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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 5

Klaus Vack über den langen politischen Atem und die deutsche Linke gestern und heute

›Die Flamme am Brennen halten‹

Die vielfältig zersplitterte deutsche Linke befindet sich einmal mehr im Umbruch. Was können wir dabei von jenen lernen, die linke Politik bereits seit Jahrzehnten machen? Der im Odenwald lebende und jüngst 70 Jahre alt gewordene Klaus Vack gehört zu den Urgesteinen der (west-)deutschen Linken. Aus Anlass seines runden Geburtstags und im Angesicht der Herausforderungen, vor denen die deutsche Linke steht, sprach mit ihm Arno Klönne für die SoZ.

Dein politischer Weg, Klaus, lässt sich in aller Kürze so beschreiben: Natufreundejugend, Verband der Kriegsdienstverweigerer, Ostermarschbewegung, Komitee »Notstand der Demokratie«, Sozialistisches Büro und Zeitung Links, Komitee für Grundrechte und Demokratie. Liegen für dich darin Brüche und Umorientierungen — oder hängt das alles miteinander zusammen?

Zurückblickend habe ich den Eindruck, dass mein politisches Denken und Handeln einem roten Faden folgt. Pazifismus, Menschenrechte und sozialistische Demokratie, das eine ist ohne das andere nicht möglich. Als Kriegskind (1945 war ich zehn Jahre alt) habe ich mich in den ersten Nachkriegsjahren und dann als Jugendlicher mehr und mehr dem »Nie wieder Krieg!« verpflichtet gesehen. Daher kam mein antimilitaristisches und letztlich pazifistisches Engagement in den 60er Jahren vor allem in der Antiatombewegung und mit den Ostermärschen. Die friedenspolitische Strömung in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft wurde durch unsere Aktionen nachhaltig beeinflusst.
Bei den Offenbacher Naturfreunden begegnete ich beeindruckenden Leuten aus der traditionellen Arbeiterbewegung, von denen nicht wenige während der Nazidiktatur verfolgt worden waren, darunter auch ehemaligen KZ-Häftlingen, die viele Jahre Buchenwald hinter sich hatten. Dass ich etwas über antifaschistischen Widerstand erfuhr, fügte meiner Kriegsgegnerschaft die Einsicht in die gesellschaftlichen Voraussetzungen von Frieden hinzu. Es war folgerichtig, dass auch für mich der Kampf gegen die Notstandsgesetze, die von der damaligen Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD (1966—69) vorangetrieben wurden, in den Vordergrund außerparlamentarischer Opposition trat. Bereits bei den Ostermärschen der Atomwaffengegner hatten wir die Zusammenhänge erkannt und machten diese deutlich, etwa mit dem Plakat-Slogan »Unser Nein zur Bombe ist ein Ja zur Demokratie«.
Zugleich erschloss sich uns jungen Leuten der Kriegskinder- und ersten Nachkriegsjugendgeneration beim Fragen nach den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen es zur Nazidiktatur kommen konnte und auch danach, warum aus dieser Geschichte nur wenig gelernt worden war, die Suche nach einer konkreten sozialistischen Utopie. Das Sozialistische Büro, das ich 1970 mitgegründet habe und dessen Sekretär ich ein Jahrzehnt lang war, gab mit seinem basispolitischen Politikverständnis eine sozialistische Orientierung jenseits von Dogmatismus, Gewaltfantasien und bürokratischer Vereinnahmung.
In der Zeit der Regierungen unter Willy Brandt und danach unter Helmut Schmidt wurde mir und vielen Genossinnen und Genossen bewusst, dass mit der SPD kaum noch ein sozialistischer Blumentopf zu gewinnen war. Schlimmer, mit Radikalenerlass und Berufsverboten, den sogenannten Sicherheitsgesetzen und Überwachungspraktiken gegenüber Bürgerinnen und Bürgern wurde eine Demontage des Grundgesetzes (von 1949) in Gang gesetzt, den die spätere Regierung Kohl übergangslos fortführen konnte. Dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, an dem ich seit 1980 beteiligt war, ging und geht es vor allem darum, die Verteidigung der Menschenrechte selbst in die Hand zu nehmen und dem Entstehen sowie dem Betonieren neuer obrigkeitsstaatlicher Strukturen entgegenzutreten, und zwar basispolitisch, von links unten. Bereits 1974 bin ich nach 15-jähriger Mitgliedschaft aus der SPD ausgetreten und bin danach auch keine andere Parteimitgliedschaft mehr eingegangen.

Wenn du auf deine Erfahrungen zurückblickst — wie beurteilst du die Erfolge der politischen Initiativen und Bewegungen, bei denen du mitgearbeitet hast und wo siehst du Unzulänglichkeiten oder Fehlorientierungen?

Der eigentliche historische Fehlweg ist meines Erachtens die Bahn, auf die uns die etablierte Politik seit Gründung der BRD zwingen will: gesellschaftliche Entscheidungen von oben nach unten; die daraus resultierende Lernunfähigkeit; das Misstrauen gegen die Bürgerinnen und Bürger; der für alle Fälle — wenn das Volk, der große Lümmel mal aufmucken könnte — bereit gehaltene Gewaltknüppel; ein unablässiger Appell an den inneren Schweinehund, gehe es um Ausländer und Asylsuchende, um Kranke und Arbeitslose oder um Entgleiste und straffällig Gewordene. Dieser Fehlweg, auf dem die politische Klasse dahertaumelt, zeitigt fortwährend brutale Folgen für die gesamte Gesellschaft.
Gewiss ist auch oppositionelles, zumeist außerparlamentarisches politisches Handeln nicht gefeit gegen Unzulänglichkeiten, nicht geschützt vor Fehlwegen. Beispiele sind die RAF oder die K-Gruppen in den 70er Jahren. Im Großen und Ganzen aber entfalten und befördern Protestbewegungen sowie die sie tragenden Gruppen und Initiativen mit ihren eigenständigen Aktionsformen von Demonstration und gewaltfreiem Widerstand soziale und demokratisierende Lernprozesse, die weit über die Aktiven hinaus aufklärend, politisierend und im guten Sinne gewaltvermeidend wirken.
Für mich selbst kann ich sagen, dass ich mir durchaus politischer (und gewiss anderweitiger) Unzulänglichkeiten bewusst bin. Auch Fehleinschätzungen sind nicht immer zu vermeiden. Dann sollte man versuchen, dies zu erkennen, darüber offen zu diskutieren und aus erkannten Fehlern zu lernen. Deshalb brauchen wir in der demokratischen und sozialen Opposition eine freie Debatte — ohne Mundverbote. Allerdings: weniger in Fehlern und Unzulänglichkeiten sozialer und friedenspolitischer Bewegungen sehe ich ihr gravierendes Problem, sondern in oft zu hohen Erfolgserwartungen einerseits und in der Unterschätzung der eigenen Erfolge andererseits.

Meiner eigenen Erfahrung nach gab es bei den politischen Aktivitäten, an denen du beteiligt warst, kaum irgendwo die sonst vielfach üblichen persönlichen Verletzungen, »Hahnenkämpfe« und inneren Fraktionierungen. Auch bei politischen Differenzen ging es fair zu. Hast du eine Erklärung dafür?

Von Mahatma Gandhi stammt der Satz: »Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg«. Darin kommt die strikte Ziel-Mittel-Übereinstimmung für politisches Handeln auf den Punkt. Die Herrschaftspolitik missachtet bei ihrem Konfliktaustrag diese Prämisse, so dass fortwährend neue Feindbilder produziert werden mit der Folge von Repression nach innen und kriegerischen Zugriffen nach außen.
Deshalb gilt es, auch in den Methoden, dem herrschenden Politikbegriff zu widerstehen. Es kommt also darauf an (vor allem, wenn wir langfristig Erfolg haben wollen), politische Differenzen auszudiskutieren und einen tragfähigen Konsens zu finden für das, was wir gemeinsam tun können. Weil wir der herrschaftlich betriebenen Entsolidarisierung, der damit einher gehenden Desorientierung menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit, vor allem dem kriegsdrohenden Militarismus, der Ressourcenverschleuderung sowie der Zerstörung von natürlichen Lebensgrundlagen immer erneut mit unseren kleinen Gruppen und Initiativen entgegenzutreten haben, gilt es, unsere schwachen Kräfte nicht im Streit über »alleinseligmachende« Glaubenssätze zu verschleißen.

Ein Leitmotiv bei dir war: »Ziviler Ungehorsam«. Lässt sich begründen, weshalb dir diese Form politischer Intervention so wichtig war und ist?

Gewaltfreier ziviler Widerstand geht in Deutschland zurück bis in die ersten sozialen Konflikte, die von der Arbeiterbewegung z.B. mit Streiks ausgetragen wurden. Neue Aktionsformen des zivilen Ungehorsams haben sich vor allem in den 70er und 80er Jahren bei Anti-AKW-Aktionen und in der Friedensbewegung herausgebildet. In der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen wurden die Sitzblockaden vor militärischen Einrichtungen oder gegen gefährliche Großprojekte, wie z.B. bei der geplanten atomaren Wiederaufbereitungsanlage (WAA) im bayrischen Wackersdorf, deren Bau so gestoppt werden konnte. Das Aktionsspektrum des zivilen Ungehorsams geht weit über Sitzblockaden hinaus und enthält vielfältige Möglichkeiten wie Besetzungen, Verweigerungen, Nichtkooperation, Boykott, Verstecken von Asylsuchenden u.a.
Ziviler Ungehorsam zeichnet sich dadurch aus, dass er bewusst bestehende Konventionen durchbricht, um auf die Verletzung eines höherrangigen Gutes (Leben, Würde, Unversehrtheit, Frieden…) aufmerksam zu machen. Bestehende straf- und ordnungsrechtliche Regelungen werden willentlich übertreten und eine evtl. Strafverfolgung wird in Kauf genommen.
Ziviler Ungehorsam geschieht in der Regel gesellig. Mehrere Menschen, eine Gruppe, ein Netz von Gruppen tun sich zusammen, vereinbaren Aktionen und unterstützen sich wechselseitig. Dabei muss jeder einzelne die gemeinsame Aktion selbstverantworten können. Es gibt keine delegierte Verantwortlichkeit. Insofern ist der zivile Ungehorsam auch in der eigenen Form fundamental demokratisch.
Um am zivilen Ungehorsam teilzunehmen, muss man kein »Berufsdemonstrant« sein. Wer sich an solchen gewaltfreien Aktionen beteiligt, geht also weiter seinem Beruf nach wie andere auch, verhält sich in vielen Dingen des Lebens wie seine Mitbürger, nimmt an sonstigen politischen Demonstrationen teil, geht ins Kino, ins Theater, zu einer Sportveranstaltung, oder in den Biergarten wie andere Menschen auch.
Für mich war und ist es immer wichtig, mein politisches Tun den Nachbarn von nebenan nachvollziehbar zu machen und möglichst auch Verständnis oder Zustimmung zu erzielen. Das ist mir auch oft gelungen, etwa mit zivilem Ungehorsam gegen den Lärmterror militärischer Tiefflugübungen durch Auflassen großer Protestballons, die die Manöver störten. Oder einer Bannkreisverletzung bei der demonstrativen Übergabe einer Petition an den Deutschen Bundestag, die von etwa 80000 Unterschriften aus dem Odenwaldkreis getragen wurde.

»Kritische Solidarität« als Stichwort — was könnte deiner Meinung nach in der aktuelle kriegsgegnerischen und antikapitalistischen Bewegung anders und besser laufen?

Ich bin in diesem Jahr siebzig geworden und habe einige gesundheitliche Probleme, die meine Aktivitäten und die Möglichkeiten, an Aktionen mitzuwirken, ziemlich einschränken. Auch deshalb will ich nicht herumkritisieren oder besserwisserische Vorschläge machen.
Mir hat es, wenn ich gelegentlich am Sinn meiner politischen Ideen und am Erfolg meines Tuns zweifelte, geholfen, dass ich in jungen Jahren von den mutigen und ausdauernden Veteranen der Arbeiterbewegung, die ich selbst noch kennenlernen konnte, die Tugend des langen politischen Atems übernehmen konnte. Das hat mich immer wieder bestärkt, nicht aufzugeben und weiterzumachen.
Oft ist es unser zu enger Begriff von Erfolg und ist es der kurze Atem, die unser politisches Engagement und damit die eigene gute Sache verunsichern. In gewissem Sinne bin ich Traditionalist. Für mich heißt Tradition nicht Asche aufzuheben, sondern die Flamme am Brennen zu halten.

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