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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2005, Seite 11

Antifa in Belgien

Antirassismus in der Sackgasse

Die antirassistische Bewegung in Belgien steckt in einer Sackgasse. Als am 21.November 1991 vom ersten »schwarzen Sonntag« die Rede war, als der rechtsextreme Vlaams Blok bei den Wahlen seinen ersten Durchbruch feierte, kam es zur Bildung massiver Kampagnen gegen die extreme Rechte. Verschiedene Kundgebungen mit Zehntausenden Menschen folgten. Gut zehn Jahre später wurde der Vlaams Blok die größte Partei in Flandern. Haben die über die Jahre geführten Kampagnen nichts gebracht?

Bei den letzten Wahlen in Flandern erzielte der Vlaams Blok (seit Herbst 2004 Vlaams Belang — Flämisches Interesse) (VB) 24,2% der Stimmen, das sind etwa eine Million Menschen. Eine Allianz aus Christdemokraten und demokratischen flämischen Nationalisten erhielt 26,1% und konnte die Initiative zur Regierungsbildung ergreifen. Die Bewegung gegen die extreme Rechte konnte nur benommen zusehen.

Cordon sanitaire

Der VB ist eine Partei mit einem stabilen Apparat und viel Geld, gut verankert in Wohnvierteln der Massen, zentralisiert um drei knallharte Figuren: Frank Vanhecke, Gerolf Annemans und vor allem Filip Dewinter. Die Partei verfügt über historische Wurzeln im Faschismus, fordert die flämische Unabhängigkeit, aber gewachsen ist sie hauptsächlich wegen ihrer Haltung zu den Themen »Migration« und »Sicherheit«. Ihr Vormarsch ist bemerkenswert: Bei jeder Wahl machte der VB Fortschritte um einige Prozentpunkte. Er ist die Partei mit den treuesten Wählern: Wer einmal VB gewählt hat, der bleibt dabei.
Anfang der 90er Jahre wurde die Initiative zum sog. cordon sanitaire ergriffen: Die »demokratischen« Parteien versprachen, mit der extremen Rechten weder Koalitionen einzugehen noch gemeinsam Gesetzesvorlagen einzubringen. Obwohl der VB sich so als »Opfer« darstellen konnte, ist das Durchbrechen des Cordons für ihn die entscheidende strategische Herausforderung. Vor allem Dewinter möchte gerne in seiner Stadt Antwerpen mitregieren.
Der Druck auf die Rechte wird auch stärker: 75% der flämischen Bevölkerung stimmen rechts oder extrem rechts, doch durch den Cordon können die Sozialdemokraten weiterhin eine große Rolle in der Politik spielen. Eine rechte Mehrheit in der Bevölkerung bekommt eine linke Regierung aufgedrückt (auch landesweit infolge des großen Gewichts der PS in Wallonien), so argumentiert der VB. Da ist die Verlockung für viele rechte Politiker groß.
Doch es gibt auch linke Stimmen, die sich dafür aussprechen, den VB mehr einzubinden, damit er sich nach dem Vorbild der FPÖ in Österreich kaputt regiert. Dies ist ein großer Irrtum. Der VB an der Macht würde einen raschen politischen Rechtsruck bedeuten. Und der würde reale Opfer nach sich ziehen (Migranten, Asylsuchende, Jugendliche, progressive Verbände…). Dies muss auf jeden Fall vermieden werden.
Aber der Cordon ist keine Strategie, womit man die extreme Rechte oder den Rassismus bekämpfen kann. Er führte zur »Einheit aller Demokraten gegen den VB«, de facto ein neoliberaler Einheitsbrei. 1994 schlossen alle Parteien in Antwerpen eine Monsterkoalition, während dies rechnerisch gar nicht nötig war. Als einzige Opposition blieben der Vlaams Blok — und auf der Linken die einzige Abgeordnete der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Die Koalition kürzte Sozialmaßnahmen und Nachbarschaftshilfen, wodurch die Basis für die extreme Rechte nur erweitert wurde.
Der Cordon opfert nicht nur den Gegensatz zwischen links und rechts, sondern vertuscht auch den rassistischen Charakter der Rechten oder deren Weigerung, wirklich etwas gegen die reale Diskriminierung zu tun. Die Rechte und die extreme Rechte verstärken sich überdies gegenseitig. Lange bevor der VB die »Fremden« zur Zielscheibe machte, vertraten bereits rechte Politiker einen rassistischen Diskurs, was später dem Programm des VB zur Akzeptanz verhalf. Mit dem heißen Atem des VB im Nacken setzt nun seinerseits die Rechte das Programm des VB teilweise um.

Antirassisten ohne Strategie

In den 90er Jahren wurde eine recht starke antirassistische Bewegung aufgebaut, mit einer Reihe von Aktionen und Demonstrationen für gleiche Rechte und soziale Forderungen sowie verschiedenen Kampagnen, mit denen das »wahre Gesicht« des VB entlarvt werden sollte. Oftmals mit einem moralisierenden Ton: Rassismus ist mies, es lebe die Toleranz, ein multikulturelles Zusammenleben ist wunderbar!
Von der Verbindung zwischen dem antirassistischen Kampf und der Sozialpolitik ist nicht viel übriggeblieben. Nach den jüngsten Wahlerfolgen des VB warf sich eine rasch ausgedünnte antirassistische Bewegung auf den gegen den Vlaams Blok wegen Rassismus geführten Prozess. Keine Rede mehr vom Aufbau einer Alternative zum VB, keine Rede mehr von sozialen Forderungen, es komme nun nur noch darauf an, den Rechtsstaat zu verteidigen und die Einheit aller Demokraten zu organisieren!
Die Partei wurde verurteilt, änderte ihren Namen (siehe oben), gab sich ein Statut und blieb im Übrigen dieselbe rassistische Partei.
Wie den Rassismus und die extreme Rechte bekämpfen? Wir wissen es nicht, geben die meisten Antirassisten zu. Der VB gelangte von Erfolg zu Erfolg. Dank seiner Präsenz in den Medien und einer enormen Propagandamaschine fanden seine Ideen Eingang in breite Schichten der Gesellschaft.
Auf dem Terrain der kulturellen und ideologischen Auseinandersetzung haben wir einen ganz schlechten Stand. Der Diskurs der Rechten und extremen Rechten über die Bedrohung durch den Islam und die Kritik an multikulturellem Moralismus und am »politisch korrekten (sog. linken, toleranten) Denken« ist populär, auch unter den Meinungsmachern. Vielen erscheint Antirassismus ein wenig harmlos, bestimmt durch multikulturelle Feste und Weltmusik. Wenn es dagegen darauf ankommt und es in Migrantenvierteln zum Aufruhr kommt, kann man die Stimmen, die Verständnis für die Frustration der Migranten aufbringen, an einer Hand abzählen.
Mit der Strategie der Ideologiekritik lässt sich kein Land gewinnen. Es kommt stattdessen darauf an, dem ideologischen Kampf eine reale Grundlage zu geben, indem man einen Kampf um eine Reihe sozialökonomischer Forderungen führt: Quoten für Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt, Sozialwohnungen, Bildung. Den ideologischen Kampf um den wohl oder nicht demokratischen Charakter des Islam können die Antirassisten nur schwerlich gewinnen. Die Tatsache, dass Menschen türkischer oder marokkanischer Herkunft eine fünf- bis sechsmal höhere Erwerbslosenrate aufweisen, kann niemand unter den Tisch kehren. Indem wir uns darauf konzentrieren, können wir bei den Opfern des Rassismus selbst und ihrem Widerstand einen Anknüpfungspunkt finden: Welche Forderungen und Bedürfnisse haben sie und wie können wir sie in einem breiteren Ganzen einbringen?
Der Autor Tarik Fraihi ruft bspw. dazu auf zu versuchen, eine neue sozialökonomische Bruchlinie zu schaffen. Die Minderheiten an sich sind strukturell zu schwach, ihren Kampf zu gewinnen oder das ideologische Klima in der Gesellschaft umzubiegen. Der einzige Ausweg ist ein Kampf um eine Reihe sozialökonomischer Forderungen, um die herum Allianzen gebildet werden könnten, sodass die Rechte und die extreme Rechte in ihren Aktionen eingeschränkt werden.
Dies bringt uns auf die zentrale Frage, die sich Antirassisten stellen: Ist alles probiert worden, um die extreme Rechte zu stoppen? Nein, denn während der VB stetig stärker wurde, machten die anderen Parteien weiter mit ihrer neoliberalen und neokonservativen Politik. Es ist somit eine Alternative nötig, die sich auf dasselbe politische Terrain begibt, die zwischen verschiedenen unterdrückten Gruppen und den sozialen Bewegungen eine Verbindung herstellen kann und einen deutlichen Bruch mit dem Neoliberalismus durchführt.
Die Zeit für die antirassistische Bewegung in Flandern beginnt knapp zu werden. Im nächsten Jahr sind Kommunalwahlen. In verschiedenen Städten droht der Cordon durchbrochen zu werden. Wir müssen rechtzeitig Klarheit gewinnen, um den Widerstand zu organisieren.

Matthias Lievens

Der Autor ist aktiv in der flämischen antirassistischen Bewegung und Redakteur von Rood, der Monatszeitung der SAP (www.sap-pos.org).
Aus: Grenzeloos (Rotterdam), Mai/Juni 2005 (Übersetzung: Hans-Günter Mull).



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