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SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 01.10.1998, Seite 10

Miss Simmental im Dienste der Gentechnologie

Erstmals wird in der Bundesrepublik kommerziell angebauter GenMais geerntet. Unter dem Banner der Welternaehrung ist die Biotechnologie weltweit auf dem Vormarsch.
Wird Miss Simmental, die schoenste Kuh der Schweiz, demnaechst an einem Killerbakterium zugrunde gehen? Ausgeschlossen ist es nicht, zumindest wenn man der Argumentation gentechnikkritischer Menschen folgt. Am 14.September 1998 wurde das preisgekroente Rindvieh vom Schweizer Chemiekonzern Novartis dazu verdonnert, in Basel zu Werbezwecken genmanipulierten Mais zu fressen.Selbst fuer eine Star-Kuh wie Miss Simmental war es keine durchschnittliche Mahlzeit: Geerntet und angeliefert wurde der Mais vom Ökomulti Greenpeace, von unlaengst entlarvten Genmaisfeldern in Suedbaden und Frankreich. Serviert wurde er vom Chemiemulti Novartis, um die Unbedenklichkeit des Mais zu demonstrieren. Vorangegangen war diesem Spektakel, dass Greenpeace am 7.September in Baden-Wuerttemberg zwei genmanipulierte Maisfelder entdeckt hatte. Da die Firma Novartis streng geheimhielt, an wen sie das Saatgut verkaufte, waren dies die ersten Felder mit kommerziellem Anbau, die bundesweit gefunden wurden.Miss Simmental jedenfalls hat sich eine gehoerige Portion Antibiotika- Resistenzgene einverleibt. Wenn sich diese Resistenzgene auf krankheitserregende Bakterien uebertragen, ist ihr mit Antibiotika nicht mehr zu helfen. Und auch fuer alle anderen sieht es schlecht aus, die mit den Bakterien in Beruehrung kommen. Laengst gilt diese Warnung nicht mehr als Unkenruf der ewig Skeptischen. āsterreich, Luxemburg und Norwegen haben schon 1997 aus diesem Grund ein Verbot gegen den transgenen Novartis-Mais erlassen, und Anfang September 1998 hat sogar der EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss ein grundsaetzliches Verbot des Einbaus von Antibiotikaresistenzen in Pflanzen gefordert. Das Antibiotika-Resistenzgen hat fuer die Pflanze keinerlei Funktion, sondern dient lediglich im Labor dazu, die manipulierten Gene besser identifizieren zu koennen.In der BRD hat dieser sog. Bt-Mais von Novartis, der auch gegen Unkrautvernichtungsmittel resistent ist und zudem ein Insektengift produziert, noch keine Sortenzulassung. Dennoch wurden in diesem Jahr 350 Hektar Novartis-Mais angebaut, ganz legal. Da er nach EU-Gesetzgebung schon seit Dezember 1996 zugelassen ist, wurde Novartis im Fruehjahr 1998 in Deutschland eine Sondergenehmigung erteilt.
Die 350 Hektar sollen natuerlich erst der Anfang sein. In Spanien und Frankreich, wo der Bt-Mais Anfang 1998 Sortenzulassungen erhielt, hat Novartis nach eigenen Angaben bereits Saatgut fuer 22.000 Hektar verkauft. Das ist allerdings laengst nicht so viel, wie sie gern verkauft haetten. In Frankreich konnte die Firma statt der anvisierten Flaeche von 20.000 Hektar nur 2000 Hektar mit dem Genmais begluecken. Die Baeuerinnen und Bauern scheuten offensichtlich die Mehrkosten. (Das manipulierte Saatgut ist um 25% teurer als konventionelles.)
Ausserdem ist die Ablehnung genmanipulierter Lebensmittel in Frankreich aehnlich verbreitet, wie in der BRD. Zudem hatte Premierminister Jospin angekuendigt, in Frankreich werde gesetzlich geregelt, dass der GenTech- Mais getrennt von konventionellem Mais verarbeitet werden muesse. Diese Regelung wird im Moment mit Spannung erwartet, wuerde sie den Absatz von genmanipuliertem Mais in Frankreich doch erheblich erschweren, vielleicht sogar unmoeglich machen.
Dieser Tage wird der Mais geerntet. In der BRD werden Genmais und konventioneller Mais bunt gemischt zu Viehfutter und Lebensmitteln verarbeitet, zum ersten Mal. Obwohl am 1.September das EU-Gesetz zur Kennzeichnung genmanipulierter Mais- und Sojaprodukte in Kraft getreten ist, wird das in der Praxis wenig Auswirkungen haben. Die deutsche Nahrungsmittelindustrie praesentiert sich als Opfer ungenuegender Rechtsgrundlagen: wenn die Ernten nicht getrennt werden, kann auch niemand wissen, wo Gentech drin ist, lautet die Argumentation.Im hauseigenen Wasa-Knaecke, das garantiert Novartis, wird z.B. kein manipuliertes Getreide enthalten sein. Die VerbraucherInnen sind endgueltig verwirrt. Biotechnologie soll die Welternaehrung retten, aber in den Nahrungsmitteln der biotechnologischen Industrie ist sie verpoent? Nun wird niemand den Beitrag von Wasa-Knaeckebrot zur Welternaehrung ueberbewerten, ob manipuliert oder nicht. Bleibt die Frage, ob der Beitrag der Biotechnologie zur Welternaehrung groesser ist als der von Wasa- Knaeckebrot? Viele Fakten sprechen dagegen.
Mais ist, nach Angaben der Welternaehrungsorganisation FAO, weltweit das drittwichtigste Grundnahrungsmittel. In vielen afrikanischen Laendern und in Zentral- und Suedamerika wird der Mais tatsaechlich als solches verwendet. Ohne das goldene Korn, wie er von der Urbevoelkerung Amerikas genannt wurde, ist vielerorts kein Leben vorstellbar. Im Norden wird er vorwiegend zu Viehfutter verarbeitet, vor allem in den USA, wo in riesigen Monokulturen ueber ein Drittel des weltweiten Maisanbaus stattfindet.
Durch die Gentechnologie hat sich nun eine dritte Verwendungsmoeglichkeit etabliert, die rasant an Bedeutung gewinnt: Mais als Rohstoff fuer industrielle Produkte. So wird Maisstaerke z.B. zur Herstellung von Papier und Kleidung benutzt, in Softdrinks ersetzt Maissirup den Zucker.
Ein wachsender Sektor ist auch die Produktion von Bioplastik, also biologisch abbaubaren Polymeren. Dazu werden dem Mais Bakteriengene eingebaut, die Polyhydroxylalkanoate (PHA) erzeugen, den Grundstoff von Bioplastik. In den USA werden schon rund 15 Prozent der Maisernte zur industriellen Verwertung genutzt.Zur Bioplastikherstellung wurde jetzt uebrigens auch Maniok entdeckt, viertwichtigstes Grundnahrungsmittel in Lateinamerika und Afrika. Das Problem dabei ist nicht nur, dass zunehmend Anbauflaechen von Mais, Maniok, Soja, Kartoffeln (die Liste waere fortsetzbar), die bisher tatsaechlich der Ernaehrungssicherheit von Menschen dienten, fuer die industrielle Verwertung benutzt werden.Dazu kommt, dass sich Chemiemultis wie Novartis, Monsanto, Hoechst oder Pioneer die Kontrolle ueber ihr Primaermaterial nicht nehmen lassen. Die Baeuerinnen und Bauern verlieren jedes Nutzungsrecht ueber ihre Pflanzen, d.h., auch in Hungerzeiten wird Bioplastik wichtiger sein als Tortillas oder Maniokspeisen. Die oekologisch kritische āffentlichkeit in den Industrienationen freut sich unterdessen ueber biologisch abbaubares Plastik, das ohne laestigen Konsumverzicht unsere Muellberge verkleinert.
Gentechnik waere ohne die Gesetze der Globalisierung nicht denkbar, die da lauten: die Welt ist ein globaler Supermarkt. Was wo angebaut und was wo gegessen wird, entscheidet kommerzielles Interesse. In den Industrienationen wissen wir schon lange nicht mehr, was wir eigentlich essen, und oft ist das auch besser so. In der ersten Haelfte der 90er Jahre stellten in Deutschland jeden Tag 50 Kleinbauernhoefe ihren Betrieb ein. Trotz hoher landwirtschaftlicher Subventionen konnten sie auf dem globalen Markt nicht mehr mithalten.
Auch auf der Suedhalbkugel muessen sich kleinbaeuerliche Hoefe und Subsistenzbaeuerinnen dem globalen Trend anpassen. Hoch subventionierter Mais aus den USA, Rindfleisch oder Milchpulver aus der EU zerstoeren die lokalen Maerkte. So billig kann auch im Sueden niemand produzieren. Auf den Philippinen warnt die Landfrauenfoederation Amihan, dass die Existenz von 750.000 Reisbaeuerinnen und -bauern (vorwiegend Frauen) auf dem Spiel steht. In der letzten GATT-Runde 1994 in Marrakesch hat sich die philippinische Regierung dazu verpflichtet, ab dem Jahr 2005 jaehrlich 239.000 Tonnen Reis zu importieren.
Ärgerlich fuer die Lebensmittelindustrie im reichen Norden ist, dass es immer noch Agrarprodukte gibt, die fast ausschliesslich aus Afrika, Lateinamerika oder Suedasien kommen. GentechnologInnen arbeiten mit Hochdruck an Ersatzstoffen fuer solche Produkte. So wurde z.B. von AgrEvo eine genmanipulierte Rapssorte entwickelt, aus der āl gewonnen werden kann, das dem Öl aus Kokos- oder Ölpalmen gleichwertig ist. Das koennte auf lange Sicht das Aus fuer die riesigen Palmenplantagen in Afrika und fuer die kleinen Mischkulturen von philippinischen Baeuerinnen und Bauern bedeuten.Unter dem Banner der Hungerbekaempfung, ganz in der Tradition der Gruenen Revolution, zerstoert Biotechnologie auf diese Weise die Existenzgrundlagen vieler Menschen im Sueden. Hierzulande allerdings interessieren sich die meisten vorrangig dafuer, dass auf der Nuss-Nougat- Creme auch Gentechnik drauf steht, wenn Gentechnik drin ist. Und auch Miss Simmental will von dem allen nichts wissen, sie kaeut den Novartis-Mais wieder und wieder, wie das nun mal ihre Art ist.
Birgit Huber


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