SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2005, Seite 21

Whisky, Uruguay 2004, Buch: Juan Pablo Rebella, Pablo Stoll, Gonzalo Delgado Galiana, Regie: Juan Pablo Rebella, Pablo Stoll; mit Andres Pazos, Mirella Pascual, Jorge Bolani u.a.

Whisky

Wenn in Uruguay jemand fotografiert wird, dann sagt er nicht »Cheese« sondern »Whisky«. Auch in diesem Film werden eine Reihe von Fotos gemacht, so kommt der Film zu seinem Titel. Man könnte auch meinen, da sich die Leute in einem Film befinden und gewissermaßen ständig fotografiert werden, sagen sie unhörbar die ganze Zeit »Whisky«, um zumindest ein Lächeln vorzutäuschen. Denn wir haben es bei den Protagonisten mit drei sehr einsamen Menschen zu tun. Wer jetzt allerdings eine tieftraurige Tragödie erwartet, irrt sich. Der Film ist auf seine sehr stille Art durchaus auch komisch.
Die Hauptfiguren sind der Strumpffabrikant Jacobo Köller, sein Bruder Herman und seine Vorarbeiterin Marta Acuna. »Strumpffabrikant« hört sich allerdings in diesem Zusammenhang sehr bombastisch an. Denn Jacobos Fabrik ist eine heruntergekommene Klitsche mit uralten Maschinen, in der außer Marta noch zwei weitere Arbeiterinnen beschäftigt sind. Der Tagesablauf von Jacobo ist jeden Tag gleich: Er kommt zur Fabrik, wo Marta bereits auf ihn wartet. Dann schließt er das Tor auf, sie gehen in die Fabrik, er stellt die Maschinen an, Marta zieht sich um, Jacobo geht in sein Büro, in dem die Rolllade nicht funktioniert und das als einzige technische Errungenschaft eine alte mechanische Schreibmaschine besitzt. Wenig später kommen die beiden Arbeiterinnen. Abends dann kontrolliert Marta deren Taschen und verabschiedet sie jedes Mal gleich mit: »Bis morgen, wenn Gott will.« Marta ist meistens völlig stoisch, Jacobo in der Regel mürrisch. Geredet wird kaum. Dieser geradezu zelebrierte Stoizismus verbunden mit ausgesprochener Wortkargheit wirkt in seiner Überzeichnung durchaus komisch. Er erinnert an die Filme des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki, der im Abspann auch ausdrücklich erwähnt wird. Das Temperament der Beteiligten scheint also eher »finnisch« als »typisch südamerikanisch« zu sein. Aber vielleicht ist Uruguay ja das »Finnland Südamerikas«.
Zum Jahrestag des Todes von Jacobos Mutter taucht sein Bruder Herman auf. Er hat Montevideo verlassen, um nach Brasilien zu gehen, wo er, auch als Strumpffabrikant, reich geworden ist. Zur Beerdigung der Mutter, die Jacobo bis zum letzten Tag gepflegt hat, war Herman nicht da. Jetzt kommt er zur Grabsteinsetzung, die nach jüdischem Ritual ein Jahr nach der Beerdigung erfolgt. Jacobo fühlt sich gezwungen, seinem Bruder, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, eine heile Welt vorzuspielen. So soll Marta für die Dauer der Anwesenheit des Bruders Jacobos Ehefrau spielen, wozu sie sich ohne weiteres bereit erklärt. Herman bleibt aber länger als erwartet und sie fahren zusammen in einen ehemals mondänen Badeort am Meer. Dort kommen sich Marta und Herman näher, nicht aber die beiden Brüder. Das überraschende Ende des Films soll nicht verraten werden. Nur soviel: Marta kehrt nicht in die Strumpffabrik zurück.
Es gibt eine Produktionsanekdote über den Film, die zeigt, unter welchen Bedingungen in Uruguay Filme gemacht werden und die vielleicht den speziellen Humor des Films ein bisschen erklärt: Der Regieassistent erklärt den anderen, dass das Auto, das die Filmfigur Jacobo fährt — ein absoluter Schrotthaufen — soeben verkauft wurde. Als die anderen verwundert fragen, wer so etwas denn kauft, bekommen sie die Antwort: »Ein Schrotthändler«.
Der Film zeigt auch einiges über die soziale Realität Uruguays, die nicht gerade rosig ist. Im Gegensatz zum großen Nachbarn Argentinien gibt es in Uruguay bisher aber keinen Volksaufstand. Es gab nur mehrere Volksabstimmungen, in denen gegen Privatisierungen gestimmt wurde und Ende 2004 wurde eine neue Mitte-Links-Regierung gewählt, der auch einige ehemalige Angehörige der Stadtguerilla Tupamaros angehören. In Uruguay scheint weniger die große Geste und mehr pragmatisches Handeln angesagt zu sein. Man lässt sich nicht unterkriegen, auch wenn die Umstände noch so widrig sind. Dieser Stimmung verleiht auch der Film Ausdruck. Man kann ihn auch als stillen Protest gegen diese Widrigkeiten sehen.
Entstanden ist so ein unspektakulärer aber absolut sehenswerter Film, für den man kein Uruguay-Experte sein muss.

Andreas Bodden

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