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»Dies sind wahrlich die Vereinten Nationen«, so UN-
Generalsekretär Kofi Annan zu den 250000 Popfans, die anlässlich des Live8-Konzerts nach London
gekommen waren. Es war ja auch beeindruckend, wie viele Menschen hier für eine »gute Sache«
mobilisiert werden konnten. Tony Blair und sein Finanzminister Gordon Brown hatten Bob Geldof und Bono
für sich mobilisieren lassen. Dass Mainstreammusiker für Mainstreampolitik auftreten ist nicht
neu. Selten ist es dabei zu so handfesten Auseinandersetzungen wie in den 80er Jahren gekommen, als Peter
Maffay auf einem Konzert gegen die Stationierung US-amerikanischer Mittelstrecken sang und ein paar
Besucher ein Transparent mit der Aufschrift: »Lieber Cruise Missiles als Peter Maffay«
entrollten, oder Ton Steine Scherben auf einem Konzert mit dem Sprechchor »Macht kaputt was euch
kaputt macht, wählt SPD« begrüßt wurden, weil sie auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung
gespielt hatten. Nein auf den Live8-Konzerten herrschte eine »Piep-piep-piep-wir-haben-uns-alle-
lieb«-Stimmung, die anscheinend nur durch technische Mängel gestört wurde.
Dass sich Bono und Bob Geldof nach dem G8-
Gipfel hinstellen können und die Ergebnisse des Gipfels als Erfolg oder besser noch als den Erfolg
ihrer Mobilisierung darstellen, hat weder mit der Realität etwas zu tun, noch interessiert es die
meisten der Konzertbesucher. Dennoch hat das Zusammenspiel von Politik und Pop auf den Konzerten und der
Live-Übertragung eine neue Qualität erreicht. Die Menschen kamen wegen der Musik, und der BBC-
Kommentator Andrew Marr hatte völlig Recht: »Wenn hier eine Trachtenkapelle aus Bayern spielen
würde, wären wohl nicht so viele da.« Es sind nicht mehr nur Kitschsongs wie »We are
the world« oder »Do they know its christmas time«, die sich in ihrem karitativen
Paternalismus entlarven. Das Spektrum reicht von Schlagersternchen wie Celine Dion und Mariah Carey
über die alten Herren von The Who, Roxy Music und Pink Floyd bis zu Wir sind Helden und den
Deutschrappern, die selbst bei solch einer Veranstaltung nur Selbstreferenzielles auf die Bühne
bringen. Es ist reine Spekulation, wo die Grenze zwischen der Erfolgssucht und dem wirklichen Engagement
läuft, die sie alle auftreten ließ. Wichtig war, dass es funktioniert hat.
Die moralische Entrüstung über die
Armut in Afrika und die Politik der G8 war jedoch nicht nur gespielt. Die Frage wäre da eher, welchen
Charakter hat diese Entrüstung. Sicher sie liegt jenseits des neoliberalen Credos »There is no
alternative«, aber sie ist schneller verflogen, als der Download der vier Pink-Floyd-Lieder aus dem
Londoner Konzert dauert. Der Popindustrie dies vorzuwerfen wäre falsch, denn genau so funktioniert
sie. Sie ist nicht an politischer Willensbildung interessiert, sondern freut sich mit ihren Stars, wenn sie
am Benefizkonzerthimmel funkeln und das Engagement zur Modeerscheinung mutiert, die möglichst schnell
von der nächsten überrollt werden muss.
Diese Übermacht der großen
Popkonzerte über die politische Bewegung sind ein Ausdruck des Kräfteverhältnisses und der
geschickten Instrumentalisierung dieser Maschinerie durch Politiker wie Blair. Auf die Frage, ob er sich
vor einer unfreundlichen Übernahme des Konzerts durch Anarchisten fürchte, antwortete Geldofs Co-
Organisator Midge Ure: »Eigentlich übernehmen wir eher das Event der Anarchisten.«
Diese Übernahme ist Ausdruck einer
kulturellen Hegemonie, die in der Lage ist, moralische Empörung in den herrschenden Diskurs der Art
einzubauen, dass die politischen Charaktermasken der reichen Nationen sich diese Empörung noch auf die
Fahne schreiben können, während ihre Politik die Gründe der Empörung permanent neu
schafft. Die Lehren, die die Gipfelveranstalter aus Seattle und Genua gezogen haben, sind nicht in erster
Linie polizeitaktischer Natur. Hier fließen die Erfahrungen der Rock-against-Racism-Konzerte genauso
ein, wie die der Single-policeman-Konzerte, die Bob Geldorf Anfang der 80er Jahre für Amnesty
International organisierte. Die Erfahrungen von MTV, Love Parade, wie die Vermarktung von Woodstock sind
Teil des Konzepts. Blair beschrieb in seinem Statement zum Gipfel die Veranstalter der Popkonzerte nicht zu
Unrecht als die eigentlichen Sieger des Gipfels.
Thomas Schroedter
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