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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2005, Seite 7

Vorratsdatenspeicherung

Auf dem Weg zum gläsernen Menschen

Der Zugriff auf den »Datenschatten«, den alle — meist ohne es zu wissen — mit sich führen, soll für staatliche Stellen erheblich erleichtert werden. Dies sieht die sog. »Vorratsdatenspeicherung« aller Telekommunikationsdaten vor. Darunter ist zu verstehen, dass Telekommunikationsunternehmen, die Telefon oder Handy, Internetzugang und E-Mail-Dienste betreiben, die Verbindungsdaten aller ihrer Kunden und jedes Kommunikationsvorganges auf Vorrat speichern müssen und auf Verlangen der Polizei oder anderen Behörden Zugang zu diesen Daten verschaffen müssen (vgl. auch SoZ 9/05).
Die Speicherung solcher »Verkehrsdaten« soll gemäß EU- Plänen drei Jahre lang erfolgen, damit beim »Kampf gegen den Terrorismus« die Behörden bei Verdächtigen noch lange zurückliegende Telekommunikationsverbindungen ausforschen können. Telekommunikationsverkehrsdaten sind alle Nummern, die von einem Anschluss aus angerufen werden sowie die eingehenden Gespräche. Dabei werden ebenfalls sämtliche Mobilfunknummern gespeichert. Zusätzlich ist daran gedacht, die Standortkennung des jeweiligen Gesprächs — also aus welcher Mobilfunkzelle telefoniert wurde — zu speichern, was nichts anderes heißt als Verfolgung jedes Mobilfunkteilnehmers an jeden Ort. Dabei ist es mit der heutigen Technik möglich, den Standort des Mobilfunktelefons auf mehrere Meter bis hundert Meter genau festzuhalten.
Bei den Providern sollen sämtliche aufgerufenen Internetseiten mit der entsprechenden IP-Nummer des angeschlossenen Computers gespeichert werden. Ebenfalls sämtliche Mail-Verbindungen mit entsprechenden Adressen der ein- und ausgehenden E-Mails. Damit würden sämtliche Telekommunikationsverbindungen jedes einzelnen Teilnehmers erfasst und gespeichert — eine riesige Datenflut, die aber mit großen Datenbanken technisch zu bewältigen ist. Ebenfalls ist die Kontrolle dieser Datenmengen technisch gesehen mit entsprechenden Suchmaschinen kein Problem, und bei den Behörden scheint unter dem Vorwand der Terrorabwehr alles recht, was technisch machbar ist, so muss man das Bestreben der Innenminister einschätzen. Das elektronische Verhalten von Millionen Menschen in der EU wäre damit überwachbar, in Verdachtsfällen rekonstruierbar und auf Jahre verfolgbar. Ein »Datenschatten« dieser Art, der so lange gespeichert bliebe, sollte nicht nur Datenschützer alarmieren, sondern kann ebenso als verfassungswidrig eingestuft werden, weil das »Recht auf informationelle Selbstbestimmung« beim Eintritt in den Vertrag mit einem Provider oder Telekomunternehmen praktisch aufgegeben würde.
Bisher galt in der Bundesrepublik, dass nur solche Daten gespeichert werden dürfen, die für die Abrechnung der Unternehmen nötig sind, das sind zwischen 80 und 90 Tagen bei den großen Telekomfirmen. In Italien sind inzwischen drei Jahre üblich und die EU-Kommission strebt eine Vereinheitlichung bei den Mindestspeicherfristen auf diese Frist an. Kritiker werden abgebürstet, das sei für eine effektive Terrorbekämpfung nötig. Tatsächlich würde es aber eine Schleppnetzfahndung größten Ausmaßes bedeuten.
Auf jeden Fall wird ab 1.Januar 2006 jedes Unternehmen, das Telekommunikationsdienstleistungen anbietet, gesetzlich verpflichtet, technische und softwaremäßige Voraussetzungen zu schaffen, dass Behörden die Daten der Nutzer erfassen können. Im Falle der Überwachung und des Lauschangriffs gilt das nicht nur für die Verbindungsdaten, sondern natürlich auch für den Inhalt der Gespräche bzw. Mails und der benutzten Internetseiten. Die Vorratsdatenspeicherung soll dazu führen, dass innerhalb der Speicherzeit sämtliche Daten zur Verfügung stehen. Die Verfolgung nicht nur von wirklichen Verbrechen, sondern auch unliebsamer, oppositioneller Tätigkeiten im Netz würde entsprechend erleichtert und ein rechtlicher Mantel umgehängt.
Ein weiterer Punkt ist wichtig. Insbesondere die Verknüpfung persönlicher Daten mit dem Kommunikationsverhalten, den Surf- und Mail-Gewohnheiten, ist nämlich nicht nur für staatliche Stellen bei der Strafverfolgung oder Verdachtsüberprüfung interessant, sondern auch vor allem für private Unternehmen, die mit Datensätzen und der Verknüpfung handeln. So ist ein großer Teil der Werbestrategien darauf gerichtet, Werbung gemäß erkanntem (Konsum-)Verhalten auszurichten. Hier sind Telekommunikationsdaten, die mit Adressen und Aufenthaltsdaten verknüpft werden können, ein hoch interessantes Feld, das schon beackert wird, ohne dass es den meisten Menschen richtig bewusst ist: Rabattkarten, zunehmende Onlineabwicklung von Käufen und Geschäften, Onlinebanking usw.

Rolf Euler

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