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Erlaßjahr 2000 - Entwicklung braucht
Entschuldung" nennt sich eine Kampagne, deren mittlerweile 400
Unterstützergruppen - Eine-Welt-Läden, Kirchengemeinden und
Nichtregierungsorganisationen - von Banken, der Bundesregierung und den
internationalen Finanzinstitutionen "einen umfassenden Erlaß der
untragbaren Schulden armer Länder für das Jahr 2000" fordern.
Adressat des Appells im Rahmen der internationalen "Jubilee 2000"-
Initiative wird der kommende Weltwirtschaftsgipfel (oder G8) Juni '99 in Köln
sein. Motiviert durch ihren diesjährigen Erfolg anläßlich des G8-
Gipfels in Birmingham, erwarten die Organisatoren der Kampagne mindestens
ebensoviele Teilnehmer: 70000.
Auch wenn die Initiatoren der
Erlaßjahrkampagne in einer erläuternden Broschüre die guten
Absichten ihres Appells darlegen und Berechnungen anstellen, wie vielen Kindern das
Leben gerettet werden könnte: Der politische Gebrauchswert der Kampagne ist
äußerst gering. Den Adressaten der allgemein gehaltenen Forderungen
wird Tür und Tor offengehalten, sie in ihrem Sinne zu interpretieren. Und auch
der Appell, die durch den Schuldenerlaß frei werdenden Mittel zu nutzen, um
"die Möglichkeiten der Armen zur Selbsthilfe zu stärken" ist
durchaus mit multilateralen Verträgen kompatibel, die Drittweltländer
mitsamt ihrer Bevölkerung dem "freien Weltmarkt"
überantworten wollen.
Ein "internationales Insolvenzrecht"
soll darüberhinaus die Zahlungsfähigkeit der Drittweltländer
"im Sinne eines fairen Interessenausgleichs zwischen Schuldnern und
Gläubigern" wiederherstellen. Im Kontext der Verschuldung von
Fairneß zu sprechen, muß in den Ohren der darbenden
Zivilbevölkerung wie Hohn klingen: 500 Jahre Kolonialgeschichte und
Imperialismus werden nicht einmal erwähnt. Für die
Erlaßjahrkampagne beginnt die "Geschichte der Verschuldung" erst
mit der Ölkrise und dem Kalten Krieg. Die Kampagne ignoriert, daß
Verschuldung zu einem der konstituierenden Elemente der Weltwirtschaftsordnung
gehört. Solch schwache Forderungen werden selbst bei einer massiven
Mobilisierung kaum dazu beitragen können, die Lebensbedingungen der
ärmsten Teile der Weltbevölkerung nachhaltig zu verbessern.
Zu
Recht haben Kritiker schon 1988 anläßlich der Demonstration gegen die
Tagung des IWF in Berlin angemerkt, daß auch eine Forderung nach
unverzüglicher und direkter Schuldenstreichung das
Abhängigkeitsverhältnis zwischen Erster und Dritter Welt nicht
auflösen würde. Von dieser Forderung abzuweichen, nachdem sich der
Schuldenberg der sog. Entwicklungsländer seither mit 2177 Milliarden US-
Dollar fast verdoppelt hat, kann nur als Rückschritt verstanden werden. Bleibt zu
hoffen, daß sich die kritischen Stimmen in den eigenen Reihen mehren. Das
belgische "Komitee für die Aufhebung der Schulden in der Dritten
Welt" (COCAD), Teil einer in Gläubiger- und Schuldnerländern
verankerten Initiative, hat den Anfang gemacht und fordert eine
"unverzügliche und komplette Schuldenstreichung".