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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2005, Seite 22

Ry Cooder, Nonesuch Records

Chavez Ravine

Ein Alien in einem UFO kreuzt über dem Nachthimmel von Los Angeles auf der Suche nach Action. Es spricht »Calo«, ein aus dem alten Spanisch der Outlaws und Rebellen abgeleiteter Slang: »¿Caramba, cuates, donde está la fiesta?« (»He, Leute, wo steigt die Party?«) Da unten rocken Legenden der Chicano-Musik — Little Willie G (Thee Midniters), Lalo Guerrero, David Hidalgo (Los Lobos) und Flaco Jimenez — in einem als Chavez Ravine bekannten Viertel.
Der space vato überbringt eine Warnung: »Eure Zeit ist vorbei. Die gabachos (anglos [Angloamerikaner]) werden hier ein großes Stadion bauen. Kommt in meine fliegende Untertasse. Und lasst uns schnell wegfliegen, denn unsere community ist von den anglos gestohlen worden.« Aber die »Jungs von La Loma und die Mädchen von Palo Verde«, die coolen Katzen, Boxer und ruhigen Träumer weigern sich zu gehen. Schließlich werden die letzten Familien von der Polizei aus ihren Häusern getragen.
Ry Cooders wunderbare neue Straßenoper, eine radikale Liebeserklärung mit einer außerordentlichen Besetzung aus Aktivisten und Musikern ist in einer Los-Angeles-Traumwelt angesiedelt, die Vergangenheit und Zukunft zugleich ist.
Das Album Chavez Ravine beinhaltet an erster Stelle die Reminiszenz an die Kommunistenhatz der 50er Jahre und das Ende von Los Angeles‘ aus der Zeit des New Deal herrührenden öffentlichen Wohnungsprogrammen. Es erzählt die bittere Geschichte, wie ein vibrierendes Chicanoviertel der Elysian Hills nördlich von Downtown plattgewalzt wurde, um dem Dodger-Stadion (jetzt im Besitz von Rupert Murdoch) Platz zu machen.
Die Zerstörung dieses »Shangri-La der Armen« — herbeigeführt durch die Zusammenarbeit korrupter Politiker, notorischer antikommunistischer Hetzer und der mächtigsten Konzerninteressen der Stadt — wird zu einer beeindruckenden Metapher für eine umfassendere Geschichte von Enteignung.
Cooder prangert die Entsorgung der Geschichte der Arbeiterklasse von Los Angeles an, besonders die der Chicano-Eastside, wo Zehntausende durch Stadien, Autobahnen und Gefängnisse entwurzelt wurden. Doch diese traurige Geschichte ist nur eine Seite dieses außergewöhnlichen Albums, das auch in eine utopische Zukunft weist, in der ganz Los Angeles zu einem egalitären Viertel wie Chavez Ravine geworden ist.
Und Cooder bietet, wie immer, die besten Leute auf. Wo sonst kann man den etwa 90-jährigen Frank Wilkinson treffen, den 1953 gesäuberten linken Leiter des Wohnungsamts von Los Angeles, wie er über den Gräbern seiner Inquisitoren lacht? Oder den großen Lalo Guerrero — der König des corrido —, der hier mit seiner letzten Aufnahme (er starb kurz vor Erscheinen des Albums) an Los Chucos Suaves der 40er Jahre erinnert?

Mike Davis

Aus: Socialist Worker (London), Nr.1959, 9.7.2005 (Übersetzung: Hans-Günter Mull).




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