SoZSozialistische Zeitung |
Das Bild, das vom Iran gezeichnet wird, ist ein gutes Beispiel dafür,
wie heuchlerisch die Debatte um eine Demokratisierung des Nahen Ostens ist. Die Bush-Administration hat
unmissverständlich klar gemacht, dass der Iran auf ihrer Liste der Störfaktoren im Nahen Osten
ganz oben steht. Die USA werden ihre neue Ordnung im erweiterten Mittleren Osten (»Greater Middle
East«) kaum verwirklichen können, solange in Teheran eine klerikale Diktatur an der Macht ist,
die seit 25 Jahren radikal-fundamentalistische Bewegungen in der Region unterstützt.
Der Iran ist aber kein Land, in dem eine
passive, unterdrückte Bevölkerung tagtäglich für seine Befreier aus den USA betet. Das
Land ist vielmehr seit nahezu einem Jahrzehnt von permanenten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen
geprägt, in der eine vielschichtige Protestbewegung das Regime an den Rand des Zusammenbruchs gebracht
hat.
Sollte das strategische Schlüsselland
Iran tatsächlich durch eine Bewegung von unten eine radikale Umwälzung erfahren, sind heute noch
kaum vorstellbare Veränderungen in den Machtverhältnissen des Nahen und Mittleren Osten zu
erwarten. Jede ausländische Intervention, vielleicht mit Ausnahme einer gezielten Zerstörung der
iranischen Atomanlagen, würde nicht nur von der Bevölkerung abgelehnt, sondern zugleich die
enorme Dynamik zivilgesellschaftlicher Bewegungen im Iran zurückwerfen und allein die radikale
islamistische Rechte stärken.
Das iranische System schien bis weit in die 90er Jahre hinein extrem stabil zu sein. Nach der Revolution
1979 gelang es den Islamisten mittels einer soliden gesellschaftlichen Basis und begünstigt durch die
Kapitulationspolitik der stalinistischen Linken, sich recht schnell zu stabilisieren. Der erste, durch die
irakische Intervention ausgelöste, Golfkrieg führte innenpolitisch zu einer weiteren
Stabilisierung der Diktatur und des Terrors.
Die Zerschlagung der Linken und der Opposition
gelang auch deshalb so leicht, weil das Regime, besonders unter den Armen in den Städten, über
eine enorme Massenbasis verfügte. Es verband die Lehren des Islams mit einer enormen sozialpolitischen
Komponente. Das Versprechen einer neuen islamistischen Ordnung schien soziale Gerechtigkeit zu bringen, und
trug damit dazu bei, die Jugend aus den Slums für die Zerschlagung alles »Unislamischen« zu
gewinnen.
Der bis zum Jahr 1988 andauernde Krieg mit dem
Irak war wesentlich dafür verantwortlich, dass innergesellschaftliche Widersprüche tabuisiert und
öffentlich nicht ausgetragen wurden. Nach Kriegsende aber begann ein Prozess, der die islamistische
Herrschaft von innen zersetzen sollte. Denn statt der versprochenen sozialen Gerechtigkeit hatte das
islamische Regime lediglich Vorteile für die sich in erster Linie aus religiösen Gelehrten und
hochrangigen Führern der islamistischen Bewegung zusammensetzende herrschende Elite gebracht.
Die immensen Reichtümer, die die neue
klerikale Bourgeoisie anhäufte, ließen eine Realität entstehen, die immer stärker in
Widerspruch zu den Geburtsfanalen des Regimes geriet. Die hinzukommende mangelnde Modernisierung des
Landes, das über enorme Potenziale vor allem über strategische Rohstoffe
verfügt, trug ebenfalls dazu bei, dass sich die ideologische Bindung an das islamistische Regime
lockerte.
Diese Widersprüche, die sich bis 1997 eher im Verborgenen artikulierten, kamen mit der Wahl
Mohammed Khatamis zum Staatspräsidenten schlagartig an die Oberfläche. Der ehemalige
Kultusminister musste trotz seiner liberalen Haltung zur Wahl zugelassen werden und erzielte einen
erdrutschartigen Wahlsieg. Waren die Wahlen von der Bevölkerung bis dahin weitgehend ignoriert worden,
kam es diesmal zu einer Wahlbeteiligung von über 80%, und Khatami konnte zwei Drittel der Stimmen
für sich verbuchen. Die Wahl verdeutlichte, dass die Bevölkerung nicht mehr bereit war, die
gegebenen Verhältnisse einfach hinzunehmen.
Die Wahl Khatamis verunsicherte zunächst
den herrschenden Klerus völlig. Die neue Administration von Khatami, der Ende der 90er Jahre noch mit
Gorbatschow verglichen wurde, lotete Räume für eine sanfte Liberalisierung aus. Eine kritische
Öffentlichkeit entwickelte sich, die sich z.B. in der Gründung unzähliger Zeitungen
ausdrückte. Zusehends entglitt dem konservativen Regime die kulturelle Unterdrückung.
Ein zentrales Ereignis in diesem Zusammenhang
war die quasi mit dem letzten Spielzug erkämpfte Qualifikation der iranischen Nationalmannschaft
für die Fußball-WM 1998. In dieser Nacht tanzten Millionen Menschen, Frauen und Männer, auf
den Straßen Teherans und denen der größeren iranischen Städte. Dabei ignorierten sie
nicht nur demonstrativ islamistische Gebote, der massenhafte Akt der Freude ließ die herrschende
kulturelle Ordnung sogar endgültig zerbrechen.
Seitdem wird das Land von einem permanenten
Kampf gezeichnet. Die Rechte, gestützt auf die Justiz, den Geheimdienst und seine
paramilitärische Bataillone, versucht beständig, die bereits erkämpften politischen und
kulturellen Freiräume zurückzudrängen. Die angegriffenen Aktiven hingegen entwickeln ein
immer größeres Selbstbewusstsein: sie weichen zwar zurück, schreiten zugleich wieder
vorwärts.
Im Alltagsleben ist die Diktatur gebrochen.
Ständig werden Zeitungen geschlossen und Redaktionen verhaftet, aber gleichzeitig auch neue
gegründet. Hinzu kommen unzählige NGOs, die sich in zahlreichen sozialen Initiativen engagieren.
Die hohe Alltagsfrustration ist nun von einem enormen Politisierungsprozess und vielfältiger
Organisierung geprägt.
Eine besondere Rolle spielen dabei die
Studierenden, die im Iran traditionell eine fortschrittliche Kraft bildeten. In den Universitäten
fanden nach dem konterrevolutionären Umsturz im April 1979 zahlreiche Säuberungsaktionen statt.
Die Generation, die Ende der 90er Jahre in die Universitäten strömte, war die erste, die in der
islamischen Republik aufgewachsen war. Durch fundamentalistische Kindergärten und religiösen
Schulunterricht geprägt, wurde diese Studentengeneration dennoch zur Speerspitze des Bruchs mit den
Normen des herrschenden Regimes. Die islamischen Studentenverbände wurden die Zentren der Proteste an
den Universitäten.
Zunächst hatte Khatami Sympathien in
großen Teilen der Bevölkerung. Als 1999 die Rechten eine Offensive gegen die kritische Presse
eröffneten, antworteten die Studierenden mit öffentlichen Kundgebungen. Es waren die ersten
oppositionellen Massendemonstrationen in Teheran seit 20 Jahren. Das Regime antwortete auf die tagelangen
Straßenproteste mit brutalen Polizeieinsätzen, bei denen es auch zu Toten kann. Aber die Bewegung
von unten hatte bereits eine neue Stufe erreicht.
Khatami und die Reformer fürchteten
dagegen, dass die Bewegung weit über die von ihnen anvisierten Reformen hinausschießen und Gefahr
laufen könnten, das gesamte System hinwegzufegen. So stellten sie sich offiziell gegen die Proteste,
wodurch die konservative Regierung die Repressionsschraube weiter anziehen konnte. Dieser
Schlüsselmoment war zugleich eine erneute bittere Enttäuschung für die Bewegung, ließ
die Aktiven jedoch reifen und beschleunigte ihre politische Loslösung von den Systemreformern.
Khatami gewann zwar auch seine Wiederwahl,
verlor aber immer weiter an Ansehen, da die versprochenen Reformen ausblieben. Auch die kritische Presse
konnte durch die klerikale Rechte wieder zurückgedrängt werden. Das Reformerlager ist heute nur
noch ein Schatten seiner selbst und der ehemalige Vorzeigeliberale Khatami wird an den Universitäten
ausgebuht. Der Niedergang des Reformerlagers hat zunächst zur Ernüchterung in der
Bevölkerung geführt, die Reaktion sah sich in der Offensive, aber die sozialen Bewegungen
erholten und radikalisierten sich sogar.
Im Iran kann derzeit von drei zentralen Bewegungen gesprochen werden. Es gibt eine Bewegung von
Arbeiterinnen und Arbeitern, die seit Monaten keinen Tag ohne Streiks in den verschiedensten
Produktionssektoren vergehen lässt. Die Proteste richten sich nicht nur gegen ausbleibende
Lohnauszahlungen, sondern auch vermehrt gegen die zu beobachtende forcierte Privatisierung von
Staatsbetrieben auch das iranische Regime schielt auf die Verlockungen der WTO.
Die staatlichen Stellen wurden zwar wiederholt
zu Zugeständnisse gezwungen, versuchten aber zugleich eine freie Organisierung der Arbeitenden zu
verhindern. Trotz Repression gegen bekannte Aktive kam es in der jüngsten Zeit aber erneut zu
ernsthaften Versuchen einer unabhängigen Organisierung auf betrieblicher Ebene. So forderten bspw.
4000 Kollegen in einem Aufruf an die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) das Recht auf freie
gewerkschaftliche Organisierung.
Die zweite Bewegung ist die der nationalen
Minderheiten. Der Iran ist ein ethnisch extrem gemischter Staat, indem die Minderheiten historisch immer
benachteiligt waren. Aber nicht allein die veränderte Situation der Kurden im Irak schuf in der Region
ein neues Selbstbewusstsein. Die allgemeine Unzufriedenheit und die Schwäche des Regimes haben seit
längerem schon zu Unruhen in den Provinzen geführt, wie etwa im April 2005 unter der arabischen
Minderheit in der Südprovinz Khusistan. Die Regierung sprach von 30 Toten. Der Fernsehsender Al
Jazeera wurde wegen seiner ausführlichen Berichterstattung über die Vorfälle des Landes
verwiesen.
Auffällig war bei diesen Unruhen, dass
von beiden Seiten geschossen wurde. Dieser neuer Trend zur Militanz wird bei der dritten Bewegung, den
Studierenden, am deutlichsten. Die Universitäten sind ein stabiler Ort politischen Protests. Am
Jahrestag der Unruhen von 1999 kam es 2003 erneut zu Revolten, doch diesmal wehrten sich die Studierenden
mit Molotowcocktails und konnten in einigen Städten den Campus vorübergehend verteidigen.
Die Tendenz ist eindeutig: Den
paramilitärischen Schlägerbanden wird mehr und mehr getrotzt, die studentische Protestkultur an
den Universitäten ist eminent politisch. War die erste Generation politisierter Studenten vor allem
liberal eingestellt und auf die Säkularisierung der Gesellschaft aus, so bildet sich seit kurzem eine
neue, radikalisierte Linke heraus. Auf den Veranstaltungen zum Jahrestag der Studierenden waren in diesem
Jahr allerorten rote Fahnen und Bilder von Che Guevara zu sehen. Auf Transparenten war die traditionelle
Forderung der Linken nach »Brot und Freiheit« zu lesen.
Im März 2005 gründete sich in
Teheran ein linker Studentenverband, der als Ziel »das Werben um neomarxistische Ideen in der
Gesellschaft« angab und von der Universitätsleitung anerkannt werden musste. Ende April wurde an
der gleichen Universität der Jahrestag der Ermordung Bijan Jasanis begangen. Der Gründer der
Volksfeddayin Iran und eine Symbolfigur der iranischen Linken war am 19.April 1975 im Auftrag des Schah im
Gefängnis hingerichtet worden.
Auch für die konservativen Zeitungen
nehmen nun die Linken den Platz der Liberalen ein. Die Staatszeitung Keyhan veröffentlichte eine lange
Liste von Studentengruppen, die ihrer Meinung nach der Linken nahe stehen würden. Die erwähnte
marxistische Gruppe wurde nach ihrer Aktivität am 8.März wieder verboten, doch ihr offensives
Auftreten zeigte, wie selbstbewusst die Zivilgesellschaft im Iran inzwischen ist.
Die anstehenden Präsidentschaftswahlen im
Juni 2005 werden wohl das offizielle Ende der Ära Khatami sein. Doch das Regime bleibt weiterhin
extrem gespalten und zerstritten. Ein neuer Hardlinerflügel kandidiert gegen Rafsanjani, der als
ehemaliger Konservativer nun vom Bazaris (Handelskapital) gestützt wird. Die klerikale und liberale
Bourgeoisie setzt auf moderate Reformen, um den Iran an den Westen und in die WTO zu führen.
Pedram Shahyar
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04