SoZSozialistische Zeitung |
Die Wald- und Wiesenidylle, mit der der Dokumentarfilm beginnt, trügt.
Dies machen die zahlreichen Zeitungsausschnitte, die die Autoren gleich zu Beginn einblenden, deutlich.
»Es ist die totale Katastrophe«, bestätigt Heimbewohner Ibrahim K. Und der Blick ins Innere
der Unterkunft lässt ahnen, was gemeint ist.
Seit vielen Jahren steht das
Flüchtlingswohnheim »Stieg« im Landkreis Waldshut-Tiengen (Baden-Württemberg), rund 10
Kilometer zwischen Albbruck und Waldshut im südbadischen Hotzenwald gelegen, in der Kritik.
Aufgrund der räumlichen Isolierung der
Bewohner und der miserablen Lebensbedingungen fordern Initiativen wie das Südbadische
Aktionsbündnis gegen Abschiebungen (SAGA) seit langem die Schließung der Sammelunterkunft.
»Elementare Menschenrechte« würden dort verletzt, die Interessen der Lagerinsassen
»extrem missachtet«. Rund 120 Flüchtlinge aus bis zu 16 Ländern sind in dem Lager
untergebracht.
Mehrmals hat es seither in der Unterkunft
gebrannt. Zwei Frauen begingen Selbstmord, weitere Flüchtlinge Suizidversuche, andere befinden sich in
psychotherapeutischer Behandlung. Eine Zuweisung nach »Stieg« wird von den Asylbewerbern als
»Strafexpedition« betrachtet, berichtet Sozialarbeiterin Elisabeth Götz. Zynisch
kommentierte der Waldshuter Landrat Bernhard Wütz, dass die Unterkunft »kein
Mädchenpensionat« sei. Alle Vorwürfe entbehrten jeglicher Grundlage.
Dass das Gegenteil der Fall ist,
veranschaulicht der jünste Dokumentarfilm von CineRebelde, einem Medienkollektiv in Freiburg, das aus
der Idee entstanden ist, kritische Filme aus emanzipatorischen Bewegungen aufzuführen, das aber auch
selbst Filme dreht (www.cinerebelde.org).
Zwischen Asyl und Abschiebung entstand in
Zusammenarbeit mit SAGA; ein Jahr lang wurde gefilmt, geschnitten, synchronisiert. Ergebnis ist ein 43-
minütiger, recht professioneller und informativer Film.
Im Mittelpunkt stehen neun Flüchtlinge
bzw. Flüchtlingsfamilien, die in Interviews offen über ihre Wohnsituation in »Stieg«,
ihre Lebensgeschichten, ihre Verzweiflung und ihre Hoffnungen Auskunft geben. Viele kämpfen mit
Tränen, während sie erzählen.
»Mein Sohn ist 14 Jahre alt und
schläft noch mit uns in einem Zimmer. Das ist sehr unangenehm für ihn und auch für
uns«, berichtet die Kurdin Hatice B., die mit Ehemann und drei Kindern seit 1998 in Deutschland lebt.
Eine Roma-Familie aus dem Kosovo berichtet von ethnischen Konflikten, die durch die Lagerunterbringung
weiter geschürt werden.
»30 oder mehr sind gekommen …
und haben geschrien, kommt raus, wenn ihr nicht rauskommt, werden sie uns mit Feuer verbrennen und die
haben meinen Vater rausgerufen, sie wollten ihn umbringen, und sie haben meinen Bruder am Hals gepackt,
dass er meinen Vater holen soll, dann haben sie ihm am Hals geschnitten«, erzählt Remzije B. Die
Roma-Familie ist aus dem Wohnheim geflüchtet, Hilfe hat sie nicht bekommen.
»Es gibt keinen Unterschied zwischen
diesem Heim und einem Gefängnis«, sagt Hasan N., der aus politischen Gründen aus der
Türkei geflohen ist. »Weil ich und meine Familie politische Probleme hatten, bin ich aus der
Türkei geflohen«, berichtet auch Bülent E. »Die Menschen betrachten uns nicht als
Flüchtlinge, sondern als Kriminelle. Ich denke, dass Flüchtlinge menschlich behandelt werden
müssen, egal, ob sie aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen geflohen sind.«
»Was wir verlangen, ist Respekt«,
fordert Mboyo S. aus dem Kongo. »Wir sind Menschen, keine Tiere. Asyl beantragen ist keine Gunst, auch
kein Privileg, sondern es ist ein Grundrecht.« Die Flüchtlinge schildern, wie ihr Wunsch, ein
selbstbestimmtes Leben zu führen, bei den Behörden immer wieder an Grenzen stößt- aber
auch, wie sie versuchen, daran nicht zu zerbrechen.
Der Film versteht sich jedoch nicht in
erster Linie als Dokumentation über die Situation in »Stieg«, sondern sieht das Wohnheim im
Hotzenwald exemplarisch für die Situation von Asylsuchenden in Deutschland ein beliebiges Lager
in einem beliebigen Landkreis.
Nach diversen Protesten sind viele
Flüchtlinge inzwischen in anderen Heimen untergebracht, ihre Situation hat sich jedoch keineswegs
gebessert. Denn ihre Lebensbedingungen sind durch die rigiden Ausländergesetze festgelegt. Auch nach
sieben Jahren Rot-Grün hat sich an den menschenunwürdigen Lebensbedingungen der Flüchtlinge
nichts geändert. Verbesserungen sind auch unter der Großen Koalition nicht zu erwarten.
Im Gegenteil zeichnet sich eine
Verschärfung des EU-Abschieberegimes ab. Und man braucht nicht erst in die spanischen Enklaven Ceuta
und Melilla zu schauen, um zu sehen, mit welcher Ignoranz und Menschenverachtung Behörden und Polizei
mit schutzsuchenden Menschen umgehen. Ein Blick in deutsche Flüchtlingswohnheime genügt. In
diesen Zeiten sind Dokus wie diese umso wichtiger. Vielleicht schafft der Film ja den Weg in Kinos und
Schulen.
Martin Höxtermann
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