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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2005, Seite 17

China

Klassenkämpfe in China

Die gewaltsame Anpassung Chinas an den kapitalistischen Weltmarkt führt nicht allein zu enormen sozialen Verwerfungen, sie bewirkt auch die Neuorganisation einer 200 Millionen Menschen starken Arbeiterklasse — unter schwierigsten Bedingungen.

In den vergangenen Jahren vervielfachte sich die Zahl der sozialen Proteste um 300%. 1993 wurden noch 10000 Fälle mit 700000 Beteiligten gezählt, 2003 stieg die Zahl der Fälle auf 60000 und die der Beteiligten auf 3 Millionen. Darunter gab es viele Arbeitskonflikte, eine offizielle Statistik gibt es darüber nicht und die Zensur ist hart.

Die Staatsbetriebe

Die erste Welle von Arbeitsniederlegungen begann Anfang der 90er Jahre in den Staatsbetrieben, die privatisiert oder in »moderne Unternehmen umgewandelt« werden sollten. Am bekanntesten wurden die Arbeitskonflikte auf dem Ölfeld Da Qing und in der Metallfabrik Liao Yang.
Im März 2002 protestierten 50000 Erdölarbeiter vom Ölfeld Da Qing mehrere Tage gegen die Verkleinerung der Produktion. Die chinesische Ölindustrie hat einen enormen Umstrukturierungsprozess durchgemacht, um auf dem einheimischen Markt mit den ausländischen Ölgiganten konkurrieren zu können.
Ein Jahr zuvor ging die Metallfabrik in Liao Yang, gleichfalls im Nordosten gelegen, in Konkurs — das staatliche Eigentum hatten sich Manager und örtliche Beamte in die Taschen gesteckt. Die Arbeiter gingen auf die Straße.
Der Fall Da Qing stach wegen der massiven Beteiligung und dem Ruf nach unabhängigen Gewerkschaften hervor. Der Fall Liao Yang war spektakulär, weil hier der Versuch gemacht wurde, Beziehungen zu Arbeitern anderer Fabriken zu knüpfen, um einen gemeinsamen Widerstand gegen die Privatisierung aufzubauen. In beiden Fällen übten die Behörden scharfe Repression; die beiden Streikführer von Liao Yang wurden zu vier bzw. sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Die Metallfabrik wurde geschlossen. In der Ölindustrie wurden 600000 Arbeiter entlassen.
Es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende von Fällen, wo Beschäftigte von Staatsbetrieben sich in den letzten zehn Jahren gegen Privatisierung zur Wehr gesetzt haben; in den meisten Fällen wurde der Kampf verloren. Bis zu 30 Millionen Beschäftigte wurden aus Staatsbetrieben entlassen, die Frauen waren die ersten. Von 1993 bis 2003 ist der Anteil der Staatsbetriebe an der industriellen Gesamtproduktion von 47% auf 38% gesunken. Unter der Losung »Die großen (Staatsbetriebe) behalten, die kleinen abstoßen« (in Wirklichkeit wurden auch manche mittlere Betriebe »abgestoßen«), wurden viele Klein- und Mittelbetriebe privatisiert. Die großen Staatsbetriebe wurden in Unternehmensformen überführt, deren letztes Ziel ist, selber zu transnationalen Konzernen zu werden und auf dem Weltmarkt mit US-Giganten wie Mobile, Ford u.a. zu konkurrieren. Ob dies gelingt, steht auf einem anderen Blatt.

Die neue Arbeiterklasse

Während in den Staatsbetrieben Massenentlassungen durchgeführt, die Restbelegschaften verjüngt und ihre Arbeitsbedingungen völlig umgekrempelt wurden, hat sich in den auf den Export orientierten Sonderwirtschaftszonen (SWZ), vor allem im Delta des Perlflusses, eine neue Arbeiterklasse herausgebildet.
Weltweit gibt es etwa 800 Sonderwirtschaftszonen, die etwa 30 Millionen Menschen beschäftigen. In den chinesischen Zonen arbeiten 20 Millionen davon, also zwei Drittel. China ist damit der bevorzugte Standort für ausländische Direktinvestitionen. In den Sonderwirtschaftszonen beträgt der Arbeitstag 12—14 Stunden für einen Mindestlohn, der gerade für eine Schale Nudeln am Tag reicht. Aus diesen Zonen werden extrem billige Produkte auf den Weltmarkt geworfen, was anderswo De- Industrialisierung und Produktionsverlagerungen nach China verursacht.
Bei diesem Vorgang verliert die chinesische Arbeiterklasse ebenso wie die internationale. Letztere verliert ehemals gut bezahlte Jobs, davon profitieren aber nicht die chinesischen Arbeiter, sie werden vielmehr auf miserable Arbeitsplätze zu fürchterlichen Arbeitsbedingungen abgeschoben. Die Beschäftigten in den Sonderwirtschaftszonen akzeptieren solche Arbeitsplätze, weil sie meist vom Land kommen und nirgendwo anders hingehen können, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Dank der Revolution von 1949 sind chinesische Bauern immer noch im Besitz von kleinen Flecken Land — das ist eine der wenigen sozialen Errungenschaften, die während der kapitalistischen Restauration der letzten 15 Jahre nicht rückgängig gemacht wurde. Aber der kleine Landbesitz reicht zum Überleben nicht. Die Eltern schicken ihre Kinder deshalb in die Stadt zum Arbeiten. Die Töchter haben dabei in den Sonderwirtschaftszonen viel bessere Chancen, weil junge Frauen als passiver und eher in der Lage gelten, einen langen, harten Arbeitstag durchzuhalten. Frauen stellen in den SWZ 70% der Beschäftigten.
Während die Arbeiter in den Staatsbetrieben den Kampf gegen die Privatisierung meistens verloren haben, ist die Zahl der Streiks und Arbeitskämpfe in den SWZ gestiegen. Nach offiziellen Angaben waren 2004 in Shenzhen, einer großen Wanderarbeiterstadt in der Nähe von Hongkong, 300000 Werktätige in Arbeitskämpfe involviert. Im vergangenen Jahr wurden über ein Dutzend Streiks und Straßenblockaden allein in der Provinz Guangdong registriert. Über viele andere Arbeitskämpfe wurde gar nicht berichtet.

Streiks in SWZ

Im Juli 2004 erlitten mindestens 370 Arbeiter in zwei Batteriefabriken des asiatischen Konzerns Gold Peak Industrial Holding Ltd. Kadmiumvergiftungen. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Hongkong und Singapur. Seine elektronischen Artikel werden unter verschiedenen Markennamen auf der ganzen Welt verkauft. Die betroffenen Arbeiter erhielten nur eine geringe Entschädigung, die Geschäftsleitung und die örtlichen Behörden drohten ihnen sogar strafrechtliche Verfolgung an, sollten sie eine Petition an die Zentralregierung in Peking richten.
Den Arbeiter gelang es aber, sich zur Wehr zu setzen. Sie organisierten mehrere Streiks und Straßenblockaden — der einzige Weg, sich Gehör zu verschaffen. Die Frauen übernahmen die Führung im Kampf. Eine NGO in Hongkong namens Globalization Monitor griff den Fall auf und startete eine Kampagne, in der sie forderte, Gold Peak solle in Hongkong einen Hilfsfonds zur medizinischen Betreuung der Opfer einrichten; sie erhielt dafür die Unterstützung von vielen Gewerkschaften und anderen NGOs. Am 5.August gab der Konzern dem Druck schließlich nach und verkündete die Einrichtung eines Fonds von 10 Millionen HK-Dollar.
Die Unterstützung aus Hongkong war für den Erfolg des Kampfes sehr wichtig, vielleicht entscheidend. Mit Unterstützung von Hongkong hat die chinesische Bürokratie ihr Projekt der kapitalistischen Restauration durchsetzen können. Hongkong kann aber auch zum zentralen Hebel für die chinesische Arbeiterbewegung werden, weil es die einzige chinesische Stadt ist, in der es Redefreiheit und teilweise Wahlfreiheit gibt.
Trotz der vielen Streiks in den Sonderwirtschaftszonen, folgte aus ihnen wenig Organisation, selbst wenn die Kämpfe mit Zugeständnissen enden. Die Streiks brechen spontan aus und enden ebenso abrupt mit Repressalien oder mit einigen Zugeständnissen. Das liegt daran, dass die Wanderarbeiter vom Land wenig Verständnis für Gewerkschaften haben. Ihr Denken bleibt vorwiegend bäuerlich — sie sind individualistisch, ohne kollektive Identität als Arbeiter und weniger gebildet als Arbeiter aus den Städten. Das hemmt ihre Fähigkeit, sich langfristig zu organisieren. Deshalb war der Arbeitskampf bei Uniden so bedeutend.

Erster bewusster Organisationsversuch

Uniden ist eine japanische Elektronikfirma, die seit 1987 in China operiert, ein Großbetrieb mit 12000 Beschäftigten. Der monatliche Grundlohn beträgt 480 Renminbi, das reicht kaum zum Überleben. Um 800 RMB zu verdienen, müssen die Arbeiter Überstunden fahren und des Arbeitstag auf bis zu zwölf Stunden ausdehnen. Die niedrigen Löhne sind ständig Anlass für Auseinandersetzungen, der zweite Anlass ist das schlechte Essen in der Kantine.
Im Dezember 2004 kam es erstmals zum Streik — bis April 2005 wurden insgesamt fünf Streiks organisiert. Diese brachen aber nicht spontan aus, sie wurden tatsächlich organisiert. Denn die Arbeiter bei Uniden taten etwas, das unter Beschäftigten in den SWZ sehr selten ist: sie forderten die Gründung einer Gewerkschaft. Sie bildeten ein Komitee, das Vorbereitungen dafür einleiten soll, und das Komitee arbeitet. Der Grund ist, dass es sich hauptsächlich aus Technikern und Facharbeitern zusammensetzt, die im Arbeitskampf an vorderster Stelle standen. Sie kommen wahrscheinlich alle aus der Stadt. Sie verteilten Handzettel unter die Arbeiter, schrieben ihre Forderungen darauf und veröffentlichten Berichte im Internet— eine Fähigkeit, die Wanderarbeiter vom Land nicht mitbringen.
Am 20.April streikten die Arbeiter von Uniden erneut, der Streik wurde radikaler: sie forderten nicht nur das Recht, Gewerkschaften zu gründen, es gingen auch ein paar Fensterscheiben zu Bruch. Sehr bald ging die Polizei dazwischen, wie schon in den vier Streiks zuvor, und die Streikführer wurden verhaftet, gefangen genommen oder entlassen.
Es ist für alle Seiten lebenswichtig, dass die internationale Arbeiterbewegung Solidarität mit den chinesischen Arbeitskämpfen organisiert. Nur dadurch lässt sich das globale Lohn- und Sozialdumping aufhalten und umkehren.

Wong Kam Yan, Hongkong

Aus: Socialist Outlook (London), Sommer 2005 (Übersetzung: Angela Klein).



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