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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite

Tom Franklin, Die Gefürchteten, München: Heyne, 2005; 414 Seiten, 21,90 Euro.

Mord und Todschlag

In seinen zwischen 1850 (Die Abendröte im Westen) und 1950 (Verlorene) angesiedelte Romanen hat sich Cormac McCarthy mit den Menschen beschäftigt, die sozial, räumlich und auch zeitlich am Rande der amerikanischen Gesellschaft lebten. Nur anhand bestimmter technischer Errungenschaften oder — manchmal versteckter — historischer Bezugnahmen wird klar, in welchem Jahrhundert die jeweilige Geschichte spielt, so archaisch wirken Verhaltensweisen und Beziehungen, so dicht liegen Schilderungen über bezaubernde Landschaften neben denen über den Kampf ums Überleben, vor dem niemand verschont bleibt.
In dieser jungen Tradition hat Tom Franklin seinen Roman Die Gefürchteten geschrieben, ein Western, eine Kriminal- und Sozialgeschichte. Hintergrund ist der »Mitcham War« 1897/98 im Clarke County, Alabama, in dessen Verlauf sich Stadt- und Landbewohner bekämpften und es zu mehreren Morden kam.
Franklin lässt die Geschichte beginnen mit dem unglücklichen Überfall auf einen kleinen Ladenbesitzer durch zwei Jugendliche, die ihm Geld für einen Puffbesuch abknöpfen wollen. Ein Schuss löst sich, der Mann wird tödlich verletzt. Der Schwager übernimmt den Dorfladen und schart eine Gruppe von Männern um sich, um Widerstand gegen die Städter zu organisieren, denn sie sollen es gewesen sein, die den Mord begangen haben.
Die Bande, die sich »Hell at the Breech« nennt, zieht sich alte Mehlsäcke über den Kopf, vertreibt die Schwarzen aus der Gegend, betreibt Schutzgelderpressung an den kleinen Farmern und terrorisiert diejenigen, die nicht mitmachen wollen. Und füllt sich in immer höheren Dosen mit Whisky ab.
Gründlich wird hier aufgeräumt mit allen Gründungsmythen der US-amerikanischen Gesellschaft. Es ist kein Land der Freien — Frauen und Kinder werden wie Leibeigene von den Männern/Vätern gehalten. Ihnen selbst gehört schon das Land nicht mehr, auf dem sie die Baumwollen anbauen. Für kleine Kredite mussten sie es an die lokalen Händler verpfänden, jede neue Ernte ermöglicht vielleicht das Überleben für ein Jahr. Denn ständig droht die Gefahr, vom Land und aus der Gemeinde vertrieben zu werden. Gesetz und Ordnung ermöglichen dies. Und auch jenseits der Gesetze wird das Landproletariat übers Ohr gehauen — und hier beginnt die nächste Stufe der Eskalation des Hasses und des Tötens.
Abgesehen von dem 60-jährigen Sheriff, der seine Arbeit nur im wohldosierten Suff ertragen kann und eine emotionalere Beziehung zu seinem Pferd hat als zu seiner Frau, und dem Jungen, der mit seinem Schuss die folgenden Ereignisse ins Rollen brachte, wird allen anderen Personen nicht die geringste Sympathie entgegengebracht — und doch zeigt Franklin in Rückblenden, dass auch sie alle Opfer gewesen sind.
Der Roman ist atemberaubend und verwirrend in der kalten Grausamkeit der Handlung. Und er ist auch als Parabel lesbar: Wie Terror entsteht und mit Vernichtungskrieg bekämpft wird.

Udo Bonn

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