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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 4

Linkspartei:

Systemkritik

Wenn man mit den Gesamtumständen unzufrieden ist, gibt es wirkungsvolle und wirkungslose Methoden, sich über sie zu erheben. Manchmal kommt dabei sogar Kritik heraus, manchmal aber auch nur das Polizeiauto. So hat jüngst in den USA ein 17-jähriger Schüler den letzten Schultag damit aufgewertet, dass er die Rückgabe seines Schulbuches nutzte, um volle Kanne auf seinen Spanischlehrer zu kotzen. Dummerweise war sein Wunschpublikum gar nicht anwesend, sodass er einer Mitschülerin nur erzählen konnte: »Du hast es verpasst, ich habe es getan.« Stattdessen wurde er jetzt von einem Gericht in bester US-amerikanisch-klerikaler Sitte dazu verurteilt, vier Monate lang das Erbrochene in Polizeiautos aufzuwischen.
Nur wenig besser kommt der dienstälteste sozialdemokratische Regierungschef Europas, Anthony Blair, weg. Wer kennt nicht noch den von Ernst Busch einst auf die Sozialdemokratie gesungenen bösen Spott: »Wir schlagen Schaum, wir seifen ein, wir waschen unsere Hände wieder rein…« Der Anlass waren Seifenstückchen, die von der SPD auf ihrem Parteitag verschenkt wurden. Nun ist gerade offiziell vom Amtssitz des britischen Premierministers mitgeteilt worden, dass der schöne Tony sein Strahlemann-Image regelmäßig nachpolieren muss. Damit er trotz Golfkriegsverbrechen, Lügengeschichten, Polizeimorden, Sozialabbau und dem daraus folgenden Absturz in der Wählergunst nicht allzu blass aussieht, hat Blair in seiner letzten Amtszeit 1050,22 Pfund (1520 Euro) für Kosmetika und professionelles Make-up ausgegeben und dienstlich abgerechnet. Das ist doppelt so viel wie die britische Durchschnittsfrau für Schönheitspflege ausgibt. Früher haben wir in unseren Marxismusschulungen immer gern ein Zahlenbild eingebracht, dass die jährlich 20 Millionen Kinder, die an Hunger und vom Hunger verursachten Krankheiten sterben, gerettet werden könnten, wenn nur so viel Geld für ihre Hilfe investiert wird, wie alljährlich von Großbritanniens Frauen für Kosmetik ausgegeben wird. Jetzt könnten wir das sogar mit einer präzisen Kritik an der Sozialdemokratie Tony Blairs verbinden.
Dass Kritik nicht immer besonders präzise ist, hat aktuell jemand bewiesen, an deren Existenz wir schon zu zweifeln begannen: Jutta Ditfurth und ihre Ökologische Linke. Sie verbreiten ein vierseitiges Pamphlet unter dem Titel »Die Linkspartei: Alles für Kapital und Vaterland, für Linke nur Lug und Betrug«. Dessen Fazit kommt gleich auf der ersten Seite: »Wer Linkspartei wählt, akzeptiert den Kapitalismus als unveränderliches Schicksal, wählt Ausbeutung, Sozialterror, Rassismus, Militarismus und imperialistischen Krieg…« Wir wollen jetzt nicht die Frage stellen, was akzeptiert, wer nicht Linkspartei wählt, aber die affirmative Konsequenz einer sich auf Ideologiekritik beschränkenden Polemik fällt irgendwie schwer ins Auge. Nach der Anfangs-, die gleich Schlussfolgerung ist, folgen ganze dreieinhalb Seiten voller uralter Zitate, besser Halb- und Viertelzitate, von Lafontaine und Gysi und deren ideologiekritischer Abschlachtung. Dafür werden dann symbolisch alle Mitglieder und potenziellen Wähler der Linkspartei in Sippenhaftung genommen. Zum Schluss werden Zitatfetzen aus neuen Texten der Linkspartei in einen Brei verrührt, die in einer Weise verfälscht und verfälschend sind, dass sich das Vorstandsmitglied der Journalistengewerkschaft Ditfurth ernsthaft fragen sollte, wie es um ihren Berufsethos der Wahrheitsliebe bestellt ist.
All das ist umso bedauerlicher, als die Linkspartei sehr viele äußerst kritikwürdige Positionen hat. Wir könnten — und haben ja auch schon — weit mehr als vier Seiten mit tief gehender Kritik an Politik, Programm und Personal der Linkspartei und der WASG füllen. Einem gesellschaftlichen Prozess wie der Entwicklung einer neuen Linkspartei, der mittlerweile Millionen von Menschen erfasst, der gravierende Änderungen an dem politischen Koordinatensystem des Nachkriegsdeutschland ermöglichen kann, würde das sehr gut tun. Den und der Kritik Übenden selbstredend auch. Angesichts des Papier gewordenen Beweises der Armseligkeit der auf Ideologiekritik beschränkten Auseinandersetzung mit der Linkspartei, den uns die Ökologische Linke hier vorlegt, bleibt uns nur die Flucht auf den Baum: liebe Ökologen, liebe Linke: schont die Wälder, bevor ihr für so einen Quark Papier verschwendet.
Thies Gleiss
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