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Der marxistische Historiker Pierre Broué wird niemals den Status
posthumer Anerkennung erlangen wie C.L.R.James heute, noch wird er unter den literati und den
meinungsbildenden Kreisen so breit gefeiert werden wie Eric Hobsbawm.
Aber er war ein beachtlicher Historiker und
ein Mann von erstaunlichem Talent und gewaltiger Energie. Die Breite seines Schaffens als Historiker war
erstaunlich.
Sein erstes, 1961 veröffentlichtes Buch
behandelt den spanischen Bürgerkrieg von 193639 ein Thema, zu dem er in drei weiteren
Werken 1975, 1979 und 1993 zurückkehrte.
Sein Schaffen umfasst die Moskauer
Schauprozesse, die Revolten in der Tschechoslowakei und Polen, die Geschichte der bolschewistischen Partei,
die deutsche Revolution von 191723, die Kommunistische Internationale und die stalinistischen Morde
an Trotzkisten im französischen Widerstand. Dazu zählen ferner Schriften über die Ermordung
Leo Trotzkis, die russische Linke Opposition und seine monumentale Trotzki-Biografie von 1988 [siehe SoZ
3/2004]. Er schrieb Bücher über Christian Rakowski und Trotzkis Sohn Leo Sedow.
Hinzu kommt seine Arbeit als Herausgeber der
vollständigen Werke Trotzkis in französischer Sprache und der Zeitschrift über die
Geschichte der Bewegung, Cahiers Léon Trotsky, außerdem zahllose Artikel. Anscheinend hatte er
sogar noch Zeit, seine Memoiren zu schreiben.
Broués Werke sind durch zwei
entscheidende Merkmale gekennzeichnet. Erstens sind sie nicht lediglich Synthesen der Werke anderer
Historiker; sie beruhen alle auf realer Archivforschung, begünstigt durch Broués Kenntnis
zahlreicher Sprachen. Zweitens sind sie alle von wirklicher politischer Leidenschaft geprägt.
Wenngleich er ein objektiver Historiker blieb, identifizierte sich Broué persönlich klar mit den
Revolutionären, die er erforschte. Diese Eigenschaft bereicherte seinen Stil und seine
Entschlossenheit, die Wahrheit herauszufinden.
Broué war möglicherweise nicht nur
der größte Historiker unserer Bewegung seit Trotzki und nicht nur ein begeisternder Lehrer. Er
war auch, seit der Beteiligung am französischen Widerstand gegen die Nazi-Besatzung in seiner Jugend,
ein Leben lang ein revolutionärer Marxist und politischer Aktivist.
Den größten Teil seines erwachsenen
Lebens war er in der trotzkistischen Bewegung aktiv. Nachdem er auf empörende Weise aus seiner
Organisation ausgeschlossen wurde, blieb er ein unabhängiger Marxist und schuf sein eigenes
politisches Magazin, Le marxisme aujourdhui. Leider ist es wahrscheinlich angemessen, wenn man sagt,
dass Broués politisches Urteil bei weitem nicht unfehlbar war. Tatsächlich stand es wohl im
umgekehrten Verhältnis zur Prägnanz seines historischen Urteils.
Es ist ein Geheimnis für mich, wie ein
Mann mit solch tiefer historischer Kenntnis der revolutionären Bewegung eine so lange Zeit in der OCI
[die jetzige PT] bleiben konnte, einer der dogmatischsten und autoritärsten Organisationen, die
hässliche Schwester unter den drei französischen trotzkistischen Parteien.
Broués Loyalität zur
revolutionären Sache blieb ungebrochen. Ich erinnere mich, dass ich ihn zum ersten Mal vor einigen
Jahren erlebt habe, als er auf einer Konferenz den antikommunistischen Unsinn des 1997 erschienenen
Schwarzbuchs des Kommunismus widerlegte.
Broué war eine warmherzige und
großzügige Persönlichkeit. Vor allem war er offen gegenüber jungen Menschen, denn er
verstand die Notwendigkeit, den künftigen Generationen die Lehren aus der Vergangenheit zu vermitteln,
sodass sie vielleicht eines Tages die Welt verändern können. Wir werden Pierre Broué
vermissen. Den Verlust können wir nur dadurch wettmachen, dass wir versuchen, seinen anspruchsvollen
Standards zu entsprechen.
Sebastian Budgen
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