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Die Achillesferse »linker« Mode-Ideologen ist der Mangel an marxistischer oder sonst wie
rationaler Theorie, die das jeweilige Ganze in seiner Widersprüchlichkeit erfasst und Einseitigkeiten
vermeidet. An der Geschichte der so genannten »Antideutschen« wird dies sinnfällig.
Im vorliegenden Sammelband wird belegt, dass
nach dem israelischen Sechstagekrieg von 1967 und dem Aufschwung eines extrem araberfeindlichen
Nationalchauvinismus in Israel BRD-Linke den bisher gehegten Philosemitismus über Bord warfen. Das war
richtig, diente dieser von den USA und Springer geförderte Ismus doch als Mittel, Expansion und
Unterdrückung von Palästinensern zu rechtfertigen, denen gegenüber z.T. Methoden angewandt
wurden, die faschistischen ähnlich sahen.
Der als Reaktion darauf u.a. von der Roten
Armee Fraktion gepflegte »internationalistische« Antizionismus führte jedoch seinerseits
dazu, terroristische Palästinensergruppen zu idealisieren und gemeinsam mit ihnen zu agieren. Ulrike
Meinhof und der später zu den Neonazis abwandernde Anwalt Mahler begrüßten 1972 das
Niedermetzeln der israelischen Olympiamannschaft in München durch den »Schwarzen September«.
Der neue Antizionismus breitete sich in den ML- und K-Gruppen aus. Sie trieben, teilweise in Maos oder
Stalins Namen, primitiven Antiamerikanismus. Tendenzen hierzu und zum Nationalismus gab es auch in Teilen
der Friedensbewegung. Im Kampf gegen amerikanische Mittelstreckenraketen auf BRD-Boden pflegten sie die
Legende vom unschuldigen, durch die Supermacht unterjochten und am Leben bedrohten Deutschen. Nach Abbau
der Raketen 1987 schrumpfte die Bewegung auf ihr früheres Maß, indes ihr grüner Partner sich
zur angepassten bürgerlichen Opposition und späteren Regierungspartei zu mausern begann.
Die 1989 entstandene Radikale Linke, der u.a. die grünen Ökosozialisten Ebermann und Ditfurth,
der zur Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) zählende Winfried Wolf, das DKP-Mitglied Georg
Fülberth und Konkret-Herausgeber Hermann Gremliza angehörten, leistete dem Trend zuerst zur
»rosa-grünen Besoffenheit«, dann zum infolge der Grenzöffnung der DDR verschärften
Nationalismus, Widerstand. Aus den Abwehrdemos wider die DDR-Einverleibung heraus und an deren Rand erwuchs
schließlich die »antideutsche Linke«. Sie ist in Arbeiten von Bernhard Schmid, Wolf Wetzel,
Gerhard Hanloser, Markus Mohr, Sebastian Haunss und Michael Koltan der Gegenstand.
Die Gruppe deutete das Faktum, dass unverhofft
und unverdient der einheimische Imperialismus die Siegespalme errungen hatte, als Vorstufe zum unmittelbar
drohenden »Vierten Reich« und machte die Nation dafür verantwortlich, die deshalb erbittert
bekämpft werden müsse. Ihre Parole »Nie wieder Deutschland!« verfocht sie besonders
lautstark bei einer Demonstration am 12.Mai 1990 in Frankfurt am Main. Anfang Februar war im Monatsblatt AK
ein Artikel von »Jürgen, Stuttgart«, hinter welchem Pseudonym sich der Berufsschullehrer
Jürgen Elsässer verbarg, mit dem Titel »Weshalb die Linke anti-deutsch sein muss«
erschienen. Darin stand die Frage: Wenn die Nachbarstaaten die deutsche Vereinigung hinnähmen,
»wer wollte ihnen [den Deutschen] dann noch die Atombombe, die Streichung des Asylrechts aus der
Verfassung, die Beteiligung an Militärinterventionen untersagen?«
Elsässer verlangte hierauf aber eine
einseitig antinationalistische und zudem »antideutsche Sicht, um die aktuellen Vorgänge begreifen
und Gegenstrategien entwickeln zu können«: Ziel sei »die Auflösung des deutschen Volkes
in eine multikulturelle Gesellschaft«. Nach meiner Meinung war das in mehrfacher Hinsicht ein
Fehlschluss. Erstens kann keiner, der sich von der eigenen Nation trennen oder gar »das Volk
auflösen« will, in beiden politische Erfolge erringen. Zweitens und vor allem bedeutete der
Irrweg ins »Antinationale« die Abwendung vom Kampf der Klassen und Schichten, gegen Kapitalismus
und Imperialismus.
Dass sich Elsässer inzwischen wieder gefangen hat, ist von den Buchautoren registriert worden,
nicht aber seine weitere Tätigkeit Anfang der 90er Jahre, als er in der damaligen Jungen Welt
fleißig am »antideutschen« Feindbild bastelte. Gleichzeitig wurde es von der Zeitschrift
Bahamas, der Freiburger Initiative Sozialistisches Forum (ISF), in Konkret und der aus einer Spaltung der
JW-Redaktion hervorgegangenen Jungle World weiter ausgestaltet. Hinsichtlich der Vergangenheit sah das
Gemälde so aus, dass alles gut war, was im Zweiten Weltkrieg von alliierter Seite aus geschah, bspw.
die militärisch sinnlose, barbarische Bombardierung Dresdens im Februar 1945. Den 50.Jahrestag des
Ereignisses begingen Leute dieses Schlages mit der Parole: »Keine Tränen für die
Krauts« womit die damaligen Bombenopfer gemeint waren.
Den durch Bush sr. vom Zaun gebrochenen, mit
ähnlich verbrecherischen Methoden geführten ersten Irakkrieg im Januar/Februar 1991 nahm die
»antideutsche Linke« zum Anlass, in die Vollen zu gehen, wobei sie an die Seite der USA
überwechselte und sich als Vertreter reaktionärer Ideologie enttarnte. Gleich Hans Magnus
Enzensberger, der den irakischen Staatschef Saddam Hussein zum »Wiedergänger Hitlers«
deklarierte, und dem Grünen Micha Brumlik, der die »Pax americana« als neue Friedensordnung
anpries, erkannte sie den Feind im Irak, bald auch im Islamismus und lenkte vom friedensbrecherischen US-
Imperialismus ab. Dieser hatte über die US-Botschafterin in Bagdad Saddam zur Annexion Kuwaits
animiert. Als der Irak tatsächlich dort einrückte, wurde das zum Motiv für den
»Gegenschlag« der USA. Die »Antideutschen« nutzten einen anderen Umstand zum
Einschwenken ins imperialistische Lager: die schwachsinnige Entscheidung Saddams, Raketen auf das nicht am
Krieg beteiligte Israel abzufeuern und mit einem Giftgasangriff zu drohen, den zu führen der Diktator
technisch außerstande war. In Konkret empfahl hierauf Wolfgang Pohrt einen »atomaren
Gegenangriff« auf den Irak.
Die »Antideutschen«, ihnen folgend
die Grünen, legten den Grund für einen proisraelisch, proamerikanisch und antiislamistisch
firmierenden Bellizismus, der nach dem Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Center am 11.9.2001
tolle Blüten trieb. Bahamas und Jungle World befürworteten und begrüßten nun den
ungerechtfertigten US-Krieg gegen Afghanistan. Sie stellten Friedensbewegung, DKP und Günter Grass,
die den Krieg ablehnten, auf eine Stufe mit der NPD. Tjark Kunstreich denunzierte Gegner des ungleichen
Waffengangs als tatsächliche oder potenzielle Antisemiten. Er wetterte gegen den
»alljährlichen Totentanz an der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin, wo Leute mit
proisraelischen Transparenten beschimpft bzw. von den Veranstaltern ausgeschlossen wurden«.
Der von Bush jr. inszenierte zweite Irakkrieg 2003 führte zu neuen Attacken der
»Antideutschen«, diesmal u.a. gegen den der »Koalition der Willigen« ferngebliebenen
deutschen Kanzler Schröder. Wieder musste die vermeintliche Bedrohung Israels herhalten, um bspw. eine
»antideutsche kommunistische Konferenz gegen die antisemitische Internationale« zu
veranstalten und ernstlich zu behaupten: »Ariel Sharon führt antifaschistischen Kampf als eine
Art israelische Ausgabe des Buenaventura Durruti«, jenes spanischen Anarchisten, der
gleichermaßen Gegner Francos wie des Kapitalismus und Stalins war. »In dieser Perspektive ist
Israel der bewaffnete Versuch der Juden, den Kommunismus noch lebend zu erreichen.« Das ist zu
blöd, um kommentierwürdig zu sein.
In der Einleitung wirft Hanloser die Frage
auf, ob es sich lohne, auf eine Gruppe einst linker Autoren einzugehen, die ihre Herrschafts- und
Kapitalismuskritik aufgegeben habe und nun die bestehenden globalen Verhältnisse verteidige. Sie
stehen nicht allein: »Immerhin stellen die Antideutschen zusammen mit der Regierungslinken von Rot-
Grün die erste Generation nach 1945 dar, die den Krieg wieder unter der politisch korrekten Fahne des
Antifaschismus hoffähig machen wollte Joschka Fischer und Co. 1999 in Jugoslawien, die
Antideutschen 1991 und 2003 in Irak, 2001 in Afghanistan.«
Beiträge weiterer Autoren (Detlef
Hartmann, Gazi Caglar, Moshe Zuckermann) gelten der »modernen« imperialistischen Ideologie, deren
Arsenale bisweilen auch von »Antideutschen« genutzt werden. Andere gelten der neoliberalen
»Renaissance des kämpfenden Egomanen« (Ich-Menschen), der nichts anderes sei als ein
Wiedergänger des Antibürgers bei Nietzsche & Co., und der Marx-Verfälschung durch die
»antideutsche« Avantgarde.
Die Artikel sind von unterschiedlicher
Qualität. Alles in allem aber ist das für wohlfeile 16 Euro zu habende Buch von großem Wert.
Es birgt eine Fülle sonst verstreut verzeichneter Fakten, Vorgänge und Zusammenhänge.
Die Aktualität des Buches wird durch so
manchen Vorfall aus heutiger Zeit unterstrichen. So feuerte bspw. der Vorstand der den Grünen
nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Person des einstigen Ultralinken Ralf Fücks im November
2004 einen ägyptischen Promotionsstipendiaten, obwohl das für diesen die Gefahr der Abschiebung
und politischen Verfolgung heraufbeschwor. Warum? Weil der Stipendiat geäußert hatte, es
müsse auch das Leiden der Palästinenser in Israel bedacht werden. Fücks verdächtigte
ihn deshalb des Antisemitismus.
Manfred Behrend
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