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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2005, Seite 16

Zur »Diskussionsgrundlage« für ein neues DKP-Programm

Wohin der Wind dreht

Georg Fülberth, selbst noch Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei, sagte vor Jahren in einem Interview, das Programm der DKP könne man schon deshalb nicht ernst nehmen, weil darin immer noch steht, der Prüfstein eines Kommunisten sei die Haltung zur Sowjetunion. Inzwischen gilt die Ausrede nicht mehr, denn ein neues Programm, das 2006 verabschiedet werden soll, nimmt nach vier Jahren der Diskussion Gestalt an. Der Aufbruch neuer sozialer Bewegungen lässt die Partei, die den Zusammenbruch der DDR nur mit Mühe überlebt hat, Morgenluft wittern — und stellt sie zugleich vor Zerreißproben.

Denn die Bewegungen, die sich unter der Losung »Eine andere Welt ist möglich« sammeln, mit der auch die DKP sich inzwischen gerne schmückt, unterscheiden sich in ihrer sozialen Zusammensetzung, ihren Diskursen und ihren Organisationsformen erheblich von dem, was der DKP traditionell als Norm vorschwebt. Muss das als Indiz dafür ernst genommen werden, dass die Realität selbst sich verändert hat und folglich neue Analysen erforderlich sind, oder ist es bloß ein Ergebnis des manipulativen Wirkens der Bourgeoisie, dem die marxistisch-leninistische »Partei der Arbeiterklasse« als glaubensfeste Trutzburg widerstehen muss?
Der Streit über Fragen dieser Art hält in der DKP seit Jahren an, und er hat bewirkt, dass die Parteiführung, die eine vorsichtige Öffnung anstrebt, nach dem Hervortreten scharfer Gegensätze in der 2001 begonnenen Programmdiskussion zunächst versuchte, Zeit zu gewinnen. Das orthodoxe Lager, das mit dem Philosophen Hans Heinz Holz den Vorzeige-Professor der intellektuell ausgebluteten Partei stellt, drängte dagegen auf die schnelle Verabschiedung eines neuen Programms in der Absicht, unter taktischer Nutzung der Unsicherheit und Ratlosigkeit der Führung rasch einen traditionell orientierten Konsens festzuklopfen.
Nachdem mehrere frühere Ansätze verworfen worden waren, wurde nach einigem Hin und Her eine vierköpfige Arbeitsgruppe mit der Formulierung einer neuen »Diskussionsgrundlage« beauftragt, die jetzt vorliegt. Beteiligt waren der Erneuerer Leo Mayer, der als Ökonomie-Sachverständiger und erfahrener Gewerkschafter unabkömmlich ist, Hans Heinz Holz als philosophierender Universaldilettant einer intellektuell aufpolierten, relativ kompromissfähigen Orthodoxie, der Parteiveteran Willi Gerns als zentristischer Exponent eines vorsichtig-gemäßigten Traditionalismus und die aus dem SED-Establishment stammende, jedoch ihren alten Genossen im Osten als Überläuferin zur »revisionistischen« West-Linie zutiefst verhasste stellvertretende Parteivorsitzende Nina Hager als Verfechterin einer behutsamen Entdogmatisierung und Modernisierung des alten Lehrbuch-Marxismus.

Fehlende Kohärenz

Was das Quartett, dem aufgegeben wurde, einen für die ganze Partei akzeptablen Kompromiss zu finden, ausgebrütet hat, lässt befürchten, dass man auch das künftige Programm der DKP wenig ernst wird nehmen können. Unabweisbar ist der Eindruck, dass es nicht darum geht, die Welt von heute, ihre Widersprüche, ihre Bewegungen und deren Perspektiven zu verstehen, sondern darum, einem Traditionsverein einen Formelsalat anzubieten, der für jeden Geschmack ein paar Phrasen bietet — wobei allerdings an entscheidenden Knotenpunkten die Orthodoxie ihre Deutungsmacht behaupten und sogar einen Rollback durchsetzen konnte.
Was immer man von dem alten Mannheimer Programm von 1978 halten mag — es war wenigstens kohärent. Eben diese Kohärenz konnte in der neuen »Diskussionsgrundlage« nicht erzielt werden. In rein methodischer und formaler Hinsicht fällt der zusammenhanglose, unsystematische Gebrauch von Begriffen auf. Gegen Ende ist von Solidarität mit »unterdrückten Völkern« und »antiimperialistischen Befreiungsbewegungen« die Rede. Aus den heftigen Auseinandersetzungen, die in der DKP über die Einschätzung der Kräfte des bewaffneten Widerstands im Irak geführt wurden, hätte klar werden müssen, dass Begriffe wie »antiimperialistische Befreiungsbewegung« heutzutage zumindest erklärungsbedürftig sind. Wenn man glaubt, das gehöre in ein kommunistisches Programm, so müsste man wenigstens sagen, was man damit meint. Das unterbleibt jedoch.
Genauso phrasenhaft werden aber auch für DKP-Verhältnisse innovative Vokabeln wie »fordistische Massenproduktion« verwendet. Auch hier fehlt jede Erklärung und jeder systematische Zusammenhang. Begriffe fungieren als Duftmarken, mit denen sowohl die Hüter der rechtgläubigen »Identität« als auch die innovationsfreudigeren Mitstreiter ihre Reviere abstecken.

Von falscher Kapitalismusanalyse…

Dass die Begriffe »Globalisierung« und »Neoliberalismus« in dem Dokument ausgiebig gebraucht werden und explizit eine neue Qualität des Kapitalismus beschreiben, dürfte den Ultraorthodoxen, die dieses Vokabular für bürgerliches und revisionistisches Teufelszeug halten, Bauchschmerzen bereiten. Die alte Streitfrage, ob im heutigen Imperialismus eine Tendenz zu transnationaler Verschmelzung oder zu neuer Blockkonkurrenz überwiege, konnte leidlich mit einem beide Momente berücksichtigenden Kompromiss bewältigt werden.
Völlig unzureichend aber fällt die Erklärung des Neoliberalismus aus. Seine Hegemonie, heißt es, bekomme Risse, ohne dass ein auch nur einigermaßen überzeugendes hegemonietheoretisches Verständnis für die Durchsetzungskraft dieses Gesellschaftskonzepts vorliegt. In der Interpretation der Programmgruppe erscheint Neoliberalismus letzlich als üble Machenschaft des Kapitals, das zwecks Bewältigung seiner eigenen Verwertungskrise der Bevölkerung manipulativ ein »neues Modell der Akkumulation, der ökonomischen und politischen Macht, der Ideologie und Kultur« aufs Auge gedrückt habe. Aber in Wirklichkeit ist dieses neue Akkumulationsmodell ebenso sehr das Resultat eines gesellschaftlichen Strukturwandels und sozialer Auseinandersetzungen, in denen das Kapital sich Bedürfnisse nach Emanzipation von alten Ordnungen und Reglementierungen zunutze machen konnte, auf die die Linke keine Antwort hatte.
»Der Kapitalismus zerstört mit seinem neoliberalen Konzept, die Arbeitskraft ausschließlich als Kostenfaktor zu sehen, nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch immer mehr den humanen Charakter von Arbeit.« Man wüsste gerne, worin denn der humane Charakter von Fabrikarbeit vor der Heraufkunft des Neoliberalismus bestanden haben soll. Aber wer den Kapitalismus nur dafür zu kritisieren vermag, dass er »Arbeitsplätze vernichtet«, statt erst einmal zu sagen, was ein »Arbeitsplatz« ist — ein Zwangsverhältnis, das Menschen der Fremdbestimmung unterwirft, an der Entfaltung ihrer Fähigkeiten hindert und sie schließlich alternativlos von dieser fremdbestimmten Verwertung abhängig macht —, verfehlt die Kernfragen, die sich emanzipativen Bewegungen heute stellen.
Es heißt dann nämlich: »Es geht nicht um die ›Befreiung von der Arbeit‹, sondern um die Befreiung der Arbeiterklasse von kapitalistischer Ausbeutung.« Es fragt sich, gegen wen der polemische Affront sich richten soll. Ohne ein Streben nach Befreiung von der Arbeit wären Menschen schwerlich auf die Idee gekommen, Maschinen zu bauen, um sich Arbeit zu ersparen. Die Befreiung von Routinearbeit ist Voraussetzung wie Resultat in einem Prozess, der durch komplexere, geistig höherstufige Arbeit die Einsparung von Arbeit ermöglicht. Befreiung der Arbeit und Befreiung von der Arbeit — vordringlich als Befreiung von der Lohnarbeit — müssten als Zusammenhang gedacht werden. Weil das in der DKP unterbleibt, kommt unterm Strich eine »Befreiung« im Geiste von Stalin heraus: Es lebe die Arbeiterklasse ohne Kapitalisten. Die berühmte Verfassungsrede von 1936, in der der Erfinder des »Marxismus- Leninismus« selbigen um die »schöpferische Weiterentwicklung« eines Klassenbegriffs ohne Antagonismus bereicherte, lässt grüßen. Das kommt davon, wenn man den Marxismus für eine »Weltanschauung« hält, derzufolge die dialektisch bewegte Natur in der Arbeit zu ihrem Selbstbewusstsein und die Arbeiterklasse im Sozialismus zu ihrer staatlichen Selbstverwirklichung gelangt.

…zum Sozialismus von Stalin

Besonders aufschlussreich sind die Passagen zur historischen Einschätzung des »realen Sozialismus«, die weitgehend wortgleich aus den vom 14.Parteitag der DKP 1998 als Arbeitsmaterial zur weiteren Diskussion verabschiedeten »Sozialismusvorstellungen« übernommen wurden. Nur wenige Änderungen wurden vorgenommen. Gerade diese aber zeigen, wohin in der DKP der Wind dreht.
1998 hieß es: »Partei und Staat verschmolzen mehr und mehr zu einem administrativ-bürokratischen Apparat. Die sozialistische Demokratie blieb nicht nur unterentwickelt, sie wurde durch die Missachtung sozialistischer Rechtsstaatlichkeit massiv verletzt. Die extreme äußere Bedrohungssituation der Sowjetunion verstärkte die Tendenz zu Repression und Terror nach innen. Bloße Verstaatlichung trat an die Stelle wirklicher Vergesellschaftung. Die Folge war eine zunehmende Entfremdung vom sozialistischen Eigentum.« Abseits der Frage, ob ein Eigentum, von dem der Eigentümer sich entfremdet hat, »sozialistisch« sein kann, wurde damit immerhin festgestellt, dass in der Stalinära das sowjetische System aus sich heraus Repression und Terror hervorbrachte, die durch äußere Einflüsse nur verstärkt wurden, dass echte Vergesellschaftung nicht stattfand und sozialistische Demokratie nicht wirklich existierte. Die aktuelle Version lautet: »Partei und Staat verschmolzen mehr und mehr zu einem administrativ-bürokratischen Apparat. An die Stelle wirklicher Vergesellschaftung trat mehr und mehr bloße Verstaatlichung. Die Folge war eine zunehmende Entfremdung vom sozialistischen Eigentum … Im Widerspruch zum humanistischen Wesen des Sozialismus wurde die sozialistische Demokratie durch die Missachtung sozialistischer Rechtsstaatlichkeit, durch Repression und zeitweilig sogar durch Terror massiv verletzt.« Die Ersetzung von Vergesellschaftung durch Verstaatlichung wird nicht mehr klar lokalisiert, sondern es wird einfach behauptet, sie habe sich »mehr und mehr« vollzogen, während der Terror zum zeitweilig im Widerspruch zum »humanistischen Wesen« der Sowjetgesellschaft aufgetretenen Randphänomen bagatellisiert wird.
Das unspezifische »mehr und mehr« des Niedergangs öffnet der bei Teilen der DKP beliebten »antirevisionistischen« Interpretation die Tür, die behauptet, unter Stalin sei im Wesentlichen alles in Ordnung gewesen und der Niedergang erst später eingetreten. Die nicht unwesentliche Frage, ob die Ursachen für das Scheitern des Realsozialismus primär in der Politik von Stalin oder in der partiellen Abkehr seiner Nachfolger von ihr liegen, wird umgangen. Der Schluss des Abschnitts lautete im Dokument von 1998: »Unter inneren und äußeren Einflüssen gewannen schließlich opportunistische Einstellungen die Oberhand, die mehr und mehr zum Zerfall des revolutionären Charakters der Sowjetgesellschaft und der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus führten, die das Eindringen der bürgerlichen Ideologie begünstigten und schließlich den Zusammenbruch des Sowjetsystems und anderer sozialistischer Staaten bewirkten.« Sieht man über den seltsamen Gedanken hinweg, einen gesellschaftlichen Zerfall aus »Einstellungen« herzuleiten, so wurde hier doch wenigstens konstatiert, dass ein solcher Zerfall stattgefunden hat. Im aktuellen Dokument liest es sich deutlich anders: »Endgültig wurde der Weg für die Niederlage des realen Sozialismus in Europa frei, als unter inneren und äußeren Einflüssen revisionistische Kräfte in der KPdSU und regierenden Parteien anderer sozialistischer Staaten die Oberhand gewannen.« Es war also der Verrat von Revisionisten, der die Implosion verursachte.
So wundert es denn auch nicht, dass das Thema des Absterbens des Staates, das in den »Sozialismusvorstellungen« noch eine Rolle spielte, aus dem Sozialismus-Teil der »Diskussionsgrundlage« völlig verschwunden ist. Offensichtlich sollen diejenigen, die auf Stalins »maximale Stärkung der Staatsmacht« schwören, nicht verprellt werden.

Rückfall als Kompromiss

Mit diesem Dokument fällt die DKP hinter den Diskussionsstand zurück, den sie Ende der 1990er Jahre erreicht hatte. Das hängt damit zusammen, dass in dem Moment, wo es mit der Frage einer Neuorientierung praktisch ernst wurde, eine Gegenfront entstanden ist, die stark genug ist, der Gesamtpartei ihre Diskursregeln aufzuzwingen. Die in Richtung Öffnung, Erneuerung und Kooperation mit sozialen Bewegungen orientierte Strömung ist aus einer bestimmten »weichen« Tradition der Partei heraus vorwiegend pragmatisch orientiert. Ihr fehlen Intellektuelle, die eine Neuorientierung konzeptionell formulieren könnten (was Leo Mayer wohl ansatzweise versucht hat, aber heftigen Gegenwind hervorrief), während das »Gehirn« der Partei von Orthodoxen und Zentristen aus dem alten Apparat besetzt ist.
Beide Strömungen wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind, weil keine von ihnen allein in der Lage wäre, ein Erfolg versprechendes politisches Projekt zu organisieren. Deshalb sucht man den Kompromiss, der im vorliegenden Diskussionspapier den Charakter eines Kuhhandels annimmt: Es darf von Globalisierung und Neoliberalismus geredet werden, während im Gegenzug dem Edel-Stalinverehrer Holz die Deutungshoheit in historischen Fragen zugestanden wird. Mag sein, dass die Partei damit leben kann — die »wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt« (Marx) wird darauf verzichten können.

Henning Böke

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