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Mit einem großen militärischen Zapfenstreich verabschiedete sich
Mitte November die Bundesrepublik Deutschland von ihrem »rot-grünen« Kanzler. Und man muss
ein Gerhard Schröder sein, um die Blaskapelle der Bundeswehr ausgerechnet »Mackie Messer«
von Bertolt Brecht und Kurt Weill sowie Frank Sinatras »I did it my way« spielen zu lassen.
Dass er bei letzterem auch noch sichtlich
mit den Tränen kämpfte, sagt einmal mehr fast alles über seine nun endlich verflossene
Kanzlerschaft aus. Gerhard Schröder geht nicht nur als erster bundesdeutscher Kanzler, der »in
den Krieg zog«, in die Geschichte ein. Er hatte auch ganz persönlich eine Schwäche fürs
Militär und den nicht nur dort üblichen autoritären Habitus. Dass ein Ex-Pazifist wie
Joschka Fischer ihn zu Beginn der wahlabendlichen »Berliner Runde« mit militärischem
Gruß grüßte, zeigt, dass, wer mit Schröder arbeiten musste, um dessen Leidenschaft
wusste.
Mit den Traditionen eines radikalen Demokratismus wird man den »Kanzler der Zivilgesellschaft«
also kaum in Verbindung bringen können. Entsprechend nachvollziehbar war, dass seine direkten
politischen Untergebenen, die Mitglieder des SPD-Vorstandes, darauf drängten, dass solch autokratische
Formen sich nicht über die Zeit der von allen als dem Inhalte nach notwendig erachteten Kanzlerschaft
hinaus fortsetzen. So dachten sie, sie könnten wenigstens den nun plötzlich ebenso wie
Schröder auftretenden neuen starken Mann der Sozialdemokratie, Franz Müntefering, ein wenig
bremsen. Als dieser ihnen einen neuen Generalsekretär vorsetzen wollte, der außer durch seine
blinde Gefolgschaft zu »Münte« durch wenig andere Qualitäten aufgefallen ist, probten
sie den Aufstand, ohne dies so richtig selbst zu bemerken man wird ja noch wählen dürfen.
Als sie »Müntes«
Zögling zugunsten der »Linken« Andrea Nahles durchfielen ließen, machte
Müntefering, was er von Schröder gelernt hatte. Er ging sofort in die Gegenoffensive und trat
zurück. Die anderen hatten verstanden. Die Vorstands-»Linken« ordneten sich willfährig
unter: Gerade eben noch zur neuen Generalsekretärin in spe gekürt, verzichtete die offensichtlich
instrumentalisierte Nahles plötzlich nicht nur auf den begehrten Posten, sondern gleich noch auf den
niederen Posten einer stellvertretenden Parteivorsitzenden. Und das bis dato eher unbekannte, aber um so
einflussreichere »Netzwerk« junger SPD-Pragmatisten um Sigmar Gabriel und Ute Vogt, die
eigentlichen Strippenzieher des Putsches gegen Müntefering, akzeptierte den Kompromiss. Mit dem
ostdeutschen Ministerpräsidenten Mathias Platzeck einigte man sich auf einen Müntefering-
Nachfolger im traditionsreichen Amt des SPD-Vorsitzenden, der trotz formaler Nähe politisch näher
bei Schröder und Müntefering steht als bei ihnen selbst.
Was wie eine Linksverschiebung in der SPD
begann, endete nun mit einer weiteren Öffnung weniger nach rechts als zum parteipolitischen
Neoliberalismus hin. Derselbe SPD-Parteitag, auf dem Platzeck sein realsozialistisches Wahlergebnis von
99,4% einfuhr, beschloss auch eine Parteireform, die die alte Programm- und Mitglieder-Partei mittels
Schnuppermitgliedschaften und Mitgliederplebisziten nicht über Inhalte, wohl aber über
Personen zunehmend dem neoliberalen Vorbild der US-amerikanischen Demokratischen Partei angleichen
wird.
Politisch steht der neue Parteivorsitzende
für einen bemerkenswerten Pragmatismus. Der erprobte Führer einer Großen Koalition in
Brandenburg kann auch mit allen anderen, notfalls sogar mit der neuen Linkspartei sofern diese mehr
PDS als WASG ist. Es geht dabei Platzeck nicht um politische Visionen oder Programme, er ist ein Manager
politischer Macht, ein Kommunikator zwischen den Generationen und gesellschaftlichen Fronten. Er
hinterfragt nicht die vermeintlichen Sachzwänge herrschender Politik, er will sie bloß vermitteln
tun, was »man«, sprich: er kann.
Manchmal bedarf es bekanntlich kleiner
Revolutionen, um eine große zu verhindern. Das scheint nun nicht nur auf der Regierungsebene, mit der
Großen Koalition, sondern auch innerhalb der SPD geglückt zu sein. Was die denkwürdigen
Turbulenzen an deren Parteispitze zu Tage gebracht haben, ist vor allem der nun auch formale Abschied einer
programmatisch ausgewiesenen SPD-Linken, die bereits mit dem Abgang Lafontaines 1999 ihren Kompass wie ihr
Rückgrat verloren hatte.
Auch Andrea Nahles, die Ritterin von der
traurigen Gestalt, erweist sich immer weniger als Vertreterin der alten sozialdemokratischen Linken, denn
als Vertreterin jener »Generation Praktikum«, von der Journalisten bereits reden. Das
aufkommende, mit Vehemenz an die Schalthebel politischer Macht drängende Personal ist so
vollständig innerhalb des Parlamentsbetriebes groß geworden, dass sie nichts anderes gelernt
haben als solcherart Parlaments- und Parteipolitik. Die Spielregeln und Grenzen derselben werden von dieser
jungen Generation so selbstverständlich beachtet, dass ein Kampf um politische Positionen undenkbar
ist, wenn er das Ende der eigenen Karriere zur Folge haben könnte. Nahles und andere haben insofern
die Lehren des Falles Lafontaine gründlich verstanden.
Reformen, auch linke, sind deswegen auch in
Zukunft nicht weniger denkbar geworden als früher, nur wird sich keine dieser Charaktermasken aktiv um
solche mehr bemühen. Sie reagieren nur noch auf Druck von außen und solange der
stärkste Druck von der ökonomisch herrschenden Klasse ausgeübt wird, ist auch klar, auf
wessen Druck sie untertänigst reagieren.
Sucht man also fortan nach programmatisch ausgewiesenen parlamentarischen Alternativen von links, ist
man zwangsläufig auf die neue Linkspartei verwiesen. Doch wie sieht es dort aus, zwei Monate nach der
Wahl? Das scheint leichter gefragt, denn gesagt.
Man muss ja nicht, wie weiland die
Grünen, unbedingt in Sandalen und mit Blumentöpfen ins Parlament einziehen, aber irgendeine Form
des symbolischen Neuanfangs und gewachsenen Selbstbewusstseins wäre schon zu erwarten gewesen. Doch
die neue parlamentarische Linksfraktion hat begonnen, als ob nichts gewesen wäre. Man konstituierte
sich, stritt sich bei der Verteilung der Posten über die Geschlechterquotierung und verabschiedete ein
100-Tage-Programm.
Das liest sich gar nicht mal so schlecht:
»1. Weg mit Hartz IV soziale Grundsicherung einführen; 2. Abzug der Bundeswehr von
Auslandseinsätzen und der US-Atomwaffen aus Deutschland; 3. Mindestlohn einführen; 4. Mehr
direkte Demokratie zivilgesellschaftliche Strukturen stärken,
5. Beseitigung von Kinderarmut als ersten
Schritt zur Sozialen Grundsicherung, 6. Zukunftsinvestitionsprogramm für Deutschland Fahrplan
zur Angleichung der Lebensverhältnisse,
7. Steuergerechtigkeit; 8. Einführung
einer Ausbildungsplatzabgabe; 9. Bildung gleicher Zugang, gleiche Qualitätsstandards für
alle; 10. Initiative gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie.« Papier ist jedoch bekanntlich geduldig
zumal wenn es von der PDS kommt.
Mehr noch: Wichtiger als das Zusammentragen
von Forderungen ist deren Bündelung in eine klare, halbwegs realistische und in der politischen
Debatte zugreifende Vision, für die zu streiten sich auch außerparlamentarisch lohnen würde.
So haben sie es vor der Wahl versprochen und so ist es auch richtig. Ob die zweifelsohne wichtige Forderung
nach einer Anhebung des ALG II auf 420 Euro diese Kriterien allerdings erfüllt, erscheint eher
fraglich. Anders steht es mit dem kämpferischen Antimilitarismus am Beispiel des deutschen
Militäreinsatzes in Afghanistan. Die von den West-Linken in der Fraktion, und auch von Oskar
Lafontaine, vehement vorgetragene Forderung nach einem Abzug aus dem Land am Hindukusch, fand gleichsam von
selbst ihren Weg in die Medien und zur Bevölkerung. Vergleichbares in Fragen der Wirtschafts- und
Sozialpolitik oder auf anderen Gebieten lässt dagegen noch auf sich warten.
Das alles mag ja noch als Ausfluss der berüchtigten Mühen der Ebene durchgehen trotz
des von Lothar Bisky selbst noch Ende Oktober formulierten Anspruches, die neue Linkspartei müsse,
»ohne jeden Zeitverzug ihren Gebrauchswert für die Bürgerinnen und Bürger praktisch
beweisen«. Die geradezu naive Penetranz jedoch, mit der sich vor allem führende PDSler in den
rein parlamentarischen Betrieb integrieren und in dessen Fallstricken aufgehen, stimmt bedenklich.
Als die versammelten etablierten
Bundespolitiker nichts besseres zu tun hatten, als dem PDS-Vorsitzenden Bisky den ihm nach den
parlamentarischen Spielregeln zustehenden Posten eines Bundestagsvizepräsidenten mit fadenscheinigen
und lachhaften Argumenten auch nach dem vierten Anlauf zu verweigern (»Kommunist«,
»Stasi« usw.) man gönnt sich ja sonst nichts , entblödete sich dieser
nicht, in bester deutscher Untertanentradition auf der anschließenden Pressekonferenz zu
verkünden: »Ich habe verstanden. Die Mehrheit im Bundestag will nicht, dass ich den Bundestag
repräsentiere. Das muss ich als Demokrat akzeptieren.« Ein wirklicher, und d.h. immer auch ein
radikaler Demokrat hätte sich dagegen bockig gestellt und solange auf seinem parlamentarisch-
demokratischem Recht bestanden by any means necessary , bis er es bekommen hätte.
Stattdessen setzte Gregor Gysi
medienwirksam sogar noch einen drauf. Anstatt sich jede Diskussion um den eigenen Kandidaten zu verbitten,
betonte er dessen persönliche Integrität, Gerechtigkeitssinn und Gutmütigkeit, und verglich
ihn sogar indirekt mit den Faschisten, indem er »Schwächen« in der biskyschen Biografie
einräumte, die diesem jedoch ebenso wenig vorzuwerfen seien wie damals dem entnazifizierten Nazi Kurt
Georg Kiesinger.
Wird solch politisch-intellektueller
Offenbarungseid auch noch gepaart mit öffentlich gemachten Strategiepapieren aus dem PDS-Vorstand
Verzeihung: des Vorstandes von »Die Linkspartei.PDS« , in denen der
außerparlamentarische Protest und dessen Artikulation im Parlament einer »strategischen Nutzung
unserer Rolle als Oppositionspartei« zum Zwecke des politischen Richtungswechsels 2009 direkt
entgegengesetzt wird, um »bei entsprechender inhaltlicher Übereinstimmung auch
Regierungsverantwortung zu übernehmen«, dann werden ernsthafte Nachfragen nach dem
Gebrauchswertcharakter der neuen Linkspartei dringlich.
Die alte, die PDS von Beginn an begleitende
Sucht nach gesellschaftlicher Anerkennung, ohne zwischen einer Anerkennung »von oben« und einer
»von unten« zu unterscheiden, verbindet sich hier mit demonstrativer Offenheit für jedwede
Macht- und Regierungspolitik. Die entscheidende Frage des nächsten Jahres wird deswegen sein, ob die
Vereinigung mit der WASG Räume für die Erkenntnis öffnet, dass man so weder konsequent gegen
den Neoliberalismus kämpfen noch das linke Milieu im Westen für sich einnehmen kann. Das ist auch
eine Frage an die Linke jenseits von PDS und WASG, zuallererst jedoch eine an deren quantitativ nicht
geringe Mitgliedschaft.
Christoph Jünke
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