SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2005, Seite 7

Zwischen Asyl und Abschiebung

Ein Film von CineRebelde*

Die Wald- und Wiesenidylle, mit der der Dokumentarfilm beginnt, trügt. Dies machen die zahlreichen Zeitungsausschnitte, die die Autoren gleich zu Beginn einblenden, deutlich. »Es ist die totale Katastrophe«, bestätigt Heimbewohner Ibrahim K. Und der Blick ins Innere der Unterkunft lässt ahnen, was gemeint ist.
Seit vielen Jahren steht das Flüchtlingswohnheim »Stieg« im Landkreis Waldshut-Tiengen (Baden-Württemberg), rund 10 Kilometer zwischen Albbruck und Waldshut im südbadischen Hotzenwald gelegen, in der Kritik.
Aufgrund der räumlichen Isolierung der Bewohner und der miserablen Lebensbedingungen fordern Initiativen wie das Südbadische Aktionsbündnis gegen Abschiebungen (SAGA) seit langem die Schließung der Sammelunterkunft. »Elementare Menschenrechte« würden dort verletzt, die Interessen der Lagerinsassen »extrem missachtet«. Rund 120 Flüchtlinge aus bis zu 16 Ländern sind in dem Lager untergebracht.
Mehrmals hat es seither in der Unterkunft gebrannt. Zwei Frauen begingen Selbstmord, weitere Flüchtlinge Suizidversuche, andere befinden sich in psychotherapeutischer Behandlung. Eine Zuweisung nach »Stieg« wird von den Asylbewerbern als »Strafexpedition« betrachtet, berichtet Sozialarbeiterin Elisabeth Götz. Zynisch kommentierte der Waldshuter Landrat Bernhard Wütz, dass die Unterkunft »kein Mädchenpensionat« sei. Alle Vorwürfe entbehrten jeglicher Grundlage.
Dass das Gegenteil der Fall ist, veranschaulicht der jünste Dokumentarfilm von CineRebelde, einem Medienkollektiv in Freiburg, das aus der Idee entstanden ist, kritische Filme aus emanzipatorischen Bewegungen aufzuführen, das aber auch selbst Filme dreht (www.cinerebelde.org).
Zwischen Asyl und Abschiebung entstand in Zusammenarbeit mit SAGA; ein Jahr lang wurde gefilmt, geschnitten, synchronisiert. Ergebnis ist ein 43- minütiger, recht professioneller und informativer Film.
Im Mittelpunkt stehen neun Flüchtlinge bzw. Flüchtlingsfamilien, die in Interviews offen über ihre Wohnsituation in »Stieg«, ihre Lebensgeschichten, ihre Verzweiflung und ihre Hoffnungen Auskunft geben. Viele kämpfen mit Tränen, während sie erzählen.
»Mein Sohn ist 14 Jahre alt und schläft noch mit uns in einem Zimmer. Das ist sehr unangenehm für ihn und auch für uns«, berichtet die Kurdin Hatice B., die mit Ehemann und drei Kindern seit 1998 in Deutschland lebt. Eine Roma-Familie aus dem Kosovo berichtet von ethnischen Konflikten, die durch die Lagerunterbringung weiter geschürt werden.
»30 oder mehr sind gekommen … und haben geschrien, kommt raus, wenn ihr nicht rauskommt, werden sie uns mit Feuer verbrennen und die haben meinen Vater rausgerufen, sie wollten ihn umbringen, und sie haben meinen Bruder am Hals gepackt, dass er meinen Vater holen soll, dann haben sie ihm am Hals geschnitten«, erzählt Remzije B. Die Roma-Familie ist aus dem Wohnheim geflüchtet, Hilfe hat sie nicht bekommen.
»Es gibt keinen Unterschied zwischen diesem Heim und einem Gefängnis«, sagt Hasan N., der aus politischen Gründen aus der Türkei geflohen ist. »Weil ich und meine Familie politische Probleme hatten, bin ich aus der Türkei geflohen«, berichtet auch Bülent E. »Die Menschen betrachten uns nicht als Flüchtlinge, sondern als Kriminelle. Ich denke, dass Flüchtlinge menschlich behandelt werden müssen, egal, ob sie aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen geflohen sind.«
»Was wir verlangen, ist Respekt«, fordert Mboyo S. aus dem Kongo. »Wir sind Menschen, keine Tiere. Asyl beantragen ist keine Gunst, auch kein Privileg, sondern es ist ein Grundrecht.« Die Flüchtlinge schildern, wie ihr Wunsch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, bei den Behörden immer wieder an Grenzen stößt- aber auch, wie sie versuchen, daran nicht zu zerbrechen.
Der Film versteht sich jedoch nicht in erster Linie als Dokumentation über die Situation in »Stieg«, sondern sieht das Wohnheim im Hotzenwald exemplarisch für die Situation von Asylsuchenden in Deutschland — ein beliebiges Lager in einem beliebigen Landkreis.
Nach diversen Protesten sind viele Flüchtlinge inzwischen in anderen Heimen untergebracht, ihre Situation hat sich jedoch keineswegs gebessert. Denn ihre Lebensbedingungen sind durch die rigiden Ausländergesetze festgelegt. Auch nach sieben Jahren Rot-Grün hat sich an den menschenunwürdigen Lebensbedingungen der Flüchtlinge nichts geändert. Verbesserungen sind auch unter der Großen Koalition nicht zu erwarten.
Im Gegenteil zeichnet sich eine Verschärfung des EU-Abschieberegimes ab. Und man braucht nicht erst in die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla zu schauen, um zu sehen, mit welcher Ignoranz und Menschenverachtung Behörden und Polizei mit schutzsuchenden Menschen umgehen. Ein Blick in deutsche Flüchtlingswohnheime genügt. In diesen Zeiten sind Dokus wie diese umso wichtiger. Vielleicht schafft der Film ja den Weg in Kinos und Schulen.
Martin Höxtermann

* Zwischen Asyl und Abschiebung. Eine Dokumentation über das Leben in Flüchtlingswohnheimen. DVD, 10 Euro. Bestellung bei cinerebelde c/o Umwelt- und Projektwerkstatt, Baslerstr.103, 79100 Freiburg (cinerebelde@cinerebelde.org).



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