SoZSozialistische Zeitung |
Was ist von Voraussagen zu halten, dass in einigen Jahrzehnten China eine Supermacht sein wird, die
dann die USA im globalen Maßstab herausfordert?
Diese Voraussagen basieren gewöhnlich auf den aktuellen chinesischen Wachstumsraten,
während es keinesfalls sicher ist, ob China solche Raten über mehrere Jahrzehnte durchhalten
kann, ganz zu schweigen davon, dass niemand eine sichere Wette auf die soziale Stabilität des
chinesischen Staates zu einer Zeit abgeben kann, in der dort wachsende Ungleichheiten auch zunehmend
Spannungen produzieren.
Außerdem wächst die Kluft zwischen
den Militärausgaben der USA und denen Chinas Jahr für Jahr, anstatt abzunehmen. Die USA geben
mehr aus als der Rest der Welt und richten ein scharfes Auge auf all ihre potenziellen Rivalen, darunter
China, um ihre volle Dominanz aufrechtzuerhalten. Voraussagen wie die von dir erwähnten nützen
gegenwärtig nur Washington und dem Pentagon zur Rechtfertigung des gewaltigen Militäretats der
USA.
Die Wahrheit ist, dass es heute nur eine
»Supermacht« (mit vielen Vasallenstaaten) gibt, und das sind die USA, die einen aggressiven
imperialistischen Kurs verfolgen, der für die gesamte Menschheit schädlich ist.
Was bedeutet Chinas Integration in die globale kapitalistische Ökonomie geopolitisch?
Es gibt mehrere Aspekte. Ich erwähne nur einige besonders wichtige: Je mehr China eine
Schlüsselrolle auf dem kapitalistischen Weltmarkt spielt, desto abhängiger wird einerseits dieser
Markt vom Stand der chinesischen Wirtschaft sein, und desto bedeutender ist andererseits die
Stabilität Chinas für den globalen Kapitalismus. China ist sowohl zu einem gewaltigen Markt wie
auch zu einem gewaltigen Exporteur geworden: Es gehört somit zu einer völlig anderen Kategorie
als z.B. der Iran. Washington würde sich über eine Destabilisierung des Iran freuen, welche die
iranischen Ölexporte nicht notwendigerweise beeinträchtigen würde, während ein
ernstlich destabilisiertes China eine für die globale kapitalistische Wirtschaft sehr gefährliche
Krise einleiten würde.
Andererseits wird China zunehmend nicht nur
vom US-Markt abhängig, sondern auch von einem guten Zustand der US-Ökonomie, da es bereits
über beträchtliche Dollarmengen, Wertpapiere und Anleihen verfügt und auf dem US-
Börsenmarkt aufzutreten beginnt. Dies bedeutet auch, dass die chinesische Regierung zunehmend
solidarisch mit dem globalen kapitalistischen System sein wird entgegen den Illusionen jener, die
glauben, dass China »eine neue UdSSR« in einer erneut bipolaren Welt werden wird. In Wirklichkeit
gehört China viel eher als Russland auf den G8-Gipfel der reichen Länder.
Was bedeutet die zunehmende US-Präsenz im Kaspischen Meer und in Zentralasien für die
Beziehungen zwischen China und den USA?
Die von mir beschriebene Perspektive wird nur vom Verhalten der USA selber gefährdet. Die
Chinesen besitzen einen starken Nationalstolz und sind verärgert über amerikanische
Beeinträchtigungen dessen, was sie als ihre souveränen Rechte betrachten, darunter das Taiwan-
Problem. Sie betrachten Washingtons Verhalten als »hegemonial«, und das mit Recht. Sie empfinden
berechtigterweise, dass die USA dabei sind, sie einzukreisen: Die Militärpräsenz der USA in
Zentralasien seit dem Afghanistankrieg auf der Nordwestflanke Chinas sieht aus Pekinger Sicht sehr stark
nach der westlichen Klaue eines Schraubstocks aus, mit US-Streitkräften in Japan und Südkorea als
östlicher Klaue. Darüber hinaus befindet sich das US-Militär in Zentralasien im Zentrum der
Landmasse, die das Herz des europäischen Russland mit China verbindet, und richtet sich klar gegen die
militärische Zusammenarbeit zwischen Peking und Moskau, die seit dem Zusammenbruch der UdSSR
entstanden war.
Schließlich wird durch die US-
Präsenz im Kaspischen Meer, zusätzlich zur direkten Kontrolle der USA über das Öl im
Persischen Golf, Washingtons Zugriff auf Chinas entscheidende Kohlenwasserstoffquellen gesichert und somit
Chinas Verwundbarkeit in Bezug auf die US-Dominanz erhöht.
Wenn China eine kapitalistische Macht mit (zumindest regionalen) imperialen Ambitionen wird,
welche Unterschiede ergeben sich für internationalistische Sozialisten in Bezug auf den Ausgang der
Rivalität zwischen den USA und China?
Gegenwärtig wäre es völlig falsch, China in dieselbe »imperiale« Kategorie
zu stellen, in der die USA dominieren, selbst wenn dieser »Imperialismus« auf den regionalen
Maßstab reduziert wird. Chinas territoriale Ansprüche sind im Wesentlichen zumindest in
chinesischen Augen Angelegenheiten der nationalen Souveränität. China weist im 19. und
20.Jahrhundert eine bittere Geschichte der Unterdrückung durch die westlichen Mächte auf und
sieht sich in einem Prozess der Wiedergutmachung dieser Vergangenheit. Was man auch immer von Taiwan und
dem Recht der dortigen Bevölkerung auf Selbstbestimmung halten mag, so sollte es für jeden
Sozialisten offensichtlich sein, dass, wenngleich man die Legitimität von Chinas Anspruch auf die
Insel diskutieren kann, diese Frage definitiv nicht in die Kompetenz von Washington fällt.
Bei einer Konfrontation zwischen den USA und
China um Taiwan wäre Peking überzeugt, seine Souveränität über ein usurpiertes
Territorium wiederzuerlangen, während Washington seinen Anspruch auf globale imperiale Hegemonie
geltend machen würde. Antiimperialisten können in einem solchen Fall nicht neutral sein, sondern
ihr Handeln muss sich prioritär gegen die USA richten.
Quelle (Übersetzung: Hans-Günter Mull)
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04