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Am 5.Juli 2005 machten sich über hundert Menschen aus zahlreichen
europäischen und einigen anderen Ländern in einer Fahrzeugkarawane auf den Weg nach
Palästina.
Die Reise begann in Straßburg, dem Sitz des Europäischen Parlaments, und sollte am
19.Juli in Jerusalem enden, wo palästinensische und israelische Aktivisten die Internationalen
vergeblich erwarteten. Denn die israelischen »Sicherheits«kräfte, die nicht nur die
Grenzen Israels, sondern auch die des besetzten Palästina kontrollieren, haben den gewaltfreien
Demonstranten die Einreise verweigert und sie in Richtung Jordanien verfrachtet. Dazu wurden sie in einen
ihrer Busse förmlich hineingeprügelt und abtransportiert.
Reisen scheint durchaus eine vielversprechende
politische Aktivität zu sein. Auch Außenminister Fischer war kürzlich in
Israel/Palästina unterwegs, zuvor bereiste die US-Außenministerin die Region. Von Behinderungen
bei der Einreise ist nichts bekannt.
Wir sind es gewohnt, den Mächtigen und
ihren Vertretern beim bedeutungsvollen, konfliktlösenden Reisen zuzusehen, ihren Verlautbarungen,
Ermahnungen und Absichtserklärungen zu lauschen und die Früchte ihrer Reisediplomatie, Road Maps
und Ähnliches, zur Kenntnis zu nehmen. Sie sind ständig unterwegs, und zwar für den Frieden
und vorgeblich in unserem Namen. Wir sind es auch gewohnt, dass in den Medien und in der
Öffentlichkeit ausschließlich diese Reisetätigkeit wahrgenommen wird, obwohl sie keinen
Konflikt je im Sinne des internationalen Rechts und auf der Grundlage der Wahrheitsfindung über seine
Ursachen gelöst hat.
Doch, so der israelische Autor und Aktivist
Michael Warschawski beim Weltsozialforum in Porto Alegre 2003, »es gibt keine ›Konflikte‹,
es gibt Angriffskriege, Befreiungskämpfe, Streiks … Und die Verhandlungslösungen, die
für Israel/Palästina bisher vorgeschlagen wurden, sind klare Beispiele dafür, wie man einen
›Konflikt‹ nicht löst. Denn sie basieren auf der Annahme eines Konflikts und nicht auf der
einer Besatzung.«
Eine Besatzung ist aber nach internationalem
Recht genau definiert, mit Pflichten seitens des Besatzers, Bedingungen unter denen sie andauern darf oder
zu beenden ist, mit Rechten der Zivilbevölkerung des besetzten Gebietes, z.B. auf Schutz und
Versorgung durch die Besatzungsmacht. Was also zu geschehen hat, um den rechtsfreien Zustand in den
besetzten Gebieten zu beenden, um der sog. »Spirale der Gewalt« Einhalt zu gebieten, um Frieden
zu ermöglichen, ist bekannt, festgeschrieben durch die Genfer Konventionen, UN-Resolutionen,
internationales Recht und menschenrechtliche Übereinkünfte.
Was jedoch seit 38 Jahren tatsächlich
geschieht, ist genau das Gegenteil. Und auch während die Karawane des Rechts sich in Richtung
Palästina bewegt, macht sich die Besatzungsmacht in gewohnter Manier auf Menschenjagd, liquidiert
Verdächtige, verhängt Kollektivstrafen als Reaktion auf einen Selbstmordanschlag, der
selbstverständlich zu verurteilen und vor allem aufzuklären ist. Mit seinen Methoden jedoch
vertieft Israel einmal mehr den Zustand der Rechtsfreiheit, der auch den eigenen Bürgern schwer
schadet.
Der »Karawane für Palästina, Karawane des Rechts« wurden bei der Abreise in
Straßburg von EU-Parlamentariern aller Fraktionen, vor allem aber der linken Fraktion der GUE/NGL, die
besten Wünsche mit auf den Weg gegeben. Francis Wurtz, der Vorsitzende dieser Fraktion, erinnerte
daran, dass das EU-Parlament bereits im April 2002 mehrheitlich die Aussetzung des europäisch-
israelischen Assoziationsabkommens gefordert hat. Das Abkommen enthält als Bedingung für die
gemeinsame Freihandelszone von beiden Partnern einzuhaltende Menschenrechtsklauseln. Es ist allgemein
bekannt, dass diese durch Israel und seine Siedlungs- und Besatzungspolitik unausgesetzt verletzt werden.
Doch der Ministerrat, allen voran Außenminister Fischer, der sich gerne als Vorkämpfer für
mancher Menschen Rechte hervortut, ist nicht bereit, den Parlamentsbeschluss umzusetzen.
Etwa ein Jahr lang planten Einzelpersonen und
Aktive aus den sozialen Bewegungen Frankreichs, der Niederlande, Spaniens und Italiens die Karawane
für Palästina. Manche von ihnen waren bereits ein- oder mehrmals in Palästina gewesen und
haben gesehen, dass sich die humanitäre Lage der Bevölkerung ständig verschlechtert hat,
dass der Mauerbau trotz der Verurteilung durch den Internationalen Gerichtshof fortgeführt wird.
Andererseits stellten sie fest, dass der gewaltfreie Widerstand der Palästinenser, zusammen mit
Israelis und Internationalen, trotz aller Widrigkeiten beharrlich fortgeführt wird.
»Warum nimmst du teil an der
Karawane«, fragte ich »Mad Dog«, einen Punk und Medienaktivisten aus Südfrankreich.
Seine Antwort war verblüffend einfach: »Es geht um Rechte, Rechte die nicht verletzt werden
dürfen, nirgends.«
Eine Säule des Projekts »Karawane
für Palästina« war nicht von ungefähr das Collectif judéo-arabe et citoyen in
Straßburg. Arabische, jüdische und andere Bürger der Stadt und des Umlands entfalten
unermüdlich Aktivitäten, um den rechtsextremen, rassistischen Strömungen im Elsass
entgegenzutreten und um den Kampf der Palästinenser gegen die Besatzung zu unterstützen.
»Das gehört für uns zusammen«, erklärte mir Perrine, eine der Aktivsten im
Collectif. Nicht wenige caravaniers waren Franzosen mit jüdischen oder arabischen Wurzeln.
Sie nehmen »die andere Welt« voraus,
in der nicht »tribale« Zugehörigkeiten und die Vorgaben der Macht politisches Handeln und
menschliche Beziehungen prägen und einschränken.
Für Germaine, Mitglied des Collectif und mit Ende 70 die älteste Teilnehmerin der Karawane,
war es selbstverständlich, für die Rechte der Palästinenser einzustehen. »Und nur bla-
bla, des reicht net«, meinte sie auf elsässisch. »Man kann doch net zulasse, dass die
Leut immer nur unterdrückt werde.« Sie trug ein T-Shirt von Vía Campesina, der
globalisierungskritischen Bauernbewegung und nennt José Bové, den bekannten
»Altermondialisten« ihren Freund.
Die Zusammenhänge lagen für sie auf
der Hand: die gnadenlose Ausbeutung der Natur, die Zerstörung der bäuerlichen Lebensweise und
Traditionen, Sozialabbau, Krieg und Besatzung das alles damit die großen internationalen
Unternehmen noch mächtiger und reicher werden. Das einzige, was dagegen hilft, ist Solidarität,
unsere gemeinsame Aktion.
Im internationalen Bus, dem größten
Fahrzeug der Karawane, stand Germaine fraglos im Mittelpunkt. Sie flirtete mit Mohamed, dem Lehrer aus
Nancy, und ließ uns alle hüpfen, stellte aber auch jederzeit großzügig Zelt, Jacke, und
was sonst gebraucht wurde, zur Verfügung.
An der Grenze von Slowenien nach Kroatien
wurde die Karawane von den kroatischen Grenzschützer mit fadenscheinigen Begründungen stundenlang
aufgehalten. Germaine schickte mich los und ließ sich von mir Bericht erstatten, was da draußen
verhandelt wurde.
Schließlich stieg sie unter dem Vorwand,
auf die Toilette zu müssen, selber aus. Als es zu einem Gerangel kam, weil die Grenzer Saif, den
Palästinenser, der noch kein Visum hatte, grob anpackten und wegzerrten, trat sie den Soldaten immer
wieder in die Wade. Drehten sie sich um, sahen sie eine verzweifelte ältere Dame vor sich, die kein
Wässerchen trüben konnte. Hinterher kicherte sie vergnügt, wenn sie an die Szene
zurückdachte. »Aber Germaine, das geht nicht, wir sind gewaltfrei…« wurde sie von
einer jungen Mitstreiterin ermahnt, doch sie blieb vergnügt. Außerdem wusste sie von Anfang an,
was von den kroatischen Uniformierten an der Grenze zu erwarten sei: »Des sin Faschiste, die mache uns
bestimmt Probleme…«
Germaine war eine von rund hundert
eigenwilligen Persönlichkeiten, die sich für dieses Unternehmen einer Karawane des Rechts selbst
organisiert hatten und sich stündlich und täglich angesichts der Unwägbarkeiten einer
solchen »Mission ohne offiziellen Auftrag« organisierten. Jeder war für sich, seine
Mitreisenden und das Gelingen des Ganzen selber verantwortlich. Alles musste während der Fahrt gelernt
werden: Wie den Informationsfluss untereinander organisieren? Wie schnell zu Entscheidungen kommen, an
denen alle beteiligt sind? Wie auf »Autoritäten« reagieren, vor allem an den Grenzen? Auch
dieser Lernprozess ist ein Vorgriff auf »die andere Welt«, um die es unausgesprochen geht. Dieses
Bewusstsein flößte einen besonderen gegenseitigen Respekt ein. Ein »caravanier« nannte
es »Zärtlichkeit«.
Wir sprachen viele Sprachen und schrien uns manchmal an, weil wir vergaßen zu übersetzen und
uns nicht verstanden. Wir übten verschiedene Berufe aus oder waren arbeitslos. Manche von uns
studierten noch, andere waren schon in Rente. Es gab Kinder unter uns, ganze Familien, Künstler,
religiöse Menschen, Atheisten, Muslime, Juden und Christen. Autonome, Anarchisten, Sozialisten,
Globalisierungskritiker… auch eher unpolitische Menschen.
Die uns auf den ersten Etappen der Reise
empfingen, in Frankreich, der Schweiz, Italien, Serbien und der Türkei, waren genauso vielfarbig wie
wir, aber alle überzeugt von einer einfachen Zielsetzung: »die Anwendung des internationalen
Rechts einzufordern«, wie es auf einem Plakat hieß, das wir in Triest sahen. Darauf war die
Rundfahrt der Karawane durch die Stadt und das anschließende gemeinsame Feiern in einer Sportanlage
ankündigt. Einladende waren örtliche Friedensgruppen, Antifaschisten, Migrantengruppen so
weit ich sehen konnte, war nur eine speziell mit Palästina befasste Initiative dabei. In Mailand, wo
die Karawane in Begleitung von einer Fahrraddemo durch die Stadt fuhr, stand sie anschließend im
Mittelpunkt des Volksfestes von Rifondazione Comunista.
Von all diesen Menschen und Gruppen wird der
palästinensische Widerstand gegen die Besatzung als emblematisch empfunden, als beharrlicher Kampf
für unveräußerliche Rechte, als universelles Anliegen daher die große Zustimmung
und teilweise sogar Begeisterung, wo immer die Karawane auftauchte. Dies scheint besonders in der
Türkei der Fall gewesen zu sein, wo der Karawane ein überwältigender Empfang bereitet wurde
und auch in einigen Medien der Widerhall groß war wohl eher weil und nicht obwohl die
türkische Regierung eng mit der israelischen kooperiert. In einem palästinensischen
Flüchtlingslager in Syrien kamen die Fahrzeuge zum Stehen, umringt von Tausenden begeisterten
Menschen. »Sie haben hier nie Besucher aus dem Ausland, es ist noch nie jemand gekommen, um ihnen zu
bestätigen, dass sie ein Rückkehrrecht haben«, meldete mir ein »caravanier« bewegt
durchs Telefon, als ich schon wieder zurück in München war.
Krieg, Besatzung, Isolation und mit Gewalt
durchgesetzte Ungleichheit nehmen zu. Diese Gewalt sucht auch die Metropolen heim, wie der Anschlag in
London zeigte die Fronten zwischen Terror und Krieg gegen den Terror verschwimmen. Nur die
Anerkennung gleicher Rechte jenseits von Macht und Gewaltmitteln kann Grundlage für Frieden sein. Das
artikuliert die Karawane, dafür steht sie ein. Das hätte sie auch in der besetzten Westbank und
in Jerusalem demonstriert wollen.
Sophia Deeg
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