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Die ungleiche Stellung von Mann und Frau ist daher keine
»Geschlechterfrage«, nicht gottgewollt«, nicht »naturgegeben«, nicht
»biologisch bedingt«, schrieb Herta Kuhrig in einem Beitrag für das »internationale
Jahr der Frau« 1975.
Als geborene Sozialistin, Freidenkerin und
Anhängerin der marxistischen Gesellschaftstheorie war die Gleichstellung »ohne die
Selbstbefreiung der Proletarier und aller anderen Ausgebeuteten von den sozialen, politischen und geistigen
Fesseln des Kapitals« für sie nicht zu haben. Der »Kampf, die Menschheit von allen Formen
… der Knechtschaft zu befreien und den Sozialismus zu errichten«, schloss für sie die
Emanzipation der Frauen ein. Eine »Konkurrenz der Geschlechter gegeneinander« lehnte sie ab.
Dennoch war es für sie
selbstverständlich, dass die Stellung des weiblichen Geschlechts in der Gesellschaft besondere
Aktivitäten erforderlich machte und spezifische Aufgaben zu lösen waren. Ihr ging es um »die
allseitige Persönlichkeitsentwicklung von Mann und Frau«, und die konnte nur im gemeinsamen Kampf
erreicht werden. Dieser gemeinsame Kampf schloss das politische Leben, das Bildungswesen, den
Erwerbsarbeitsprozess und das Familienleben ein. Damals war sie 45 Jahre alt und voller Hoffnung. Es schien
sich etwas zu bewegen für die Frauen der Welt.
Wer ist Herta Kuhrig? Am 5.September 1930
wurde sie in eine kommunistische Arbeiterfamilie in Böhmen hineingeboren. Ihr Großvater war 1919
von seiner Firma entlassen worden, weil er an einer Maidemonstration teilgenommen hatte. Ihr Vater war
Gründungsmitglied der KP in dem Dorf, in dem er bis zu seiner Heirat wohnte.
Im Alter von acht Jahren erlebte Herta, dass
man von einem Tag auf den anderen, beim Einkaufen nicht mehr »Guten Tag« sagen dürfe,
sondern »Heil Hitler« sagen müsse. Als Kind einer »roten« Familie machte ihr das
schwer zu schaffen. Vom Großvater hatte sie gelernt, dass Solidarität heißt, seinen
Mitmenschen in schwierigen Zeiten beizustehen. Von ihm und vom Vater hatte sie die Hoffnung auf eine
friedliche und sozial gerechte Gesellschaft übernommen.
Für Herta war die neue Zeit nach Ende des
Zweiten Weltkrieges angebrochen. Nun wollte sie die von Vater und Großvater übernommenen
Träume und Ideale verwirklichen und gemeinsam mit ihnen an einem sozialistischen Haus bauen. Herta war
15 Jahre alt und fühlte, sie wurde gebraucht.
»Nie wieder Krieg, nie wieder
Faschismus«, das waren auch ihre Parolen. Sie wollte viel lernen, um die politischen
Zusammenhänge zu begreifen und daran mitarbeiten, dass die Schuld abgetragen würde, die
Deutschland auf sich geladen hatte. Noch nicht ganz 16 Jahre alt trat sie der SED bei. Sie war
ärgerlich, dass es die KPD nicht mehr gab, mit deren Mitgliedschaft sie ihre Herkunft hätte
klarer dokumentieren können.
Die Jahre 1945/49/50 bezeichnete sie
später als einen radikaler Aufbruch, der große Hoffnungen entstehen ließ, auch im Bezug auf
die Emanzipation der Frauen. Als das erste Mitglied ihrer Arbeiterfamilie, das studieren konnte, lernte sie
während des Studiums der Gesellschaftswissenschaften in Leipzig die Grundzüge der
materialistischen Dialektik kennen und entwickelte die Überzeugung, dass die Welt durchschaubar,
erklärbar und veränderbar ist.
Nach dem Studium arbeitete sie als
wissenschaftliche Assistentin an der Hochschule für Ökonomie und Planung in Berlin. Die Konflikte
einer berufstätigen Mutter erlebte sie auch in der DDR, nicht zufällig hat sie das
Dissertationsthema »Probleme der Entwicklung sozialistischer Familienbeziehungen in der DDR«
gewählt. Schließlich war sie in der Zwischenzeit mit einem viel beschäftigten Mann
verheiratet und hatte zwei Töchter.
Als ich sie 1989 kennenlernte, war sie die
Leiterin der Forschungsgruppe »Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft«. Sie hatte die
Arbeit des gleichnamigen Beirats an der Akademie der Wissenschaften zu koordinieren. Die »grünen
Hefte«, die der Beirat seit 1964 herausgab, sind ihr Lebenswerk. Mir wurde sie als die DDR-
Frauenforscherin als Referentin für Frauen- und Familienpolitik empfohlen.
In den dazwischenliegenden Jahren haben wir
uns oft über diese Themen ausgetauscht und auch 16 Jahre später versteht sie es perfekt, die
Widersprüchlichkeiten und die Errungenschaften ebenso wie die Risiken der DDR-Frauen- und -
Familienpolitik zu erklären und zu kritisieren ohne sich von ihrer eigenen Arbeit zu
distanzieren. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, konnte sie in den »Ruhestand« gehen. Das
sozialistische Haus war wie ein Kartenhaus zusammen gebrochen. Damals war sie 60 Jahre alt; wirklich Ruhe
hat sie bis heute nicht gegeben.
Sie konnte und kann sich nicht
zurückziehen, »weder in Küche und Haushalt, noch in den Schmollwinkel, noch sonst
wohin«, wie sie selber einmal sagte. Die zunehmende Erwerbslosigkeit, die tiefe Kluft zwischen Arm und
Reich, die Ungerechtigkeiten und die Heuchelei, die sie an so vielen Orten erleben muss, machen ihr zu
Schaffen.
Mit der verschwundenen DDR setzt sie sich seit
1990 auseinander und meint heute, dass der »reale Sozialismus« sie spricht auch vom
»patriarchalischen Sozialismus« keine wirkliche Alternative zur kapitalistischen
Gesellschaft darstellte. »Wenn eine Alternative, dann nur eine demokratische, eine diktatorische kann
es nie sein«, sagte sie vor ein paar Jahren in einem Interview. Sie glaubte nun zu wissen, »wenn
Emanzipation etwas ist, was auch durch Kopf und Herz hindurch muss, dann kann man das nicht von außen
hineintragen.« Heute betrachtet sie es als einen Zugewinn an Erkenntnis, den sie dem (westlichen)
Feminismus verdankt, dass es ihr völlig unzureichend erscheint, »die Gesellschaften nur als
Klassengesellschaften zu analysieren und daraus revolutionäre Aufgaben abzuleiten«, sondern dass
die Analyse des Geschlechterverhältnisses und die Patriarchatskritik ebenso notwendig ist. Aus ihren
gesammelten Erfahrungen, den guten und den bitteren, will sie weiterhin lernen und es gelingt ihr in ihrer
lebendigen Art und Weise, diese an jüngere Frauen weiter zu vermitteln.
Liebe Herta, du hast einmal gesagt, dass dir
heute die Politik der kleinen Schritte einsichtiger wäre als die Hoffnungen auf schnelle und
große revolutionäre Veränderungen weiter aufrecht zu erhalten. Aber diese Schritte
müssten, so sagtest du, »in eine bessere, gerechtere Welt, in eine lebenswerte Zukunft«
führen. Wir wünschen dir für diese Aufgabe weiterhin recht viel Mut und Kraft.
Gisela Notz
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