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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2005, Seite 16

Wissenschaftliche Erkenntnisse und die Grenzen reformistischer Politik

Der Klimawandel

Ökologische Krisen haben ihren Ursprung nicht so sehr in der Natur der Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt als im Ausmaß der Veränderungen, die diese Beziehungen bewirken. Derzeit haben die Veränderungen globale Ausmaße erlangt und ihre Größenordnung wächst exponenziell.

Es lassen sich drei Elemente der Umweltkrise unterscheiden:
der Klimawandel;
die Krise der Biodiversität: das Artensterben erfolgt heute hundert- bis tausendmal so schnell wie zur Zeit der Dinosaurier;
die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen.
Anders als zur vorindustriellen Zeit wirken Klimaveränderungen heute global. Es gibt drei Indikatoren für die Erderwärmung: der Temperaturanstieg, seine Auswirkungen auf die Umwelt — z.B. auf den Meeresspiegel, und seine Auswirkungen auf Flora und Fauna.
Im 20.Jahrhundert ist die mittlere Temperatur um 0,6°C gestiegen. Auf der nördlichen Erdhalbkugel war das Jahrzehnt 1990—2000 das wärmste im ganzen Jahrtausend. Deswegen schmelzen die Gletscher, das Wasser erwärmt sich und dehnt sich aus. Dies hat im Verlauf des 20.Jahrhunderts zu einem jährlichen Anstieg des Meeresspiegels um 1—2 mm geführt. Die Gletscher Grönlands, der Antarktis und der Alpen sind in Ausdehnung und Volumen zurückgegangen — auf der gesamten Nordhalbkugel allein zwischen 1976 und 1996 um 46%.
Auch die Stärke der Regenfälle nimmt zu. Auf der Nordhalbkugel ist die Niederschlagsmenge auf dem Land im 20.Jahrhundert um 5—10% gestiegen. Gleichzeitig hat sich die zeitliche und räumliche Verteilung des Regens verändert: In den USA beobachten wir einen starken Anstieg der Niederschläge, während in gewissen Regionen Asiens und Afrikas Dürreperioden an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Auch Ereignisse wie El Niño waren in den Jahren 1980—2000 häufiger, länger und intensiver.
Diese Veränderungen und vor allem der Anstieg von CO2-Ausstoß zeigen jetzt schon Auswirkungen auf Flora und Fauna. Das Pflanzenwachstum wird stimuliert, Tiere und Pflanzen verlagern ihren Lebensraum, ihre Population nimmt ab oder zu, und in bedeutendem Maße ändern sie auch ihr Verhalten. Einige Arten sterben aus, bei anderen kommen die Strukturen durcheinander. Von 35 nicht wandernden Schmetterlingsarten in Europa haben 22 ihren Lebensraum im Verlauf des 20.Jahrhunderts um 35 bis 240 km nach Norden verlegt. Dieselben Arten leiden auch unter den Veränderungen in der landwirtschaftlichen Produktion, viele sind ausgestorben.
Besorgniserregender für die Gesundheit des Menschen ist die Nordausdehnung krankheitsübertragender Mücken, darunter den Trägern von Malaria. Pflanzen sind in Regionen vorgestoßen, die zuvor eher unwirtlich für sie waren — so hat sich der Bestand eines Grases, der Antarktischen Schmiele (Deschampsia antarctica), auf der Insel Galindez zwischen 1964 und 1990 von 500 auf 12030 vermehrt. Mit Hilfe von Satellitenbeobachtung sind einige Forscher zur Annahme gelangt, dass sich die Vegetationsdauer zwischen 1981 und 1991 global um mehr als 12 Tage im Jahr verlängert hat. Bei einigen Zugvögeln setzt die Frühjahrswanderung in jedem Jahrzehnt 1,3 bis 4,4 Tage früher ein, der Zeitpunkt der Fortpflanzung schiebt sich pro Jahrzehnt um 1,9 bis 4,8 Tage nach vorn.
Es gibt also ein Bündel an Beweisen, dass zu beobachtende bedeutende Veränderungen im Lebensraum und im Verhalten von Tieren und Pflanzen stark mit den Klimaänderungen korrelieren.
Klimaforscher sagen uns, dass das Klima sich immer schon geändert hat. Manchmal kam der Wechsel sehr abrupt. Mit verschiedenen Methoden konnte nachgewiesen werden, dass es in Europa im 17. und 18.Jahrhundert eine kleine Eiszeit gegeben hat. Der Klimahistoriker Le Roy Ladurie hat herausgefunden, dass die Temperaturen in Paris im Jahr 1709 18 Tage hintereinander auf —10°C fielen; im selben Jahr starben in Frankreich 800000 Einwohner an Krankheit oder Kälte (bei einer Gesamteinwohnerzahl von 22 Millionen). Aber auch bedeutende örtliche Klimaverschiebungen haben selten den gesamten Erdball betroffen. Waren das 17. und das 18.Jahrhundert auch die kältesten des Jahrtausends, so ist in dieser kleinen Eiszeit die Temperatur auf der gesamten Nordhalbkugel doch nur geringfügig zurückgegangen, während es hier seit 1910 einen starken globalen Temperaturanstieg gibt. Während der kleinen Eiszeit hatte der Klimasturz weder die Intensität noch die globale Ausdehnung wie jetzt.
Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass die Erwärmung der letzten 50 Jahre auf menschliche Aktivität zurückgeht, vor allem auf den Ausstoß von Treibhausgasen. Die Konzentration dieser Gase in der Atmosphäre hat seit Beginn der Industrialisierung stark zugenommen. Betrug der Kohlendioxidgehalt der Luft in den letzten 100000 Jahren 200—280 ppm (Partikel pro Million), so ist er zwischen 1750 und 2000 von 280 auf 368 ppm gestiegen (+31%). Im selben Zeitraum ist der Anteil an Methan um 151%, an Lachgas um 17% und an Ozon um 33% gestiegen. Dabei werden 80% des Weltverbrauchs an fossilen Brennstoffen von nur einem Sechstel der Erdbevölkerung konsumiert, vor allem von den USA, Europa und Japan. Wie Klimaszenarien zeigen, ist unter diesen Bedingungen bis 2100 mit einem globalen Temperaturanstieg zwischen 1,4°C und 5,8°C zu rechnen, aber auch mit einem Anstieg der Niederschlagsmenge um 5—20%, einem Anstieg des Meeresspiegels um 0,09—0,88 Meter und mit einer Zunahme von Dürreperioden und anderen extremen Klimaereignissen.
Der Klimawandel trifft alle Bevölkerungen der Erde und bringt ihre Lebensweise durcheinander. Die Inuit in der Arktis können den Eisbären nicht mehr jagen, weil er verschwindet, die Ernte von Wildbeeren ist auf Grund von Dürre gefährdet und die Erosion zwingt sie, ihre Dörfer zu verlegen. Die Ärmsten sind am meisten gefährdet: die Überschwemmungen infolge eines Wirbelsturms im September 2004 haben auf Haiti über 2000 Menschen das Leben gekostet, auf Kuba kein einziges.
Die Hauptursache für den Klimawandel ist die Emission von Treibhausgasen durch den Einsatz von fossilen Brennstoffen. Das Kyoto-Protokoll von 1997 legt Zielmarken fest, die weit diesseits des Erforderlichen bleiben. Die Unterzeichnerstaaten des sog. Anhangs 1 (die Industrieländer und die sog. Transformationsländer) haben akzeptiert, ihre Emissionen bis 2012 um 5,5% zu senken (im Vergleich zum Niveau von 1990). Nachdem Russland das Protokoll im November 2004 ratifiziert hat, ist es nunmehr in Kraft getreten. Dennoch haben die USA, die allein 30—35% des gesamten von Menschen produzierten Treibhausgases emittieren, 2001 beschlossen, das Protokoll nicht zu ratifizieren. Hier wirkt die Allmacht der Öllobby: 1997 hat die Global Climate Coalition, in der sämtliche US-amerikanischen Ölkonzerne zusammengeschlossen sind, 13 Millionen US-Dollar für eine Werbekampagne gegen das Kyoto-Protokoll ausgegeben. Jede Partei, Republikaner wie Demokraten, bekam 50 Millionen Dollar.
Bestenfalls wird das Protokoll eine unzureichende Verlangsamung der Emissionen bewirken, schlimmstenfalls bewirkt es eine »Vermarktung der Luft« durch den Verkauf von Verschmutzungsrechten. Denn die Industrieländer können untereinander und mit Entwicklungsländern Emissionsrechte kaufen und verkaufen und sie können sich Investitionen, die zu Emissionsreduzierungen außerhalb ihres Territoriums führen, anrechnen zu lassen.
Ein Teil der Umweltbewegung meint, dass man den Kapitalismus nicht überwinden kann und der Schutz der Umwelt daher über Reformen und eine Kontrolle der Kapitalaktivitäten durchgesetzt werden muss. Einige schlagen deshalb eine Ökosteuer vor (die Grünen), andere wie Greenpeace oder der WWF betreiben radikale Lobbypolitik, um die öffentliche Meinung und die Politik zu beeinflussen.
Weil diese Kräfte keine Alternative zum Kapitalismus sehen, akzeptieren sie letzten Endes den Diskurs der herrschenden Klasse über das Ende der Geschichte und des Klassenkampfs. Indem sie Umweltpolitik über den Markt steuern wollen, machen sie die Natur zur Ware, wie das Kyoto-Protokoll auch, und öffnen damit dem Recht auf Umweltverschmutzung Tür und Tor. Ein solcher Ansatz fordert nicht Rücksicht auf den Artenreichtum der Natur, sondern macht diese zum Tauschwert. Die Natur ist ein Reichtum, aber er kann nicht geschützt werden, indem man mit ihr handelt oder ihren Wert beziffert. Hier wird natürlicher Reichtum mit Tauschwert verwechselt, als müsse ein Gut Quelle von Kapitalprofit sein, um als Reichtum anerkannt zu werden.
Ein anderer Ansatz wäre, soziale und ökologische Fragen zusammen zu führen. Eine Möglichkeit dazu bietet die flächendeckende Einführung kostenloser öffentlicher Verkehrsmittel, eine andere die Stärkung der regionalen Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln und die Reduzierung unnützen Warenverkehrs. Das Bevölkerungswachstum, das oft für den wachsenden Energieverbrauch verantwortlich gemacht wird, kann nur dadurch auf humane Weise stabilisiert werden, dass die Einkommen der traditionellen Landwirtschaft gesichert, das Bildungsniveau angehoben und die Selbstbestimmungsrechte der Frauen gestärkt werden. Auf diese Weise würde sich verschiedene soziale Kämpfe miteinander verbinden. Eine Bewegung, die die Gesellschaft verändern will, kann nicht dabei stehen bleiben, den Produktionsapparat zu übernehmen, sie muss ihn umwälzen.

Hendrik Davi

Gekürzt aus: Critique Communiste, Nr.177, Oktober 2005 (Übersetzung: Angela Klein).



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