SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2005, Seite 20

Seeed: Next!

Elf Männer machen mobil

SEEED kommen aus dem urbanen Berlin, dem sie mit ihrem Hit »Dickes B« ein Denkmal gesetzt haben. Sie bezeichnen sich selbst nicht als politische Band, sie schreiben auch keine Texte in dieser Richtung. Doch die elf unterschiedlichen Männer, die in ihrer Musik ganz verschiedene Stile zusammengefügt haben, eignen sich als Verkörperung eines multikulturellen, egalitären Lebenstraums.
Ihre Musik überschreitet Genregrenzen, fordert zum Tanz auf, produziert Lebensfreude und lädt jeden ein, mehr zu sein als nur ein dumpfer Sesselpupser. Ihre Texte handeln u.a. vom Aufstehen, Loslegen, Spaßhaben, Sexhaben — und das kann ja auch in subversiver Hinsicht verstanden werden. Wie bspw. bei »What you deserve is what you get« auf der letzten Platte, wo sie Mut machen, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen und es nicht nur am monetär-gesellschaftlichen Erfolg auszurichten. Oder etwas ironischer bei »Swinger« auf dem aktuellen Album, wo ein kleiner Angestellter nicht nur seinen Chef k.o. boxt, sondern noch gleich die Tiere aus allen Zoos befreit und Frieden nach Nahost bringt. Insofern sind Seeed dann doch wieder politisch und wenn es nur der Ausdruck von Unzufriedenheit mit eingezwängten Lebensumständen ist, ohne aber einen Sündenbock dafür zu benennen. Bei Seeed fasst man sich besser an die eigene Nase und agiert mit Liebe und Respekt.
Die anfängliche Idee vor sieben Jahren war, als mobiles Reggae-Einsatzkommando nach dem Vorbild der großen Marching Bands aus New Orleans beim Karneval der Kulturen in Berlin anzutreten. Dazu kam es zwar nicht, doch eine Band mit drei Sängern, zwei Bläsern, einem Percussionisten, einem Schlagzeuger, einem Gitarristen, einem Bassisten, einem Keyboarder und einem DJ war geboren. Ihr Markenzeichen ist eine eigenwillige basslastige Mischung aus vornehmlich Dancehall, Dub, Reggae und teils, im zweiten Album, orientalischen Klängen. Der virtuose deutsch-englische Sprechgesang tut sein übriges für den einzigartigen Sound der Band.
Zuerst eroberten sie als fulminante Liveband das Berliner Publikum, dann wurden sie 2001 mit »Dickes B« in ganz Deutschland bekannt und 2002 landeten sie mit »Waterpumpee« sogar in Jamaika einen Top-10-Hit. Es folgten Echo-Auszeichnungen und internationale Anerkennung, die auch die Veröffentlichung ihres zweiten Albums in einer rein englischen Version nach sich zog. In diesem Sommer ging das vor-ausgekoppelte »Aufstehen!« bis auf Platz 5 der deutschen Singlecharts. Eine steile Karriere also, die sie selbst vielleicht am wenigsten erwartet haben, hatten doch die meisten bereits jahrelanges Musikmachen ohne großen Erfolg hinter sich.
Ein Wermutstropfen in dieser Geschichte ist lediglich die Erkrankung des Songschreibers und Sängers Pierre Baigorry, die ihn zwang, etwas ruhiger zu treten. Doch diese Zeiten scheinen vergessen. 2005 sind sie als mittlerweile legendäre Liveband auf viele Festivals in ganz Europa, u.a. zum Jazzfestival im englischen Glastonbury, zurückgekehrt. Nun promoten sie ihr neues Album und bereiten ihren Tournee-Start im Februar 2006 vor.
Next! heißt ihr dritter Longplayer und er hat erneut einen ganz eigenen Charakter. Musikalisch dominiert eher R‘n‘B als Reggae-Dancehall, die Texte sind zum Teil witziger geworden. Insgesamt ist es ein vielfältiges Album, dem man anhört, dass alle Mitglieder an der Produktion der 14 Tracks aktiv beteiligt waren. Bis dato sind dagegen vor allem Frank A. Dellé, Demba Nabé und insbesondere Pierre Baigorry als Komponist, Texter und Produzent für den typischen Seeed-Sound verantwortlich gewesen. Ein weiterer Unterschied ist, dass dieses Mal auf ein Einspielen der Songs im Studio mit allen elf Mitgliedern verzichtet wurde, die Musiker haben in unterschiedlichen Kombinationen an den Stücken vorrangig in heimischen Studios gewerkelt. Seeed selbst haben in Interviews geäußert, dass sie durch diese Arbeitsweise viel stärker in Kontakt miteinander gekommen seien.
Die Fans, die sich im Gästebuch der Band-Homepage (www.seeed.info) eintragen, scheinen die neue Platte gemischt aufzunehmen. Von vielen wird der Reggae vermisst, von Kommerzialisierung ist die Rede und von Popscheiße. Aber Fans sind — meine These — zur Hälfte konservativ, frei nach Fanta 4: Die alten Sachen fand ich ja ganz gut, die Neuen nicht.

Thekla Fery

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang