SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2005, Seite 20

Das Leben ist ein Wunder

Frankreich/Serbien-Montenegro 2004, Regie: Emir Kusturica, mit Slavko Stimac, Natasa Solak, Vesna rivalic, Vuk Kostic, Aleksandar Bercek u.a.

Zwei Männer liegen bäuchlings auf einem Güterwaggon und ziehen sich Kokain durch die Nase rein, das auf den Schienen liegt. Dazu spielt eine Band schön schräge Balkanmusik und einer der beiden breitet die Arme aus, so als ob er gleich abheben würde. Das ist wohl die absurdeste Szene in Emir Kusturicas neuem Film Das Leben ist ein Wunder. Sie ist aber gleichzeitig typisch für diesen Film, der voll von ähnlich skurrilen Szenen ist, wie es ja auch dem Stil des Regisseurs entspricht.
Kusturicas neuer Film spielt im bosnischen Bürgerkrieg 1992 bis 1994. Er ist im Süden Bosnien-Herzegowinas an der Grenze zu Serbien angesiedelt. In dieser Gegend lebten Serben und Muslime bis 1992 einigermaßen friedlich zusammen. Titos Vielvölkerrepublik schien alle zu Jugoslawen gemacht zu haben. Tito scheint auch der heimliche Held dieses Films zu sein. Sein Porträt taucht mehrmals auf. Für den Regisseur, der sich immer noch als Jugoslawen bezeichnet, ist der ehemalige Präsident auf Lebenszeit offenbar ein Symbol für ein multikulturelles Jugoslawien ohne mörderischen Nationalismus.
Der Held des Films ist Luka, ein Ingenieur, der in dieser abgelegenen Gegend eine Eisenbahnstrecke wieder in Betrieb nimmt. Die Eisenbahn, die den Forschritt in die Berge und die Leute in die weite Welt bringen soll, bringt den Krieg. Serbische und muslimische Truppen benutzen sie als Nachschubweg. Schwarzhändler und Kriegsgewinnler, wie die beiden Kokser, transportieren darauf ihre Waren. Luka lebt an der Bahnstrecke zusammen mit seiner Frau, einer ebenso verkrachten wie verrückten ehemaligen Opernsängerin, und seinem Sohn, einem hoffnungsvollen Nachwuchsfußballer. Sein Vertrag bei Partizan Belgrad kann wegen des Krieges jedoch nicht in Kraft treten.
Denn statt Fußball zu spielen muss Sohn Milos an der Seite der Serben in den Krieg und wird von den Muslimen gefangen genommen. Lukas Frau Jadranka ist schon vorher mit einem ungarischen Musiker durchgebrannt, sodass Luka jetzt allein lebt. Sein »Hauptvergnügen« sind einige vergebliche Versuche, im Granathagel des Bürgerkriegs mit dem Briefträger Schach zu spielen. Ansonsten ist er kriegswichtiger Experte, der im Auftrag des serbischen Militärs die Bahnstrecke in Gang hält.
Dann taucht Sabaha auf. Eine muslimische Krankenschwester, die von den Serben gefangen genommen wurde und gegen Milos ausgetauscht werden soll. Luka soll sie so lange bewachen. Es kommt, wie es — im Film — kommen muss: die beiden verlieben sich ineinander. So setzen also in der märchenhaften Handlung des Films ein Serbe und eine Muslimin ihre Liebe gegen den mörderischen Nationalismus ihrer jeweiligen »Landsleute«, die früher einmal alle Jugoslawen waren. In der Liebe von Sabaha und Luka lebt Jugoslawien gewissermaßen fort.
Eine weitere Figur im Film, die versucht, Jugoslawien weiter leben zu lassen, ist der serbische oder besser jugoslawische Hauptmann Alexic. Er ist ein Freund von Luka und militärischer Befehlshaber der von Luka technisch betreuten Eisenbahnstrecke. Er kämpft mit seiner Einheit unter der alten jugoslawischen Fahne —blau-weiß-rot mit rotem Stern — und in seinem Büro hängen die Porträts von Tito und anderen führenden Mitgliedern des verblichenen jugoslawischen Bundes der Kommunisten. Letztlich ist Alexic aber auch nur Bürgerkriegspartei, sein »Jugoslawismus« wirkt anachronistisch.
Die US-Amerikaner und Westeuropäer werden entweder als Idioten oder als Kriegstreiber dargestellt. Eine amerikanische Reporterin berichtet ständig vom Kriegsschauplatz, ohne irgendetwas zu kapieren. Für sie sind alle Soldaten bosnische »freedom fighters« und alle Verwundeten Opfer der serbischen »Barbarei«. Sabaha wird von einem muslimischen Heckenschützen verwundet und die Reporterin fragt sie nach ihren Leiden unter den Serben. Milos wird von ihr gefragt, ob er weiter »for the freedom of Bosnia« kämpfen wolle, als Antwort rülpst er ins Mikrofon. Als die Muslime die Serben mit schweren Granaten beschießen, fragt ein serbischer Soldat, woher die »Ustascha« die schweren Granaten hätte. Als Antwort erhält er: »Von Genscher.«
Kusturicas Bekenntnis zu Jugoslawien ist ebenso sympathisch wie hilflos. Er kann und will keine politischen Antworten geben. Herausgekommen ist dabei ein Film, der schöne, poetische und auch absurde Bilder gegen die grausame Realität setzt. Die Botschaft könnte lauten: Liebe und Lebensfreude sind die besten Mittel gegen die Grausamkeit von Nationalismus und Krieg.

Andreas Bodden

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