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Die vielfältig zersplitterte deutsche Linke befindet sich einmal mehr im
Umbruch. Was können wir dabei von jenen lernen, die linke Politik bereits seit Jahrzehnten machen? Der
im Odenwald lebende und jüngst 70 Jahre alt gewordene Klaus Vack gehört zu den Urgesteinen der
(west-)deutschen Linken. Aus Anlass seines runden Geburtstags und im Angesicht der Herausforderungen, vor
denen die deutsche Linke steht, sprach mit ihm Arno Klönne für die SoZ.
Dein politischer Weg, Klaus, lässt sich in aller Kürze so beschreiben:
Natufreundejugend, Verband der Kriegsdienstverweigerer, Ostermarschbewegung, Komitee »Notstand der
Demokratie«, Sozialistisches Büro und Zeitung Links, Komitee für Grundrechte und Demokratie.
Liegen für dich darin Brüche und Umorientierungen oder hängt das alles miteinander
zusammen?
Zurückblickend habe ich den Eindruck, dass mein politisches Denken und Handeln einem roten
Faden folgt. Pazifismus, Menschenrechte und sozialistische Demokratie, das eine ist ohne das andere nicht
möglich. Als Kriegskind (1945 war ich zehn Jahre alt) habe ich mich in den ersten Nachkriegsjahren und
dann als Jugendlicher mehr und mehr dem »Nie wieder Krieg!« verpflichtet gesehen. Daher kam mein
antimilitaristisches und letztlich pazifistisches Engagement in den 60er Jahren vor allem in der
Antiatombewegung und mit den Ostermärschen. Die friedenspolitische Strömung in der westdeutschen
Nachkriegsgesellschaft wurde durch unsere Aktionen nachhaltig beeinflusst.
Bei den Offenbacher Naturfreunden begegnete
ich beeindruckenden Leuten aus der traditionellen Arbeiterbewegung, von denen nicht wenige während der
Nazidiktatur verfolgt worden waren, darunter auch ehemaligen KZ-Häftlingen, die viele Jahre Buchenwald
hinter sich hatten. Dass ich etwas über antifaschistischen Widerstand erfuhr, fügte meiner
Kriegsgegnerschaft die Einsicht in die gesellschaftlichen Voraussetzungen von Frieden hinzu. Es war
folgerichtig, dass auch für mich der Kampf gegen die Notstandsgesetze, die von der damaligen
Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD (196669) vorangetrieben wurden, in den Vordergrund
außerparlamentarischer Opposition trat. Bereits bei den Ostermärschen der Atomwaffengegner hatten
wir die Zusammenhänge erkannt und machten diese deutlich, etwa mit dem Plakat-Slogan »Unser Nein
zur Bombe ist ein Ja zur Demokratie«.
Zugleich erschloss sich uns jungen Leuten der
Kriegskinder- und ersten Nachkriegsjugendgeneration beim Fragen nach den gesellschaftlichen Bedingungen,
unter denen es zur Nazidiktatur kommen konnte und auch danach, warum aus dieser Geschichte nur wenig
gelernt worden war, die Suche nach einer konkreten sozialistischen Utopie. Das Sozialistische Büro,
das ich 1970 mitgegründet habe und dessen Sekretär ich ein Jahrzehnt lang war, gab mit seinem
basispolitischen Politikverständnis eine sozialistische Orientierung jenseits von Dogmatismus,
Gewaltfantasien und bürokratischer Vereinnahmung.
In der Zeit der Regierungen unter Willy Brandt
und danach unter Helmut Schmidt wurde mir und vielen Genossinnen und Genossen bewusst, dass mit der SPD
kaum noch ein sozialistischer Blumentopf zu gewinnen war. Schlimmer, mit Radikalenerlass und
Berufsverboten, den sogenannten Sicherheitsgesetzen und Überwachungspraktiken gegenüber
Bürgerinnen und Bürgern wurde eine Demontage des Grundgesetzes (von 1949) in Gang gesetzt, den
die spätere Regierung Kohl übergangslos fortführen konnte. Dem Komitee für Grundrechte
und Demokratie, an dem ich seit 1980 beteiligt war, ging und geht es vor allem darum, die Verteidigung der
Menschenrechte selbst in die Hand zu nehmen und dem Entstehen sowie dem Betonieren neuer
obrigkeitsstaatlicher Strukturen entgegenzutreten, und zwar basispolitisch, von links unten. Bereits 1974
bin ich nach 15-jähriger Mitgliedschaft aus der SPD ausgetreten und bin danach auch keine andere
Parteimitgliedschaft mehr eingegangen.
Wenn du auf deine Erfahrungen zurückblickst wie beurteilst du die Erfolge der
politischen Initiativen und Bewegungen, bei denen du mitgearbeitet hast und wo siehst du
Unzulänglichkeiten oder Fehlorientierungen?
Der eigentliche historische Fehlweg ist meines Erachtens die Bahn, auf die uns die etablierte
Politik seit Gründung der BRD zwingen will: gesellschaftliche Entscheidungen von oben nach unten; die
daraus resultierende Lernunfähigkeit; das Misstrauen gegen die Bürgerinnen und Bürger; der
für alle Fälle wenn das Volk, der große Lümmel mal aufmucken könnte
bereit gehaltene Gewaltknüppel; ein unablässiger Appell an den inneren Schweinehund, gehe es um
Ausländer und Asylsuchende, um Kranke und Arbeitslose oder um Entgleiste und straffällig
Gewordene. Dieser Fehlweg, auf dem die politische Klasse dahertaumelt, zeitigt fortwährend brutale
Folgen für die gesamte Gesellschaft.
Gewiss ist auch oppositionelles, zumeist
außerparlamentarisches politisches Handeln nicht gefeit gegen Unzulänglichkeiten, nicht
geschützt vor Fehlwegen. Beispiele sind die RAF oder die K-Gruppen in den 70er Jahren. Im Großen
und Ganzen aber entfalten und befördern Protestbewegungen sowie die sie tragenden Gruppen und
Initiativen mit ihren eigenständigen Aktionsformen von Demonstration und gewaltfreiem Widerstand
soziale und demokratisierende Lernprozesse, die weit über die Aktiven hinaus aufklärend,
politisierend und im guten Sinne gewaltvermeidend wirken.
Für mich selbst kann ich sagen, dass ich
mir durchaus politischer (und gewiss anderweitiger) Unzulänglichkeiten bewusst bin. Auch
Fehleinschätzungen sind nicht immer zu vermeiden. Dann sollte man versuchen, dies zu erkennen,
darüber offen zu diskutieren und aus erkannten Fehlern zu lernen. Deshalb brauchen wir in der
demokratischen und sozialen Opposition eine freie Debatte ohne Mundverbote. Allerdings: weniger in
Fehlern und Unzulänglichkeiten sozialer und friedenspolitischer Bewegungen sehe ich ihr gravierendes
Problem, sondern in oft zu hohen Erfolgserwartungen einerseits und in der Unterschätzung der eigenen
Erfolge andererseits.
Meiner eigenen Erfahrung nach gab es bei den politischen Aktivitäten, an denen du beteiligt
warst, kaum irgendwo die sonst vielfach üblichen persönlichen Verletzungen,
»Hahnenkämpfe« und inneren Fraktionierungen. Auch bei politischen Differenzen ging es fair
zu. Hast du eine Erklärung dafür?
Von Mahatma Gandhi stammt der Satz: »Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der
Weg«. Darin kommt die strikte Ziel-Mittel-Übereinstimmung für politisches Handeln auf den
Punkt. Die Herrschaftspolitik missachtet bei ihrem Konfliktaustrag diese Prämisse, so dass
fortwährend neue Feindbilder produziert werden mit der Folge von Repression nach innen und
kriegerischen Zugriffen nach außen.
Deshalb gilt es, auch in den Methoden, dem
herrschenden Politikbegriff zu widerstehen. Es kommt also darauf an (vor allem, wenn wir langfristig Erfolg
haben wollen), politische Differenzen auszudiskutieren und einen tragfähigen Konsens zu finden
für das, was wir gemeinsam tun können. Weil wir der herrschaftlich betriebenen
Entsolidarisierung, der damit einher gehenden Desorientierung menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit, vor
allem dem kriegsdrohenden Militarismus, der Ressourcenverschleuderung sowie der Zerstörung von
natürlichen Lebensgrundlagen immer erneut mit unseren kleinen Gruppen und Initiativen entgegenzutreten
haben, gilt es, unsere schwachen Kräfte nicht im Streit über »alleinseligmachende«
Glaubenssätze zu verschleißen.
Ein Leitmotiv bei dir war: »Ziviler Ungehorsam«. Lässt sich begründen,
weshalb dir diese Form politischer Intervention so wichtig war und ist?
Gewaltfreier ziviler Widerstand geht in Deutschland zurück bis in die ersten sozialen
Konflikte, die von der Arbeiterbewegung z.B. mit Streiks ausgetragen wurden. Neue Aktionsformen des zivilen
Ungehorsams haben sich vor allem in den 70er und 80er Jahren bei Anti-AKW-Aktionen und in der
Friedensbewegung herausgebildet. In der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen wurden die Sitzblockaden
vor militärischen Einrichtungen oder gegen gefährliche Großprojekte, wie z.B. bei der
geplanten atomaren Wiederaufbereitungsanlage (WAA) im bayrischen Wackersdorf, deren Bau so gestoppt werden
konnte. Das Aktionsspektrum des zivilen Ungehorsams geht weit über Sitzblockaden hinaus und
enthält vielfältige Möglichkeiten wie Besetzungen, Verweigerungen, Nichtkooperation,
Boykott, Verstecken von Asylsuchenden u.a.
Ziviler Ungehorsam zeichnet sich dadurch aus,
dass er bewusst bestehende Konventionen durchbricht, um auf die Verletzung eines höherrangigen Gutes
(Leben, Würde, Unversehrtheit, Frieden…) aufmerksam zu machen. Bestehende straf- und
ordnungsrechtliche Regelungen werden willentlich übertreten und eine evtl. Strafverfolgung wird in
Kauf genommen.
Ziviler Ungehorsam geschieht in der Regel
gesellig. Mehrere Menschen, eine Gruppe, ein Netz von Gruppen tun sich zusammen, vereinbaren Aktionen und
unterstützen sich wechselseitig. Dabei muss jeder einzelne die gemeinsame Aktion selbstverantworten
können. Es gibt keine delegierte Verantwortlichkeit. Insofern ist der zivile Ungehorsam auch in der
eigenen Form fundamental demokratisch.
Um am zivilen Ungehorsam teilzunehmen, muss
man kein »Berufsdemonstrant« sein. Wer sich an solchen gewaltfreien Aktionen beteiligt, geht also
weiter seinem Beruf nach wie andere auch, verhält sich in vielen Dingen des Lebens wie seine
Mitbürger, nimmt an sonstigen politischen Demonstrationen teil, geht ins Kino, ins Theater, zu einer
Sportveranstaltung, oder in den Biergarten wie andere Menschen auch.
Für mich war und ist es immer wichtig,
mein politisches Tun den Nachbarn von nebenan nachvollziehbar zu machen und möglichst auch
Verständnis oder Zustimmung zu erzielen. Das ist mir auch oft gelungen, etwa mit zivilem Ungehorsam
gegen den Lärmterror militärischer Tiefflugübungen durch Auflassen großer
Protestballons, die die Manöver störten. Oder einer Bannkreisverletzung bei der demonstrativen
Übergabe einer Petition an den Deutschen Bundestag, die von etwa 80000 Unterschriften aus dem
Odenwaldkreis getragen wurde.
»Kritische Solidarität« als Stichwort was könnte deiner Meinung nach
in der aktuelle kriegsgegnerischen und antikapitalistischen Bewegung anders und besser laufen?
Ich bin in diesem Jahr siebzig geworden und habe einige gesundheitliche Probleme, die meine
Aktivitäten und die Möglichkeiten, an Aktionen mitzuwirken, ziemlich einschränken. Auch
deshalb will ich nicht herumkritisieren oder besserwisserische Vorschläge machen.
Mir hat es, wenn ich gelegentlich am Sinn
meiner politischen Ideen und am Erfolg meines Tuns zweifelte, geholfen, dass ich in jungen Jahren von den
mutigen und ausdauernden Veteranen der Arbeiterbewegung, die ich selbst noch kennenlernen konnte, die
Tugend des langen politischen Atems übernehmen konnte. Das hat mich immer wieder bestärkt, nicht
aufzugeben und weiterzumachen.
Oft ist es unser zu enger Begriff von Erfolg
und ist es der kurze Atem, die unser politisches Engagement und damit die eigene gute Sache verunsichern.
In gewissem Sinne bin ich Traditionalist. Für mich heißt Tradition nicht Asche aufzuheben,
sondern die Flamme am Brennen zu halten.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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