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»Wohnen hat mit Menschen zu tun und nicht nur mit Geld. Deshalb muss Schluss sein mit dem
Verramschen kommunaler und sonstiger öffentlicher Wohnungen.« Beim »Mietertag«, der
Delegiertenversammlung des Deutschen Mieterbunds (DMB) Ende Mai in Kiel, warnte Mieterbund-Präsidentin
Anke Fuchs (SPD) zur Überraschung so mancher Delegierter vor der Übernahme deutscher
Mietwohnungen durch internationale Fondsgesellschaften. Noch zwei Wochen zuvor hatte der DMB-Bundesvorstand
einen Leitantrag vorgelegt, der kaum Aussagen zu den heftigen Privatisierungen und
Strukturveränderungen in der Immobilienwirtschaft enthielt. Nun kannte die DMB-Spitze kein anderes
Thema mehr als die Übernahme des deutschen Großgrundbesitzes durch internationale Anleger.
Was erklärt diesen plötzlichen
Stimmungswechsel beim biederen Dachverband von 1,1 Millionen Mietern? Alles nur Getöse? Oder sind die
Hinterlassenschaften des fordistischen und plattensozialistischen Massenwohnungsbaus in Deutschland
tatsächlich in Gefahr, unter die Räder der internationalen Immobilienspekulation zu geraten?
Das Ruhrgebiet wäre ohne seine Arbeitersiedlungskultur nicht denkbar. Große Teile des
Wohnungsbestands wurden bis in die 70er Jahre von den Bergwerks-, Stahl- und Chemiekonzernen geschaffen.
Die vom Staat hoch subventionierte Bereitstellung von erschwinglichen Werkswohnungen war in Zeiten der
Vollbeschäftigung Bedingung für die Gewinnung und Bindung von Arbeitskräften. Über die
Kostendeckung hinaus wurde nur eine begrenzte Eigenkapitalrendite aus der Vermietung erwirtschaftet. Die
Werkswohnung war Teil der infrastrukturellen Produktionsvoraussetzungen. Gewinne sollten mit der Produktion
erwirtschaftet werden, nicht mit ihren Nebenbedingungen. Die Bewohner der Werkssiedlungen bildeten lange
Zeit ein relativ geschlossenes Milieu: Kumpel auf Pütt und Hütte, Nachbar in der
»Kolonie«.
Diese Zeiten sind lange vorbei. Im Zuge des
Zechen- und Stahlwerkesterbens die Industrie ihr Interesse am Wohnungsbestand. Das Vermieten wurde
wenn auch beschränkt zum Geschäft, die Wohnungsunternehmen fusionierten und wurden
betriebswirtschaftlich rationalisiert. Sie begannen, Teile ihrer Bestände zu privatisieren, sowie
höchstmögliche Mieten und Nebenkosten zu verlangen.
Bis 1989 gab es für die
Wohnungsunternehmen allerdings eine wesentliche Beschränkung der Kommerzialisierung. Das
Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz gewährte Steuerbefreiungen, wenn die Unternehmen ihre
Gewinnausschüttungen und Mieten beschränkten und sich nur um Wohnungsbau kümmerten. Mit der
Abschaffung des Gesetzes fiel dieser Rahmen und die Immobilientöchter der Ruhr-Industrie entwickelten
vielfältige Strategien zur besseren Verwertung der Immobilien Auslagerung von
Wohndienstleistungen, z.B. Energie, Errichtung und Verkauf von Eigenheimen in Mietergärten und immer
mehr auch der Verkauf von Wohnungen, Häusern, ganzen Straßenzügen und Stadtteilen an
Einzelpersonen oder Spekulanten.
Pionier dieser Ausschlachtung vorhandenen
Immobilienbesitzes war und ist die Viterra AG, ehemals Veba. Von einstmals über 130000 Wohnungen im
Ruhrgebiet wurden binnen weniger Jahre fast 50000 verkauft. Einen Teil des Gewinnes steckte die E.on-
Tochter in den Aufkauf von Anteilen privatisierter öffentlicher Wohnungsunternehmen an
wohnungswirtschaftlich interessanteren Standorten wie München und Frankfurt, wo dann ebenso
einzelprivatisiert wird. Durch diese Handelsstrategie gelang der Viterra binnen kurzem der Sprung vom
Wohnungsverwalter einer Krisenregion zu einem über Deutschland hinaus agierenden Branchenführer
im Handel mit Wohnimmobilien und wohnungsnahen Dienstleistungen.
Gezielt wurde so der Boden bereitet für
die profitable Trennung des Wohnungskonzerns von der industriellen Mutter. Im Mai verkaufte E.on die
Viterra AG für 6 Milliarden Euro an die Deutsche Annington, einen Ableger des in Großbritannien
residierenden internationalen Private-Equity-Fonds Terra Firma.
Der Erlös für diesen
größten Wohnimmobiliendeal in der deutschen Geschichte (sieht man von der für 1 D-Mark
verkauften Gewerkschaftspleite Neue Heimat ab) übertraf die Erwartungen um 1 Milliarde Euro. E.on will
das gewonnene Eigenkapital in den Ausbau seiner monopolartigen Stellung auf den Gasmärkten stecken.
Von geplanten Übernahmen in Italien ist die Rede. Kurz nach dem Geschäft wurde klar, dass Terra
Firma die Viterra direkt kontrollieren, die Mieten bis zur Überdehnungsgrenze erhöhen und 500
Angestellte entlassen will. Dass die radikale Privatisierungspolitik der Viterra fortgesetzt wird, ist
ohnehin keine Frage.
Der Aufkauf der Viterra ist nur das letzte
Beispiel einer ganzen Kette von Übernahmen ehemaliger gemeinnütziger Wohnungsunternehmen durch
internationale Private-Equity-Fonds. Und es wird mit Sicherheit nicht das letzte sein.
Auslöser der Verkaufswelle waren aber
nicht Privatfirmen, sondern die öffentliche Hand. Neben etlichen Verkäufen kommunaler
Wohnungsunternehmen war es vor allem die privatisierte Bahn, die mit dem Verkauf ihrer Arbeiterwohnungen
den Boden für die »Heuschrecken« bereitete. Der Käufer der Bahnwohnungen war der
gleiche wie bei der Viterra: Terra-Firma. Das Bahngeschäft war für den bereits in England
privatisierungserfahrenen Spekulationsmulti der Einstieg in den deutschen Markt. Dafür schluckte der
damalige Ableger der japanischen Nomura-Bank vertragliche Vereinbarungen, die im Vergleich zur Viterra zu
einem viel beschworenen »sozialverträglichen« Privatisierungstempo führte, was
Annington nun geschickt zur Imagepflege nutzt.
Während zu Beginn unseres Jahrzehnts der
Verkauf kommunaler Wohnungsunternehmen nach massiven Widerständen aus der Bevölkerung
(Bürgerbehren u.a. in Essen, Aachen und Köln) und wegen der verfallenden Preise ins Stocken
geriet, setzte um 2003 eine Verkaufswelle bislang unbekannten Ausmaßes ein. Seit Anfang 2004 wurden
fast eine halbe Million Wohnungen von öffentlichen oder werksverbundenen Vermietungsgesellschaften auf
reine Finanzanleger übertragen.
Was sind die Gründe für das erstaunliche Interesse internationaler Finanzjongleure an den
oftmals als krisengeschüttelt geltenden Wohnungsunternehmen auf dem teilweise gesättigten
deutschen Wohnungsmarkt?
Weltweit suchen die Einsammler von Kapital aus
Pensionsfonds und Anlegergemeinschaften nach möglichst gewinnbringenden, kurz- und mittelfristigen
Anlagesphären. In Deutschland und anderen europäischen Ländern gibt es ein gewaltiges
Potenzial an materieller Infrastruktur, das in vergangenen Jahrzehnten von Sozialstaaten und Mischkonzernen
geschaffen und bislang vielfachen Verwertungsbeschränkungen unterworfen ist. Ein wachsender Teil
dieser Bestände wird von neoliberalen Regierungen und verschuldeten Staatsapparaten, von
transnationalisierten und auf Kerngeschäfte konzentrierte Konzerne feilgeboten, während
gleichzeitig zahlreiche Beschränkungen der internationalen Kapitalverwertung fallen und die
Finanzwirtschaft auf global verglichene Maximalprofite aus ist. Wenn wie im Moment bei deutschen
Immobilienhäusern der Fall spekulative Nachfrage auf fette Angebote trifft, ist ein
Spekulations-Hype die Folge. Der deutsche Wohnungsmarkt beginnt gerade, sich zu einer solchen
Spekulationsblase aufzublasen, wie sie vor Jahren in Ostasien geplatzt ist.
Das gestiegene Interesse an Wohnimmobilien
erklärt sich dabei u.a. aus der gewaltigen Spekulation mit Hausbesitz in den USA und einigen anderen
Ländern. Nach dem Crash der New Economy suchten Pensionsfonds und Privathaushalte nach alternativen
Anlagemöglichkeiten. Historisch niedrige Zinsen taten ihr übriges, einen Boom in der
Häuserbranche auszulösen, der die Preise explodieren ließ. Der Abstand zwischen den
Profiten, die mit dem Verkauf von Häusern und dem Vermietungsgewinn erzielt werden konnte, wurde immer
größer, da sich Mieten vor allem bei bestehenden Mietverträgen nicht beliebig erhöhen
lassen. Damit wurde vor allem die Umwandlung von Mietwohnobjekten in selbstgenutztes Eigentum ein
Bombengeschäft.
Da auf den überhitzten Märkten in
den USA, Großbritannien und Paris über kurz oder lang gigantische Crashs drohen, kann es nicht
verwundern, dass die internationalen Fonds rechtzeitig nach anderen Märkten suchen, auf die sich die
Spekulationsblase rechtzeitig transferieren lässt. Deutschland lockt im internationalen Vergleich mit
niedrigen Mieten und einer geringen Eigentümerquote.
Wer mit so geballter Marktmacht auftreten kann
wie Terra Firma, Fortress und Co. kann maßgeblich Einfluss darauf nehmen, dass sich der Markt zu
seinen Gunsten verändert. Wenn bei einer halben Million Wohnungen die Mieten bis zur
Überdehnungsgrenze angehoben werden, kann das trotz mäßiger Beträge im Einzelfall und
Leerständen einen Effekt auf den Gesamtmarkt haben. Nicht zuletzt aber können die neuen
Immobilienriesen ihre Marktmacht auch in politischen Einfluss ummünzen. Dieser Prozess ist bereits in
vollem Gange. Die Finanzlobby ist fieberhaft damit beschäftigt, sich ein dereguliertes Umfeld nach
eigener Fasson zu schaffen.
Seit etlichen Monaten geben sich deswegen Lobbyisten größerer Finanzhäuser eifrig die
Ministeriumsklinken in die Hand. Ihr Ziel: Bis zum nächsten Jahr sollen auch in Deutschland
steuerbefreite börsennotierte Immobilien AGs zugelassen werden, so genannte REITs (Real Estate
Investment Trusts). Das Modell stammt wie nicht anders zu erwarten aus den USA, wo es
zunächst als Anlagealternative für Privathaushalte gedacht war. Das Prinzip: Börsennotierte
Fonds, die sich ganz auf Immobilien konzentrieren, werden auf der Unternehmensseite von Gewinnsteuern
befreit. Versteuert wird also nur die an die Teilhaber ausgezahlte Dividende.
Das Modell wurde inzwischen mit
unterschiedlichem Erfolg auf Länder in der ganzen Welt übertragen. In Hongkong löste es eine
neue Immobilienblase aus, in Frankreich, wo REITs 2003 eingeführt wurden, haben sich
Großumwandler in REITs verwandelt. Jetzt konzentriert sich der Lobbyistendruck auf das gegenseitige
Ausspielen von London und Berlin.
Bei Finanzminister Eichel und Finanzpolitikern
der Grünen stießen die Vorstöße nicht auf taube Ohren. Wirtschaftspolitisch könnte
der erleichterte Verkauf von Immobilien (es werden auch Senkungen der Besteuerung von
Immobilienverkäufen geplant) Eigenkapital für deutsche Konzerne mobilisieren. Dem Staat winken
Privatisierungsmilliarden und angeblich zusätzliche Einkommensteuern in Höhe von 3 Milliarden
Euro. Trotzdem gab es gegen die Einführung innerhalb der SPD Widerstände, denn wie die Renditen
der internationalen Shareholder besteuert werden können, ist ein Buch mit sieben Siegeln. Schwarz-Gelb
wird es nicht schwer fallen die Siegel zu zerbrechen. Seit Monaten liegt ein Antrag des Landes Hessen vor,
die REITs-Einführung zu beschleunigen.
Die Branche rechnet durch REITs und seinen
Nebenerleichterungen mit einem in wenigen Jahren realisierbaren Verkaufspotenzial von 100 Milliarden Euro:
der Großgrundbesitz der Konzerne, Lagerhallen, Büros; die Infrastruktur der Kommunen, Schulen,
Rathäuser, Sportstätten (das heißt dann »Private-Public-Partnership«), und eben
die immer noch zahlreichen Wohnungsunternehmen der Städte.
Seit Beginn der neuen Ausverkaufswelle haben sich im Ruhrgebiet Mietervereine und Mieterinitiativen zu
einem neuen Bündnis, zum Mieterbündnis Ruhr zusammengerauft. Auf lokaler Ebene konnte in einigen
Städten (Dortmund, Gelsenkirchen, Witten) erreicht werden, dass die Kommunen das Problem der Zerlegung
ihrer Stadtteile ernst nehmen und ihre allerdings sehr beschränkten Instrumente ins
Spiel bringen, um das Schlimmste zu verhindern.
Beide Entwicklungen haben dazu beigetragen,
dass sich der NRW-Landtag mehrfach mit der Problematik beschäftigte und 2004 einen Kriterienkatalog
für »sozialverträgliche« Einzelverkäufe verabschiedete. In einer sog.
»Selbstverpflichtungserklärung« verspricht Viterra seitdem einen leicht verlängerten
Mieterschutz bei Umwandlungen und Härtefallregelungen bei Hausverkäufen. Die Erklärung wird
von den Weiterverwertern in der Praxis nicht selten umgangen. In vielen Privatisierungsauseinandersetzungen
wichtiger ist inzwischen die konsequente Wahrnehmung der betrieblichen Belegungsrechte von Kohle und Stahl.
Hier haben sich auch ein punktuelles Bündnisse mit Betriebsräten und Gewerkschaften entwickelt.
Die Chance, die in den letzten Monaten
entstandenen behutsamen Ansätze zu einer neuen Politik im Bündnis mit Land, Kommunen, Mietern und
Gewerkschaften weiterzuentwickeln, ist allerdings nach dem rot-grünen Wahldebakel in NRW passé.
Die schwarz-gelbe Koalitionsvereinbarung hat auch in der Wohnungspolitik ein rein neoliberales
Glaubensbekenntnis abgelegt und entscheidende Verschlechterungen u.a. beim Mieterschutz im Umwandlungsfall
sowie die Privatisierung der LEG angekündigt.
Von einer bundesweiten Bewegung gegen den
Ausverkauf kann trotz Einschwenkens des Deutschen Mieterbunds auf die Ruhrgebietslinie keine Rede sein.
»Ich werde Hans Eichel sagen, dass er mit dem Mieterbund die wohnungspolitischen Gefahren von REITs
prüfen soll«, hatte Alt-Kanzler Schröder beim Mietertag in Kiel versprochen. Das war drei
Tage vor der Ankündigung der Neuwahlen.
Knut Unger
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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