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SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 01.10.1998, Seite 11

Lome V

Die EU will Afrika in den Weltmarkt integrieren

Das Lome-Abkommen ist Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Europaeischen Union und den Laendern der Dritten Welt. Im Jahr 2000 laeuft das derzeit vierte Abkommen aus. Lome V, das Nachfolgeabkommen, wird seit dem 30.September dieses Jahres von Vertretern der EU und der 71 Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten (AKP) verhandelt. Die EU beabsichtigt, den bisherigen Charakter des Abkommens komplett zu veraendern, denn "die Postkolonialzeit ist vorbei, und es geht darum, das Geber-Empfaenger-Denken zu ueberwinden", heisst es in den Orientierungslinien der Europaeischen Kommission. Das Lome-Abkommen soll kuenftig dazu beitragen, die AKP-Staaten "in den Welthandel zu integrieren".
Die Europaeische Kommission hat klare Vorstellungen, wie die "Integration" zu bewerkstelligen ist. Zum einen will sie die technische und finanzielle Hilfe an die AKP-Staaten staerker als zuvor an Bedingungen knuepfen. Des weiteren sollen die bisher einseitigen Handelspraeferenzen fuer einige Produkte aus AKP-Staaten aufgehoben und ein reziprokes Element fuer Exportwaren aus Europa eingefuehrt werden.
Zusaetzlich will die EU neben einem allgemeinen Abkommen weitere Nebenabkommen mit regionalen Wirtschaftsgemeinschaften der AKP-Laender abschliessen. Mit diesem Vorhaben kann sich die Praesidentin des AKP-Rats und Vizeministerpraesidentin von Barbados, Billie A. Miller, nicht anfreunden. Im Spaetsommer hatten die Karibikstaaten zum Abschluss ihres Gipfeltreffens zu einer gemeinsamen Front mit den afrikanischen und pazifischen Laendern fuer die anstehenden Neuverhandlungen aufgerufen.Die Bedeutung der AKP-Staaten fuer den Weltmarkt, vor allem die der afrikanischen, hat drastisch abgenommen. Nach Angaben der Organisation fuer wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist der Anteil Afrikas am Welthandel von 4,4 Prozent Anfang der 70er Jahre auf 2,2 Prozent in den 90ern gefallen. Selbst Direktinvestitionen sind trotz einem weltweiten Anstieg auf dem afrikanischen Kontinent ruecklaeufig.Mit Ausnahme Suedafrikas haelt der Rest des Kontinents den Vergleich im Hinblick auf zu erwartende Renditen mit anderen Geld- und Kapitalmaerkten nicht stand. Auch seine Rolle als Rohstofflieferant ist seit dem Preisverfall auf dem Weltmarkt nur noch von geringer Bedeutung. Machten die Einfuhren der EU aus den AKP-Staaten 1980 noch 16 Prozent des gesamten Importvolumens aus, sind sie in den 90er Jahren auf unter 5 Prozent gesunken.
Fesselnde EntwicklungshilfeDas Interesse der Europaeischen Union, das bisherige Lome-Abkommen zu erhalten, ist gering. Vor allem die deutsche Regierung will ihre Mittel fuer den Europaeischen Entwicklungsfonds (EEF), Bestandteil des Lome- Abkommens, kuerzen und setzt lieber auf Zusammenarbeit und Handel mit den osteuropaeischen Staaten.Bisher ist die Bundesrepublik nach Frankreich der groesste Einzahler in den Fonds, profitiert aber kaum von den ueber den EEF (Budget 1995--2000: 14,5 Milliarden Ecu) angeleierten Projektprogrammen, fuer die oftmals andere europaeische Firmen beauftragt werden. Der Loewenanteil der Auftraege ging mit einem Viertel der Vertragsabschluesse an franzoesische Unternehmen. Grossbritannien vertrat bis zum Regierungswechsel eine aehnliche Position wie die konservative Bundesregierung. Die neue Labour-Regierung will jedoch einen Kurswechsel vornehmen. Clare Short, die neue Ministerin fuer wirtschaftliche Zusammenarbeit, macht sich fuer Armutsbekaempfung und Entwicklungshilfe stark. Wie die Zeitschrift Afrika Sued in ihrer Aprilausgabe berichtet, zeigt sich auch die Geschaeftswelt der Londoner City nach der Asienkrise staerker an Beziehungen zu den Schwellenlaendern Afrikas interessiert.Wesentliche Bestandteile der Entwicklungshilfe im Rahmen des EEF sind die Preisstabilisierungsfonds STABEX und SYSMIN. Sie sollen die negativen Auswirkungen schwankender Rohstoffpreise auf die produzierenden Laender abfedern. STABEX, 1975 mit Lome I eingefuehrt, erfasst landwirtschaftliche Produkte; das 1986 im Zuge von Lome II eingerichtete SYSMIN mineralische Rohstoffe. Anspruch auf Leistungen aus diesen Fonds bestehen nur dann, wenn die betreffenden Rohstoffe ein bestimmtes Gewicht in den Exporteinnahmen der antragstellenden AKP-Laender haben.
Die Budgetierung der Fonds konnte jedoch in der Vergangenheit den Bedarf der AKP-Staaten nicht decken. STABEX und SYSMIN fuehrten ausserdem zu einer einseitigen Exportorientierung. Nach wie vor ist den AKP-Laendern keine Diversifizierung ihrer Produktpalette gelungen. Sie exportieren kaum verarbeitete Waren und sind auf ihre Rolle als billige Rohstofflieferanten fuer die EU festgelegt, die durch die Preisstabilisierungsfonds gefoerdert wurde.
Weitere Gelder des EEF fliessen in Soforthilfeprogramme, z.B. in den Kongo, machen aber nur einen Bruchteil der Preisstabilisierungsfonds aus. Zusaetzliche Strukturanpassungshilfe ist fuer Laender vorgesehen, deren Bevoelkerung wegen akuten finanziellen Schwierigkeiten und Strukturanpassungsmassnahmen -- wie z.B. bei Kuerzung der oeffentlichen Ausgaben oder Privatisierungen -- in soziale Not geraet. Dabei kommt die Hilfe nicht direkt der Bevoelkerung zu, sondern finanziert "Importprogramme, die die Zahlungsbilanz verbessern" und "Dezentralisierungsprogramme, die die Verwaltungsstrukturen optimieren helfen".Lome V soll nun der "Notwendigkeit einer Weiterentwicklung zu einer Partnerschaft mit mehr Eigenverantwortung, zu groesserer Effizienz und zu staerkerer Differenzierung" gerecht werden, meint die EU-Kommission. Saemtliche Fonds will die EU zu einer "programmierbaren Hilfe" zusammenfassen. Bisher reichten in der Regel Bedarfskriterien aus, um einem AKP-Land die entsprechenden Mittel zu genehmigen."Programmierbare Hilfe" soll nun um das Kriterium der "Leistung" ergaenzt werden, das sich auf "Erfolg und gute Haushaltsfuehrung" stuetzt. Die EU will die AKP-Staaten an die kurze Leine nehmen und die bisher endgueltigen Zusagen finanzieller Mittel nur noch als Richtwert verstanden wissen, der "alljaehrlich zu ueberpruefen waere".
Teilen und Lenken
Konfliktpunkt zwischen AKP-Staaten und EU ist derzeit vor allem die geplante einseitige Regionalisierung des Abkommens. Waehrend die EU weiterhin als geschlossener Block auftritt, sollen die regionalen Zusammenschluesse innerhalb der AKP-Staaten "Abkommen ueber wirtschaftliche Zusammenarbeit" abschliessen.Im November 1997 haben sich die Staats- und Regierungschefs der AKP- Staaten in Gabuns Hauptstadt Libreville jedoch nachdruecklich fuer eine Fortfuehrung des bestehenden Lome-Abkommens und auch fuer den Fortbestand der AKP-Gruppe in ihrer jetzigen Gestalt ausgesprochen.Grosszuegig will die EU "diesen politischen Willen respektieren" und bietet den AKP-Laendern als Entgegenkommen ein "neues globales Abkommen" an, das den "Rahmen fuer die differenzierten regionalen Abkommen" bildet. Der Rahmen besteht aus den "allgemeinen Zielen und Grundsaetzen", dazu zaehlen etwa Menschenrechte und Armutsbekaempfung, die vor allem in der Praeambel des Abkommens Erwaehnung finden, und "institutionelle Aspekte". Um die handfesten oekonomischen Interessen, die "wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit", soll es hingegen bei den Regionalabkommen gehen.Die "Staerkung der regionalen Integration" und damit die der potentiellen Verhandlungspartner ist nach Meinung der EU-Kommission der Garant fuer den baldigen Anschluss an die globale Marktwirtschaft. Als Gespraechspartner betrachtet die EU regionale Zusammenschluesse wie die Zentralafrikanische Zoll- und Wirtschaftsunion, die Entwicklungsgemeinschaft des Suedlichen Afrika (SADC) und die karibische Gemeinschaft CARICOM.Ziel der "regionalen Abkommen ueber wirtschaftliche Partnerschaft" ist die "schrittweise Einfuehrung einer Freihandelszone entsprechend den Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO)", die einen Geltungsbereich fuer "annaehernd den gesamten Handel" und eine åbergangszeit von maximal zehn Jahren vorsieht. Der Zeitplan fuer die Verhandlungen richte sich nach dem "Grad der innerhalb dieser Integrationsgebiete erreichten Liberalisierung" und nach dem "Vorhandensein einer gemeinsamen Handelspolitik", so die EU-Kommission.
Regionale Freihandelszonen
Einer der moeglichen Verhandlungspartner, die 1992 gegruendete Entwicklungsgemeinschaft SADC, ist oekonomisch von der Republik Suedafrika dominiert. Suedafrika ist mit einem Sozialprodukt, das etwa dreimal hoeher liegt als das aller anderen zehn SADC-Staaten, regionale Hegemonialmacht.Einige der Laender, wie Mosambik und Tanzania, gehoeren hingegen mit einem Bruttoinlandsprodukt von nicht einmal 100 Dollar zu den aermsten Laendern der Welt. Dort faellt ein auf dem Markt handelbarer åberschuss so gering aus, dass die Integration in einen Handelsblock oekonomisch sinnlos ist. Birgit Mahnkopf und Elmar Altvater halten es deshalb -- entgegen der Erwartungen der EU-Kommission -- in ihrem Buch Grenzen der Globalisierung fuer wenig wahrscheinlich, "dass sich in absehbarer Zeit ein dynamischer Handelsblock" entwickelt.
Die institutionelle Struktur von SADC ist schwach ausgepraegt und hat kaum einen integrationspolitischen Effekt. Vorraussetzung eines gemeinsamen Markts ist der intraregionale Handel, der sehr schwach ausgepraegt ist. 80 Prozent der Exporte der SADC-Laender (ausser Suedafrika) gehen in Industrielaender, vor allem in die EU. Weniger als 15 Prozent gehen in die Nachbarlaender (nach Statistisches Bundesamt 1990, 1993). Die SADC hat fuer die "Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen keine grosse Bedeutung", so das Resuemee von Mahnkopf und Altvater.Der EU geht es also nicht um die unrealistische Zielvorgabe einer "Staerkung der regionalen Integration", sondern vor allem um den Abbau der Handelspraeferenzen und eine Anbindung an die Bestimmungen der WTO. Festgelegte Quoten bestimmter Erzeugnisse, so etwa von Bananen, Zucker und Rindfleisch, konnten AKP-Staaten bisher zollfrei nach Europa exportieren. Die Zollpraeferenzen will die EU schrittweise abbauen und durch allgemeine Freihandelszonen ersetzen.
Schuldenstreichung statt Deregulierung"
Als wesentliche Etappe auf dem Weg zur allgemeinen Liberalisierung" will die EU-Kommission ein "Reziprozitaetselement fuer europaeische Ausfuhren" in die AKP-Staaten einfuehren. An potentiellen Absatzmaerkten fuer europaeische Waren mangelt es nicht: Botswana, ebenfalls in der SADC, verfuegt ueber ein ebenso hohes Pro-Kopf-Einkommen wie Suedafrika (1995: 2500 Dollar).Ausnahmeregelungen gelten, analog zu den WTO-Bestimmungen, nur fuer die aermsten Laender, den Low Developed Countries (LDCs), denen nach wie vor Abkommen mit einseitigen Praeferenzen zugestanden werden. Mehr als die Haelfte der AKP-Laender werden zu den LDCs gezaehlt. Um eine vollstaendige åbereinstimmung mit den WTO-Regeln zu erzielen, will die EU Ausnahmen ausserdem auf nicht AKP-Staaten, die zu den LDCs gehoeren, ausweiten. Damit soll nicht das moderne Samaritertum des neuen Jahrtausends begruendet werden. Bereits 1996 schrieb die EU-Kommission in einer Informationsbroschuere zu Lome, dass sich "die Hilfe fuer die am wenigsten entwickelten Laender auf unsere eigene Wirtschaft positiv" auswirkt, denn von 100 Ecu Entwicklungshilfe fliessen 48 Ecu in Form von technischer Hilfe, Bau- und Lieferauftraegen, an denen europaeische Unternehmen beteiligt sind, zurueck. Selbst diese Ausnahmeregelungen fuer LDCs laufen Gefahr, mit den angestrebten Regionalisierungen zur Farce zu werden. Der Konkurrenzdruck innerhalb der Wirtschaftsgemeinschaften waechst durch die Liberalisierung und die damit verbundene Aussenhandelsorientierung derart, dass die LDCs dabei auf der Strecke bleiben koennten.
Der intraregionale Druck ist nicht zu unterschaetzen: Ein von der SADC 1996 ausgehandeltes Handelsprotokoll ignoriert die oekonomischen Unterschiede der Entwicklungsgemeinschaft und sieht keine Sonderabkommen fuer Mitgliedstaaten mit LDC-Status vor. Anders als in den WTO- Bestimmungen sollen die LDCs -- wie auch die anderen SADC-Staaten -- innerhalb eines Jahres ihre Einfuhrzoelle fuer Agrarprodukte reduzieren.Die Exportsubventionen sollen innerhalb von acht Jahren komplett gestrichen werden -- WTO-Bestimmugen sehen hier ebenfalls nicht die gesamte Streichung der Exportsubventionen fuer LDCs vor und raeumen allen Laendern eine Zehnjahresfrist ein. Das Handelsabkommen der SADC raeumt seinen oekonomisch schwaechsten Mitgliedern demnach einen geringeren Spielraum ein, als den LDCs im globalen Handlungsrahmen zusteht.Statt einer Deregulierung fordern die AKP-Laender, dass die EU eine entwicklungsfoerdernde Gestaltung der internationalen Handelsbeziehungen unterstuetzt. Vor allem die Nichtregierungsorganisationen der jeweiligen Laender betonen die Bedeutung von oekologischen und sozialen Mindeststandards. Sie fordern von der EU einen Aktionsplan, der eine Entschuldung der AKP-Staaten in die Wege leitet, da aus ihrer Sicht die Verschuldung nach wie vor ein wichtiges Entwicklungshemmnis darstellt.Auf einem Treffen der blockfreien Staaten am 3.September im suedafrikanischen Durban sprachen sich afrikanische Politiker gegen eine wirtschaftliche Deregulierungspolitik aus. Didier Ratsiraka, Praesident von Madagaskar, sagte, dass "Globalisierung kein Allheilmittel" sei. Allerdings, so Jean-Baptiste Ondaye vom kongolesischen Planungsministerium, existiere Regionalisierung in Afrika de facto nicht. "Dass von offizieller Seite versucht wird, sie herbeizureden, aendert daran nichts", so Ondaye. Wirtschaftsexperten aeusserten sich auf dem Treffen besorgt, dass die afrikanischen Maerkte im Zuge der Globalisierung mit auslaendischen Waren ueberschwemmt werden koennten. Damit wuerde sich die oekonomische Polarisierung innerhalb des afrikanischen Kontinents und in den einzelnen Regionen auf Kosten der Mehrheit der dort lebenden Menschen weiter verschaerfen.
Gerhard Klas


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