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Im Juni veröffentlichte die Zapatistische Nationalen Befreiungsarmee
(EZLN) im mexikanischen Bundesstaat Chiapas ihre »Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen
Urwald«. Diese lenkt die Bewegung auf einen neuen Kurs. Die EZLN will Delegationen in alle Teile des
Landes entsenden und einen breit angelegten Dialog entfachen. Damit soll eine Bewegung »für ein
Programm der Linken und für eine neue Verfassung« geschaffen werden.
Vor allem soll diese Wende die zapatistische Bewegung aus ihrer politischen Isolation
herausführen, die sie in den vergangenen Jahren in eine Sackgasse geführt hat.
Von März bis Juli 1997 gab es viele
Angriffe auf die zapatistischen Gemeinden. Am 22.Dezember 1997 überfiel eine paramilitärische
Gruppe die Stadt Acteal, die weitgehend von Sympathisanten der Zapatistas bewohnt wird. Bei diesem Vorfall
wurden 45 Unbewaffnete massakriert. Die Attacke wurde von Truppen durchgeführt, die das Militär
aus der Region rekrutiert hatte.
Die mexikanische Regierung benutzte das
Massaker von Acteal als Vorwand zur Verstärkung der Militarisierung in Chiapas. Am 11.April und am
1.Mai 1998 sandte die mexikanische Regierung Truppen, um 2 der 38 autonomen zapatistischen Zonen gewaltsam
aufzulösen. Nach diesen Ereignissen erklärte der Gouverneur von Chiapas, Roberto Albores:
»Ich werde den autonomen Gemeinden ein Ende bereiten.«
Tief im Urwald versteckt, war die EZLN
unfähig, die Dörfer rasch genug zu erreichen, um Dutzende von Morden, Vergewaltigungen,
Ernteverwüstungen und Gelddiebstählen an den Campesinos zu verhindern.
Nach einer Periode des Schweigens kündigte die EZLN 1999 eine politische Gegenoffensive an, um die
militärischen Angriffe niederzuschlagen. Subcomandante Marcos veröffentlichte seinen
berühmten Text »Masken und Schweigen«, der an die mexikanische Linke und an die
»Zivilgesellschaft« appellierte, die Zapatisten zu verteidigen. Die EZLN lancierte im ganzen Land
ein Referendum für grundlegende soziale Veränderungen, über tausend Zapatisten durchreisten
das ganze Land. Marcos selbst sprach vor einer Menschenmenge in Mexiko-Stadt. Die Bühne schien bereit
für einen neuen Dialog mit der neuen rechten PAN-Regierung und ihrem im Jahr 2000 gewählten
Präsidenten Vicente Fox.
Trotz ihrer Wahlversprechen weigerte sich die
Regierung jedoch, die Bestimmungen des Abkommens von San Andrés einzuhalten. Dieses hatte den
zapatistischen Gemeinden ein Recht auf Autonomie und auf Land zugesagt. Die Ortschaften blieben aber durch
die Militarisierung der Region eingekreist, die Konflikte mit den staatlichen Behörden waren
zahlreich. Manche Gemeinden im Bergland von Chiapas stehen loyal zur PRI und bilden die
rückschrittliche Basis paramilitärischer rechter Gruppen, die ständig die zapatistischen
Gemeinden schikanieren und terrorisieren.
Infolge der Weigerung der Regierung Fox zu
verhandeln, zogen sich die Zapatisten auf sich selbst zurück und konzentrierten sich auf eine
politisch-militärische Reorganisation und auf die Verbesserung des Lebens in den zapatistischen
Basisgemeinden.
Nach und nach hat die Führung der EZLN
versucht, die Entscheidungsfindung auf die lokale Ebene zu übertragen, indem sie die autonomen
Gemeinden ermunterte, ihr Geschick in die eigenen Hände zunehmen. Laut Marcos bemühte sie sich in
den letzten Jahren auch, eine neue Generation politischer Kader heranzubilden.
Selbstorganisation und egalitäre
Grundsätze, aber auch die großen Anstrengungen mexikanischer und internationaler NGOs haben zu
bedeutenden Verbesserungen im Leben der lokalen Bevölkerung geführt. Diese sozialen und
politischen Fortschritte erlauben jedoch keine Lösung der grundlegenden Probleme der indigenen
Bevölkerung von Chiapas, weil diese ihre Wurzeln in der Armut und dem Fehlen von Demokratie auf
gesamtstaatlicher Ebene haben.
Die zapatistische Bewegung hat stets
anerkannt, dass ihre Ziele nur auf gesamtmexikanischer Ebene erreicht werden können und der Kampf der
EZLN Teil des internationalen Kampfes gegen den neoliberalen Kapitalismus ist. Doch die Positionen von
Marcos und der EZLN-Führung zum Kampf für eine vereinigte und neuformierte mexikanische Linke
waren sehr gemischt und ihre Wirkung weitgehend negativ.
1995 ergriffen die Zapatisten die Initiative zur Bildung der gesamtmexikanischen Zapatistischen Front
FZLN, die rasch viele organisierte Linke und Einzelpersonen anzog. Sie hätte die Basis für eine
neue breite linke Partei werden können. Doch letztlich sprach sich die EZLN-Führung gegen eine
solche Entwicklung aus.
In einem Brief über die Sechste
Erklärung deutet Marcos an, dies sei geschehen, weil die EZLN den Basisgemeinden stets versprochen
hatte, die Bewegung werde immer nur aus Indígenas und für diese bestehen und nicht etwas
Breiteres werden, das die Konzentration auf ihre Bedürfnisse und Forderungen aus dem Blick verliert.
Einige Kommentatoren sagen auch, Marcos habe den Verlust der Kontrolle über die Bewegung
gefürchtet.
Welches auch immer die Gründe waren, die
Weigerung, die FZLN in eine breite linke, parteiartige Formation zu verwandeln, wurde bald zu ihrer
Todesglocke als effektive politische Kraft. Sie hat lediglich als »zapatistische
Solidaritätskampagne« mit wenig Mitgliedern und wenig Einfluss überlebt.
Die mexikanische Zivilgesellschaft hat immer
wieder mobilisiert, um die Zapatisten zu verteidigen. Doch dafür benötigte sie nicht die FZLN. Im
Gegenteil, die grundlegende Loyalität aktiver Linker hat sich auf politische Organisationen
konzentriert, die in der Lage sind, eine umfassende und mehr oder weniger kohärente globale politische
Alternative voranzubringen. Die unter der engen Kontrolle der Zapatistas stehende FZLN konnte dies nie
sein.
Manche haben argumentiert, der Aufbau einer linken politischen Führung für ganz Mexiko liege
nicht in der Verantwortung der Zapatisten, sie würden dabei in ihrer kleinen und isolierten Ecke des
Landes auf unüberwindbare Schwierigkeiten stoßen.
Jaime González, ein führender
Aktivist der marxistischen Liga para Unidad Socialista (LUS) äußerte über die Zapatisten:
»Wie kommt es, dass diese ungeheuer populäre Bewegung nicht in der Lage gewesen ist, irgendeine
ihrer allgemeineren politischen Initiativen zu verwirklichen? Meiner Meinung nach ist die Antwort einfach:
Sie haben keine klare Strategie, um zu siegen. Sie wissen nicht, was sie mit den Wahlen anfangen sollen,
und sie haben nicht die geringste Vorstellung von einem Programm für das übrige Mexiko. Das haben
sie aber nicht zu verantworten. Wie könnte eine Erhebung von Indígenas in einer Ecke des
Südens von Mexiko ein ausgearbeitetes Programm für die ganze mexikanische Gesellschaft haben?
Für die Bevölkerung im Norden, für die Ökonomie, für eine Überwindung des
Kapitalismus? Man könnte es so formulieren: Die Zapatisten werfen Probleme auf, die sie gar nicht
lösen können.«
Wenn die Zapatisten aber eine so enorm
populäre Bewegung sind, haben sie das Potenzial, der mexikanischen Linken mindestens ansatzweise eine
umfassende politische Führung zu geben, zumindest in Zusammenarbeit mit anderen wenn sie den
Willen und die politische Vision haben (»das Programm« natürlich, aber auch entsprechende
Einheitstaktiken).
19982000 hat die EZLN im Rahmen ihrer
politischen Gegenoffensive gegenüber der Regierung eine sehr aktive politische Rolle gespielt, z.B.
indem sie den Studierenden, die an der Universität von Mexiko-Stadt gegen die Einführung von
Studiengebühren streikten, politische Unterstützung gewährte. Sie gab ihre
Unterstützung auch dann nicht auf, als klar war, dass die ultralinke Führung der Streikenden den
Kampf in eine Niederlage führen würde.
Außerdem nahmen zum ersten Mal maskierte
Zapatisten an Demonstrationen in Mexiko-Stadt teil während des Streiks der
Elektrizitätsarbeiter gegen Privatisierungen und am 1.Mai 1999. Diese Initiativen schienen den Willen
anzudeuten, eine umfassendere politische Rolle zu spielen, aber sie wurden nicht weitergeführt, da die
Regierung Fox sich geweigert hatte, den Friedensprozess von San Andrés fortzusetzen.
Der Aufbau einer neuen breiten antikapitalistischen Partei stößt in Mexiko auf das Problem,
dass auf der Linken die Partei der demokratischen Revolution (PRD) völlig dominiert. Die PRD entstand
Ende der 80er Jahre als Linksabspaltung der damaligen Regierungspartei PRI. Sie sehnt sich zurück nach
den alten nationalistisch-korporatistischen Traditionen der 30er und 40er Jahre und gründete sich in
Opposition zum Abgleiten der PRI zu einem pro-US-amerikanischen Neoliberalismus unter der Regierung von
Carlos Salinas de Gortari. Die PRD sog dabei auch Teile der sozialistischen Linken auf.
In den folgenden Jahren hat sich die PRD nach
rechts entwickelt, ist aber immer noch auf Wahlebene die einzig glaubwürdige Alternative zu den
Rechtsparteien PRI und PAN. Die Dominanz der PRD auf der Linken kam jüngst wieder zum Ausdruck, als in
der Hauptstadt 2 Millionen Menschen einen Schweigemarsch für den populären Bürgermeister und
PRD-Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2006, Manuel López Obrador, durchführten,
gegen den die Rechte wegen eines Korruptionsskandals eine Kampagne mit dem Ziel seiner Absetzung
führte.
Wie ist nun die neuerliche Wende der EZLN in
Bezug auf den Aufbau einer linken Alternative auf nationaler Ebene einzuschätzen? Die Sechste
Erklärung sagt:
»Wir werden direkt und ohne Vermittlung
mit den einfachen und bescheidenen mexikanischen Menschen sprechen und ihnen zuhören, und je nachdem,
was wir hören und lernen, werden wir gemeinsam mit diesen Menschen, die wie wir einfach und bescheiden
sind, ein landesweites Kampfprogramm erarbeiten, aber ein Programm, das eindeutig links sein wird, d.h.
antikapitalistisch und antineoliberal, also für Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit für das
mexikanische Volk…«
»Wir erklären, dass die EZLN eine
Politik der Allianz mit Organisationen und Bewegungen betreiben wird, die nicht parteigebunden sind und
sich in Theorie und Praxis als links definieren, unter folgenden Bedingungen: Keine
Übereinkünfte, die von oben nach unten aufgezwungen werden, nur Übereinkünfte, um
gemeinsam zuzuhören und die Empörung zu organisieren; nein zur Schaffung von Bewegungen, die
später hinter dem Rücken derer, die sie gemacht haben, verhandelt werden, es ist immer die
Meinung der Beteiligten zu berücksichtigen; nicht nach … Positionen öffentlicher Macht
… suchen, sondern sich jenseits der Wahlkalender bewegen; nicht versuchen, die Probleme unserer
Nation von oben zu lösen, sondern von unten und für unten eine Alternative zur neoliberalen
Zerstörung errichten, eine linke Alternative für Mexiko…«
»Ja zu einer klaren Verpflichtung und
koordinierten Verteidigung der nationalen Souveränität, unnachgiebige Opposition gegen die
beabsichtigte Privatisierung von Elektrizität, Erdöl, Wasser und natürlichen
Ressourcen…«
»Wir laden die politischen und sozialen
Organisationen der Linken, die nicht als Parteien registriert sind, und die Personen, die sich zur Linken
zählen und keiner registrierten politischen Partei angehören, dazu ein, sich mit uns zu einer
Zeit, an einem Ort und in einer Weise zu treffen, die wir zur passenden Gelegenheit vorschlagen werden,
eine landesweite Kampagne zu organisieren und alle Ecken unserer Heimat aufzusuchen, um das Wort unseres
Volkes zu hören und zu organisieren. Das ist etwas ähnliches wie eine Kampagne, aber doch etwas
anderes, weil es keine Wahlkampagne ist.«
Dies ist viel und es zeugt von einer großen Sensibilität. Es bietet für die mexikanische
Linke eine neue, gigantische und aufregende Gelegenheit. Auch wenn es das explizite Ziel wäre, eine
neue linke parteiartige Organisation aufzubauen, wäre es vernünftig, damit »von unten«
anzufangen, durch Dialog, Allianzen, Konsultation, und nicht mit einem künstlichen Diktat von oben.
Doch in Marcos Diskurs und dem seiner
wichtigsten Berater gibt es eine konstante Zweideutigkeit bezüglich der Konzepte Partei, Programm und
Strategie. Diese Zweideutigkeit dreht sich stets um das Anliegen, »die Welt zu verändern, ohne
die Macht zu übernehmen«. Sind alle Parteien an sich korrupt und manipulativ, bloß aufgrund
der Parteiform? Ist jede Wahlbeteiligung abzulehnen und muss die Linke aus Prinzip dagegen sein? Sollte die
Linke nicht dafür kämpfen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Bauern und Indígenas
ihre eigene Regierung bilden?
Wenn die EZLN fortfährt,
Kampfbündnisse von unten zu bilden, sich aber weigert, eine nationale politische Organisation
aufzubauen, und sich jeder Herausforderung von Wahlen verweigert, wird sie der PRD und der Rechten einen
großen politischen Raum überlassen, ihre Ziele nicht verwirklichen können und so eine
weitere Gelegenheit verstreichen lassen. Denn dies ist eine politische Wende, die der Linken neues Leben
verleihen oder sich in nichts auflösen kann.
Phil Hearse
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