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Die gesamten Ausgaben für Werbung stiegen 2004 um 1,1% auf 29,22 Milliarden
Euro. Am meisten gaben im vergangenen Jahr Handelsunternehmen und Autofirmen für Werbung aus. Laut ZAW-
Statistik wuchsen die Anzeigenumsätze der Tageszeitungen als größte Werbeträger um 1% auf
4,5 Milliarden Euro. Das Fernsehen legte 1,3% zu und kassierte 3,7 Milliarden Euro, Online-Anbieter
erhöhten ihre Umsätze um 10% auf 271 Millionen Euro. Stieg die Zahl der »klassischen«
Werbeagenturen von 3000 1994 auf 12000 im Jahre 2004, so ist die Zahl der Mitarbeiter von 13585 im Jahr 1994
auf immerhin 351625 im Jahr 2004 gestiegen.
Durch Anzeigenaufträge, nicht durch offene
Zensur, kontrolliert heute das Banken-, Industrie- und Handelskapital die Medienwelt. Chefredakteure, die ihre
Redaktion nicht im Sinne der Anzeigenkunden ausrichten, gar kritische Berichte über menschenunwürdige
Betriebsgepflogenheiten oder lebensbedrohliche Produktionsbedingungen oder Produkte veröffentlichen,
laufen Gefahr, vom Herausgeber entlassen zu werden, dessen Medium eng an die Gunst jener großen
Anzeigenkunden gebunden ist, die jederzeit damit drohen können, ihre Anzeigen in anderen Medien zu
platzieren. Die Werbebranche ist in diesem Gesamtgeflecht kapitalistischer Kontrolle nur ausführendes
Organ, aber ein wichtiges, dessen Bedeutung besonders dann wächst, wenn wie gegenwärtig die Krise des
Kapitals den Konkurrenzkampf auf die Spitze treibt.
In solchen Zeiten sind besondere Werbeexperten mit ideologischem Gespür gefragt. Die Werbeagentur Love
Economy von Thomas Ernst zählt zu dieser Szene. Das Konzept, das sich hinter dem Namen dieser Agentur
verbirgt, ist erfolgreich, weil es den Irrationalismus, mit dem Kapitalgiganten ihr »Image«
aufpolieren wollen, sehr alltagsgetreu umzusetzen versteht.
»Wir wollen echte Liebesbeziehungen zwischen
einer Marke oder einem Unternehmen und dessen Kunden aufbauen«, sagt Ernst. »Der Verbraucher soll
nicht nur Produkte kaufen. Wir wollen, dass die Marke seine Lieblingsmarke und das Unternehmen sein
Lieblingsunternehmen wird, damit eine dauerhafte Kundenbindung entsteht.« Wir machen mehr als nur
klassische Werbung, betont er. »Love Economy macht umfassende Kommunikation in allen Kanälen
bis hin zur Gestaltung von Gebäuden oder zur Beratung beim Produktdesign. Und, was immer wichtiger wird:
Wir beraten Unternehmen dabei, wie sie Ethik und soziale Verantwortung in ihr Geschäftsmodell integrieren
und glaubhaft kommunizieren können. Aber wir wollen Werte konstruktiv vermitteln und meiden die
Polarisierung, die Provokation.«
Thomas Ernst, der sein »Liebeskonzept«
in den USA von Hasselnuss Henderson kopierte, ist nur ein Beispiel von vielen Intellektuellen, die nicht selten
mit vollem Ernst glauben, sie könnten durch die Integration von Familien-, Mutter- und Liebesgefühlen
eine gesellschaftliche Wirklichkeit zaubern, die den brutalen gesellschaftlichen Antagonismus zwischen
Lohnarbeit und Kapital modifiziert.
Diese neue Art »Ethikwerber« studieren
Philologie, Theaterwissenschaft, Kunst, Soziologie, Philosophie, Psychologie, Germanistik und schreiben nicht
selten, neben ihrem Kommunikationsjob, Romane. Sie gehören zu einer ganz neuen Art subjektiver Idealisten,
die glauben, sie könnten den kategorischen Imperativ Kants sogar dem Kapital schmackhaft machen. Ihr Blick
auf das gesellschaftliche Sein ist ein irrationaler, der die Wirklichkeit für eine Erfindung des eigenen
Kopfes hält. In sog. »Brainstormings« und wissenschaftlich anmutenden Zielgruppenanalysen,
gefolgt von Konzept- und Strategieentwicklungen, verschmelzen diese modernen Werber völlig mit einer Welt
des schönen Scheins. Sie glauben an diese Welt. Sie fühlen sich nicht als Manipulateure, sondern
vielmehr als Befreier. Sie wollen die Menschen von Spießigkeit, schlechtem Geschmack und Konservatismus
befreien. Wenn sie von Ethik sprechen, dann denken sie an eine bürgerliche Moral, bei der jeder seine
Bedürfnisse glücklich zur Erfüllung bringen soll.
Ethik ist für diese Werbestrategen keine gattungsmäßige Orientierung, durch die der Einzelne
einen Bezug zur Menschheit herstellen muss, sondern Ethik ist in dieser Berufsgruppe eine Aufforderung, nicht
alles so negativ zu sehen, nicht ständig zu polarisieren, sondern liebevoll und freundlich den eigenen
Alltag zu gestalten. Das Motto »Jeder ist seines Glückes Schmied« treiben sie auf die Spitze,
indem sie von der tatsächlichen Aggressivität, die sich hinter der Dynamik der jetzigen
Kapitalkonzentration auf der ganzen Welt ganz offen zeigt, ablenken und auf die private
Gestaltungsmöglichkeit eines Alltags verweisen, der doch durchaus liebevoll sein könnte. Man muss nur
wollen, lautet ihre Botschaft!
Solange sie sich im Winter das Skihotel, im Sommer
das Surfhotel in der Karibik, ein süßes Kabrio und natürlich ein schnuckeliges Häuschen am
Stadtrand mit U-Bahn-Anbindung leisten können oder zumindest die Hoffnung auf diese Dinge besteht, weil
man innerhalb der Hierarchie der Agentur aufzusteigen hofft oder ganz sicher daran glaubt, dass eine Top-Firma
mit einem Top-Budget an die Türe klopft, fühlen sie sich glücklich, auch wenn der Agenturjob
immer stressiger wird und der Kunde binnen zwei Wochen die Präsentation seiner neuen Werbekampagne
fordert. Bei aller Beschwörung »ethischer« Werte geht es jedoch um die harten Werte der
Kapitalverwertung, um Umsatz, um Profit und Rendite. Wie das realisiert wird, ist dem Kapital, dem die
Werbeintellektuellen ein liebevolles Image verpassen, völlig gleichgültig. Hauptsache die Zahlen
stimmen und das System der kapitalistischen Produktionsweise wird nicht in Frage gestellt.
Natürlich gibt es in der Werbebranche auch
die »Einzelkämpfer«, die sich um das Image der kleinen Kneipen kümmern oder, wie bei Aldi
und Lidl, digitale Medienexperten, die an eigenen Hochschulen ausgebildet werden, um simple
Abverkaufsstrategien optimal konzipieren zu können. Diese Medienexperten funktionieren im Sinne des
Unternehmens als Pragmatiker, sie kaufen billige Waren des täglichen Verbrauchs unter Wert ein und
verkaufen sie schnell wieder zu einem Preis, der gerade den Wert der Ware deckt. Diese Pragmatiker des
Marketings sind keine Ideologen, sie müssen nicht, wie die »Ethikwerber«, ein Produkt zu einer
Marke fetischisieren und dabei das ganze bürgerliche System mit einer lieblichen Ideologie verzaubern.
Aldi und Lidl sind billig, das reicht als Werbebotschaft, um den Verdrängungswettbewerb in der
Lebensmittelindustrie für sich entscheiden zu können. Dazu braucht es keine Ideologen.
Die Münchner Werbeagentur AKOM gehört
dagegen zu den »Ethikwerbern«. Sie konstruiert die ideologischen Konzepte u.a. für Deutsche
Bank, Dresdner Bank, Siemens und Bahn-AG. Diese Zentralen des Gesamtkapitals bestimmen den Trend in der
Werbung, dem AKOM bereits vom Namen her bestens entspricht. AKOM steht für »Agentur für
Kommunikation«. In dieser Agentur sitzen keine Pragmatiker, die mit ihrem Computer bunte Bilder neben
günstige Preise zaubern, sondern hier arbeiten ganzheitlich ausgerichtete Ideologen. Sie beraten, coachen,
organisieren, erfinden und entwickeln für ihre Kunden zunächst ein »Konzept«, einen
Entwurf, der das Ganze des Unternehmens im Visier hat. Führungsstil, Firmenautos, die Architektur, bis hin
zur Visitenkarte alles soll auf einem einheitlichen Kurs liegen, das nennt sich dann »Corporate
Identity« oder »Design«. »Große Linie«, heißt es im Internetauftritt von
AKOM, »setzt sich durch statt klein, klein. Wiedererkennbarkeit, die Identifizierung mit
Unternehmenswerten und ein einheitliches Erscheinungsbild erhöhen permanent den Wert ihrer Marke
und ihren Erfolg im Markt.«
Um diesen zu erzielen braucht es heute mehr als
nur einen flotten Werbespot. Es braucht eine ausgefeilte »Liebesstrategie«. Das Kapital, das sich
nicht von ungefähr die Dienste seiner ideologischen Agenten zumeist als Fremdleistung einkauft
blicken diese als Externe doch viel besser aus der Perspektive der »Zielgruppen« auf das Unternehmen
, will mit einer »Liebesstrategie« eine Wirklichkeit von sich vermitteln, die es
tatsächlich nicht gibt. Dazu braucht es Ideologen, die diese Kopfgeburten medial an die Menschen zu
vermitteln verstehen.
In der gesellschaftlichen Wirklichkeit eines jeden Kapitals geht es um die effektivste Aneignung
menschlicher Arbeitskraft. Es dreht sich alles um den möglichst höchsten Mehrwert und dessen Ableger
Profit und Zins. Was soll die Werbung für ein Auto oder eine Schokolade mit dem von der menschlichen
Arbeitskraft erzeugten Mehrwert zu tun haben, würde der Kommunikationsexperte erbost fragen. Doch auch der
Werber und dessen »Kampagne« wird letztlich an den Umsatzzahlen des Unternehmens gemessen dies
wird auch der Werber nicht bestreiten. Hier zeigt sich für den Unternehmer, ob die Ideologie der Werbung
von Erfolg gekrönt war oder nicht.
Um die vielen Waren, die in gewaltiger
Massenproduktion entstehen, schnell auf dem Weltmarkt umzusetzen, um durch diesen Verkauf den in der Produktion
erzielten Mehrwert zu realisieren, braucht das Kapital die Ideologieagenten aus den
»Kommunikationsagenturen«. Sie sollen einerseits eine Strategie entwickeln, die den vielen einzelnen
Konsumenten auf der ganzen Welt die Waren gewaltiger Massenproduktionen als absolutes Bedürfnis eigenster
Bedürfnisse erscheinen lassen.
Zum Zwecke einer gezielten Absatzstrategie werden
diese vielen einzelnen Konsumenten in homogene Zielgruppen zergliedert, deren Gewohnheiten penibel erkundet
werden, um sie so besser für die eigenen Zwecke manipulieren zu können. Andererseits sollen die
Ideologieagenten die »Firmenkultur« in eine Familienidylle verwandeln. Alle in der Firma sollen sich
in einem »Wir-Gefühl« miteinander verbunden fühlen. Dieses »Wir« ist aber ein
völlig entfremdetes »Wir«, dem sich der Einzelne anzuschließen gezwungen ist, wenn er nicht
in die Arbeitslosigkeit fallen will.
Viele der Werber fühlen sich als
»Kreative«, als lockere und witzige »Antispießer«, die progressiv das Leben
genießen wollen. Zwar identifiziert sich der »Ethikwerber« nicht mit jedem Produkt und jeder
Firma, für die er ideologisch und auch handwerklich tätig wird, aber er versetzt sich in die
»Zielgruppe«, die er für seinen Auftraggeber zu erreichen wünscht. Auch wenn die Art-
Direktorin der Agentur bei den Grünen sein sollte und die Atomkraft für eine große Gefahr
hält, muss sie sich als Ideologin, die von Thyssen ein großes Werbebudget anvertraut bekam, für
deren Atomkraftanlagen öffentlich mit Text, Bild, Film und Ton engagieren. Sie verkauft sozusagen ihre
Seele und nicht nur ihre funktionale Arbeitskraft, wie dies der produktive Arbeiter bei Thyssen tut, der ja,
auch wenn er die Rohre für diese Anlage baut, diese nicht für einen großen Segen halten muss.
Wer für die Hypo-Vereinsbank Botschaften in die Welt setzt, die da lauten: »Leben Sie, wir
kümmern uns um die Details«, muss dies selber glauben und will nicht sehen, dass so das Bankkapital,
das ja Repräsentant des Gesamtkapitals ist, mit ethischen Phrasen gestützt wird.
Hinter diesen Image- und Werbekampagnen, ersponnen
und mit viel Geschick von dynamischen, oft klugen PR- und Kommunikationsexperten entwickelt, zeigt sich die
große Sehnsucht der Macher und der Menschen in diesem Land, die sie mit ihrer Botschaft erreichen wollen,
nach Liebe, Vernunft und einem Leben ohne Entfremdung. Letztlich zerspringt diese Sehnsucht aber an der
konkreten Wirklichkeit. Denn sehr bald wird dem Kunden der Bank bewusst, das der Kredit per Visacard nur eine
Vorleistung ist, die am Ende des Monats vom Girokonto abgebucht wird. Die »Marke« Visacard ist ein
banales Ding, das den Warenabfluss des produzierenden Kapitals beschleunigen soll. Nur darum geht es! Und
selbst die geschickteste Manipulation der Menschen ist nur für bedingte Zeit in der Lage, die konkrete
Wirklichkeit zu verschleiern.
Jürgen Meier
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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