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Die antirassistische Bewegung in Belgien steckt in einer Sackgasse. Als am
21.November 1991 vom ersten »schwarzen Sonntag« die Rede war, als der rechtsextreme Vlaams Blok
bei den Wahlen seinen ersten Durchbruch feierte, kam es zur Bildung massiver Kampagnen gegen die extreme
Rechte. Verschiedene Kundgebungen mit Zehntausenden Menschen folgten. Gut zehn Jahre später wurde der
Vlaams Blok die größte Partei in Flandern. Haben die über die Jahre geführten Kampagnen
nichts gebracht?
Bei den letzten Wahlen in Flandern erzielte der Vlaams Blok (seit Herbst 2004 Vlaams Belang
Flämisches Interesse) (VB) 24,2% der Stimmen, das sind etwa eine Million Menschen. Eine Allianz aus
Christdemokraten und demokratischen flämischen Nationalisten erhielt 26,1% und konnte die Initiative
zur Regierungsbildung ergreifen. Die Bewegung gegen die extreme Rechte konnte nur benommen zusehen.
Der VB ist eine Partei mit einem stabilen Apparat und viel Geld, gut verankert in Wohnvierteln der
Massen, zentralisiert um drei knallharte Figuren: Frank Vanhecke, Gerolf Annemans und vor allem Filip
Dewinter. Die Partei verfügt über historische Wurzeln im Faschismus, fordert die flämische
Unabhängigkeit, aber gewachsen ist sie hauptsächlich wegen ihrer Haltung zu den Themen
»Migration« und »Sicherheit«. Ihr Vormarsch ist bemerkenswert: Bei jeder Wahl machte
der VB Fortschritte um einige Prozentpunkte. Er ist die Partei mit den treuesten Wählern: Wer einmal
VB gewählt hat, der bleibt dabei.
Anfang der 90er Jahre wurde die Initiative zum
sog. cordon sanitaire ergriffen: Die »demokratischen« Parteien versprachen, mit der extremen
Rechten weder Koalitionen einzugehen noch gemeinsam Gesetzesvorlagen einzubringen. Obwohl der VB sich so
als »Opfer« darstellen konnte, ist das Durchbrechen des Cordons für ihn die entscheidende
strategische Herausforderung. Vor allem Dewinter möchte gerne in seiner Stadt Antwerpen mitregieren.
Der Druck auf die Rechte wird auch
stärker: 75% der flämischen Bevölkerung stimmen rechts oder extrem rechts, doch durch den
Cordon können die Sozialdemokraten weiterhin eine große Rolle in der Politik spielen. Eine rechte
Mehrheit in der Bevölkerung bekommt eine linke Regierung aufgedrückt (auch landesweit infolge des
großen Gewichts der PS in Wallonien), so argumentiert der VB. Da ist die Verlockung für viele
rechte Politiker groß.
Doch es gibt auch linke Stimmen, die sich
dafür aussprechen, den VB mehr einzubinden, damit er sich nach dem Vorbild der FPÖ in
Österreich kaputt regiert. Dies ist ein großer Irrtum. Der VB an der Macht würde einen
raschen politischen Rechtsruck bedeuten. Und der würde reale Opfer nach sich ziehen (Migranten,
Asylsuchende, Jugendliche, progressive Verbände…). Dies muss auf jeden Fall vermieden werden.
Aber der Cordon ist keine Strategie, womit man
die extreme Rechte oder den Rassismus bekämpfen kann. Er führte zur »Einheit aller
Demokraten gegen den VB«, de facto ein neoliberaler Einheitsbrei. 1994 schlossen alle Parteien in
Antwerpen eine Monsterkoalition, während dies rechnerisch gar nicht nötig war. Als einzige
Opposition blieben der Vlaams Blok und auf der Linken die einzige Abgeordnete der Sozialistischen
Arbeiterpartei (SAP). Die Koalition kürzte Sozialmaßnahmen und Nachbarschaftshilfen, wodurch die
Basis für die extreme Rechte nur erweitert wurde.
Der Cordon opfert nicht nur den Gegensatz
zwischen links und rechts, sondern vertuscht auch den rassistischen Charakter der Rechten oder deren
Weigerung, wirklich etwas gegen die reale Diskriminierung zu tun. Die Rechte und die extreme Rechte
verstärken sich überdies gegenseitig. Lange bevor der VB die »Fremden« zur Zielscheibe
machte, vertraten bereits rechte Politiker einen rassistischen Diskurs, was später dem Programm des VB
zur Akzeptanz verhalf. Mit dem heißen Atem des VB im Nacken setzt nun seinerseits die Rechte das
Programm des VB teilweise um.
In den 90er Jahren wurde eine recht starke antirassistische Bewegung aufgebaut, mit einer Reihe von
Aktionen und Demonstrationen für gleiche Rechte und soziale Forderungen sowie verschiedenen Kampagnen,
mit denen das »wahre Gesicht« des VB entlarvt werden sollte. Oftmals mit einem moralisierenden
Ton: Rassismus ist mies, es lebe die Toleranz, ein multikulturelles Zusammenleben ist wunderbar!
Von der Verbindung zwischen dem
antirassistischen Kampf und der Sozialpolitik ist nicht viel übriggeblieben. Nach den jüngsten
Wahlerfolgen des VB warf sich eine rasch ausgedünnte antirassistische Bewegung auf den gegen den
Vlaams Blok wegen Rassismus geführten Prozess. Keine Rede mehr vom Aufbau einer Alternative zum VB,
keine Rede mehr von sozialen Forderungen, es komme nun nur noch darauf an, den Rechtsstaat zu verteidigen
und die Einheit aller Demokraten zu organisieren!
Die Partei wurde verurteilt, änderte
ihren Namen (siehe oben), gab sich ein Statut und blieb im Übrigen dieselbe rassistische Partei.
Wie den Rassismus und die extreme Rechte
bekämpfen? Wir wissen es nicht, geben die meisten Antirassisten zu. Der VB gelangte von Erfolg zu
Erfolg. Dank seiner Präsenz in den Medien und einer enormen Propagandamaschine fanden seine Ideen
Eingang in breite Schichten der Gesellschaft.
Auf dem Terrain der kulturellen und
ideologischen Auseinandersetzung haben wir einen ganz schlechten Stand. Der Diskurs der Rechten und
extremen Rechten über die Bedrohung durch den Islam und die Kritik an multikulturellem Moralismus und
am »politisch korrekten (sog. linken, toleranten) Denken« ist populär, auch unter den
Meinungsmachern. Vielen erscheint Antirassismus ein wenig harmlos, bestimmt durch multikulturelle Feste und
Weltmusik. Wenn es dagegen darauf ankommt und es in Migrantenvierteln zum Aufruhr kommt, kann man die
Stimmen, die Verständnis für die Frustration der Migranten aufbringen, an einer Hand
abzählen.
Mit der Strategie der Ideologiekritik
lässt sich kein Land gewinnen. Es kommt stattdessen darauf an, dem ideologischen Kampf eine reale
Grundlage zu geben, indem man einen Kampf um eine Reihe sozialökonomischer Forderungen führt:
Quoten für Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt, Sozialwohnungen, Bildung. Den ideologischen Kampf um den
wohl oder nicht demokratischen Charakter des Islam können die Antirassisten nur schwerlich gewinnen.
Die Tatsache, dass Menschen türkischer oder marokkanischer Herkunft eine fünf- bis sechsmal
höhere Erwerbslosenrate aufweisen, kann niemand unter den Tisch kehren. Indem wir uns darauf
konzentrieren, können wir bei den Opfern des Rassismus selbst und ihrem Widerstand einen
Anknüpfungspunkt finden: Welche Forderungen und Bedürfnisse haben sie und wie können wir sie
in einem breiteren Ganzen einbringen?
Der Autor Tarik Fraihi ruft bspw. dazu auf zu
versuchen, eine neue sozialökonomische Bruchlinie zu schaffen. Die Minderheiten an sich sind
strukturell zu schwach, ihren Kampf zu gewinnen oder das ideologische Klima in der Gesellschaft umzubiegen.
Der einzige Ausweg ist ein Kampf um eine Reihe sozialökonomischer Forderungen, um die herum Allianzen
gebildet werden könnten, sodass die Rechte und die extreme Rechte in ihren Aktionen eingeschränkt
werden.
Dies bringt uns auf die zentrale Frage, die
sich Antirassisten stellen: Ist alles probiert worden, um die extreme Rechte zu stoppen? Nein, denn
während der VB stetig stärker wurde, machten die anderen Parteien weiter mit ihrer neoliberalen
und neokonservativen Politik. Es ist somit eine Alternative nötig, die sich auf dasselbe politische
Terrain begibt, die zwischen verschiedenen unterdrückten Gruppen und den sozialen Bewegungen eine
Verbindung herstellen kann und einen deutlichen Bruch mit dem Neoliberalismus durchführt.
Die Zeit für die antirassistische
Bewegung in Flandern beginnt knapp zu werden. Im nächsten Jahr sind Kommunalwahlen. In verschiedenen
Städten droht der Cordon durchbrochen zu werden. Wir müssen rechtzeitig Klarheit gewinnen, um den
Widerstand zu organisieren.
Matthias Lievens
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