Kampagne sorgen, welche die skandalösen Arbeitsbedingungen an die Öffentlichkeit bringt und hier für den notwendigen Druck sorgt.
Am 8.März 2004, dem Internationalen Frauentag, verteilten Ver.di-Haupt- und Ehrenamtliche bundesweit in nahezu 2000 Lidl-, Schlecker- und Aldi(-Süd)-Filialen Informationsmaterial und kleine Geschenke. Das Echo bei den Betroffenen und in den Medien war stark. Mit systematischen Filialbesuchen und Informationskampagnen will Ver.di erreichen, dass Betriebsräte gewählt werden, damit die Arbeitsbedingungen verbessert werden können. Dabei gehe es vor allem um Bezahlung nach Tarif, um den Schutz der Gesundheit und um Sicherheit. Um mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen, will Ver.di zudem prominente Paten anwerben.
Im letzten Jahr hat Ver.di Unterstützung bekommen. Attac will die Kampagne mit eigenen Aktionen begleiten. Sie wenden sich in erster Linie an die Käufer, die sich zumeist keine Gedanken darüber machen, wie ein Discounter wie Lidl es schafft, so »konkurrenzlos billig« zu sein. Er schafft es nur auf Kosten der Beschäftigten. Die Preiskriege und Rabattschlachten, die zwischen den Handelsketten toben, sind nur möglich, weil die Erzeuger und die Arbeiterinnen, die die Produkte herstellen, für ihre Arbeit nichts mehr bekommen. »Geiz ist geil« ist eine selbstmörderische Perspektive. »Arbeit in Würde« könnte eine Gegenlosung sein.

Angela Klein

Teil der Kampagne von Ver.di ist die Herausgabe eines Lidl-Schwarzbuchs durch Andreas Hamann und Gudrun Giese. Gegen eine Schutzgebühr ist das Büchlein zu erhalten über die Ver.di- Bundesverwaltung, Fax (030) 69563160, Fon (030) 69563162.


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