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Der in den USA lebende türkische Historiker Taner Akcam hat mit Armenien
und der Völkermord einen Teil der Protokolle der Istanbuler Prozesse, die eine wichtige Quelle
für den Völkermord an den Armeniern 1915/16 sind, der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht.* Bei den Prozessen vor einem Kriegsgericht in Istanbul waren Vertreter jenes
»jungtürkischen« Regimes angeklagt, das von 1913 bis 1918 das Osmanische Reich regiert
hatte. Bei den »Jungtürken« (offizielle Bezeichnung: Komitee für Einheit und
Fortschritt) handelte es sich um eine nationalistische pantürkische Bewegung, die als Regierungspartei
alle nichttürkischen Bevölkerungsteile im damaligen Osmanischen Reich massiv diskriminierte.
Diese Politik gipfelte 1915 in dem Völkermord an den Armeniern, dem schätzungsweise 1,5 Millionen
Menschen zum Opfer fielen.
Auf den ersten 146 Seiten behandelt der Autor
die historischen Hintergründe des Völkermords. Er schildert die Entwicklung der
jungtürkischen Bewegung bis zum Ersten Weltkrieg und ihre Regierungsübernahme. Die Entscheidung
zum Völkermord traf das Zentralkomitee der »Jungtürken« im März 1915. Die Armenier
waren der Sündenbock für die militärischen Niederlagen im Ersten Weltkrieg, an dem das
Osmanische Reich an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns teilnahm. Die Armenier wurden
pauschal der Kollaboration mit den Alliierten, besonders mit Russland, beschuldigt. Zur Durchführung
der Deportationen und Massaker wurde eine paramilitärische »Spezialorganisation« gebildet.
Die zentrale Leitung aller antiarmenischen Maßnahmen lag bei der Führung der Partei Einheit und
Fortschritt. Deutschland und Österreich-Ungarn unternahmen nichts gegen dieses Verbrechen, obwohl sie
mit zahlreichen Militärs und Diplomaten im Osmanischen Reich vertreten waren.
Interessant ist auch das Kapitel über die
republikanische Nationalbewegung unter der Leitung von Mustafa Kemal Atatürk. Ihr
Führungspersonal einschließlich Atatürk rekrutierte sich überwiegend aus ehemaligen
Mitgliedern der Partei Einheit und Fortschritt. Sie vertrat auch eine ähnliche Ideologie.
»Jungtürken«, die wegen des Völkermordes juristisch verfolgt wurden, fanden in den von
den Kemalisten beherrschten Gebieten Zuflucht. Die beiden Funktionäre, die tatsächlich wegen
ihrer Beteiligung am Völkermord hingerichtet wurden, wurden von den Kemalisten als Märtyrer
betrachtet.
Die Alliierten drängten nach dem Ersten
Weltkrieg auf eine Auslieferung der am Völkermord Beteiligten. Die Regierung des Sultans in Istanbul
führte stattdessen eigene Verfahren durch, denen sich die Hauptverantwortlichen entziehen konnten. In
den nicht besonders konsequent durchgeführten Prozessen redeten sich die Angeklagten darauf hinaus,
nichts gewusst zu haben, nur auf Befehl oder aus »Patriotismus« gehandelt zu haben. Die, die
tatsächlich zu Haftstrafen verurteilt wurden, kamen nach der Ausrufung der Republik frei.
Das sehr lesenswerte Buch informiert über
einen geleugneten bzw. verdrängten Teil der türkischen und auch der deutschen Geschichte. Es
stellt außerdem Quellenmaterial in deutscher Sprache zur Verfügung.
Andreas Bodden
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