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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 22

Die Karawane für Palästina

Reisende in Sachen Völkerrecht

Am 5.Juli 2005 machten sich über hundert Menschen aus zahlreichen europäischen und einigen anderen Ländern in einer Fahrzeugkarawane auf den Weg nach Palästina.

Die Reise begann in Straßburg, dem Sitz des Europäischen Parlaments, und sollte am 19.Juli in Jerusalem enden, wo palästinensische und israelische Aktivisten die Internationalen — vergeblich — erwarteten. Denn die israelischen »Sicherheits«kräfte, die nicht nur die Grenzen Israels, sondern auch die des besetzten Palästina kontrollieren, haben den gewaltfreien Demonstranten die Einreise verweigert und sie in Richtung Jordanien verfrachtet. Dazu wurden sie in einen ihrer Busse förmlich hineingeprügelt und abtransportiert.
Reisen scheint durchaus eine vielversprechende politische Aktivität zu sein. Auch Außenminister Fischer war kürzlich in Israel/Palästina unterwegs, zuvor bereiste die US-Außenministerin die Region. Von Behinderungen bei der Einreise ist nichts bekannt.
Wir sind es gewohnt, den Mächtigen und ihren Vertretern beim bedeutungsvollen, konfliktlösenden Reisen zuzusehen, ihren Verlautbarungen, Ermahnungen und Absichtserklärungen zu lauschen und die Früchte ihrer Reisediplomatie, Road Maps und Ähnliches, zur Kenntnis zu nehmen. Sie sind ständig unterwegs, und zwar für den Frieden und vorgeblich in unserem Namen. Wir sind es auch gewohnt, dass in den Medien und in der Öffentlichkeit ausschließlich diese Reisetätigkeit wahrgenommen wird, obwohl sie keinen Konflikt je im Sinne des internationalen Rechts und auf der Grundlage der Wahrheitsfindung über seine Ursachen gelöst hat.
Doch, so der israelische Autor und Aktivist Michael Warschawski beim Weltsozialforum in Porto Alegre 2003, »es gibt keine ›Konflikte‹, es gibt Angriffskriege, Befreiungskämpfe, Streiks … Und die Verhandlungslösungen, die für Israel/Palästina bisher vorgeschlagen wurden, sind klare Beispiele dafür, wie man einen ›Konflikt‹ nicht löst. Denn sie basieren auf der Annahme eines Konflikts und nicht auf der einer Besatzung.«
Eine Besatzung ist aber nach internationalem Recht genau definiert, mit Pflichten seitens des Besatzers, Bedingungen unter denen sie andauern darf oder zu beenden ist, mit Rechten der Zivilbevölkerung des besetzten Gebietes, z.B. auf Schutz und Versorgung durch die Besatzungsmacht. Was also zu geschehen hat, um den rechtsfreien Zustand in den besetzten Gebieten zu beenden, um der sog. »Spirale der Gewalt« Einhalt zu gebieten, um Frieden zu ermöglichen, ist bekannt, festgeschrieben durch die Genfer Konventionen, UN-Resolutionen, internationales Recht und menschenrechtliche Übereinkünfte.
Was jedoch seit 38 Jahren tatsächlich geschieht, ist genau das Gegenteil. Und auch während die Karawane des Rechts sich in Richtung Palästina bewegt, macht sich die Besatzungsmacht in gewohnter Manier auf Menschenjagd, liquidiert Verdächtige, verhängt Kollektivstrafen als Reaktion auf einen Selbstmordanschlag, der selbstverständlich zu verurteilen und vor allem aufzuklären ist. Mit seinen Methoden jedoch vertieft Israel einmal mehr den Zustand der Rechtsfreiheit, der auch den eigenen Bürgern schwer schadet.

Europäische Initiative

Der »Karawane für Palästina, Karawane des Rechts« wurden bei der Abreise in Straßburg von EU-Parlamentariern aller Fraktionen, vor allem aber der linken Fraktion der GUE/NGL, die besten Wünsche mit auf den Weg gegeben. Francis Wurtz, der Vorsitzende dieser Fraktion, erinnerte daran, dass das EU-Parlament bereits im April 2002 mehrheitlich die Aussetzung des europäisch- israelischen Assoziationsabkommens gefordert hat. Das Abkommen enthält als Bedingung für die gemeinsame Freihandelszone von beiden Partnern einzuhaltende Menschenrechtsklauseln. Es ist allgemein bekannt, dass diese durch Israel und seine Siedlungs- und Besatzungspolitik unausgesetzt verletzt werden. Doch der Ministerrat, allen voran Außenminister Fischer, der sich gerne als Vorkämpfer für mancher Menschen Rechte hervortut, ist nicht bereit, den Parlamentsbeschluss umzusetzen.
Etwa ein Jahr lang planten Einzelpersonen und Aktive aus den sozialen Bewegungen Frankreichs, der Niederlande, Spaniens und Italiens die Karawane für Palästina. Manche von ihnen waren bereits ein- oder mehrmals in Palästina gewesen und haben gesehen, dass sich die humanitäre Lage der Bevölkerung ständig verschlechtert hat, dass der Mauerbau trotz der Verurteilung durch den Internationalen Gerichtshof fortgeführt wird. Andererseits stellten sie fest, dass der gewaltfreie Widerstand der Palästinenser, zusammen mit Israelis und Internationalen, trotz aller Widrigkeiten beharrlich fortgeführt wird.
»Warum nimmst du teil an der Karawane«, fragte ich »Mad Dog«, einen Punk und Medienaktivisten aus Südfrankreich. Seine Antwort war verblüffend einfach: »Es geht um Rechte, Rechte die nicht verletzt werden dürfen, nirgends.«
Eine Säule des Projekts »Karawane für Palästina« war nicht von ungefähr das Collectif judéo-arabe et citoyen in Straßburg. Arabische, jüdische und andere Bürger der Stadt und des Umlands entfalten unermüdlich Aktivitäten, um den rechtsextremen, rassistischen Strömungen im Elsass entgegenzutreten und um den Kampf der Palästinenser gegen die Besatzung zu unterstützen. »Das gehört für uns zusammen«, erklärte mir Perrine, eine der Aktivsten im Collectif. Nicht wenige caravaniers waren Franzosen mit jüdischen oder arabischen Wurzeln.
Sie nehmen »die andere Welt« voraus, in der nicht »tribale« Zugehörigkeiten und die Vorgaben der Macht politisches Handeln und menschliche Beziehungen prägen und einschränken.

Germaine

Für Germaine, Mitglied des Collectif und mit Ende 70 die älteste Teilnehmerin der Karawane, war es selbstverständlich, für die Rechte der Palästinenser einzustehen. »Und nur bla- bla, des reicht net«, meinte sie auf elsässisch. »Man kann doch net zulasse, dass die Leut‘ immer nur unterdrückt werde.« Sie trug ein T-Shirt von Vía Campesina, der globalisierungskritischen Bauernbewegung und nennt José Bové, den bekannten »Altermondialisten« ihren Freund.
Die Zusammenhänge lagen für sie auf der Hand: die gnadenlose Ausbeutung der Natur, die Zerstörung der bäuerlichen Lebensweise und Traditionen, Sozialabbau, Krieg und Besatzung — das alles damit die großen internationalen Unternehmen noch mächtiger und reicher werden. Das einzige, was dagegen hilft, ist Solidarität, unsere gemeinsame Aktion.
Im internationalen Bus, dem größten Fahrzeug der Karawane, stand Germaine fraglos im Mittelpunkt. Sie flirtete mit Mohamed, dem Lehrer aus Nancy, und ließ uns alle hüpfen, stellte aber auch jederzeit großzügig Zelt, Jacke, und was sonst gebraucht wurde, zur Verfügung.
An der Grenze von Slowenien nach Kroatien wurde die Karawane von den kroatischen Grenzschützer mit fadenscheinigen Begründungen stundenlang aufgehalten. Germaine schickte mich los und ließ sich von mir Bericht erstatten, was da draußen verhandelt wurde.
Schließlich stieg sie unter dem Vorwand, auf die Toilette zu müssen, selber aus. Als es zu einem Gerangel kam, weil die Grenzer Saif, den Palästinenser, der noch kein Visum hatte, grob anpackten und wegzerrten, trat sie den Soldaten immer wieder in die Wade. Drehten sie sich um, sahen sie eine verzweifelte ältere Dame vor sich, die kein Wässerchen trüben konnte. Hinterher kicherte sie vergnügt, wenn sie an die Szene zurückdachte. »Aber Germaine, das geht nicht, wir sind gewaltfrei…« wurde sie von einer jungen Mitstreiterin ermahnt, doch sie blieb vergnügt. Außerdem wusste sie von Anfang an, was von den kroatischen Uniformierten an der Grenze zu erwarten sei: »Des sin Faschiste, die mache uns bestimmt Probleme…«
Germaine war eine von rund hundert eigenwilligen Persönlichkeiten, die sich für dieses Unternehmen einer Karawane des Rechts selbst organisiert hatten und sich stündlich und täglich angesichts der Unwägbarkeiten einer solchen »Mission ohne offiziellen Auftrag« organisierten. Jeder war für sich, seine Mitreisenden und das Gelingen des Ganzen selber verantwortlich. Alles musste während der Fahrt gelernt werden: Wie den Informationsfluss untereinander organisieren? Wie schnell zu Entscheidungen kommen, an denen alle beteiligt sind? Wie auf »Autoritäten« reagieren, vor allem an den Grenzen? Auch dieser Lernprozess ist ein Vorgriff auf »die andere Welt«, um die es unausgesprochen geht. Dieses Bewusstsein flößte einen besonderen gegenseitigen Respekt ein. Ein »caravanier« nannte es »Zärtlichkeit«.

Empfänge

Wir sprachen viele Sprachen und schrien uns manchmal an, weil wir vergaßen zu übersetzen und uns nicht verstanden. Wir übten verschiedene Berufe aus oder waren arbeitslos. Manche von uns studierten noch, andere waren schon in Rente. Es gab Kinder unter uns, ganze Familien, Künstler, religiöse Menschen, Atheisten, Muslime, Juden und Christen. Autonome, Anarchisten, Sozialisten, Globalisierungskritiker… auch eher unpolitische Menschen.
Die uns auf den ersten Etappen der Reise empfingen, in Frankreich, der Schweiz, Italien, Serbien und der Türkei, waren genauso vielfarbig wie wir, aber alle überzeugt von einer einfachen Zielsetzung: »die Anwendung des internationalen Rechts einzufordern«, wie es auf einem Plakat hieß, das wir in Triest sahen. Darauf war die Rundfahrt der Karawane durch die Stadt und das anschließende gemeinsame Feiern in einer Sportanlage ankündigt. Einladende waren örtliche Friedensgruppen, Antifaschisten, Migrantengruppen — so weit ich sehen konnte, war nur eine speziell mit Palästina befasste Initiative dabei. In Mailand, wo die Karawane in Begleitung von einer Fahrraddemo durch die Stadt fuhr, stand sie anschließend im Mittelpunkt des Volksfestes von Rifondazione Comunista.
Von all diesen Menschen und Gruppen wird der palästinensische Widerstand gegen die Besatzung als emblematisch empfunden, als beharrlicher Kampf für unveräußerliche Rechte, als universelles Anliegen — daher die große Zustimmung und teilweise sogar Begeisterung, wo immer die Karawane auftauchte. Dies scheint besonders in der Türkei der Fall gewesen zu sein, wo der Karawane ein überwältigender Empfang bereitet wurde und auch in einigen Medien der Widerhall groß war — wohl eher weil und nicht obwohl die türkische Regierung eng mit der israelischen kooperiert. In einem palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien kamen die Fahrzeuge zum Stehen, umringt von Tausenden begeisterten Menschen. »Sie haben hier nie Besucher aus dem Ausland, es ist noch nie jemand gekommen, um ihnen zu bestätigen, dass sie ein Rückkehrrecht haben«, meldete mir ein »caravanier« bewegt durchs Telefon, als ich schon wieder zurück in München war.
Krieg, Besatzung, Isolation und mit Gewalt durchgesetzte Ungleichheit nehmen zu. Diese Gewalt sucht auch die Metropolen heim, wie der Anschlag in London zeigte — die Fronten zwischen Terror und Krieg gegen den Terror verschwimmen. Nur die Anerkennung gleicher Rechte jenseits von Macht und Gewaltmitteln kann Grundlage für Frieden sein. Das artikuliert die Karawane, dafür steht sie ein. Das hätte sie auch in der besetzten Westbank und in Jerusalem demonstriert wollen.

Sophia Deeg

Infos . Sophia Deeg ist (zusammen mit Michèle Sibony und Michael Warschawski) Mitherausgeberin des 2005 im Neuen ISP Verlag Köln erschienenen Bandes Stimmen israelischer Dissidenten.



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