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Le Monde diplomatique, oder intimer »le Diplo«, ist keine
Monatszeitung wie jede andere. Zutreffend bezeichnet sie sich als »von essenzieller Bedeutung für
das intellektuelle Leben und das der Aktivisten in Frankreich«, und nicht zufällig sind ihr die
»Freunde der LMD« assoziiert, die sich wie die Zeitung selbst als Teil bzw. Instrument der
sozialen Bewegungen verstehen.
So ist es kein Zufall, dass die Gründung
von Attac-Frankreich durch einen Artikel des Chefredakteurs Ignacio Ramonet über die Tobin-Steuer
angeregt wurde. Le Monde diplomatique ist ein im besten Sinne engagiertes Projekt, zugleich wohletabliert
in der französischen Medienlandschaft.
In einem für deutsche Leser wohl eher
ungewohnten Maße bringt die Monatszeitung den Spagat fertig, einerseits in die Tiefe gehende Recherche
und Analyse, häufig durch renommierte Fachleute, zu liefern, andererseits eindeutig und prononciert
Stellung zu beziehen. Doch vielleicht ist dies weniger ein Spagat, denn ein in sich folgerichtiges Konzept.
Die präzise und differenzierte
Wahrnehmung und Darstellung gesellschaftlicher Verhältnisse kann wohl nicht »neutral«
ausfallen, wenn mächtig oder ohnmächtig, reich oder arm, beteiligt oder ausgeschlossen etc. die
entscheidenden Merkmale sind und der Anspruch besteht, diese polarisierte Realität zutreffend
darzustellen.
Seit zehn Jahren, das wurde kürzlich
gefeiert, kommen auch deutsche Leserinnen und Leser in den Genuss einer Ausgabe des »Diplo« in
der eigenen Sprache, so wie weltweit rund eine Million Leser in zwanzig verschiedensprachigen Ausgaben. Sie
haben damit die Chance, an einer Art Weltbürgertum mindestens lesend und reflektierend teilzuhaben, zu
dem sie sonst in der medialen Provinz BRD viel weniger Zugang hätten. Grund also zu Freude und
Genugtuung wäre da nicht ein herber Wermutstropfen.
Die mit der Taz verbundene Redaktion des deutschsprachigen »Diplo« glaubt, dem deutschen
Publikum die »französische Rhetorik, Politik, Kultur und Lesegewohnheit« nicht zumuten zu
können, sieht es vielmehr als ihre vornehmste Aufgabe, diese »in die deutsche Kultur, Rhetorik,
Politik und Lesegewohnheit hinüberzutransportieren«.
Das klingt wie die (triviale) Einsicht jedes
professionellen Übersetzers, dass gelegentlich eine wörtliche Übersetzung dem Text weniger
gerecht wird als eine scheinbar freiere; ein gewisses Pathos bspw., das im Französischen, durchaus
alltäglich klingt, kann, wörtlich ins Deutsche übersetzt, hierzulande übertrieben
wirken.
Doch vergleicht man die französische und
die deutsche Ausgabe von Le Monde diplomatique, fällt auf, dass beim »Transport« von der
einen Politik, Kultur etc. in die andere Wesentliches auf der Strecke bleibt, sodass man am Ende manchmal
Probleme hat, den französischen Ursprungstext in seiner Argumentation im deutschsprachigen Pendant
überhaupt wiederzuerkennen.
So erging es Marie-Dominique Vernhes, die das
Blatt meistens im Original liest, gelegentlich aber auch auf Deutsch. Vor rund dreieinhalb Jahren las sie
zufällig einen Artikel in der deutschen Ausgabe, den sie zuvor bereits auf Französisch gelesen
hatte.
Der Text von Marwan Bishara (von der École des
Hautes Études en Sciences Sociales, Paris) setzt sich kurz nach dem 11.September 2001 vor allem analytisch
und kritisch mit der Politik der USA und Israels auseinander, während sich die deutsche Version
reißerisch über »die Terroristen« auslässt:
»Es handelt sich um gesichtslose
Täter ohne festen Wohnsitz, und sie fühlen sich weder an die Normen der UN-Charta gebunden noch
irgendeiner irdischen Autorität rechenschaftspflichtig … Flugzeugentführer, mit Taschen-
und Teppichmessern ausgerüstet und bereit, für ihre Sache zu sterben…«
Dem deutschen Leser ist also offenbar der
sachliche Stil des Bishara-Textes nicht zuzumuten; er bedarf der fürsorglichen
»Übersetzung« in die Rhetorik und Argumentationsstruktur der Bild-Zeitung, seine deutsche
Kultur.
Die deutliche Akzentverschiebung der
Übersetzung kam durch Auslassungen ganzer Absätze und Hinzufügungen anderer (so des oben
zitierten), sowie durch Veränderungen einzelner Sätze zustande. Da etwa ebensoviel
hinzugefügt wie weggelassen wurde, zieht auch das Argument nicht, dass selbstverständlich in
einer anders aufgemachten deutschen Ausgabe gelegentlich ein Originaltext gekürzt werden muss (was
allerdings bei einer seriösen Publikation angegeben wird).
Die inhaltlich signifikante Entstellung in
einem Fall macht misstrauisch, und im Fall des deutschsprachigen »Diplo« bestätigt sich das
Misstrauen, selbst wenn man nur gelegentliche Stichprobenvergleiche anstellt. Bestürzend dabei ist,
dass die Entstellungen Methode haben.
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Veränderungen, die an den Originaltexten vorgenommen
werden, die Tendenz, Kritik an der israelischen und der amerikanischen Politik zu dämpfen, wegzulassen
oder abzubiegen und »den« Terror ganz im Sinne der amerikanischen Propaganda zum
Menschheitsproblem schlechthin zu machen, zum mystischen »Bösen«, das alle Normen aus den
Angeln hebt und alles rechtfertigt.
Von diesen Verfälschungen seiner Aussagen
und Intentionen bleibt auch der Chefredakteur Ignacio Ramonet mit seinen Leitartikeln nicht verschont,
sobald sich die deutschen Vermittler über sie hermachen. Setzt er der Definition einer »Achse des
Bösen« von George W. Bush eine andere »Achse des Bösen«, nämlich die aus WTO,
Weltbank und IWF entgegen, so erfährt dies der deutsche Leser nicht. Und wenn er in einem Artikel
über die verschiedenen Themen des Widerstands, der seiner Ansicht nach heute angesagt ist, die Absage
an jegliche Form des Rassismus des Antisemitismus ebenso wie der Islamophobie hervorhebt, so
fällt auch das wie vieles andere unter den Tisch, was den entsprechenden Debatten in Deutschland
Horizonte öffnen könnte.
Dies sind nur wenige der von Marie-Dominique
Vernhes zusammengetragenen Beispiele für die politisch durchaus brisanten Entstellungen, deren sich
die deutschen Übersetzer von Le Monde diplomatique schuldig machen, Entstellungen, die leider auch
manche Texte im exzellenten »Atlas der Globalisierung« verstümmeln, so wenn die Flucht von
800000 Palästinensern 1948 auf Deutsch schlicht konstatiert wird, während im französischen
Original die Forschungsergebnisse der israelischen »Neuen Historiker« ihren Niederschlag finden:
Diese Flüchtlinge seien »überwiegend Opfer systematischer Vertreibungen« gewesen.
Nachdem Frau Vernhes in einem Interview mit
der Jungen Welt die »Transportverluste«, die auf dem Weg vom Französischen ins Deutsche
unter anderem beim Thema Israel/Palästina gehäuft zu verzeichnen sind, monierte, verstieg sich
die kritisierte Redaktion zur absurden Unterstellung, »als Stein des Anstoßes« tauge
»›Israel‹ offensichtlich in Deutschlands Volksseele nach wie vor zum Aufkochen von
Ressentiments und Lagergefühlen«. Nun ist Frau Vernhes Französin. Auf ihre präzise
belegten Analysen der systematischen Übersetzungsfehler wusste die Redaktion der deutschsprachigen
Ausgabe von Le Monde diplomatique nicht anders als mit diffamierenden Anwürfen einzugehen.
Nach dem 29.Mai reagierte »Deutschland« mangels Informationen weitgehend mit
Unverständnis auf das französische »Non« zur EU-Verfassung. Pauschal hieß es,
»die Franzosen« hätten lediglich »ihre Regierung abstrafen« wollen. Unerwähnt
blieb die monatelange Kampagne der französischen Linken und der sozialen Bewegungen für das Nein
mit Argumenten für Europa, allerdings für ein anders Europa als das in der Verfassung
angestrebte. Die deutsche Redaktion des »Diplo« hat sich entschieden, diese französische
Debatte ihren Lesern vorzuenthalten. Mehrere Analysen von Bernard Cassen zur EU-Verfassung wurden nicht
übersetzt. Weil die uns Europäer betreffende Verfassung ein allzu französisches Thema ist?
Le Monde diplomatique auf Arabisch, auf
Spanisch, auf Englisch… auf Deutsch kann tatsächlich ein exzellentes Medium sein, um der
Globalisierung der medialen Provinz und der globalen Manipulation einen grenzenlosen Austausch kritischer
Gedanken und unverstellter Einblicke in andere Welten entgegenzusetzen vorausgesetzt, die
Transporteure der Gedanken von einer Sprache in die andere enthalten sich ihrerseits der Manipulation.
Sophia Deeg
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