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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 4

Kolumne von Jakob Moneta

Die Kreativität der Langsamkeit

Können wir wirklich glauben, dass auf Dauer die Menschen im Wahlkampf danach entscheiden werden, ob die Renten im Osten um 16 Euro erhöht werden sollen oder wie hoch der von der Linken versprochene Mindestlohn sein soll? Hat nicht Willy Brandt Recht gehabt, als er kritisierte, dass nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Modelle sich die Sozialdemokratie mehr oder weniger dem neoliberalen Modell angepasst hat, ohne nach einem anderen Gesellschaftsmodell zu fragen?
Tatsache ist, dass die meisten von Stalin ermordeten Führer der Opposition auf der Suche nach dem Modell einer sozialistischen Demokratie waren, übrigens angefangen mit Lenin in Staat und Revolution.
Nun gibt es aber auch heute Forschende wie Fritz Reheis, der in seinem Buch Die Kreativität der Langsamkeit — Neuer Wohlstand durch Entschleunigung nicht zufällig auf Ernest Mandel stößt, über den er schreibt: »In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Idee einer konsequenten Planwirtschaft z.B. von dem belgischen Wirtschaftstheoretiker und Trotzkisten Ernest Mandel propagiert.« Was heißt eigentlich Planwirtschaft, fragt er. Entscheidend sei nicht, dass in vielen Bereichen geplant wird, sondern vielmehr, wer plant und zu welchem Zweck geplant wird.
In der demokraischen Planwirtschaft könne es weder eine automatische Selbstausbeutung des Individuums noch eine immanente Tendenz zur Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer und erst recht keinen Wachstumsautomatismus geben. Wie schnell Arbeiter arbeiten, wem die Erträge zukommen und wieviel Natur verbraucht wird, werde politisch festgelegt, ohne dass die Festlegenden dabei durch Konkurrenzzwänge bedroht wären. Die Abwesenheit von Konkurrenz ermöglicht, das Arbeitstempo zu verlangsamen, den Konsum zu verbilligen und Werbung durch medizinische, soziale und ökologische Informationen zu ersetzen, was ein verantwortungsbewussteres Konsumverhalten fördert.
»Die Erfahrungen des Stalinismus zeigen, wie entscheidend die umfassende Mitwirkung aller Betroffenen ist«, schreibt Fritz Reheis, »wenn eine Planwirtschaft dem Gebot der Selbstbestimmung der Menschen gerecht werden soll«. Und er zitiert den kritischen Marxisten Karl Korsch: Dieser habe bereits 1919 mit dem Blick auf die sich in der Sowjetunion anbahnende Diktatur darauf hingewiesen, dass das Funktionieren des Rätesystems nicht von der Umgestaltung der Eigentumsordnung allein abhängt. Das System steht und fällt Korsch zufolge mit der Frage, inwieweit die staatliche Planung von oben durch eine Arbeitnehmerkontrolle von unten ergänzt wird.
Wäre es im Wahlkampf nicht angebracht zu erklären, dass eine auf Konkurrenz beruhende neoliberale Privatwirtschaft die sozialen Probleme nicht lösen kann? Die Programme der Linken können und sollten daher nur Übergangsforderungen zu einer sozialistischen Demokratie darstellen.

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