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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2005, Seite 21

Wolfgang Schorlau, Die blaue Liste, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2005, 351 S., 7,90 Euro.

Mord und Todschlag

Geschichten um Verschwörungen funktionieren dann am besten, wenn sie auf einen realen politischen Hintergrund aufbauen und zudem zeitnah zu den Erinnerungen der Leserschaft konstruiert wurden. Dies ist Wolfgang Schorlau mit dem Roman Die blaue Liste vollauf gelungen.
Am 1.April 1991 wurde der Präsident der Treuhandgesellschaft Rohwedder in seinem Düsseldorfer Privathaus von unbekannten Tätern erschossen. Kurze Zeit später stürzt eine Maschine der Lauda Air in Thailand ab, unter den über 200 Toten sind auch wissenschaftliche Berater der Treuhand. Zwei Jahre danach wird auf dem Bahnhof in Bad Kleinen das RAF-Mitglied Grams erschossen.
Aus diesen drei Ereignissen konstruiert Schorlau eine atemberaubende Geschichte als »Kampf zweier Linien« um die Abwicklung der DDR- Betriebe. Ein wenig konstruiert wirkt die Auftragsvergabe an den ehemaligen BKA-Zielfahnder Georg Dengler schon, der sich nach seinem Ausstieg aus dem Polizeiapparat in Stuttgart als Privatdetektiv niederlässt und am Tag, nachdem seine Dienstleistungsanzeige in den Stuttgarter Nachrichten veröffentlicht wurde, den Auftrag erhält, der die Ereignisse ins Rollen bringt: Der Freund von Christiane Stein ist besorgt. Sie ist die Tochter eines der Opfer des Flugzeugabsturzes. Ihr Vater hatte sie 1991 von Bangkok aus angerufen und ihr mitgeteilt, er hätte die Maschine verpasst. Deshalb sei sie nach all den Jahren immer noch im Ungewissen, ob ihr Vater noch lebt. Dengler recherchiert und greift dabei auf die alten Kontakte zum BKA zurück. Langsam kommt er dahinter, dass Rohwedder, der den Stahlkonzern Hoesch ohne Massenentlassungen saniert hatte, versuchte, diese Linie auch bei der Treuhand durchzusetzen und sich Professoren der Universität Innsbruck als Berater an seine Seite zu holen. Diese katholisch geprägten Anhänger des Herz-Jesu-Marxismus begleiteten wissenschaftlich das seit 1945 bestehende Selbstverwaltungsprojekt beim Industriebetrieb Matrei in Österreich und hatten vor, dieses Modell auf ausgesuchte ehemals staatseigene Betriebe der DDR auszudehnen. Sie sollten eine exemplarische Alternative zu der Ausverkaufspolitik der VEBs darstellen. Und sie hatten Gegner in der Treuhand, die dies mit allen Mitteln zu verhindern suchten. Die RAF der 3.Generation ist in diesem Spiel eine tölpelhafte Gurkentruppe, die nicht einmal in der Lage ist, ein halbwegs ordentliches Bekennerschreiben zu formulieren.
Wer die Krimis von Manuel Vázquez Montalbán gelesen hat, dem werden einige Parallelen in der Gestalt des Georg Dengler und seinem privaten Umfeld auffallen. Das lässt sich aber ertragen. Warum aber heutzutage Privatdetektive auch gleichzeitig Musikspezialisten sein müssen — hier ist es Blues — entzieht sich dem Besprecher.

Udo Bonn

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