SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 20

Geburtstag

Herta Kuhrig wird 75

Die ungleiche Stellung von Mann und Frau ist daher keine »Geschlechterfrage«, nicht gottgewollt«, nicht »naturgegeben«, nicht »biologisch bedingt«, schrieb Herta Kuhrig in einem Beitrag für das »internationale Jahr der Frau« 1975.
Als geborene Sozialistin, Freidenkerin und Anhängerin der marxistischen Gesellschaftstheorie war die Gleichstellung »ohne die Selbstbefreiung der Proletarier und aller anderen Ausgebeuteten von den sozialen, politischen und geistigen Fesseln des Kapitals« für sie nicht zu haben. Der »Kampf, die Menschheit von allen Formen … der Knechtschaft zu befreien und den Sozialismus zu errichten«, schloss für sie die Emanzipation der Frauen ein. Eine »Konkurrenz der Geschlechter gegeneinander« lehnte sie ab.
Dennoch war es für sie selbstverständlich, dass die Stellung des weiblichen Geschlechts in der Gesellschaft besondere Aktivitäten erforderlich machte und spezifische Aufgaben zu lösen waren. Ihr ging es um »die allseitige Persönlichkeitsentwicklung von Mann und Frau«, und die konnte nur im gemeinsamen Kampf erreicht werden. Dieser gemeinsame Kampf schloss das politische Leben, das Bildungswesen, den Erwerbsarbeitsprozess und das Familienleben ein. Damals war sie 45 Jahre alt und voller Hoffnung. Es schien sich etwas zu bewegen — für die Frauen der Welt.
Wer ist Herta Kuhrig? Am 5.September 1930 wurde sie in eine kommunistische Arbeiterfamilie in Böhmen hineingeboren. Ihr Großvater war 1919 von seiner Firma entlassen worden, weil er an einer Maidemonstration teilgenommen hatte. Ihr Vater war Gründungsmitglied der KP in dem Dorf, in dem er bis zu seiner Heirat wohnte.
Im Alter von acht Jahren erlebte Herta, dass man von einem Tag auf den anderen, beim Einkaufen nicht mehr »Guten Tag« sagen dürfe, sondern »Heil Hitler« sagen müsse. Als Kind einer »roten« Familie machte ihr das schwer zu schaffen. Vom Großvater hatte sie gelernt, dass Solidarität heißt, seinen Mitmenschen in schwierigen Zeiten beizustehen. Von ihm und vom Vater hatte sie die Hoffnung auf eine friedliche und sozial gerechte Gesellschaft übernommen.
Für Herta war die neue Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges angebrochen. Nun wollte sie die von Vater und Großvater übernommenen Träume und Ideale verwirklichen und gemeinsam mit ihnen an einem sozialistischen Haus bauen. Herta war 15 Jahre alt und fühlte, sie wurde gebraucht.
»Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus«, das waren auch ihre Parolen. Sie wollte viel lernen, um die politischen Zusammenhänge zu begreifen und daran mitarbeiten, dass die Schuld abgetragen würde, die Deutschland auf sich geladen hatte. Noch nicht ganz 16 Jahre alt trat sie der SED bei. Sie war ärgerlich, dass es die KPD nicht mehr gab, mit deren Mitgliedschaft sie ihre Herkunft hätte klarer dokumentieren können.
Die Jahre 1945/49/50 bezeichnete sie später als einen radikaler Aufbruch, der große Hoffnungen entstehen ließ, auch im Bezug auf die Emanzipation der Frauen. Als das erste Mitglied ihrer Arbeiterfamilie, das studieren konnte, lernte sie während des Studiums der Gesellschaftswissenschaften in Leipzig die Grundzüge der materialistischen Dialektik kennen und entwickelte die Überzeugung, dass die Welt durchschaubar, erklärbar und veränderbar ist.
Nach dem Studium arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin an der Hochschule für Ökonomie und Planung in Berlin. Die Konflikte einer berufstätigen Mutter erlebte sie auch in der DDR, nicht zufällig hat sie das Dissertationsthema »Probleme der Entwicklung sozialistischer Familienbeziehungen in der DDR« gewählt. Schließlich war sie in der Zwischenzeit mit einem viel beschäftigten Mann verheiratet und hatte zwei Töchter.
Als ich sie 1989 kennenlernte, war sie die Leiterin der Forschungsgruppe »Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft«. Sie hatte die Arbeit des gleichnamigen Beirats an der Akademie der Wissenschaften zu koordinieren. Die »grünen Hefte«, die der Beirat seit 1964 herausgab, sind ihr Lebenswerk. Mir wurde sie als die DDR- Frauenforscherin als Referentin für Frauen- und Familienpolitik empfohlen.
In den dazwischenliegenden Jahren haben wir uns oft über diese Themen ausgetauscht und auch 16 Jahre später versteht sie es perfekt, die Widersprüchlichkeiten und die Errungenschaften ebenso wie die Risiken der DDR-Frauen- und - Familienpolitik zu erklären und zu kritisieren — ohne sich von ihrer eigenen Arbeit zu distanzieren. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, konnte sie in den »Ruhestand« gehen. Das sozialistische Haus war wie ein Kartenhaus zusammen gebrochen. Damals war sie 60 Jahre alt; wirklich Ruhe hat sie bis heute nicht gegeben.
Sie konnte und kann sich nicht zurückziehen, »weder in Küche und Haushalt, noch in den Schmollwinkel, noch sonst wohin«, wie sie selber einmal sagte. Die zunehmende Erwerbslosigkeit, die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich, die Ungerechtigkeiten und die Heuchelei, die sie an so vielen Orten erleben muss, machen ihr zu Schaffen.
Mit der verschwundenen DDR setzt sie sich seit 1990 auseinander und meint heute, dass der »reale Sozialismus« — sie spricht auch vom »patriarchalischen Sozialismus« — keine wirkliche Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft darstellte. »Wenn eine Alternative, dann nur eine demokratische, eine diktatorische kann es nie sein«, sagte sie vor ein paar Jahren in einem Interview. Sie glaubte nun zu wissen, »wenn Emanzipation etwas ist, was auch durch Kopf und Herz hindurch muss, dann kann man das nicht von außen hineintragen.« Heute betrachtet sie es als einen Zugewinn an Erkenntnis, den sie dem (westlichen) Feminismus verdankt, dass es ihr völlig unzureichend erscheint, »die Gesellschaften nur als Klassengesellschaften zu analysieren und daraus revolutionäre Aufgaben abzuleiten«, sondern dass die Analyse des Geschlechterverhältnisses und die Patriarchatskritik ebenso notwendig ist. Aus ihren gesammelten Erfahrungen, den guten und den bitteren, will sie weiterhin lernen und es gelingt ihr in ihrer lebendigen Art und Weise, diese an jüngere Frauen weiter zu vermitteln.
Liebe Herta, du hast einmal gesagt, dass dir heute die Politik der kleinen Schritte einsichtiger wäre als die Hoffnungen auf schnelle und große revolutionäre Veränderungen weiter aufrecht zu erhalten. Aber diese Schritte müssten, so sagtest du, »in eine bessere, gerechtere Welt, in eine lebenswerte Zukunft« führen. Wir wünschen dir für diese Aufgabe weiterhin recht viel Mut und Kraft.

Gisela Notz

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang