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Bereits 1965 schrieben Commandeur und Sterzel in Das Wunder drüben sind
die Frauen, »dass viele (DDR-) Frauen trotz der Kinder berufstätig waren und sich nichts anderes
vorstellen konnten, dass ihnen Karrieren offen standen, von denen ihre Schwestern im Westen nicht einmal zu
träumen wagten und dass die Männer wenig darunter zu leiden schienen«. Seit dem Anschluss
der DDR 1990 liest man es anders. Die Verinnerlichung diverser Klischees in der westdeutschen
Öffentlichkeit macht die vorliegende Schrift so bedeutsam.
Ursula Schröter und Renate Ullrich
haben sich mit 70000 Druckseiten Quellen auseinandergesetzt, die bisher in keiner Veröffentlichung
über DDR-Frauen gewürdigt wurden. Es sind Publikationen der von höchsten DDR-Stellen
autorisierten Frauenforschung: die sog. SID-Hefte, herausgegeben von 1965 bis 1990 von der Zentralstelle
für soziologische Information und Dokumentation am Institut für Gesellschaftswissenschaften (SID)
beim ZK der SED; die sog. »grünen Hefte«, die Informationen des wissenschaftlichen Beirats
Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft; von 1970 bis 1997 das Mitteilungsblatt der
Arbeitsgemeinschaft Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau an der
Pädagogischen Hochschule in Leipzig; die Protokollbände der zweijährlich stattfindenden
Clara-Zetkin-Kolloquien; auch Dissertationen und Forschungsberichte und ergänzende Informationen
wurden herangezogen.
Schröter und Ullrich wollten erstens
herausfinden, »welche Forschungsfragen und welche Forschungsergebnisse zu den
Geschlechterverhältnissen bis heute wichtig und insofern aufhebenswert sind, bzw. gewesen wären.
Zweitens: Welche Fragen, welche Zusammenhänge fehlen aus heutiger Sicht?« In einem ersten Kapitel
behandeln sie »Frauenforschung in der DDR Politische Aufträge, wissenschaftliche
Institutionen und Konzepte«. Im zweiten Kapitel untersuchen die Verfasserinnen die Frage, wie die DDR-
Wissenschaft offiziell mit dem Thema der sog. reproduktiven und meist unbezahlten Arbeit umgegangen ist.
Motiv für diese Beschränkung war die Bedeutung dieser Frage, die »in der Geschichte der
Linken und der Arbeiterbewegung eine untergeordnete Rolle gespielt hat«.
Der von der Frauenkommission des ZK der SED
vorgeschlagene Gründungsbeschluss des Ministerrats der DDR 1964 für ein wissenschaftliches
Gremium zur Analyse der Lage der Frauen erfolgte zu einer Zeit, als es organisierte oder gar
institutionalisierte Frauenforschung weder in anderen sozialistischen noch in den meisten kapitalistischen
Ländern gab, sondern nur in den nordischen Ländern. Frauenforschung war in der DDR als
»Querschnittsproblematik« konzipiert. 1965 orientieren die »grünen Hefte« auf die
»Umerziehung der Männer«. Die Rolle der Väter müsse ebenso neu durchdacht werden
wie die der Mütter, um zu einer neuen Qualität des Familienlebens zu gelangen.
1969 waren bereits 78% aller Frauen im
berufstätigen Alter erwerbstätig, 24% der Kinder unter 3 Jahren waren ganztägig in Krippen,
61% der Vorschulkinder waren in Kindergärten, 46% der Schulkinder der Klassen 1 bis 4 waren in
Schulhorten. »Arbeitsstätten wurden damals zu ›sozialen Orten‹. Zuverlässige
soziale Dienste wie Kindereinrichtungen, Essenversorgung, medizinische Versorgung, Urlaubsangebote,
Freizeitangebote, Kosmetik, Friseur usw. sollten den Frauen die sog. zweite Schicht erleichtern und haben
sie auch erleichtert.«
In den 60er Jahren wurde das
Abtreibungsverbot gelockert. 1972 stellte das »Gesetz über die kostenlose
Schwangerschaftsunterbrechung« den Schwangerschaftsabbruch versicherungsrechtlich dem Krankheitsfall
gleich. Von da an wurden Abtreibungen sowie die kostenlose Abgabe der »Pille« zwar allgemein in
Anspruch genommen, Abtreibung blieb aber in den hier ausgewerteten Quellen ein Tabuthema.
Auf dem Lande hatten 1960 3% der Frauen
einen Berufsabschluss, 1974 waren es 71%. Die Veränderungen der bäuerlichen Lebensweise als
Ergebnis der Vorherrschaft genossenschaftlichen Eigentums gehört zum Aufhebenswerten der DDR-
Frauenpolitik.
Als wichtige Zäsur wurde die
Verkündung 1971 auf dem VIII.Parteitag der SED angesehen, dass die Gleichberechtigung der Frau
»nach dem Gesetz und auch im Leben« verwirklicht worden sei. Von da an fand in der DDR keine
Frauen, sondern Bevölkerungs-, Mutti-, Familien- oder Vereinbarkeitspolitik statt.
Anfang der 70er Jahre wurden zur
Erhöhung der Kinder- und Familienfreundlichkeit sozialpolitische Maßnahmen beschlossen, die die
finanzielle Förderung junger Ehen und Familien mit mehreren Kindern, mehr Sicherheit für allein
Erziehende und die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem u.a. umfassten. Da diese
Maßnahmen den Frauen und nicht beiden Geschlechtern mehr Zeit für Haushalt und Kinder
einräumten, wurden sie von DDR-Frauen kritisch betrachtet. Es wurde zwar eine »neue Qualität
des Familienlebens« angestrebt, die Hauptlast der häuslichen Arbeit verblieb aber weiterhin bei
der voll berufstätigen Frau und Mutter. Familienfreundliche Empfehlungen zugunsten von
Arbeitszeitkürzungen für beide Geschlechter wurden in den 70er und 80er Jahren weitgehend
ignoriert.
Untersuchungen der Wertvorstellungen von
DDR-Bürgern zufolge hatte familiäre Harmonie, berufliche Tätigkeit und Wohnen Priorität
über hohem Einkommen und sozialem Status. Noch Mitte der 80er Jahre bewerteten etwa 50% der Befragten
die gesellschaftliche Entwicklung positiv, junge Frauen weniger als junge Männer. Ihre eigene Zukunft
schätzten 75% optimistisch ein. Nur 0,08% der jungen Frauen und 1,1% der Männer wünschten
sich keine Kinder. Dem entsprach auch die reale Geburtenrate. Fast 70% der Kinder wurden von Müttern
unter 25 Jahren geboren.
In den letzten Monaten der DDR wurden
erstmals auch u.a. ökologische Probleme, Gleichberechtigung in der Sprache, Homosexualität,
Geschlechtersozialisation, individuelle Lebens- und Konfliktbewältigungsstrategien von Frauen
bearbeitet. Es gab Pläne zur Erarbeitung einer Theorie gesellschaftlicher Reproduktion, zum
Verhältnis Klasse und Geschlecht, zur sozialen und Frauenfrage, sowie zu Untersuchungen, ob die
Frauenfrage nur im Sozialismus zu lösen sei.
In Ergebnisse historischer Frauenforschung
in der DDR 19801990 wird die 25-jährige Arbeit der Forschungsgemeinschaft als bedeutsame
wissenschaftliche Leistung gewürdigt. Darin werden als Defizite die Fokussierung auf Frauen und
Mütter als Hauptverantwortliche für die unbezahlten Reproduktionsaufgaben und damit die
Vernachlässigung von Studien zur Vereinbarkeit von Vaterschaft und Berufstätigkeit ausgemacht.
Fortan wolle die Forschungsgemeinschaft »mit Forschungen zur Rolle der Frau in der Sozialgeschichte,
zur Lebensgeschichte von Frauenpersönlichkeiten und zur Frauenpolitik unterschiedlicher Parteien und
Gruppierungen zum historischen Selbstverständnis der sich in der DDR neu entwickelnden Frauenbewegung
beitragen und Forderungen nach gleichberechtigter Teilnahme von Mann und Frau am Aufbau eines
demokratischen Sozialismus unterstützen«.
Hanna Behrend
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