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In einem säkularen Staat ist Religionsunterricht
problematisch, widerspricht er doch dem Gebot der Trennung von Religion und Staat.
Auf Vorbehalte stöát er jedoch in aller Regel nicht, wenn der christliche Glaube
gelehrt werden soll, wohl aber, wenn es um den Islam geht.
Das Berliner Oberverwaltungsgericht hat am 4.November verfügt, die
Islamische Föderation als Religionsgemeinschaft anzuerkennen; damit hat es den
Weg frei gemacht für die Einführung von islamischem Religionsunterricht
an Berliner Schulen.
Das Urteil ist umstritten. In der BRD sind Ordnung und Durchführung des
Religionsunterrichts eine staatliche Aufgabe, doch entscheiden die
Glaubensgemeinschaften nach Maágabe ihrer Grundsätze über seine Ziele
und Inhalte. Das staatlich garantierte Recht auf Religionsausübung steht auch
Angehörigen fremder Kulturen zu.
Die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts ist eine alte Forderung
vor allem von Minderheiten aus der Türkei. Sie wird sowohl von
religiösen Verbänden, vor allem sunnitischen Glaubensgemeinschaften,
aber auch von säkularen Gruppen erhoben. Es ist zu unterscheiden zwischen
religionskundlicher Unterweisung, die überkonfessionell ist, und
Religionsunterricht, der grundsätzlich konfessionell gebunden ist. Die
(nichtislamischen) Befürworter eines islamischen Religionsunterrichts wollen
fundamentalistische Einflüsse vermeiden, indem sie die staatliche Schulaufsicht
zwischenschalten; die Gegner glauben, den Fundamentalismus dadurch abwehren zu
können, daá islamischer Religionsunterricht nicht erteilt werden darf.
Die meisten Bundesländer haben zu Beginn der 80er Jahre die
Möglichkeit zu einer religiöse Unterweisung im Islam im Rahmen des
muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts geschaffen. Die Verantwortung
für diesen Unterricht liegt teils bei den diplomatischen Vertretungen der
Türkei, teils bei den Kultusministerien. Der Unterricht wird von
türkischen Lehrerinnen und Lehrern erteilt. In NRW hat eine Kommission aus
türkischen Lehrerinnen und Lehrern, Islamwissenschaftlern und zwei
evangelischen Religionspädagogen entsprechende Curricula
ausgearbeitet.
In Berlin wurde im Gegensatz dazu bislang kein islamischer Religionsunterricht erteilt;
hier ist nur christlicher Religionsunterricht vorgesehen. Es entspricht also dem Gebot
der Gleichbehandlung von christlichen und nicht-christlichen Gläubigen - damit
Art.3 (3) GG, der eine Benachteiligung aufgrund des Glaubens verbietet -, daá auch
Angehörigen nichtchristlicher Glaubensgemeinschaften Religionsunterricht
erteilt werden kann. Allerdings besteht hier das Problem, daá es eine offizielle
Organisation des Islam in Deutschland nicht gibt.
Seit 1983 wird an Berliner Schulen islamisch-religionskundliche Unterweisung
angeboten. Diese Unterweisung wird von der staatlichen Türkisch-Islamischen
Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) erteilt. Dies ist eine bundesweite
Organisation; ihr Vorsitzender ist laut Satzung Direktor der Anstalt für
religiöse Angelegenheiten in Ankara. Trotz Bezuschussung durch den Berliner
Senat mangelt es an einer demokratischen Kontrolle seiner Aktivitäten. So wird
auch die Trennung zwischen religionskundlicher Unterweisung und Religionsunterricht
nicht immer eingehalten. Daneben werden inzwischen ca. 16000 Kinder in von den
Moscheen getragenen sog. Koranschulen unterrichtet, wo hauptsächlich
Intoleranz gegenüber anderen Religionen gelehrt wird.
Ob diesen Entwicklungen durch die Anerkennung der Islamischen Föderation als
Religionsgemeinschaft entgegengewirkt werden kann, ist fraglich. Zunächst
plant die Islamische Föderation einen Modellversuch an einigen Kreuzberger
Schulen. Später soll das Angebot ausgebaut werden. Ziel ist, den ca. 30000
Berliner Schülerinnen und Schülern muslimischer Herkunft
Religionsunterricht anzubieten. Wie auch beim christlichen Religionsunterricht ist die
Teilnahme freiwillig; auch hier werden die Gehälter der Lehrer zu 90 Prozent
vom Land Berlin übernommen. Die Lehrpläne werden jedoch nur einmal
der Schulverwaltung zur Prüfung vorgelegt.
Genau hier setzt die Kritik vor allem von Migrantenverbänden ein, die der
Islamischen Föderation Kontakte zur verbotenen rechtsextremen
Wohlfahrtspartei und personelle Verflechtungen mit Milli Görüs
vorwerfen und eine antidemokratische Beeinflussung ihrer Kinder
befürchten.
Meiner Ansicht nach hat die Schule die Aufgabe, interreligiösen Unterricht zu
ermöglichen - dies leitet sich aus der multikulturellen Situation der deutschen
Gesellschaft ab. Er soll die Schülerinnen und Schüler anregen, sich in
religiösen Fragen offen zu verhalten und die Inhalte der eigenen Religion nicht
zu idealisieren. Die Eltern müssen in den Prozeá der Festlegung der
Unterrichtsinhalte einbezogen werden. Dabei ist es notwendig, daá alle Religionen
gleichwertig behandelt werden. Das bedeutet im Kern die Ersetzung des Fachs Religion
durch ein konfessionsübergreifendes Fach Ethik oder Philosophie nach dem
Vorbild des Brandenburgischen Fachs "Lebensgestaltung, Ethik, Religion"
(LER). Ein solches Angebot würde auch der Manipulation den Boden entziehen.
Bislang ist es unqualifizierten Personen möglich, sich als Hodschas,
Religionsgelehrte, auszugeben.
Einer politischen Antwort auf die Frage nach einem islamischen Religionsunterricht,
möglichst auf Bundesebene, wäre aber auf jeden Fall der Vorzug vor
gerichtlichen Entscheidungen zu geben.