SoZSozialistische Zeitung |
»Es war ein großer Fehler, den vollständigen Verfassungstext an
alle französischen Haushalte zu schicken«, schalt Giscard dEstaing Mitte Juni den
französischen Präsidenten Chirac. Im März habe er ihn davor gewarnt: »Es ist nicht
möglich, dass alle den ganzen Text verstehen.« Dabei hat der schlaue Giscard in seiner Funktion als
Vorsitzender des Verfassungskonvents am Text mitgewirkt, bezeichnet ihn sogar wörtlich als »mein
Dokument«. So viel Eitelkeit und Überheblichkeit lässt nicht mehr viel Platz für
Demokratie. Auch nicht in Brüssel, wo sich Mitte Juni die Regierungschefs der EU getroffen haben, um ihre
Krise zu bewältigen. Dort haben sie eine »Periode des Nachdenkens« eingeleitet. Nachdenken
sollen die Franzosen und Niederländer, die die Verfassung nicht begriffen haben. Am Text der Verfassung
soll sich nichts ändern. Es sollen nur günstigere Umstände geschaffen werden, dass sie doch noch
durchgesetzt werden kann wenn auch verzögert.
Der Ratifizierungsprozess für die EU-
Verfassung, so der Beschluss des Ratsgipfels, wird um ein Jahr verlängert und erst 2007 abgeschlossen. Die
Ratifizierung soll unverändert in den Ländern weitergehen, in denen nur die Parlamente abstimmen.
Dort, wo ein Referendum vorgesehen ist, sollen die Nationalstaaten entscheiden, ob sie dieses aussetzen wollen.
Wichtige Ländern, in denen ein Referendum vorgesehen war, haben es schon abgesagt: Großbritannien,
Dänemark, Portugal. In Luxemburg entscheidet das Parlament dieser Tage darüber. Pläne, die
Volksbefragung auf Eis zu legen, gibt es auch in Irland und Tschechien. Nur Polen will daran festhalten, dort
haben die Ja-Sager nach jüngsten Umfragen immer noch eine schwache Mehrheit.
Die Taktik ist so einfach wie durchschaubar: Weil
das schwache spanische Ja mit einer Wahlbeteiligung von nur 42% gegenüber dem Nein mit hoher
Wahlbeteiligung in Frankreich und den Niederlanden verblasst, sollen die Nein-Sager zum historischen
Ausrutscher reduziert werden. Der luxemburgische Ratspräsident Junker, hat gestern in väterlicher
Manier Franzosen und Niederländern erklärt, was sie falsch gemacht haben: »Ich bin wirklich
davon überzeugt, dass weder Franzosen noch Niederländer die Verfassung abgelehnt haben. Leider haben
die Wähler nicht realisiert, dass der Verfassungsvertrag ganz besonders ihren Bedenken entgegen kam,
deshalb brauchen wir die Periode des Nachdenkens, um es unseren Bürgern zu erklären.« Die
Franzosen dürfen dann voraussichtlich nach den Präsidentschaftswahlen 2007 erneut abstimmen.
Die Verfassungsgegner, die gestern Abend in
Brüssel und auf dem Platz der Republik in Paris demonstrierten, wollen aber, dass dieser
Verfassungsvertrag beerdigt und die Diskussion über eine neue Verfassung eröffnet wird.
Entscheidungen über die Verfasstheit Europas soll nicht mehr ein Konvent der Eliten treffen, sondern eine
Verfassunggebende Versammlung, deren Vertreter direkt gewählt sind.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04