SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2005, Seite 8

Tarifkampf in den Krankenhäusern

Endlich sind sie aufgewacht

Jahrzehntelang galt der Gesundheitsbereich, was die Arbeitskampfbereitschaft betraf, in Deutschland für die Arbeitgeber als eine Insel der Seligen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad lag extrem niedrig, bei den kirchlichen Krankenhäusern häufig fast bei Null, und an Streiks dachte niemand. Doch diese Situation hat sich radikal geändert, was die Arbeitskämpfe dieses Jahres beweisen. Anlass genug, einmal zu untersuchen, was der Hintergrund für diesen Wandel ist.

Ab 5.Oktober streikten, erstmals in der Geschichte der BRD, Beschäftigte eines öffentlichen Krankenhauses ohne Rückendeckung durch andere Bereiche des öffentlichen Dienstes, nämlich die Beschäftigten der Unikliniken in Baden-Württemberg (siehe SoZ 11/05). Die Krankenhausärzte, bisher auch eher streikfeindlich, mobilisierten ebenfalls, allerdings leider gesondert: »Aktive Mittagspausen« in Dresden und Leipzig, Demonstrationen in Düsseldorf und Göttingen und weitere Aktionen in Berlin, Freiburg, Heidelberg, Mannheim und Wiesbaden sollten den Forderungen des Marburger Bundes, der Standesvereinigung der Krankenhausärzte, Druck verleihen. Die Ärzte fordern die Umsetzung der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie und eine Lohnerhöhung von 30%. In Hamburg rief der MB im November alle 4300 Krankenhausärzte zum Warnstreik auf.
Kurz danach rief Ver.di im UKE (Universitätsklinikum Eppendorf), dem größten Hamburger Krankenhaus, zum Streik auf. Am 19.11. gab es einen Warnstreik mit Protestmarsch von 500 Beschäftigten über das Klinikgelände, ab 21.11. sollen die restlichen Hamburger Kliniken folgen. Die Leitung der Hamburger Krankenhäuser war nämlich kurzerhand aus der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburgs ausgetreten, um den kürzlich abgeschlossenen neuen ÖD-Tarifvertrag nicht übernehmen zu müssen. Stattdessen fordern die Arbeitgeber die Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld, der Schichtzulagen sowie eine Arbeitszeitverlängerung auf 42 Stunden, was alles in allem eine Lohnkürzung von ungefähr 20% bedeuten würde. Ist die Kampfkraft der Hamburger Schwestern und Pfleger nur annähernd so stark wie die ihrer Kollegen in Baden-Württemberg, dann dürften die Klinikbetreiber an der Waterkant allerdings eine böse Überrschung erleben.
Angefangen hatte die Protest- und Warnstreikwelle bereits im Frühjahr, als zum Beispiel im März ein Warnstreik der Ärzte an der Uniklinik Marburg stattfand und Ver.di seinerseits eine große Protestkundgebung der Beschäftigten aus Gießen und Marburg organisierte. Vorreiter waren insbesondere die Beschäftigten der Privatklinik Heines in Bremen, die nach einem neunwöchigen Streik im April 2005 die meisten ihrer Forderungen durchsetzten und nun weiter nach BAT bezahlt werden.

Was steckt hinter der neuen Kampfbereitschaft?

Die Arbeitsbedingungen an den Krankenhäusern für Ärzte waren schon immer schlecht — extrem lange Arbeitszeiten, Nachtdienste ohne Freizeitausgleich, hoher Stress. Durch die Gesundheitsreformgesetze der letzten Jahre, den flächendeckenden Betten- und Krankenhausabbau und vor allem die Einführung des fallpauschalorientierten Vergütungssystems ist der Arbeitsdruck weiter gestiegen, zusätzlich ist durch die Verkürzung der Krankenhausverweildauer eine extreme Arbeitsverdichtung hinzu gekommen.
Zum zweiten hat sich in den letzten 20 Jahren die Perspektive gewandelt. Sah die übergroße Mehrheit der Ärzte ihre Krankenhauszeit früher als ein Übergangsstadium vor der Eröffnung einer Praxis (die dann das große Geld bringen sollte) oder für eine sonstige ärztliche Tätigkeit außerhalb des Klinikbetriebs und nahm sozusagen im Tausch gegen die Facharztweiterbildung die harten Arbeitsbedingungen mehr oder weniger klaglos hin, so sehen zunehmend mehr Ärzte die Krankenhaustätigkeit als Lebensstellung — und den üblichen hohen Arbeitsstreß hält niemand bis 65 aus.
Zum dritten sind im europäischen Vergleich die deutschen Mediziner im Gehaltsniveau deutlich zurückgefallen (wenn auch nicht so dramatisch, wie es MB-Chef Montgomery glauben machen will). Der früher häufig benutzte Appell an das ärztliche Ethos (»Ärzte streiken nicht«) verfängt bei der neu herangewachsenen, eher technisch-pragmatisch ausgerichteten Medizinergeneration nicht mehr.
Und das Pflegepersonal? Bei dem ist die erwachte Bereitschaft, für Einkommen und Arbeitsbedingungen zu kämpfen, ebenfalls das Ergebnis einer langen, schleichend verlaufenen sozioökonomischen Veränderung. Der Krankenpflegebereich ist schon lange nicht mehr die fast reine Frauendomäne wie noch vor 20 Jahren. Und die immer noch mehrheitlich weiblichen Beschäftigten sind ihrerseits schon lange nicht mehr nur die »Zuverdienerinnen«, die sich mit den für eine hochqualifizierte und verantwortungsvolle Tätigkeit seit jeher extrem schäbigen Löhnen abzufinden bereit sind.
Hier hat sich ein Professionalisierungsprozess durchgesetzt, der die von den Ordensschwestern in kirchlichen Häusern noch gepflegte Ideologie von der selbstentäußernden Krankenschwester, die weder auf Lohn noch auf Arbeitszeit schaut, relativiert und zur Seite geräumt hat. Eine neue, selbstbewusste Generation von Beschäftigten fordert ihr Recht und ist bereit, dafür zu kämpfen.
Dieser Bewusstseinswandel ist aber auch der rasanten Veränderung des deutschen Gesundheitswesens im Rahmen des neoliberalen Umbaus der letzten beiden Jahrzehnte geschuldet: Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Entwicklung im Krankenhausbereich wie anderswo im Gesundheitswesen längst hin zu einem ausschließlich profitorientierten Dienstleistungsunternehmen gegangen ist.
Auch in Hamburg ist der Senat dabei, sämtliche Krankenhäuser gegen das Votum des Volksbegehrens endgültig zu privatisieren, und die großen privaten Klinikkonzerne rechnen mit Renditen von 6—8% — die obengenannte Umstellung der Vergütung auf das sogenannte DRG-System macht es möglich, allerdings nur dann, wenn man die Personalkosten, die in den Krankenhäusern etwa 70% ausmachen, radikal drückt.
Bei dieser offensichtlichen Strategie verfängt der Appell an die »Verantwortung für das Wohl der Patienten« nicht mehr. Die oben am Beispiel der Ärzte angeführte Arbeitsverdichtung hat das Pflegepersonal noch härter getroffen. Der Patientendurchlauf hat sich in einigen Häusern fast verdoppelt — natürlich ohne jegliche Personalvermehrung.

Gegeneinander statt miteinander?

Bereits beim Streik an den Unikliniken in Baden-Württemberg zeichnete sich ab, dass der Marburger Bund, der die große Mehrheit der Krankenhausärzte organisiert (nur ein Bruchteil ist bei Ver.di), versucht, für die Ärzte eigene Verträge auszuhandeln.
Während Ver.di es strikt ablehnte, in Hamburg über einen Sondertarifvertrag zu verhandeln und die Übernahme des abgeschlossenen ÖD-Tarifvertrags fordert, hat der MB seine Bereitschaft signalisiert, mit sich reden zu lassen — allerdings ausschließlich über die Ärzte, die angeblichen »Leistungsträger«. Problematisch ist dabei, dass die letzten Abschlüsse, die Ver.di getätigt hat, tatsächlich nicht begeisternd waren, damit wurde die Tendenz der Ärzte, sich zu entsolidarisieren, noch gefördert.
Diese Spaltung zwischen den ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeitern ist ein Rückschritt und schwächt die Widerstandsmöglichkeiten gegen die derzeit laufende Dumpingpolitik der öffentlichen wie privaten Klinikbetreiber.
Dabei wäre gemeinsames Handeln und gemeinsame Strategieplanung dringlicher denn je, denn die größte Gefahr für die Arbeits- und Einkommensbedingungen an den Krankenhäusern lauert, wie im gesamten Dienstleistungssektor, vor der Tür: Wenn das EU-Parlament tatsächlich die berüchtigte Bolkestein-Richtlinie, die die Liberalisierung des »Dienstleistungsmarkts« in der EU vorsieht, verabschiedet, dann sind in Zukunft die Tarifverträge das Papier nicht mehr wert, auf dem sie gedruckt sind. Dann wird das Personal aus sog. Billiglohnländern importiert — allerdings nicht mehr, wie in den 70er Jahren, aus Personalmangel und zu hiesigen Tarifbedingungen, sondern aus »Kostengründen« und zu Dumpinglöhnen.

Ernst A. Kluge

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