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Der Dichter und Filmemacher Pier Paolo Pasolini lässt sich nicht einordnen.
Den einen war er zu ketzerisch, den anderen ein willkommener Freibeuter, die Gegner von links bezeichneten ihn
als Moralisten, die von rechts bezichtigten ihn der Libertinage. Ein Marxist, aber kein Kommunist, ein Christ,
aber kein Katholik, ein Atheist, aber gottesfürchtig. Seine Filme wurden als zu symbolistisch von den
einen und als zu realistisch von den anderen kritisiert. Ein Barbar, der Archetypen schuf, oder gar ein Genie.
Mit Profischauspielern arbeitete er nicht
gerne, deshalb nahm er Laien unter Vertrag, aber er engagierte auch international bekannte Stars wie Totò,
der Franziskanerbruder aus Uccellacci e Uccellini, die Callas als Medea im gleichnamigen Film, die Magnani, die
Hure aus Mamma Roma, und Terence Stamp, der Engel in Teorema. Aber seine wirklichen Stars waren Franco Citti
und Ninetto Davoli, die mit Pasolini gemeinsam das Filmemachen erlernten und zahlreiche Rollen bereicherten.
Eisenstein, Chaplin, Mizoguchi und Dreyer hat
er einmal als wichtige Regisseure erwähnt, doch seine wahren Vorbilder sind die Verdammten dieser Erde,
die Bewohner der Borgate, der Vororte von Rom (»Ragazzi di vita«), des Mezzogiorno, des italienischen
Südens (Il Decameron), und der Dritten Welt (Il fiore delle mille e una notte), ohne die er der Erde keine
Chance mehr gibt. Ihre Subkultur stellt für ihn die einzige Chance dar, der Kultur des Konsumismus zu
trotzen, ihre Traditionen bevorzugt er gegenüber der modernen Informationsgesellschaft.
Die Großen des Neorealismus
Rossellini, Visconti und de Sica begannen sich zu etablieren, als Pasolini mit 39 Jahren das Filmemachen
begann. Seinen Erstling Accattone wollte nicht einmal sein Freund Fellini produzieren, weil so keine Filme
gemacht werden können, wie dieser meinte. Mit dem Produzenten Alfredo Bini und dem Kameramann Tonino Delli
Colli fand er dennoch zwei Weggefährten, die ihm auch beistanden, als sich Richter als Filmkritiker
aufspielten, was nach Pasolinis Premieren nicht selten passierte. Er verfilmte Leiden und Leidenschaft und
wählte lieber die geschlossene Form der Passion als das Fabulieren der Neorealisten der ersten Stunde.
Pasolini brachte Bach und Vivaldi in die Hütten der Subproletarier. Pasolini ist aus der Asche des
Gründers und Chefideologen der Kommunistischen Partei Italiens, Antonio Gramsci, erstanden. Seine
Filmkunst, populär im Sinne Gramscis, droht verstanden zu werden, sonst wäre Pasolini nicht so oft
vor den Richter zitiert worden.
Es gab schon ein cinematografisches Leben
Pasolinis vor Accattone. So schrieb Pasolini Il prigioniero della montagna (Regie: Luis Trenker) und Le notti
di Cabiria (Regie: Federico Fellini). Seine Prosa zeigte filmische Perspektiven, auch wenn er angeblich nicht
wusste, was ein Panoramaschwenk ist, machte er ihn. Pasolini hatte den Film genau im Kopf, wie seine
Storyboards beweisen, und so assistierte er auch oft hinter der Kamera und am Schnittpult. Auf der Suche nach
einer neuen Sprache ist er zum Film gekommen, eine Sprache, die international verständlich ist. Und
trotzdem ist den Kritikern die Deutung von Filmen wie Uccellacci e Uccellini und Teorema immer wieder
entglitten.
In Pasolinis Filmen ist nichts dem Zufall
überlassen. Die Poetik der Dialoge, die Ikonografie des Bildaufbaus, die mathematische Montage, die
Komposition des Soundtrack, die Herkunft der Maske und der Garderobe, die soziale Stellung der Darsteller, die
Kamerarecherche nach geeigneten Drehorten folgen nicht einer artifiziellen Story, sondern dem Widersinn
pasolinischen Denkens. Pasolinis Filme spielen zwischen Lust und Leiden in einer hoffnungslosen Welt. Der Weg
der Figuren ist vorbestimmt, durch den Karren der Ideologien geschient. Der Rabe in Uccellacci e Uccellini
spricht davon solange, bis er von den Protagonisten aufgefressen wird.
Triebfeder in Pasolinis Schaffen ist der Zorn,
der sich gegen das Verwerfliche im Menschen wendet. Augenscheinlichstes Beispiel ist der Dokumentarfilm La
rabbia. Ein zweiteiliger Film, der von widersprüchlicher Ideologie geprägt ist. Pasolini und der
Regisseur des zweiten Teils, Giovanni Guareschi, lassen Bilder aus dem Archiv sprechen. Faszinierend wie
ähnliche Bilder durch Schnitt und Kommentar die Welt verschieden kommentieren.
Das Aufeinandertreffen von de Sade und der
letzten Bastion des italienischen Faschismus, Salò, hat die Fans von Pasolini endgültig beunruhigt
und verwirrt. In Salò o Le 120 giornate di Sodoma, Pasolinis letztem Film, werden die erlesensten
Körper extremen Grauslichkeiten ausgesetzt, die in der Trilogie des Lebens (Il Decameron,
I Racconti di Canterbury und Il fiore delle
mille e una notte) noch die Hoffnung Pasolinis versinnbildlichen. Eine Skurrilität, die enttäuscht
aufgenommen und als vulgärer Sex mit dem Blick auf den Kassenerfolg gewertet wurde.
Wie Pasolini mit seinem Publikum über die
Leinwand kommunizierte, hat er dies mit seinen Mördern gemacht. Die Ermordung in Ostia ist die Konsequenz
einer Radikalität, die in den gewaltsamen Tod führen musste, und erinnert an den Tod Accattones, aber
auch an jenen von Ettore in Mamma Roma. Konstruktiver Pessimismus oder der inszenierte Tod. Pier Paolo Pasolini
ist wie Ernesto Che Guevara jung geblieben, nur ist er kein Idol geworden und blieb ohne Nachfolger.
Sein Gesamtwerk wird im neuen Jahrtausend eine
neue Rezeption erhalten. Dies ermöglicht Pasolinis Freundin und Schauspielerin Laura Betti, die sein
filmisches Schaffen konserviert und für kommende Generationen zugänglich macht.
Helmut Groschup
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