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Ich traf André Gunder Frank und seine Frau Marta Fuentes 1967. Unser
langes Gespräch überzeugte uns, dass wir intellektuell auf derselben Wellenlänge lagen. Die
damals vorherrschende »Modernisierungstheorie« schrieb die »Unterentwicklung« der
Dritten Welt der verspäteten und unvollständigen Herausbildung kapitalistischer Institutionen zu.
Die marxistische Orthodoxie, vertreten von den Kommunistischen Parteien, präsentierte ihre eigene
Version dieser Sichtweise und kennzeichnete Lateinamerika als »halbfeudal«.
Frank stellte eine neue und völlig andere
These auf: dass Lateinamerika von seinen Ursprüngen an im Rahmen kapitalistischer Entwicklung als
Peripherie der neu aufsteigenden Zentren an Europas Atlantikküste aufgebaut wurde. Ich meinerseits
hatte die Integration Asiens und Afrikas in das kapitalistische System im Lichte der Erfordernisse der
»Akkumulation in globalem Maßstab« zu analysieren unternommen, ein Prozess, der durch seine
innere Logik eine Polarisierung von Wohlstand und Macht hervorbringen musste.
Einige Jahre später, 1972 in Mexiko,
trafen wir auf dem Kongress des Lateinamerikanischen Rats der Sozialwissenschaften (CLASCO) wieder
zusammen, wo Frank zusammen mit F.H.Cardoso, Aníbal Quijano, Rui Mário Marini u.a.
die erste Formulierung der »Dependenztheorie« vortrug. Mich hatten sie eingeladen, um parallele
Schlussfolgerungen darzulegen, zu denen ich auf der Basis sehr unterschiedlicher historischer Prozesse
gelangt war, durch die Asien und Afrika in das globale System integriert worden waren.
In ähnlicher Übereinstimmung fanden
wir uns mit der »Weltsystem«-Schule, die in den 70er Jahren durch Immanuel Wallerstein
eingeführt wurde. So entstand unsere »Viererbande« (Giovanni Arrighi, Frank, Wallerstein und
ich). Entsprechend wurden wir vier gemeinsam Autoren zweier Bücher: La crise, quelle crise? (1982) und
Le grand tumulte (1991), die beide bei Maspéro-La Découverte erschienen. Wenngleich die
Etablierung der neuen neoliberalen globalisierten Wirtschaftsstruktur gerade erst angefangen hatte und die
neue globale Strategie des Kapitalismus erst wahrnehmbar wurde, wiesen wir bereits den »neuen sozialen
Bewegungen« strategische Bedeutung zu, die zehn Jahre später, 2001 in Porto Alegre, auf dem
Weltsozialforum zusammenkommen sollten.
Die Nähe unserer Grundanschauung
führte, trotz deutlicher Differenzen (die für uns alle stimulierend waren), zu einer engen
Freundschaft. Meine Frau Isabelle und ich liebten Frank wie einen Bruder und litten am Verfall seiner
Gesundheit während der letzten zwölf Jahre seines Lebens, Jahre eines dauernden und mutigen
Kampfes gegen den Krebs. Was ich an Frank am meisten liebte war seine schrankenlose Aufrichtigkeit und
Hingabe. Frank war nur von einem einzigen Wunsch beseelt: im Dienst der arbeitenden Klassen und der
subalternen Völker zu stehen, der Opfer von Ausbeutung und Unterdrückung. Spontan und
bedingungslos stand er stets auf ihrer Seite. Eine Eigenschaft, die man selbst bei den besten
Intellektuellen nicht zwangsläufig findet.
Samir Amin
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