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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2005, Seite 3

Konturen der parlamentarischen Linken

Mit einem großen militärischen Zapfenstreich verabschiedete sich Mitte November die Bundesrepublik Deutschland von ihrem »rot-grünen« Kanzler. Und man muss ein Gerhard Schröder sein, um die Blaskapelle der Bundeswehr ausgerechnet »Mackie Messer« von Bertolt Brecht und Kurt Weill sowie Frank Sinatras »I did it my way« spielen zu lassen.
Dass er bei letzterem auch noch sichtlich mit den Tränen kämpfte, sagt einmal mehr fast alles über seine nun endlich verflossene Kanzlerschaft aus. Gerhard Schröder geht nicht nur als erster bundesdeutscher Kanzler, der »in den Krieg zog«, in die Geschichte ein. Er hatte auch ganz persönlich eine Schwäche fürs Militär und den nicht nur dort üblichen autoritären Habitus. Dass ein Ex-Pazifist wie Joschka Fischer ihn zu Beginn der wahlabendlichen »Berliner Runde« mit militärischem Gruß grüßte, zeigt, dass, wer mit Schröder arbeiten musste, um dessen Leidenschaft wusste.

Der Aufstand der SPD-Zwerge

Mit den Traditionen eines radikalen Demokratismus wird man den »Kanzler der Zivilgesellschaft« also kaum in Verbindung bringen können. Entsprechend nachvollziehbar war, dass seine direkten politischen Untergebenen, die Mitglieder des SPD-Vorstandes, darauf drängten, dass solch autokratische Formen sich nicht über die Zeit der von allen als dem Inhalte nach notwendig erachteten Kanzlerschaft hinaus fortsetzen. So dachten sie, sie könnten wenigstens den nun plötzlich ebenso wie Schröder auftretenden neuen starken Mann der Sozialdemokratie, Franz Müntefering, ein wenig bremsen. Als dieser ihnen einen neuen Generalsekretär vorsetzen wollte, der außer durch seine blinde Gefolgschaft zu »Münte« durch wenig andere Qualitäten aufgefallen ist, probten sie den Aufstand, ohne dies so richtig selbst zu bemerken — man wird ja noch wählen dürfen.
Als sie »Müntes« Zögling zugunsten der »Linken« Andrea Nahles durchfielen ließen, machte Müntefering, was er von Schröder gelernt hatte. Er ging sofort in die Gegenoffensive und trat zurück. Die anderen hatten verstanden. Die Vorstands-»Linken« ordneten sich willfährig unter: Gerade eben noch zur neuen Generalsekretärin in spe gekürt, verzichtete die offensichtlich instrumentalisierte Nahles plötzlich nicht nur auf den begehrten Posten, sondern gleich noch auf den niederen Posten einer stellvertretenden Parteivorsitzenden. Und das bis dato eher unbekannte, aber um so einflussreichere »Netzwerk« junger SPD-Pragmatisten um Sigmar Gabriel und Ute Vogt, die eigentlichen Strippenzieher des Putsches gegen Müntefering, akzeptierte den Kompromiss. Mit dem ostdeutschen Ministerpräsidenten Mathias Platzeck einigte man sich auf einen Müntefering- Nachfolger im traditionsreichen Amt des SPD-Vorsitzenden, der trotz formaler Nähe politisch näher bei Schröder und Müntefering steht als bei ihnen selbst.
Was wie eine Linksverschiebung in der SPD begann, endete nun mit einer weiteren Öffnung — weniger nach rechts als zum parteipolitischen Neoliberalismus hin. Derselbe SPD-Parteitag, auf dem Platzeck sein realsozialistisches Wahlergebnis von 99,4% einfuhr, beschloss auch eine Parteireform, die die alte Programm- und Mitglieder-Partei mittels Schnuppermitgliedschaften und Mitgliederplebisziten — nicht über Inhalte, wohl aber über Personen — zunehmend dem neoliberalen Vorbild der US-amerikanischen Demokratischen Partei angleichen wird.
Politisch steht der neue Parteivorsitzende für einen bemerkenswerten Pragmatismus. Der erprobte Führer einer Großen Koalition in Brandenburg kann auch mit allen anderen, notfalls sogar mit der neuen Linkspartei — sofern diese mehr PDS als WASG ist. Es geht dabei Platzeck nicht um politische Visionen oder Programme, er ist ein Manager politischer Macht, ein Kommunikator zwischen den Generationen und gesellschaftlichen Fronten. Er hinterfragt nicht die vermeintlichen Sachzwänge herrschender Politik, er will sie bloß vermitteln — tun, was »man«, sprich: er kann.
Manchmal bedarf es bekanntlich kleiner Revolutionen, um eine große zu verhindern. Das scheint nun nicht nur auf der Regierungsebene, mit der Großen Koalition, sondern auch innerhalb der SPD geglückt zu sein. Was die denkwürdigen Turbulenzen an deren Parteispitze zu Tage gebracht haben, ist vor allem der nun auch formale Abschied einer programmatisch ausgewiesenen SPD-Linken, die bereits mit dem Abgang Lafontaines 1999 ihren Kompass wie ihr Rückgrat verloren hatte.
Auch Andrea Nahles, die Ritterin von der traurigen Gestalt, erweist sich immer weniger als Vertreterin der alten sozialdemokratischen Linken, denn als Vertreterin jener »Generation Praktikum«, von der Journalisten bereits reden. Das aufkommende, mit Vehemenz an die Schalthebel politischer Macht drängende Personal ist so vollständig innerhalb des Parlamentsbetriebes groß geworden, dass sie nichts anderes gelernt haben als solcherart Parlaments- und Parteipolitik. Die Spielregeln und Grenzen derselben werden von dieser jungen Generation so selbstverständlich beachtet, dass ein Kampf um politische Positionen undenkbar ist, wenn er das Ende der eigenen Karriere zur Folge haben könnte. Nahles und andere haben insofern die Lehren des Falles Lafontaine gründlich verstanden.
Reformen, auch linke, sind deswegen auch in Zukunft nicht weniger denkbar geworden als früher, nur wird sich keine dieser Charaktermasken aktiv um solche mehr bemühen. Sie reagieren nur noch auf Druck von außen — und solange der stärkste Druck von der ökonomisch herrschenden Klasse ausgeübt wird, ist auch klar, auf wessen Druck sie untertänigst reagieren.

Konstituierung der neuen Linksfraktion

Sucht man also fortan nach programmatisch ausgewiesenen parlamentarischen Alternativen von links, ist man zwangsläufig auf die neue Linkspartei verwiesen. Doch wie sieht es dort aus, zwei Monate nach der Wahl? Das scheint leichter gefragt, denn gesagt.
Man muss ja nicht, wie weiland die Grünen, unbedingt in Sandalen und mit Blumentöpfen ins Parlament einziehen, aber irgendeine Form des symbolischen Neuanfangs und gewachsenen Selbstbewusstseins wäre schon zu erwarten gewesen. Doch die neue parlamentarische Linksfraktion hat begonnen, als ob nichts gewesen wäre. Man konstituierte sich, stritt sich bei der Verteilung der Posten über die Geschlechterquotierung und verabschiedete ein 100-Tage-Programm.
Das liest sich gar nicht mal so schlecht: »1. Weg mit Hartz IV — soziale Grundsicherung einführen; 2. Abzug der Bundeswehr von Auslandseinsätzen und der US-Atomwaffen aus Deutschland; 3. Mindestlohn einführen; 4. Mehr direkte Demokratie — zivilgesellschaftliche Strukturen stärken,
5. Beseitigung von Kinderarmut als ersten Schritt zur Sozialen Grundsicherung, 6. Zukunftsinvestitionsprogramm für Deutschland — Fahrplan zur Angleichung der Lebensverhältnisse,
7. Steuergerechtigkeit; 8. Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe; 9. Bildung — gleicher Zugang, gleiche Qualitätsstandards für alle; 10. Initiative gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie.« Papier ist jedoch bekanntlich geduldig — zumal wenn es von der PDS kommt.
Mehr noch: Wichtiger als das Zusammentragen von Forderungen ist deren Bündelung in eine klare, halbwegs realistische und in der politischen Debatte zugreifende Vision, für die zu streiten sich auch außerparlamentarisch lohnen würde. So haben sie es vor der Wahl versprochen und so ist es auch richtig. Ob die zweifelsohne wichtige Forderung nach einer Anhebung des ALG II auf 420 Euro diese Kriterien allerdings erfüllt, erscheint eher fraglich. Anders steht es mit dem kämpferischen Antimilitarismus am Beispiel des deutschen Militäreinsatzes in Afghanistan. Die von den West-Linken in der Fraktion, und auch von Oskar Lafontaine, vehement vorgetragene Forderung nach einem Abzug aus dem Land am Hindukusch, fand gleichsam von selbst ihren Weg in die Medien und zur Bevölkerung. Vergleichbares in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik oder auf anderen Gebieten lässt dagegen noch auf sich warten.

Bisky ante portas

Das alles mag ja noch als Ausfluss der berüchtigten Mühen der Ebene durchgehen — trotz des von Lothar Bisky selbst noch Ende Oktober formulierten Anspruches, die neue Linkspartei müsse, »ohne jeden Zeitverzug ihren Gebrauchswert für die Bürgerinnen und Bürger praktisch beweisen«. Die geradezu naive Penetranz jedoch, mit der sich vor allem führende PDSler in den rein parlamentarischen Betrieb integrieren und in dessen Fallstricken aufgehen, stimmt bedenklich.
Als die versammelten etablierten Bundespolitiker nichts besseres zu tun hatten, als dem PDS-Vorsitzenden Bisky den ihm nach den parlamentarischen Spielregeln zustehenden Posten eines Bundestagsvizepräsidenten mit fadenscheinigen und lachhaften Argumenten auch nach dem vierten Anlauf zu verweigern (»Kommunist«, »Stasi« usw.) — man gönnt sich ja sonst nichts —, entblödete sich dieser nicht, in bester deutscher Untertanentradition auf der anschließenden Pressekonferenz zu verkünden: »Ich habe verstanden. Die Mehrheit im Bundestag will nicht, dass ich den Bundestag repräsentiere. Das muss ich als Demokrat akzeptieren.« Ein wirklicher, und d.h. immer auch ein radikaler Demokrat hätte sich dagegen bockig gestellt und solange auf seinem parlamentarisch- demokratischem Recht bestanden — by any means necessary —, bis er es bekommen hätte.
Stattdessen setzte Gregor Gysi medienwirksam sogar noch einen drauf. Anstatt sich jede Diskussion um den eigenen Kandidaten zu verbitten, betonte er dessen persönliche Integrität, Gerechtigkeitssinn und Gutmütigkeit, und verglich ihn sogar indirekt mit den Faschisten, indem er »Schwächen« in der biskyschen Biografie einräumte, die diesem jedoch ebenso wenig vorzuwerfen seien wie damals dem entnazifizierten Nazi Kurt Georg Kiesinger.
Wird solch politisch-intellektueller Offenbarungseid auch noch gepaart mit öffentlich gemachten Strategiepapieren aus dem PDS-Vorstand — Verzeihung: des Vorstandes von »Die Linkspartei.PDS« —, in denen der außerparlamentarische Protest und dessen Artikulation im Parlament einer »strategischen Nutzung unserer Rolle als Oppositionspartei« zum Zwecke des politischen Richtungswechsels 2009 direkt entgegengesetzt wird, um »bei entsprechender inhaltlicher Übereinstimmung auch Regierungsverantwortung zu übernehmen«, dann werden ernsthafte Nachfragen nach dem Gebrauchswertcharakter der neuen Linkspartei dringlich.
Die alte, die PDS von Beginn an begleitende Sucht nach gesellschaftlicher Anerkennung, ohne zwischen einer Anerkennung »von oben« und einer »von unten« zu unterscheiden, verbindet sich hier mit demonstrativer Offenheit für jedwede Macht- und Regierungspolitik. Die entscheidende Frage des nächsten Jahres wird deswegen sein, ob die Vereinigung mit der WASG Räume für die Erkenntnis öffnet, dass man so weder konsequent gegen den Neoliberalismus kämpfen noch das linke Milieu im Westen für sich einnehmen kann. Das ist auch eine Frage an die Linke jenseits von PDS und WASG, zuallererst jedoch eine an deren quantitativ nicht geringe Mitgliedschaft.

Christoph Jünke

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