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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 3

Mit dem Taxi in den Knast

Seit Anfang 1997 haben es die Strafverfolgungsbehörden in Sachsen verstärkt auf Taxifahrer im Grenzgebiet um Zittau abgesehen. Gegen 22 der insgesamt 73 Taxifahrer des Landkreises Zittau-Löbau im Dreiländereck BRD - Polen - Tschechische Republik laufen Ermittlungsverfahren. Den Taxifahrern, die einmal oder mehrfach mit illegal eingereisten Fahrgästen von Zoll oder Bundesgrenzschutz (BGS) aufgehalten worden waren, wird das "Einschleusen von Ausländern" zur Last gelegt.

In der Regel handelt es sich bei den inkriminierten Fahrten um solche von grenznahen Orten innerhalb Deutschlands ins Landesinnere. Die Gerichte betrachten die Angeklagten als "Mosaiksteinchen im internationalen Schleusertum", wie es der Staatsanwalt in einem Berufungsverfahren formulierte.
  Der Kronzeuge Steffen Döring, selbst Taxifahrer, strafrechtlich mehrfach vorbelastet und mit denselben Vorwürfen konfrontiert, zog seinen Kopf aus der Schlinge indem er etliche Kollegen bei den Behörden anschwärzte. Seine Haftstrafe wurde wegen seiner hilfreichen Kooperation zur Bewährung ausgesetzt, während seine gröátenteils unbescholtenen Kollegen zu drakonischen Haftstrafen bis zu zwei Jahren und zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt wurden. Mittlerweile sind insgesamt vier Berufungsverfahren vor dem Landgericht Görlitz abgeschlossen worden. In allen Fällen wurden die erstinstanzlichen Strafen bestätigt. Der erste Taxifahrer muáte seine Haftstrafe am 14.10. antreten, der nächste am 23.11.1998.
  In der Urteilsbegründung des Zittauer Richters Ronsdorf vom 20.März 1997, im Verfahren gegen Bernd Heinz L., der des Einschleusens von drei Männern aus Ex-Jugoslawien beschuldigt wurde, heiát es z.B., die Tat des Angeklagten habe "erhebliche sozialschädliche Auswirkungen, da der Aufenthalt der Illegalen in der Regel aus Steuergeldern bezahlt werden muá".
  Näheres über die finanzielle Ausstattung Illegalisierter in der Bundesrepublik führte das Gericht indes nicht aus. Was die Kosten des gesamten Verfahrens nebst Abschiebung der "illegalen Grenzgänger" angeht, hält man sich behördlicherseits an den ohnehin ruinierten verurteilten Taxilenkern schadlos: Einen Monat nach dem für L. negativen Ende des Berufungsverfahrens in Görlitz flatterte ihm eine Rechnung über die Kosten der Abschiebung von drei einstigen Fahrgästen ins Haus: 4643,73 DM kostete die Rückbringung der drei glücklosen Migranten nach Rumänien.
  Hinter der massiven Verfolgung von Personentransporteuren ist der Wille von Grenzschutz und Rechtsprechung zu erkennen, an den unglücklichen Taxifahrern ein gehöriges Exempel zu statuieren. Der Görlitzer Berufungsrichter Hermann Jöst lieá diesen Hintergrund in einer Urteilsbegründung unmiáverständlich durchblicken. Er wertet das rücksichtslose Vorgehen gegen die Taxifahrer, denen in der Regel auch noch Führerschein und Taxikonzession entzogen werden, als Erfolg: Der Tatsache, daá seit der gehäuften Verhängung von Haftstrafen gegen Zittauer Taxifahrer keine strafbaren Personenbeförderungen mehr von den Grenzschützern festgestellt wurden, entnimmt er, daá die drakonischen Freiheitsstrafen als "Generalprävention" bei potentiellen Nachahmungstätern ihre Wirkung nicht verfehlten.
  Am 15.11. wurde der Taxifahrer Andreas R. verhaftet. Andreas R. war zu einer Haftstraáe von einem Jahr verurteilt worden und wartete seitdem auf die Aufforderung zum Haftantritt. Am 11.November nahm er an einer Gesprächsrunde im Stern TV teil. Unmittelbar dannach wurde er zur Fahndung ausgeschrieben und am Sonntagvormittag aus seiner Wohnung heraus verhaftet. Offensichtlich sollte Andreas R. an weiteren öffentlichen Auftritten gehindert werden Gleichzeitig ist dies auch eine Warnung an alle anderen betroffenen Taxifahrer, in der Öffentlichkeit ihren Mund zu halten.
  Ergebnis der gnadenlosen Verfolgung der Taxifahrer ist, daá in der Grenzregion keine ausländisch aussehende Personen mehr ein Taxi bekommt. Genau diese Atmosphäre ist offenbar das Ziel der grenzschützerischen Bemühungen, eine breite Abwehrfront mit Bürgerbeteiligung gegen illegale Grenzgänger aufzubauen.
  Schon mit den Bürgertelefonen, über die "aufmerksame" Grenzbewohner ihre Beobachtungen verdächtiger Bewegungen ausländisch wirkender Personen dem BGS kolportieren können, ist das Grenzland zu einer für "Fremde" kaum noch unbehelligt passierbaren Zone geworden: Der BGS erzielt nach Aussagen von Manfred König, Polizeihauptkommissar beim BGS in Rothenburg, etwa 70 bis 80 Prozent seiner "Aufgriffe" von "Illegalen" über diese Hinweise aus der Bevölkerung.
  Zu dieser Strategie gehören ebenso die polizeilichen Freiwilligenstreifen (GUK - Grenzpolizeiliche Unterstützungskräfte), die seit 1993 zur Verstärkung des Grenzschutzes im Angestelltenverhältnis tätig sind. Etwas ähnliches hat der BGS auch mit den Taxifahrern vor: Am liebsten wäre es ihm, die Personentransporteure würden regelmäáig bei bestimmten Verdachtsmomenten ihre menschliche Fracht vom BGS durchchecken lassen.
  In einem Flugblatt, das die Grenzhüter im vergangenen Jahr an die Taxifahrer der Grenzregion verteilten, fordern sie diese auf, sich nicht "von Schleuserbanden miábrauchen" zu lassen, keine "offensichtlich illegal eingereisten Personen" mitzunehmen und "Illegale" über ein Codewort per Funk dem BGS zu melden und auszuliefern. Das Flugblatt erschien im Rahmen einer breiter angelegten Kampagne des BGS, in die auch die Industrie- und Handelskammer Sachsens, die Staatsanwaltschaft, das Landratsamt Sächsische Schweiz und der Landesverband Taxi/Mietwagenverkehr einbezogen waren.
  Das Landratsamt stellte sogar in Aussicht, bei Beschwerden von Ausländern, die entgegen der nach dem Personenbeförderungsgesetz bestehenden Mitnahmepflicht der Taxifahrer nicht aufgenommen wurden, ein Auge zuzudrücken, damit der Sicherheitsschleier gegen die unerwünschten Grenzgänger noch dichter werde.
  Die Behörden und Gerichte würden gerne die rassistische Kategorie des "eindeutig als Illegaler" oder, wie es bei dem Berufungsprozeá im Januar hieá, den "anhand des Aussehens und der Kleidung eindeutig als Osteuropäer" erkennbaren Menschen konstruieren. Zu einer solchen unter Behörden und Institutionen kumpelhaft verabredeten Kollaboration wollen sich viele Kollegen der Zittauer Taxifahrer aber nicht hergeben.
  Mit der Görlitzer Erklärung zum ersten Berufungsprozeá eines Zittauer Kollegen im Dezember 1997, erteilten Hamburger und Berliner Taxifahrer dieser Instrumentalisierung zu Handlangern des rassistischen Grenzregimes eine klare Absage und betonten ihren Willen, jeden Fahrgast unvoreingenommenen zu befördern. Ihrem Unmut über die Verurteilungen ihrer Kollegen machten im Dezember die groástädtischen Taxifahrer mit einem Taxikorso zum Landgericht in Görlitz Luft. Wie man einem Menschen seinen Aufenthaltsstatus ansehen solle, fragen sich die Chauffeure, die gesetzlich weder zur Kontrolle von Papieren berechtigt noch überhaupt dazu willens sind.
  Dann nehmen die betroffenen Transporteure lieber niemanden mehr mit, der nicht eindeutig ein Landsmann ist, um sich selbst (und die zurückgewiesenen Fahrgäste) vor dem Zugriff der organisierten inneren Sicherheit zu schützen.
  Forschungsgesellschaft
  Flucht und Migration (Berlin)
 


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