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Alle Staatschefs Europas, alle religiösen und politischen Führer
Frankreichs, die wichtigsten Medien haben sich zusammengeschlossen, um das Nein zu beleidigen und bei ihm
Schuldgefühle zu erzeugen. Soziologisch gesehen ist es eine Klassenwahl gegen die Berufspolitiker und
die Medienkaste. Die Landkarte des Nein entspricht treu derjenigen der Erwerbslosigkeit. Mindestens zwei
Drittel der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Angestellten, der Jugend haben den liberalen Vertrag abgelehnt.
Der politische Bruch gesellt sich zum sozialen hinzu.
Um ihre Niederlage zu erklären
beschwören die mit ihrem Ja Durchgefallenen einen Mangel an Kommunikation oder Pädagogik. Die
Meisterdenker und Zensoren haben sich also nicht klar genug ausgedrückt, um die Idioten der Arbeit zu
überzeugen? Herablassung, Verachtung, sozialer Autismus.
Giscards Vertrag ist tot. Der liberalen
Eskalation wurde ein Stoß versetzt. Das Echo des französischen Nein gibt denjenigen neue
Hoffnung, die unter der kapitalistischen Maschine resigniert haben. Der Weg ist nun offen für eine
soziale und demokratische Neubegründung Europas. Statt zu zeigen, dass sie die Botschaft verstanden
haben, bleiben die am 29.Mai Geschlagenen stur. Der Kurs des Präsidenten befindet sich im freien Fall,
aber ein nicht zusammenpassendes Regierungsgespann bekräftigt sein Projekt der Zerstörung des
»Sozialmodells Frankreich« und beteuert das Gegenteil. Die Sozialistische Partei (PS)
glaubt, ihre Panne auf dem Weg von Disziplinarmaßnahmen regeln zu können welche Karikatur
des bürokratischen Zentralismus!
Die europäische, die soziale, die
institutionelle Krise sie alle addieren und kombinieren sich in explosiver Weise. Das letzte
Argument der Verteidiger des Ja war die Furcht vor der Leere: es gebe keine linke Kraft, die fähig
wäre, dieser großen Verweigerung langfristig einen politischen Inhalt zu geben. Das ewige
Argument des kleineren Übels, das dazu dient, dass man selbst die bittersten Pillen schluckt. Die
einzige Antwort auf diese Rhetorik der Resignation lautet: man muss die Linke ändern, um die Linke zu
ändern. Die Kampagne um das Referendum hat deutlich die Existenz zweier Linken bestätigt: eine im
Wesentlichen liberale, die laut Lionel Jospin »eurokompatibel« mit der Rechten ist, und eine
andere, soziale und radikale Linke.
Das Neue am 29.Mai gegenüber dem
Referendum über den Vertrag von Maastricht 1992 liegt im Aufstieg einer populären,
antichauvinistischen, antixenophoben, europäischen Linken. Ihr großer Sieg bestand darin, eine
eher soziale als ethnische Debatte durchgesetzt zu haben. Dies ist der einzige Weg, die Front National
zurückzudrängen, deren Aufstieg die rechten wie linken Regierungen in den letzten zwanzig Jahren
nicht stoppen konnten.
Der Präsident ist offenkundig illegitim,
diskreditiert und nicht autorisiert, für die Bevölkerung zu sprechen, die ihren Willen bekundet
hat: Chirac muss gehen, ebenso wie die Nationalversammlung, die innerhalb eines Jahres viermal an den
Wahlurnen desavouiert wurde. Auch aus der Krise der Institutionen gilt es Konsequenzen zu ziehen: Mit ihrer
Betonung der präsidialen Logik der Fünften Republik, der Verweigerung des
Verhältniswahlrechts und der Orientierung auf ein Zwei-Parteien-System haben die Regierungen der
Rechten wie der pluralen Linken den Graben zwischen den gesellschaftlichen Kräften und der politischen
Repräsentation nur vergrößert. Gegenüber der angekündigten neuen
Unternehmeroffensive wird man vor allem den an den Wahlurnen zum Ausdruck gebrachten Widerstand
bekräftigen müssen: gegen Erwerbslosigkeit und Sicherheitshysterie, für qualitativ hoch
stehende öffentliche Dienstleistungen, für eine radikale Steuerreform, für die Annullierung
der liberalen Gegenreformen der letzten Jahre…
Der Erfolg des Nein von links ist das Ergebnis
einer einheitlich von Aktiven in den Verbänden, der globalisierungskritischen Bewegung, den
Gewerkschaften und politischen Parteien getragenen Kampagne; auf den »Appell der 200« hin haben
sie sich in Kollektiven und Komitees organisiert. Das Vertrauen in die gemeinsame Mobilisierung muss jetzt
gestärkt werden. Die Einheit muss sich auf den Inhalt des Nein gründen, der seinen Triumph
ermöglicht hat, sie darf sich nicht in konfusen Versöhnungen an der Spitze zwischen dem Ja und
dem Nein der Linken verlieren, als ob der 29.Mai nur eine momentane Laune, ein Schrei ohne dauerhaftes Echo
gewesen wäre. Eine Einheitsfront aller hinter dem »Appell der 200« versammelten Partner ist
nötig, um die Politik der tödlich verwundeten Regierung zu bekämpfen, um dem antiliberalen
Nein seine ganze europäische Reichweite zu verleihen, um Alternativen zur Despotie des Marktes zu
diskutieren, ohne vorzeitig Wahlspekulationen zu 2007 vorzubringen.
Auf der Ebene der politischen Parteien waren
die PCF und die LCR, zusammen mit den Dissidenten aus PS und Grünen, die treibende Kraft der Kampagne.
Sie tragen eine besondere Verantwortung für das Entstehen einer antikapitalistischen Alternative
anstelle einer Neuauflage der »pluralen Linken«, die nur dieselben Illusionen und Frustrationen
in der Bevölkerung und deshalb auch dieselbe Abstrafung nähren kann wie bei den Wahlen 2002. Eine
Einheitskampagne der aus dem Nein hervorgegangenen Kollektive und die Konstituierung einer gemeinsamen
Front für die Verlängerung des Schwungs würde die nach dem Referendum mehr denn je
nötige Perspektive einer neuen antikapitalistischen linken Kraft stärken. Sie allein wäre
fähig, die Kluft zwischen den sozialen Bewegungen und der politischen Repräsentation zu
verringern.
Die Verfechter des Ja räsonnieren weiter
so, als ob die europäischen Regierungen nicht absetzbar, das Kräfteverhältnis eingefroren
und die PS der unüberwindbare Horizont der Linken wäre. Diesem Fatalismus setzen wir unsere
gemeinsame Entschlossenheit zur Veränderung entgegen.
Daniel Bensaďd/Samuel Johsua
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