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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 13

Bolivien

Die Linke vor den Wahlen

Am 4.Dezember sind Präsidentschaftswahlen in Bolivien. Die Linke diskutiert, wie sie sich aufstellen soll.

Die Wahlen wurden durch eine Volkserhebung im vergangenen Mai/Juni erkämpft, die Staatspräsident Carlos Mesa zum Rücktritt und seinen verfassungsmäßigen Nachfolger zum Verzicht auf das Amt zwang. Kernfrage des politischen Aufruhrs im Lande ist die Frage, wer Boliviens gewaltige Gasvorkommen kontrollieren soll. Die Mehrheit der Bevölkerung tritt für die Verstaatlichung der Erdgasvorkommen ein und dafür, dass die Einnahmen daraus dazu verwendet werden, das Los der armen Mehrheit der Bevölkerung zu verbessern. Dagegen will die Ölelite im Südosten des Landes die gewaltigen Profite der Ölmultis, von denen sie unterstützt wird, bewahren.
Neben der Verstaatlichung des Gases forderte die Revolte auch eine Verfassungsgebende Versammlung, um die Verfassung im Interesse der Bevölkerungsmehrheit neu zu formulieren. Die vor allem um die Stadt Santa Cruz konzentrierte reiche Elite reagiert auf die wachsende Militanz der Armen mit der Forderung nach einem Referendum über eine zu schaffende Autonomie der Regionen, in denen sich das Gas befindet. Boliviens Parlament hat beschlossen, dass im Juli 2006 Wahlen für eine Verfassungsgebende Versammlung sowie verschiedene Referenden über Autonomie stattfinden sollen.
Die Wahlen am 4.Dezember werden für die Rechte wie für die Linke eine große Herausforderung darstellen; die wichtigste linke Kraft im Parlament ist die von Evo Morales geführte Bewegung für den Sozialismus (MAS). Alle traditionellen neoliberalen Parteien sind vollständig in Misskredit geraten — bei den Kommunalwahlen im letzten Dezember erreichten sie zusammen gerade mal 10% der Stimmen. Seitdem vermeiden die traditionellen Parteien eine offene Unterstützung des neoliberalen Programms.
Die beiden wichtigsten rechten Kandidaten sind Jorge Quiroga und Samuel Dora Medina, die beide nicht Kandidaten traditioneller Parteien sind.
Quiroga, ein früherer Führer der Nationalen Demokratischen Aktion (ADN), war Staatspräsident von Bolivien in den Jahren 2001 und 2002. Der frühere IBM-Manager ging nach dem Aufstand von 2003, bei dem der damalige Staatspräsident Gonzalo Sánchez de Lozada gestürzt wurde, in die USA. Im September 2004 verließ Quiroga die ADN, aber er kehrte nicht von der Politik der Partei ab. Sein Austritt wurde weitgehend als Manöver im Hinblick auf die Kommunalwahlen betrachtet.
Quiroga kandidiert nun für die neu formierte »Allianz des 21.Jahrhunderts« und wird von der US-Botschaft und von Sánchez de Lozada unterstützt. Er behauptet, weder links noch rechts zu stehen, doch zu den Kernpunkten seiner Wahlplattform gehört die Durchsetzung von »Gesetz und Ordnung«, womit die Zerschlagung der sozialen Bewegung gemeint ist.
Der Millionär Medina kandidiert für die zur politischen »Mitte« gehörende Partei »Nationale Einheit« (UN). Er hat versucht, sich etwas moderater als Quiroga darzustellen, den er als Vertreter transnationaler Konzerne bezeichnet. Medina begann seine Kampagne mit der Behauptung, die Wahl böte eine Chance, an der Wahlurne »die Blockierer zu blockieren« — eine klare Attacke auf Morales und die MAS, die die Erhebung von Mai/Juni unterstützten. Angesichts der Popularität der MAS muss sich die Rechte womöglich auf einen Kandidaten einigen.
Auch die Linke steht vor der Herausforderung sich zusammenzuschließen. Die Kandidaten der sozialen Bewegung werden gegen die Einmischung aus Washington, die Großunternehmer und die Angriffe der Medien zu kämpfen haben, wenn sie genug Stimmen sammeln wollen, um die Rechte zu schlagen.
Doch die Aussichten für die Linke sind gut. Den Wahlen sind fünf Jahre Aufschwung der Klassenkämpfe voraus gegangen, die Bevölkerung ist hochgradig mobilisiert. Bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 verlor Morales nur um 2% gegen Sánchez de Losada, nun kandidiert er erneut als Kandidat der MAS.
Eine Kritik an Morales lautet, er habe die vollständige Verstaatlichung der Gasindustrie nicht konsequent unterstützt habe. Am 17.Juli stimmte jedoch die Nationale Versammlung der MAS für die »Verstaatlichung und die 100%ige Wiederaneignung des Eigentums am Gas und seine industrielle Verwertung«.
Die MAS tritt auch für ein breites antineoliberales Wahlbündnis aus sozialen Bewegungen, prominenten Einzelpersönlichkeiten und politischen Parteien ein. Im Juli bildete die MAS bereits zwei Allianzen — mit einem Bergarbeiterverband aus La Paz und mit dem Bürgermeister von La Paz. Ebenfalls im Juli wurde bekannt, dass Roberto de la Cruz, Stadtrat von El Alto und angesehenes ehemals führendes Mitglied des Regionalen Arbeiterzentrums (COR) von El Alto, sowie seine Gruppierung M-17 die Initiative für die Bildung einer neuen Partei namens Soziale Bewegung für Befreiung (M-Sol) ergriffen hatte. De la Cruz lud den Gewerkschaftsverband COB ein, der Partei beizutreten, die für die Verstaatlichung des Erdgases und eine Verfassunggebende Versammlung eintritt.
In der Zwischenzeit haben die Vertreter des COR die Idee eines politischen Instruments aufgeworfen, das alle sozialen Bewegungen miteinander verbindet, damit die Rechte geschlagen werden kann. Auf diese Weise könnten Debatten zwischen Morales, dem COB- Führer Jaime Solares, de la Cruz und dem Aymara-Führer Felipe Quispe organisiert werden.
Abel Mamani, Vorsitzender des Verbands der Nachbarschaftskomitees von El Alto (FEJUVE), soll die Bildung einer politischen Partei zur Überwindung der Schwächen der verschiedenen militanten Bewegungen von El Alto nicht mehr ausschließen.

Federico Fuentes, Caracas
www.greenleft.org.au(Übersetzung: Hans-Günter Mull)

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