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Georg Fülberth, selbst noch Mitglied der Deutschen Kommunistischen
Partei, sagte vor Jahren in einem Interview, das Programm der DKP könne man schon deshalb nicht ernst
nehmen, weil darin immer noch steht, der Prüfstein eines Kommunisten sei die Haltung zur Sowjetunion.
Inzwischen gilt die Ausrede nicht mehr, denn ein neues Programm, das 2006 verabschiedet werden soll, nimmt
nach vier Jahren der Diskussion Gestalt an. Der Aufbruch neuer sozialer Bewegungen lässt die Partei,
die den Zusammenbruch der DDR nur mit Mühe überlebt hat, Morgenluft wittern und stellt sie
zugleich vor Zerreißproben.
Denn die Bewegungen, die sich unter der Losung »Eine andere Welt ist möglich«
sammeln, mit der auch die DKP sich inzwischen gerne schmückt, unterscheiden sich in ihrer sozialen
Zusammensetzung, ihren Diskursen und ihren Organisationsformen erheblich von dem, was der DKP traditionell
als Norm vorschwebt. Muss das als Indiz dafür ernst genommen werden, dass die Realität selbst
sich verändert hat und folglich neue Analysen erforderlich sind, oder ist es bloß ein Ergebnis
des manipulativen Wirkens der Bourgeoisie, dem die marxistisch-leninistische »Partei der
Arbeiterklasse« als glaubensfeste Trutzburg widerstehen muss?
Der Streit über Fragen dieser Art
hält in der DKP seit Jahren an, und er hat bewirkt, dass die Parteiführung, die eine vorsichtige
Öffnung anstrebt, nach dem Hervortreten scharfer Gegensätze in der 2001 begonnenen
Programmdiskussion zunächst versuchte, Zeit zu gewinnen. Das orthodoxe Lager, das mit dem Philosophen
Hans Heinz Holz den Vorzeige-Professor der intellektuell ausgebluteten Partei stellt, drängte dagegen
auf die schnelle Verabschiedung eines neuen Programms in der Absicht, unter taktischer Nutzung der
Unsicherheit und Ratlosigkeit der Führung rasch einen traditionell orientierten Konsens festzuklopfen.
Nachdem mehrere frühere Ansätze
verworfen worden waren, wurde nach einigem Hin und Her eine vierköpfige Arbeitsgruppe mit der
Formulierung einer neuen »Diskussionsgrundlage« beauftragt, die jetzt vorliegt. Beteiligt waren
der Erneuerer Leo Mayer, der als Ökonomie-Sachverständiger und erfahrener Gewerkschafter
unabkömmlich ist, Hans Heinz Holz als philosophierender Universaldilettant einer intellektuell
aufpolierten, relativ kompromissfähigen Orthodoxie, der Parteiveteran Willi Gerns als zentristischer
Exponent eines vorsichtig-gemäßigten Traditionalismus und die aus dem SED-Establishment
stammende, jedoch ihren alten Genossen im Osten als Überläuferin zur
»revisionistischen« West-Linie zutiefst verhasste stellvertretende Parteivorsitzende Nina Hager
als Verfechterin einer behutsamen Entdogmatisierung und Modernisierung des alten Lehrbuch-Marxismus.
Was das Quartett, dem aufgegeben wurde, einen für die ganze Partei akzeptablen Kompromiss zu
finden, ausgebrütet hat, lässt befürchten, dass man auch das künftige Programm der DKP
wenig ernst wird nehmen können. Unabweisbar ist der Eindruck, dass es nicht darum geht, die Welt von
heute, ihre Widersprüche, ihre Bewegungen und deren Perspektiven zu verstehen, sondern darum, einem
Traditionsverein einen Formelsalat anzubieten, der für jeden Geschmack ein paar Phrasen bietet
wobei allerdings an entscheidenden Knotenpunkten die Orthodoxie ihre Deutungsmacht behaupten und sogar
einen Rollback durchsetzen konnte.
Was immer man von dem alten Mannheimer
Programm von 1978 halten mag es war wenigstens kohärent. Eben diese Kohärenz konnte in der
neuen »Diskussionsgrundlage« nicht erzielt werden. In rein methodischer und formaler Hinsicht
fällt der zusammenhanglose, unsystematische Gebrauch von Begriffen auf. Gegen Ende ist von
Solidarität mit »unterdrückten Völkern« und »antiimperialistischen
Befreiungsbewegungen« die Rede. Aus den heftigen Auseinandersetzungen, die in der DKP über die
Einschätzung der Kräfte des bewaffneten Widerstands im Irak geführt wurden, hätte klar
werden müssen, dass Begriffe wie »antiimperialistische Befreiungsbewegung« heutzutage
zumindest erklärungsbedürftig sind. Wenn man glaubt, das gehöre in ein kommunistisches
Programm, so müsste man wenigstens sagen, was man damit meint. Das unterbleibt jedoch.
Genauso phrasenhaft werden aber auch für
DKP-Verhältnisse innovative Vokabeln wie »fordistische Massenproduktion« verwendet. Auch
hier fehlt jede Erklärung und jeder systematische Zusammenhang. Begriffe fungieren als Duftmarken, mit
denen sowohl die Hüter der rechtgläubigen »Identität« als auch die
innovationsfreudigeren Mitstreiter ihre Reviere abstecken.
Dass die Begriffe »Globalisierung« und »Neoliberalismus« in dem Dokument ausgiebig
gebraucht werden und explizit eine neue Qualität des Kapitalismus beschreiben, dürfte den
Ultraorthodoxen, die dieses Vokabular für bürgerliches und revisionistisches Teufelszeug halten,
Bauchschmerzen bereiten. Die alte Streitfrage, ob im heutigen Imperialismus eine Tendenz zu transnationaler
Verschmelzung oder zu neuer Blockkonkurrenz überwiege, konnte leidlich mit einem beide Momente
berücksichtigenden Kompromiss bewältigt werden.
Völlig unzureichend aber fällt die
Erklärung des Neoliberalismus aus. Seine Hegemonie, heißt es, bekomme Risse, ohne dass ein auch
nur einigermaßen überzeugendes hegemonietheoretisches Verständnis für die
Durchsetzungskraft dieses Gesellschaftskonzepts vorliegt. In der Interpretation der Programmgruppe
erscheint Neoliberalismus letzlich als üble Machenschaft des Kapitals, das zwecks Bewältigung
seiner eigenen Verwertungskrise der Bevölkerung manipulativ ein »neues Modell der Akkumulation,
der ökonomischen und politischen Macht, der Ideologie und Kultur« aufs Auge gedrückt habe.
Aber in Wirklichkeit ist dieses neue Akkumulationsmodell ebenso sehr das Resultat eines gesellschaftlichen
Strukturwandels und sozialer Auseinandersetzungen, in denen das Kapital sich Bedürfnisse nach
Emanzipation von alten Ordnungen und Reglementierungen zunutze machen konnte, auf die die Linke keine
Antwort hatte.
»Der Kapitalismus zerstört mit
seinem neoliberalen Konzept, die Arbeitskraft ausschließlich als Kostenfaktor zu sehen, nicht nur
Arbeitsplätze, sondern auch immer mehr den humanen Charakter von Arbeit.« Man wüsste gerne,
worin denn der humane Charakter von Fabrikarbeit vor der Heraufkunft des Neoliberalismus bestanden haben
soll. Aber wer den Kapitalismus nur dafür zu kritisieren vermag, dass er »Arbeitsplätze
vernichtet«, statt erst einmal zu sagen, was ein »Arbeitsplatz« ist ein
Zwangsverhältnis, das Menschen der Fremdbestimmung unterwirft, an der Entfaltung ihrer
Fähigkeiten hindert und sie schließlich alternativlos von dieser fremdbestimmten Verwertung
abhängig macht , verfehlt die Kernfragen, die sich emanzipativen Bewegungen heute stellen.
Es heißt dann nämlich: »Es geht
nicht um die ›Befreiung von der Arbeit‹, sondern um die Befreiung der Arbeiterklasse von
kapitalistischer Ausbeutung.« Es fragt sich, gegen wen der polemische Affront sich richten soll. Ohne
ein Streben nach Befreiung von der Arbeit wären Menschen schwerlich auf die Idee gekommen, Maschinen
zu bauen, um sich Arbeit zu ersparen. Die Befreiung von Routinearbeit ist Voraussetzung wie Resultat in
einem Prozess, der durch komplexere, geistig höherstufige Arbeit die Einsparung von Arbeit
ermöglicht. Befreiung der Arbeit und Befreiung von der Arbeit vordringlich als Befreiung von
der Lohnarbeit müssten als Zusammenhang gedacht werden. Weil das in der DKP unterbleibt, kommt
unterm Strich eine »Befreiung« im Geiste von Stalin heraus: Es lebe die Arbeiterklasse ohne
Kapitalisten. Die berühmte Verfassungsrede von 1936, in der der Erfinder des »Marxismus-
Leninismus« selbigen um die »schöpferische Weiterentwicklung« eines Klassenbegriffs
ohne Antagonismus bereicherte, lässt grüßen. Das kommt davon, wenn man den Marxismus
für eine »Weltanschauung« hält, derzufolge die dialektisch bewegte Natur in der Arbeit
zu ihrem Selbstbewusstsein und die Arbeiterklasse im Sozialismus zu ihrer staatlichen Selbstverwirklichung
gelangt.
Besonders aufschlussreich sind die Passagen zur historischen Einschätzung des »realen
Sozialismus«, die weitgehend wortgleich aus den vom 14.Parteitag der DKP 1998 als Arbeitsmaterial zur
weiteren Diskussion verabschiedeten »Sozialismusvorstellungen« übernommen wurden. Nur wenige
Änderungen wurden vorgenommen. Gerade diese aber zeigen, wohin in der DKP der Wind dreht.
1998 hieß es: »Partei und Staat
verschmolzen mehr und mehr zu einem administrativ-bürokratischen Apparat. Die sozialistische
Demokratie blieb nicht nur unterentwickelt, sie wurde durch die Missachtung sozialistischer
Rechtsstaatlichkeit massiv verletzt. Die extreme äußere Bedrohungssituation der Sowjetunion
verstärkte die Tendenz zu Repression und Terror nach innen. Bloße Verstaatlichung trat an die
Stelle wirklicher Vergesellschaftung. Die Folge war eine zunehmende Entfremdung vom sozialistischen
Eigentum.« Abseits der Frage, ob ein Eigentum, von dem der Eigentümer sich entfremdet hat,
»sozialistisch« sein kann, wurde damit immerhin festgestellt, dass in der Stalinära das
sowjetische System aus sich heraus Repression und Terror hervorbrachte, die durch äußere
Einflüsse nur verstärkt wurden, dass echte Vergesellschaftung nicht stattfand und sozialistische
Demokratie nicht wirklich existierte. Die aktuelle Version lautet: »Partei und Staat verschmolzen mehr
und mehr zu einem administrativ-bürokratischen Apparat. An die Stelle wirklicher Vergesellschaftung
trat mehr und mehr bloße Verstaatlichung. Die Folge war eine zunehmende Entfremdung vom
sozialistischen Eigentum … Im Widerspruch zum humanistischen Wesen des Sozialismus wurde die
sozialistische Demokratie durch die Missachtung sozialistischer Rechtsstaatlichkeit, durch Repression und
zeitweilig sogar durch Terror massiv verletzt.« Die Ersetzung von Vergesellschaftung durch
Verstaatlichung wird nicht mehr klar lokalisiert, sondern es wird einfach behauptet, sie habe sich
»mehr und mehr« vollzogen, während der Terror zum zeitweilig im Widerspruch zum
»humanistischen Wesen« der Sowjetgesellschaft aufgetretenen Randphänomen bagatellisiert
wird.
Das unspezifische »mehr und mehr«
des Niedergangs öffnet der bei Teilen der DKP beliebten »antirevisionistischen«
Interpretation die Tür, die behauptet, unter Stalin sei im Wesentlichen alles in Ordnung gewesen und
der Niedergang erst später eingetreten. Die nicht unwesentliche Frage, ob die Ursachen für das
Scheitern des Realsozialismus primär in der Politik von Stalin oder in der partiellen Abkehr seiner
Nachfolger von ihr liegen, wird umgangen. Der Schluss des Abschnitts lautete im Dokument von 1998:
»Unter inneren und äußeren Einflüssen gewannen schließlich opportunistische
Einstellungen die Oberhand, die mehr und mehr zum Zerfall des revolutionären Charakters der
Sowjetgesellschaft und der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus führten, die das Eindringen der
bürgerlichen Ideologie begünstigten und schließlich den Zusammenbruch des Sowjetsystems und
anderer sozialistischer Staaten bewirkten.« Sieht man über den seltsamen Gedanken hinweg, einen
gesellschaftlichen Zerfall aus »Einstellungen« herzuleiten, so wurde hier doch wenigstens
konstatiert, dass ein solcher Zerfall stattgefunden hat. Im aktuellen Dokument liest es sich deutlich
anders: »Endgültig wurde der Weg für die Niederlage des realen Sozialismus in Europa frei,
als unter inneren und äußeren Einflüssen revisionistische Kräfte in der KPdSU und
regierenden Parteien anderer sozialistischer Staaten die Oberhand gewannen.« Es war also der Verrat
von Revisionisten, der die Implosion verursachte.
So wundert es denn auch nicht, dass das Thema
des Absterbens des Staates, das in den »Sozialismusvorstellungen« noch eine Rolle spielte, aus
dem Sozialismus-Teil der »Diskussionsgrundlage« völlig verschwunden ist. Offensichtlich
sollen diejenigen, die auf Stalins »maximale Stärkung der Staatsmacht« schwören, nicht
verprellt werden.
Mit diesem Dokument fällt die DKP hinter den Diskussionsstand zurück, den sie Ende der 1990er
Jahre erreicht hatte. Das hängt damit zusammen, dass in dem Moment, wo es mit der Frage einer
Neuorientierung praktisch ernst wurde, eine Gegenfront entstanden ist, die stark genug ist, der
Gesamtpartei ihre Diskursregeln aufzuzwingen. Die in Richtung Öffnung, Erneuerung und Kooperation mit
sozialen Bewegungen orientierte Strömung ist aus einer bestimmten »weichen« Tradition der
Partei heraus vorwiegend pragmatisch orientiert. Ihr fehlen Intellektuelle, die eine Neuorientierung
konzeptionell formulieren könnten (was Leo Mayer wohl ansatzweise versucht hat, aber heftigen
Gegenwind hervorrief), während das »Gehirn« der Partei von Orthodoxen und Zentristen aus dem
alten Apparat besetzt ist.
Beide Strömungen wissen, dass sie
aufeinander angewiesen sind, weil keine von ihnen allein in der Lage wäre, ein Erfolg versprechendes
politisches Projekt zu organisieren. Deshalb sucht man den Kompromiss, der im vorliegenden
Diskussionspapier den Charakter eines Kuhhandels annimmt: Es darf von Globalisierung und Neoliberalismus
geredet werden, während im Gegenzug dem Edel-Stalinverehrer Holz die Deutungshoheit in historischen
Fragen zugestanden wird. Mag sein, dass die Partei damit leben kann die »wirkliche Bewegung,
welche den jetzigen Zustand aufhebt« (Marx) wird darauf verzichten können.
Henning Böke
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