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Zwei Männer liegen bäuchlings auf einem Güterwaggon und ziehen
sich Kokain durch die Nase rein, das auf den Schienen liegt. Dazu spielt eine Band schön schräge
Balkanmusik und einer der beiden breitet die Arme aus, so als ob er gleich abheben würde. Das ist wohl
die absurdeste Szene in Emir Kusturicas neuem Film Das Leben ist ein Wunder. Sie ist aber gleichzeitig
typisch für diesen Film, der voll von ähnlich skurrilen Szenen ist, wie es ja auch dem Stil des
Regisseurs entspricht.
Kusturicas neuer Film spielt im bosnischen
Bürgerkrieg 1992 bis 1994. Er ist im Süden Bosnien-Herzegowinas an der Grenze zu Serbien
angesiedelt. In dieser Gegend lebten Serben und Muslime bis 1992 einigermaßen friedlich zusammen.
Titos Vielvölkerrepublik schien alle zu Jugoslawen gemacht zu haben. Tito scheint auch der heimliche
Held dieses Films zu sein. Sein Porträt taucht mehrmals auf. Für den Regisseur, der sich immer
noch als Jugoslawen bezeichnet, ist der ehemalige Präsident auf Lebenszeit offenbar ein Symbol
für ein multikulturelles Jugoslawien ohne mörderischen Nationalismus.
Der Held des Films ist Luka, ein Ingenieur,
der in dieser abgelegenen Gegend eine Eisenbahnstrecke wieder in Betrieb nimmt. Die Eisenbahn, die den
Forschritt in die Berge und die Leute in die weite Welt bringen soll, bringt den Krieg. Serbische und
muslimische Truppen benutzen sie als Nachschubweg. Schwarzhändler und Kriegsgewinnler, wie die beiden
Kokser, transportieren darauf ihre Waren. Luka lebt an der Bahnstrecke zusammen mit seiner Frau, einer
ebenso verkrachten wie verrückten ehemaligen Opernsängerin, und seinem Sohn, einem
hoffnungsvollen Nachwuchsfußballer. Sein Vertrag bei Partizan Belgrad kann wegen des Krieges jedoch
nicht in Kraft treten.
Denn statt Fußball zu spielen muss Sohn
Milos an der Seite der Serben in den Krieg und wird von den Muslimen gefangen genommen. Lukas Frau Jadranka
ist schon vorher mit einem ungarischen Musiker durchgebrannt, sodass Luka jetzt allein lebt. Sein
»Hauptvergnügen« sind einige vergebliche Versuche, im Granathagel des Bürgerkriegs mit
dem Briefträger Schach zu spielen. Ansonsten ist er kriegswichtiger Experte, der im Auftrag des
serbischen Militärs die Bahnstrecke in Gang hält.
Dann taucht Sabaha auf. Eine muslimische
Krankenschwester, die von den Serben gefangen genommen wurde und gegen Milos ausgetauscht werden soll. Luka
soll sie so lange bewachen. Es kommt, wie es im Film kommen muss: die beiden verlieben sich
ineinander. So setzen also in der märchenhaften Handlung des Films ein Serbe und eine Muslimin ihre
Liebe gegen den mörderischen Nationalismus ihrer jeweiligen »Landsleute«, die früher
einmal alle Jugoslawen waren. In der Liebe von Sabaha und Luka lebt Jugoslawien gewissermaßen fort.
Eine weitere Figur im Film, die versucht,
Jugoslawien weiter leben zu lassen, ist der serbische oder besser jugoslawische Hauptmann Alexic. Er ist
ein Freund von Luka und militärischer Befehlshaber der von Luka technisch betreuten Eisenbahnstrecke.
Er kämpft mit seiner Einheit unter der alten jugoslawischen Fahne blau-weiß-rot mit rotem
Stern und in seinem Büro hängen die Porträts von Tito und anderen führenden
Mitgliedern des verblichenen jugoslawischen Bundes der Kommunisten. Letztlich ist Alexic aber auch nur
Bürgerkriegspartei, sein »Jugoslawismus« wirkt anachronistisch.
Die US-Amerikaner und Westeuropäer werden
entweder als Idioten oder als Kriegstreiber dargestellt. Eine amerikanische Reporterin berichtet
ständig vom Kriegsschauplatz, ohne irgendetwas zu kapieren. Für sie sind alle Soldaten bosnische
»freedom fighters« und alle Verwundeten Opfer der serbischen »Barbarei«. Sabaha wird
von einem muslimischen Heckenschützen verwundet und die Reporterin fragt sie nach ihren Leiden unter
den Serben. Milos wird von ihr gefragt, ob er weiter »for the freedom of Bosnia« kämpfen
wolle, als Antwort rülpst er ins Mikrofon. Als die Muslime die Serben mit schweren Granaten
beschießen, fragt ein serbischer Soldat, woher die »Ustascha« die schweren Granaten
hätte. Als Antwort erhält er: »Von Genscher.«
Kusturicas Bekenntnis zu Jugoslawien ist
ebenso sympathisch wie hilflos. Er kann und will keine politischen Antworten geben. Herausgekommen ist
dabei ein Film, der schöne, poetische und auch absurde Bilder gegen die grausame Realität setzt.
Die Botschaft könnte lauten: Liebe und Lebensfreude sind die besten Mittel gegen die Grausamkeit von
Nationalismus und Krieg.
Andreas Bodden
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