Artikel SoZ


SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 2

Tod in Kurdistan

Ist die ARGK-Guerillera Andrea Wolf hingerichtet worden?

Mitte Februar diesen Jahres erschien im Nachrichtenmagazin Focus unter dem Titel "Kerker oder Tod" ein reiáerischer Artikel zu Deutschen, die bei der kurdischen ARGK-Guerilla, dem bewaffneten Arm der PKK, in Kurdistan kämpfen. Wörtlich heiát es, PKK-Chef Öcalan wolle die "Schwärmer und Chaoten aus Köln oder Bielefeld" aus seinen Reihen ausschlieáen. Die Unterstützung der Deutschen sei nach Angaben des Nachrichtenmagazins, dessen Berichte häufig in der Boulevardpresse aufgegriffen und wiedergekäut werden, nicht mehr gewünscht. Öcalan habe sie aufgefordert "möglichst schnell die Biege zu machen".
  Diese Woche wuáte es Focus dann etwas besser: Die Mitteilung "Türkei: Deutsche kaltblütig erschossen" strafte nicht nur den Artikel aus dem Februar Lügen, sondern enthielt einige Informationen, die so auch in anderen Berichten in den letzten Tagen wiedergegeben wurden. Danach ist die 33jährige Andrea Wolf in Kurdistan gefangengenommen und später erschossen worden: "In Verhören soll die 33jährige, so seriöse Quellen, über PKK-Strukturen geschwiegen haben. Daraufhin sei sie liquidiert worden."
  Die vor einer Woche von der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) herausgegebene Mitteilung zu den Vorgängen im Kriegsgebiet, war für eine Reihe von Leuten im Rhein-Main-Gebiet deshalb mehr als nur eine Meldung unter vielen zum Krieg in Kurdistan, weil Andrea Wolf hier lange Jahre politisch aktiv war.
  Nachdem sich abzeichnete, daá der Staatsschutz sie im Zusammenhang mit dem Sprengstoffanschlag auf den hessischen Gefängnisneubau in Weiterstadt ins Visier genommen hatte, setzte sie sich ab. Wolf bestritt mit dem Anschlag der RAF etwas zu tun gehabt zu haben, dennoch lief gegen sie ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft, dem sie sich durch den Weggang in die Türkei entzog.
  Ihr Tod könnte nun zu Spannungen in den deutsch-türkischen Beziehungen führen. Schlieálich wird in der vom Kurdistan- Informationszentrum in Köln verbreiteten ERNK-Erklärung darauf hingewiesen, daá die PKK die Genfer Kriegskonvention aus dem Jahre 1949 sowie die Zusatzprotokolle aus dem Jahre 1977 unterzeichnet und damit alle Verpflichtungen durch diese Unterschrift garantiert habe. Obwohl die kurdische Guerilla diese Verpflichtungen eingehalten habe, setzte sich die Türkei über internationales Recht hinweg. Jeden Tag würden internationale Vereinbarungen durch die türkische Armee verletzt. Wörtlich heiát es: "Die Hinrichtung der ARGK-Guerilla Andrea Wolf ist dafür das jüngste Beispiel Ö Die Türkische Republik ist in Sachen Kriegsverbrechen das Land, das den Rekord hält."
  Unstrittig ist, daá die Türkei in den letzten Jahren weder die Genfer Kriegskonvention eingehalten hat, die die Ermordung von Gefangenen ebenso untersagt, wie deren Miáhandlung und Folterung, noch auf internationale, völkerrechtlich bindende Bestimmungen Rücksicht nimmt.
  Selbst im Nordirak (Südkurdistan), auf fremdem Territorium, gehen türkische Truppen nicht nur gegen vermeintliche PKK-Stellungen, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung des Autonomiegebiets vor.
  Während auf türkischem und irakischem Territorium die türkische Armee eine Eskalation des Krieges betrieb und eine beispiellose Zerstörung von Dörfern und tausendfache Vertreibungen zu beklagen ist, funktionierten die deutsch-türkischen Beziehungen auf ganz besondere Weise: Die BRD war in den zurückliegenden Jahren, zeitweise noch vor den USA, die gröáte Waffenlieferantin der Türkei.
  Gleichzeitig geriet der massiv stattfindende Einsatz deutscher Waffen gegen kurdische Guerilla und Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet zu einer Art deutsch- türkischer Schmierenkomödie. Wann immer Fotos, Filmaufnahmen und Zeugenaussagen den vertragswidrigen Einsatz von Kriegsgerät "Made in Germany" belegten, folgten stereotype Erklärungen aus Ankara und Bonn: die deutsche und türkische Regierung hätten dazu "keine Erkenntnisse".
  Inzwischen gibt es zum Tod von Anrdea Wolf unterschiedliche Darstellungen. Nach Angaben der türkischen Tageszeitung Hürriyet, die sich auf die Aussagen eines türkischen Diplomaten beruft, sei die Deutsche bei einem Gefecht umgekommen und die Behörden wüáten nicht wo ihre Leiche sei. Im Widerspruch dazu gab ein Sprecher des Auáenministeriums in Ankara an, die Nachforschungen seien noch am Laufen.
  Das Kurdistan-Informationszentrum verbreitet unterdessen einen Augenzeugenbericht des Angriffs der türkischen Armee, bei dem Andrea Wolf ermordet wurde. Danach ist Andrea Wolf nicht, wie zunächst gemeldet am 24.Oktober, sondern bereits am 22.Oktober in Beytüssebap Catak "festgenommen worden". Bei dem Angriff der türkischen Armee auf eine Guerillaeinheit seien von den 39 Kämpfern 24 ums Leben gekommen.
  Im Bericht ist davon die Rede, daá Andrea Wolf nach einem mehrstündigen Kampf zusammen mit acht bis zehn Guerilleros "in die Hände der türkischen Armee" fiel. 20 Minuten sei sie von türkischen Offizieren verhört, dann "kaltblütig erschossen" worden. In dem verbreiteten Augenzeugenbericht heiát es weiter: Acht der Guerilleros, die sich" in einer Höhle "versteckt gehalten hatten" konnten entkommen. Als drei Tage später der Ort des Geschehens noch mal aufgesucht worden sei, habe man den Leichnam von Andrea Wolf und weiterer Guerilleros gefunden und sie beerdigt.
  Thomas W. Klein
 


zum Anfang