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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2005, Seite 19

Ergebnisse der Frauenforschung in der DDR

Patriarchat im Sozialismus?

Ursula Schröter/Renate Ullrich: Patriarchat im Sozialismus? Nachträgliche Entdeckungen in Forschungsergebnissen aus der DDR, Berlin: Karl Dietz, 2004, 169 Seiten, 9,90 Euro

Bereits 1965 schrieben Commandeur und Sterzel in Das Wunder drüben sind die Frauen, »dass viele (DDR-) Frauen trotz der Kinder berufstätig waren und sich nichts anderes vorstellen konnten, dass ihnen Karrieren offen standen, von denen ihre Schwestern im Westen nicht einmal zu träumen wagten und dass die Männer wenig darunter zu leiden schienen«. Seit dem Anschluss der DDR 1990 liest man es anders. Die Verinnerlichung diverser Klischees in der westdeutschen Öffentlichkeit macht die vorliegende Schrift so bedeutsam.
Ursula Schröter und Renate Ullrich haben sich mit 70000 Druckseiten Quellen auseinandergesetzt, die bisher in keiner Veröffentlichung über DDR-Frauen gewürdigt wurden. Es sind Publikationen der von höchsten DDR-Stellen autorisierten Frauenforschung: die sog. SID-Hefte, herausgegeben von 1965 bis 1990 von der Zentralstelle für soziologische Information und Dokumentation am Institut für Gesellschaftswissenschaften (SID) beim ZK der SED; die sog. »grünen Hefte«, die Informationen des wissenschaftlichen Beirats Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft; von 1970 bis 1997 das Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau an der Pädagogischen Hochschule in Leipzig; die Protokollbände der zweijährlich stattfindenden Clara-Zetkin-Kolloquien; auch Dissertationen und Forschungsberichte und ergänzende Informationen wurden herangezogen.
Schröter und Ullrich wollten erstens herausfinden, »welche Forschungsfragen und welche Forschungsergebnisse zu den Geschlechterverhältnissen bis heute wichtig und insofern aufhebenswert sind, bzw. gewesen wären. Zweitens: Welche Fragen, welche Zusammenhänge fehlen aus heutiger Sicht?« In einem ersten Kapitel behandeln sie »Frauenforschung in der DDR — Politische Aufträge, wissenschaftliche Institutionen und Konzepte«. Im zweiten Kapitel untersuchen die Verfasserinnen die Frage, wie die DDR- Wissenschaft offiziell mit dem Thema der sog. reproduktiven und meist unbezahlten Arbeit umgegangen ist. Motiv für diese Beschränkung war die Bedeutung dieser Frage, die »in der Geschichte der Linken und der Arbeiterbewegung eine untergeordnete Rolle gespielt hat«.
Der von der Frauenkommission des ZK der SED vorgeschlagene Gründungsbeschluss des Ministerrats der DDR 1964 für ein wissenschaftliches Gremium zur Analyse der Lage der Frauen erfolgte zu einer Zeit, als es organisierte oder gar institutionalisierte Frauenforschung weder in anderen sozialistischen noch in den meisten kapitalistischen Ländern gab, sondern nur in den nordischen Ländern. Frauenforschung war in der DDR als »Querschnittsproblematik« konzipiert. 1965 orientieren die »grünen Hefte« auf die »Umerziehung der Männer«. Die Rolle der Väter müsse ebenso neu durchdacht werden wie die der Mütter, um zu einer neuen Qualität des Familienlebens zu gelangen.
1969 waren bereits 78% aller Frauen im berufstätigen Alter erwerbstätig, 24% der Kinder unter 3 Jahren waren ganztägig in Krippen, 61% der Vorschulkinder waren in Kindergärten, 46% der Schulkinder der Klassen 1 bis 4 waren in Schulhorten. »Arbeitsstätten wurden damals zu ›sozialen Orten‹. Zuverlässige soziale Dienste wie Kindereinrichtungen, Essenversorgung, medizinische Versorgung, Urlaubsangebote, Freizeitangebote, Kosmetik, Friseur usw. sollten den Frauen die sog. zweite Schicht erleichtern und haben sie auch erleichtert.«
In den 60er Jahren wurde das Abtreibungsverbot gelockert. 1972 stellte das »Gesetz über die kostenlose Schwangerschaftsunterbrechung« den Schwangerschaftsabbruch versicherungsrechtlich dem Krankheitsfall gleich. Von da an wurden Abtreibungen sowie die kostenlose Abgabe der »Pille« zwar allgemein in Anspruch genommen, Abtreibung blieb aber in den hier ausgewerteten Quellen ein Tabuthema.
Auf dem Lande hatten 1960 3% der Frauen einen Berufsabschluss, 1974 waren es 71%. Die Veränderungen der bäuerlichen Lebensweise als Ergebnis der Vorherrschaft genossenschaftlichen Eigentums gehört zum Aufhebenswerten der DDR- Frauenpolitik.
Als wichtige Zäsur wurde die Verkündung 1971 auf dem VIII.Parteitag der SED angesehen, dass die Gleichberechtigung der Frau »nach dem Gesetz und auch im Leben« verwirklicht worden sei. Von da an fand in der DDR keine Frauen, sondern Bevölkerungs-, Mutti-, Familien- oder Vereinbarkeitspolitik statt.
Anfang der 70er Jahre wurden zur Erhöhung der Kinder- und Familienfreundlichkeit sozialpolitische Maßnahmen beschlossen, die die finanzielle Förderung junger Ehen und Familien mit mehreren Kindern, mehr Sicherheit für allein Erziehende und die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem u.a. umfassten. Da diese Maßnahmen den Frauen und nicht beiden Geschlechtern mehr Zeit für Haushalt und Kinder einräumten, wurden sie von DDR-Frauen kritisch betrachtet. Es wurde zwar eine »neue Qualität des Familienlebens« angestrebt, die Hauptlast der häuslichen Arbeit verblieb aber weiterhin bei der voll berufstätigen Frau und Mutter. Familienfreundliche Empfehlungen zugunsten von Arbeitszeitkürzungen für beide Geschlechter wurden in den 70er und 80er Jahren weitgehend ignoriert.
Untersuchungen der Wertvorstellungen von DDR-Bürgern zufolge hatte familiäre Harmonie, berufliche Tätigkeit und Wohnen Priorität über hohem Einkommen und sozialem Status. Noch Mitte der 80er Jahre bewerteten etwa 50% der Befragten die gesellschaftliche Entwicklung positiv, junge Frauen weniger als junge Männer. Ihre eigene Zukunft schätzten 75% optimistisch ein. Nur 0,08% der jungen Frauen und 1,1% der Männer wünschten sich keine Kinder. Dem entsprach auch die reale Geburtenrate. Fast 70% der Kinder wurden von Müttern unter 25 Jahren geboren.
In den letzten Monaten der DDR wurden erstmals auch u.a. ökologische Probleme, Gleichberechtigung in der Sprache, Homosexualität, Geschlechtersozialisation, individuelle Lebens- und Konfliktbewältigungsstrategien von Frauen bearbeitet. Es gab Pläne zur Erarbeitung einer Theorie gesellschaftlicher Reproduktion, zum Verhältnis Klasse und Geschlecht, zur sozialen und Frauenfrage, sowie zu Untersuchungen, ob die Frauenfrage nur im Sozialismus zu lösen sei.
In Ergebnisse historischer Frauenforschung in der DDR 1980—1990 wird die 25-jährige Arbeit der Forschungsgemeinschaft als bedeutsame wissenschaftliche Leistung gewürdigt. Darin werden als Defizite die Fokussierung auf Frauen und Mütter als Hauptverantwortliche für die unbezahlten Reproduktionsaufgaben und damit die Vernachlässigung von Studien zur Vereinbarkeit von Vaterschaft und Berufstätigkeit ausgemacht. Fortan wolle die Forschungsgemeinschaft »mit Forschungen zur Rolle der Frau in der Sozialgeschichte, zur Lebensgeschichte von Frauenpersönlichkeiten und zur Frauenpolitik unterschiedlicher Parteien und Gruppierungen zum historischen Selbstverständnis der sich in der DDR neu entwickelnden Frauenbewegung beitragen und Forderungen nach gleichberechtigter Teilnahme von Mann und Frau am Aufbau eines demokratischen Sozialismus unterstützen«.

Hanna Behrend

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