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Vor hundert Jahren wurden die Industrial Workers of the World (IWW) die
Wobblies gegründet und die Bosse in den USA zitterten. Brand Hall, Chicago, 27.Juni 1905: Big Bill
Haywood klopfte mit dem Hammer auf den Tisch und rief den Gründungskongress der IWW zur Ordnung:
»Dies ist der kontinentale Kongress der Arbeiterklasse. Wir sind hier, um die Arbeiter dieses Landes zu
einer Arbeiterbewegung zusammenzuschließen, deren Ziel die Befreiung der Arbeiterklasse von der
kapitalistischen Sklaverei ist«. Der Saal brach in Beifall aus.
Neben Haywoods eigener Gewerkschaft, der Western Federation of Miners (WFM), waren Bergleute aus
Kansas, Schneider aus San Francisco, Drucker aus Schenectady, Pförtner aus Chicago, Hafenarbeiter aus
Detroit und Hoboken, Schmiede aus Pullman, Brauereiarbeiter aus Milwaukee und Kürschner aus Montreal als
Delegierte gekommen. Unter den Hauptrednern waren die beiden berühmtesten revolutionären Sozialisten
Nordamerikas: Eugene Debs und sein alter sektiererischer Widersacher Daniel De Leon. Andere prominente
Unterstützer waren Mother Jones von der Bergarbeitergewerkschaft und A.M.Simons, der Herausgeber der
International Socialist Review.
Der Aufruf zum Kongress war von der WFM ausgegangen. Wie Haywood den Genossen ins Gedächtnis rief,
hatten die Minenarbeiter seit 1892 in den Rockies einen brutalen Arbeitskampf geführt: »Es gab keinen
Streik der WFM, bei dem wir nicht mit der Miliz konfrontiert gewesen wären.« Im Gegensatz zur
American Federation of Labor (AFL) unter Samuel Gompers dinierte man in der WFM nicht mit Raubrittern,
unterstützte nicht den US-Imperialismus oder bat Präsident Roosevelt darum, bei Arbeitskämpfen
zu vermitteln. Wenn nötig, wussten ihre Mitglieder auch, wie man mit dem gefährlichen Ende einer
Winchester 30-30 umzugehen hatte. Die Folge war, so bemerkte Haywood, dass »die Kapitalistenklasse dieses
Landes die WFM mehr fürchtet als den ganzen Rest der Arbeiterorganisationen«.
Jetzt waren die Bergleute aus dem Westen in den
Osten gekommen, um dabei zu helfen, eine neue Arbeiterorganisation aufzubauen, »die breit genug ist, um
die gesamte Arbeiterklasse aufzunehmen« eine Organisation, darauf bestand Haywood, »geformt,
basiert und gegründet ist im Klassenkampf und die keinen Kompromiss und keinen Verzicht im Blick
hat«. Die AFL, argumentierte Haywood, war keine Arbeiterorganisation, sondern ein auf Ausgrenzung
beruhendes Kartell, das eine Elite von weißen, einheimischen Arbeitern vertrat. »Was wir diesmal
aufbauen wollen, ist eine Arbeiterorganisation, die ihre Türen weit für jeden Mann [sic] öffnen
wird, der seinen Unterhalt entweder durch seine Muskeln oder sein Gehirn verdient.«
In der eloquentesten Rede der Versammlung machte Lucy Parsons klar, dass die neue Solidarität auch
arbeitende Frauen umfassen müsse, »die Sklavinnen der Sklaven«. Selbst eine frühere Sklavin
und die Witwe von Albert Parsons, einem der Radikalen aus Chicago, die wegen des Mordes an einem Polizisten auf
dem Haymarket Square hingerichtet worden waren, war sie eine der außergewöhnlichsten Figuren der
amerikanischen Linken. Sie zwang die Delegierten, ihre Augen »auf das fern gelegene Russland« zu
richten »und Mut und Zuversicht von jenen zu beziehen, die dort den Kampf führen, und von der
weiteren Tatsache, die der Kapitalistenklasse in der ganzen Welt den größten Schrecken bringt
dass die rote Fahne gehisst worden ist«.
In der Tat elektrisierten die Berichte von Streiks
in Moskau und von Meutereien in Odessa die Versammlungshalle. Während des darauf folgenden Jahres sollte
die Solidarität mit der sich entwickelnden Revolution in Russland einer der Hauptschwerpunkte der neuen
Organisation werden. Als die II.Internationale am 22.Januar 1906 zu internationalen Aktionen zur
Unterstützung der Russen aufrief, organisierte die IWW Massenversammlungen. Später unterstützte
sie eine gefeierte Rundreise zur Sammlung von Spenden, die der russische Schriftsteller Maxim Gorki unternahm,
der dabei als »ein typischer Industriegewerkschafter« begrüßt wurde.
Als Gorki erfuhr, dass Bill Haywood und der
Präsident des WFM, Charles Moyer, in Idaho wegen des angeblichen Mordes an einem ehemaligen Gouverneur,
der einen Streik niedergeschlagen hatte, verhaftet worden waren, schickte er ihnen umgehend ein Telegramm:
»Ich grüße euch, meine sozialistischen Brüder. Zuversicht! Der Tag der Gerechtigkeit und
Belohnung für die Unterdrückten ist zum Greifen nah.« Aus ihrer Gefängniszelle antworteten
Haywood und Moyer: »Bruder! Der weltweite Klassenkampf, der der gleiche in Amerika und Russland ist, macht
uns tatsächlich zu Brüdern. Übermitteln Sie den Arbeitern in Ihrem Heimatland unsere besten
Wünsche.«
Wie der Historiker der Arbeiterbewegung, Philip Foner, gezeigt hat, sicherte die leidenschaftliche
Solidarität der Wobblies mit der Revolte in Russland ihnen die Unterstützung von eingewanderten
Arbeitern in den milltowns des Ostens, was den Weg für die zentrale Rolle der IWW in der lang andauernden
Streikwelle von 19091913 ebnete. Zudem ließ der Zustrom von Hunderten ins Exil getriebener
russischer, polnischer, finnischer und jüdischer Revolutionäre die Reihen der IWW kräftig
anwachsen. Entgegen dem allgemeinen Stereotyp über die Wobblies als romantische Landstreicheranarchisten
war die IWW tatsächlich ein außergewöhnlicher Schmelztiegel der internationalen
revolutionären Traditionen.
Dies wurde während des Streiks von 1909, der
der Anfang eines vier Jahre andauernden Aufstands der eingewanderten Arbeiterklasse bildete, auf dramatische
Weise illustriert. In der berüchtigten Pressed Steel Car Company in McKees Rocks, Pennsylvania, wurde
durchschnittlich ein Arbeiter am Tag durch einen Betriebsunfall getötet. Sechzehn verschiedene
Nationalitäten schufteten in der Fabrik, und das Management baute auf die Bigotterie der im Land geborenen
Handwerker gegenüber den immigrierten »Hunkies«, um die Gewerkschaftsbewegung in Schach zu
halten.
Als im Juli ein spontaner Streik ausbrach,
erwarteten sowohl die Firmenleitung wie auch AFL-Funktionäre, dass er in einem oder zwei Tagen
zusammenbrechen werde. Stattdessen bekämpften die im Ausland geborenen Arbeitskräfte unter der
Führung der IWW 45 Tage lang Streikbrecher, die Coal and Iron Police und die lokale Gendarmerie. Dreizehn
Streikende wurden getötet, doch die Arbeiter setzten ihre Forderungen durch.
Es war ein überwältigender Sieg durch
angeblich »unwissende europäische Bauern«: Tatsächlich war, wie ein Artikel in der
International Socialist Review ausführte, das interne Streikkomitee eine revolutionäre Internationale
in Miniatur. Seine Mitglieder umfassten italienische Anarchisten und Sozialisten, einen russischen
Sozialdemokraten, mehrere Überlebende des Massakers vom »Blutsonntag« in St. Petersburg,
schweizerische und ungarische Gewerkschafter, die auf der schwarzen Liste standen, wie auch einen Kader der
altgedienten deutschen Metallarbeiter. Wenige Jahre später sollte die IWW tief in eine andere epochale
Revolution, in die Revolution in Mexiko hineingezogen werden.
Es ist nicht überraschend, dass die Wobblies
das Hauptziel der Repression durch die Regierung und die patriotischen Ordnungskräfte während des
Ersten Weltkriegs wurden. Sie waren schließlich wirklich gefährlich. Keine Arbeiterorganisation in
der amerikanischen Geschichte war weniger patriotisch oder auf ruhmvollere Weise internationalistisch.
Mike Davis
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