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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2005, Seite 7

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Mut zur Wut

Die Geschichte von Hartz IV ist die Geschichte eines Klassenkampfs von oben. Seit den 70er Jahren wird der »rheinische Kapitalismus« der 50er und 60er Jahre durch mal mehr, mal weniger systematische Angriffe auf die Nutznießer des Sozialstaats, die Arbeitslosen und Immigranten, die Frauen und Kinder, die Jugendlichen und Auszubildenden, aufgeweicht. Stück für Stück wurde damit auch der Druck auf die institutionalisierte Arbeiterklasse und ihre Milieus und Organisationsformen erhöht. Nach der ersten (sozialdemokratischen) Welle Ende der 70er, kam die zweite, die (schwarz-gelbe) »geistig-moralische Wende«, die sich mit der Übernahme des deutschen Ostens in den 90ern (dritte Welle) radikalisierte. Nach deren Scheitern kam die rot-grüne vierte Welle. Und mit Rot-Grün kamen die Agenda 2010 und Hartz I—IV, und speziell mit Hartz IV eine neue Qualität.
Hartz IV, so Gabriele Gillen in ihrem Sachbuch- «Bestseller«, ist »die vorläufig größte Keule gegen Arbeitslose in der Geschichte der Bundesrepublik«.

Gabriele Gillen: Hartz IV. Eine Abrechnung, Reinbek: Rowohlt, 2004, 254 S., 7,90 Euro

Gillen wettert mit flotter journalistischer Schreibe gegen Lohndrückerei, Arbeitslosigkeit und Niedriglohnsektor, gegen Armut und die Anmaßungen der Reichen und Regierungsintellektuellen. Sie beschreibt Fallbeispiele von Betroffenen, rechnet regierungsoffizielle Angaben nach und polemisiert gegen »fortgesetzte tätliche Angriffe auf den Sozialstaat und die Demokratie« und die Zurichtung auf die Bedürfnisse der Wirtschaft. Und sie bietet viel empirisches Material, um die Lügen und die Doppelmoral des Establishments zu entlarven — u.a. dass von 1996 bis Anfang 2004 2,5 Millionen Vollzeitarbeitsplätze »verschwunden« sind, oder dass Hilmar Kopper, der ehemalige Vorstandssprecher der deutschen Bank unter rot-grün zum Bundesbeauftragten für Auslandsinvestitionen gekürt wurde.
Wer‘s dagegen kurz und knackig mag, liest nach beim
Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Wider die Verkürzung sozialer Menschenrechte — Oder: Was wir gegen den Umbau des Sozialstaates unternehmen können, 66 Seiten 1 Euro (Mengenrabatt) zu beziehen über den Herausgeber, Aquinostr.7—11, 50670 Köln, info@grundrechtekomitee.de
Auch hier wird gegen Armut und Unsicherheit, Abstiegsängste und staatlichen Zwang angeschrieben. »Mut zur Wut« wird gefordert gegen die Aushöhlung der Demokratie und den (gar nicht mehr ganz so) neuen Sozialdarwinismus, die »barbarische Gleichheit des kapitalistisch flexiblen Menschen, des sozial entkleideten, nackten homo oeconomicus«. Vor allem versteht sich das kleine Heftchen als Ratgeber mit ersten Tipps zur Gegenwehr und ihren rechtlichen Möglichkeiten. Und gleich zu Beginn wird die Zielidee mit einem Rekurs auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art.25 Abs.1) schlüssig auf den entscheidenden Punkt gebracht: »Jedermann hat das Recht auf einen für die Gesundheit und das Wohlergehen von sich und seiner Familie angemessenen Lebensstandard, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung, Wohnung, ärztlicher Versorgung und notwendiger sozialer Leistungen, sowie ferner das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder von anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.«
»Es wird Zeit, über Alternativen nachzudenken«, schreibt Gabi Gillen. Die findet man schließlich bei

Arno Klönne/Daniel Kreutz/Otto Meyer: Es geht anders! Alternativen zur Sozialdemontage, Köln: PapyRossa, 2005, 172 S., 13,50 Euro

Was Gillen journalistisch beschreibt, wird hier systematisch und von links analysiert. Die rot- grünen Baustellen der Umbruchpolitik (Sozialversicherungssysteme; Tarif- und Lohnpolitik; Privatisierung und Steuerpolitik) werden dargestellt und untersucht, die Interessen und Akteure aufgedeckt und das Ganze mit der Entdemokratisierung und Militarisierung unserer Gesellschaft in Verbindung gebracht. Stück für Stück werden die Mythen einer naturgegebenen Krise des Sozialstaats widerlegt. (Zum Beispiel: »Es ist nicht deshalb weniger Geld in den Rentenkassen, weil zu wenig arbeitsfähige Menschen nachgewachsen wären. Die Rentenkassen sind leer gemacht worden durch massiven Stellenabbau und Verschiebung der Entlassenen an die Rentenkassen; auch durch Streichung der Beiträge von Arbeitslosen, von Minijobbern oder Ich-AGlern. Mit Demografie hat das alles nichts zu tun, wohl aber mit einem Kapitalismus, der wuchern will, auch auf Kosten der sozialen Absicherungen der arbeitenden Bevölkerung.«)
Arno Klönne fordert dagegen eine neue Linke, eine neue »fundamentale Opposition … — nicht gerichtet gegen das Grundgesetz, sondern gegen die politische Realverfassung der Bundesrepublik«. Und Daniel Kreutz und Otto Meyer entwerfen Leitvorstellungen und Ansatzpunkte einer alternativen Gesellschaftspolitik, die auf ein neues Vollbeschäftigungsmodell baut (Arbeitszeitverkürzung, Umverteilung von oben nach unten, ökologische und soziale Zukunftsinvestitionen) die sozialen Sicherungssysteme (u.a. mittels Bürgerversicherung) neu strukturieren und ausbauen will, Schutz vor Armut (bedarfsorientierte soziale Grundsicherung) fordert und eine soziale gerechte Finanzpolitik (»Geld ist nämlich genug da, allerdings lagert es inzwischen auf den falschen Konten«).
Ein Teil dieser anregenden Vorstellungen lässt sich übrigens auch in Daniel Kreutz‘ Beitrag zum Sozialistischen Heft 8 (Mai 2005, zu beziehen bei der SoZ) nachlesen.

Christoph Jünke

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