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Die Geschichte von Hartz IV ist die Geschichte eines Klassenkampfs von oben. Seit
den 70er Jahren wird der »rheinische Kapitalismus« der 50er und 60er Jahre durch mal mehr, mal
weniger systematische Angriffe auf die Nutznießer des Sozialstaats, die Arbeitslosen und Immigranten, die
Frauen und Kinder, die Jugendlichen und Auszubildenden, aufgeweicht. Stück für Stück wurde damit
auch der Druck auf die institutionalisierte Arbeiterklasse und ihre Milieus und Organisationsformen
erhöht. Nach der ersten (sozialdemokratischen) Welle Ende der 70er, kam die zweite, die (schwarz-gelbe)
»geistig-moralische Wende«, die sich mit der Übernahme des deutschen Ostens in den 90ern (dritte
Welle) radikalisierte. Nach deren Scheitern kam die rot-grüne vierte Welle. Und mit Rot-Grün kamen
die Agenda 2010 und Hartz IIV, und speziell mit Hartz IV eine neue Qualität.
Hartz IV, so Gabriele Gillen in ihrem Sachbuch-
«Bestseller«, ist »die vorläufig größte Keule gegen Arbeitslose in der Geschichte
der Bundesrepublik«.
Gabriele Gillen: Hartz IV. Eine Abrechnung, Reinbek: Rowohlt, 2004, 254 S., 7,90 Euro
Gillen wettert mit flotter journalistischer Schreibe gegen Lohndrückerei, Arbeitslosigkeit und
Niedriglohnsektor, gegen Armut und die Anmaßungen der Reichen und Regierungsintellektuellen. Sie
beschreibt Fallbeispiele von Betroffenen, rechnet regierungsoffizielle Angaben nach und polemisiert gegen
»fortgesetzte tätliche Angriffe auf den Sozialstaat und die Demokratie« und die Zurichtung auf
die Bedürfnisse der Wirtschaft. Und sie bietet viel empirisches Material, um die Lügen und die
Doppelmoral des Establishments zu entlarven u.a. dass von 1996 bis Anfang 2004 2,5 Millionen
Vollzeitarbeitsplätze »verschwunden« sind, oder dass Hilmar Kopper, der ehemalige
Vorstandssprecher der deutschen Bank unter rot-grün zum Bundesbeauftragten für Auslandsinvestitionen
gekürt wurde.
Wers dagegen kurz und knackig mag, liest
nach beim
Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.):
Wider die Verkürzung sozialer Menschenrechte Oder: Was wir gegen den Umbau des Sozialstaates
unternehmen können, 66 Seiten 1 Euro (Mengenrabatt) zu beziehen über den Herausgeber,
Aquinostr.711, 50670 Köln, info@grundrechtekomitee.de
Auch hier wird gegen Armut und Unsicherheit,
Abstiegsängste und staatlichen Zwang angeschrieben. »Mut zur Wut« wird gefordert gegen die
Aushöhlung der Demokratie und den (gar nicht mehr ganz so) neuen Sozialdarwinismus, die »barbarische
Gleichheit des kapitalistisch flexiblen Menschen, des sozial entkleideten, nackten homo oeconomicus«. Vor
allem versteht sich das kleine Heftchen als Ratgeber mit ersten Tipps zur Gegenwehr und ihren rechtlichen
Möglichkeiten. Und gleich zu Beginn wird die Zielidee mit einem Rekurs auf die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte (Art.25 Abs.1) schlüssig auf den entscheidenden Punkt gebracht: »Jedermann hat das
Recht auf einen für die Gesundheit und das Wohlergehen von sich und seiner Familie angemessenen
Lebensstandard, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung, Wohnung, ärztlicher
Versorgung und notwendiger sozialer Leistungen, sowie ferner das Recht auf Sicherheit im Falle von
Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder von anderweitigem Verlust seiner
Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.«
»Es wird Zeit, über Alternativen
nachzudenken«, schreibt Gabi Gillen. Die findet man schließlich bei
Arno Klönne/Daniel Kreutz/Otto Meyer: Es geht anders! Alternativen zur Sozialdemontage, Köln:
PapyRossa, 2005, 172 S., 13,50 Euro
Was Gillen journalistisch beschreibt, wird hier systematisch und von links analysiert. Die rot-
grünen Baustellen der Umbruchpolitik (Sozialversicherungssysteme; Tarif- und Lohnpolitik; Privatisierung
und Steuerpolitik) werden dargestellt und untersucht, die Interessen und Akteure aufgedeckt und das Ganze mit
der Entdemokratisierung und Militarisierung unserer Gesellschaft in Verbindung gebracht. Stück für
Stück werden die Mythen einer naturgegebenen Krise des Sozialstaats widerlegt. (Zum Beispiel: »Es ist
nicht deshalb weniger Geld in den Rentenkassen, weil zu wenig arbeitsfähige Menschen nachgewachsen
wären. Die Rentenkassen sind leer gemacht worden durch massiven Stellenabbau und Verschiebung der
Entlassenen an die Rentenkassen; auch durch Streichung der Beiträge von Arbeitslosen, von Minijobbern oder
Ich-AGlern. Mit Demografie hat das alles nichts zu tun, wohl aber mit einem Kapitalismus, der wuchern will,
auch auf Kosten der sozialen Absicherungen der arbeitenden Bevölkerung.«)
Arno Klönne fordert dagegen eine neue Linke,
eine neue »fundamentale Opposition … nicht gerichtet gegen das Grundgesetz, sondern gegen die
politische Realverfassung der Bundesrepublik«. Und Daniel Kreutz und Otto Meyer entwerfen
Leitvorstellungen und Ansatzpunkte einer alternativen Gesellschaftspolitik, die auf ein neues
Vollbeschäftigungsmodell baut (Arbeitszeitverkürzung, Umverteilung von oben nach unten,
ökologische und soziale Zukunftsinvestitionen) die sozialen Sicherungssysteme (u.a. mittels
Bürgerversicherung) neu strukturieren und ausbauen will, Schutz vor Armut (bedarfsorientierte soziale
Grundsicherung) fordert und eine soziale gerechte Finanzpolitik (»Geld ist nämlich genug da,
allerdings lagert es inzwischen auf den falschen Konten«).
Ein Teil dieser anregenden Vorstellungen
lässt sich übrigens auch in Daniel Kreutz Beitrag zum Sozialistischen Heft 8 (Mai 2005, zu
beziehen bei der SoZ) nachlesen.
Christoph Jünke
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