Artikel SoZ


SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 4

Schröder kommt, Hugo geht...

Neue Regierung unterläuft Kohlekompromiß

So hätte sich kein Kumpel den ersehnten oder zumindest geforderten Regierungswechsel vorgestellt. Kaum hat Schröder den Eid geleistet und der neue Wirtschaftsminister Müller sein Amt übernommen, da wird schon wieder an der Kohleschraube gedreht. Minister Müller hatte am 29.Oktober in der WAZ, der gröáten Zeitung des Reviers, in einem Interview behauptet: Die Steinkohle hat eine groáe Zukunft! Die Druckerschwärze war noch nicht trocken, da platzte die Bombe.
  Die neu gegründete Deutsche Steinkohle AG (DSK), die als erstes durch die Verpflichtung zur Rückzahlung von fälschlich gezahlten Subventionen ins Gerede kam, lieá am 10.November eine üble Nachricht aus dem Sack: vorzeitige Stilllegung des Verbundbergwerks Ewald/Hugo und Förderreduzierung bei mehreren anderen Zechen.
  Der mühsam ausgehandelte Kompromiá vom März 1997, von den Kumpels durch massive Demonstrationen in Bonn und Zechenbesetzungen erzwungen, wird damit erneut in Frage gestellt. Diesmal nicht von einem freidemokratischen Wirtschaftsminister, sondern von der Ruhrkohle selber. Statt erst im Jahr 2002 soll nun schon im April 2000 die Förderung auf Ewald/Hugo eingestellt werden.
  Vor der Zusammenlegung Anfang 1997 waren auf den beiden Bergwerken noch 7700 Menschen beschäftigt, davon über 5000 unter Tage. Eineinhalb Jahre nach dem Zusammenschluá sind es nur noch 5400 - allein in Gelsenkirchen und Herten ein Abbau von 2300 Arbeitsplätze. Die verbleibenden 5400 Arbeitsplätze sollen nun innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre vernichtet werden, statt wie zunächst den Kumpels versprochen, in vier Jahren.
  Die DSK hat mit einer Belegschaft von rund 71000 Beschäftigten angefangen; Anfang 1997 waren noch 84000 Menschen im Steinkohlenbergbau beschäftigt. Im Jahr 2005 sollen höchstens noch 36000 Arbeiter und Angestellte übrigbleiben. Schon allein diese Zahlen sind ein Hohn auf die schönen Worte bei der Eröffnungsveranstaltung.
  Den inzwischen wieder überholten Planungszahlen zufolge sollen innerhalb von vier Jahren 13200 allein bei der alten RAG abgebaut werden. Davon sollen 4700 Kumpel in die "Anpassung" - eine Art Vorruhestand - entlassen werden, 2000 in die Umschulung, 1400 über Einarbeitungsmaánahmen im Handwerk untergebracht werden, 400 "in den Konzern" - also in den weiáen Bereich. Eine Übergangshilfe (sprich Abfindung) ist für 4100 Beschäftigte geplant, für 3000 werde es eine "Fluktuation" geben. Die beiden letzten Maánahmen - das betrifft mehr als die Hälfte aller Abgänge - strafen das Wort "keiner fällt ins Bergfreie" Lügen; oft genug wartet auf die betroffenen Kollegen Arbeitslosigkeit.
  Gelsenkirchen und Herten haben mit die höchste Arbeitslosenquote im Revier. Wie hier noch Ersatz geschaffen, oder für umgeschulte Bergleute neue Arbeit gefunden werden soll, ist völlig unklar. Der Vorstandschef der DSK, Beermann, der vorher beim Mutterkonzern RAG Arbeitsdirektor war, begründete auf einer Betriebsrätevollkonferenz die vorgezogenen Stillegung mit Kostengründen. Durch fallende Preise bei der Importkohle und den sinkenden Dollarkurs könne die Ruhrkohle nicht mehr soviel fördern. Geologische Probleme und die beginnende Stahlflaute kämen hinzu.
  Auf einer auáerordentlichen Belegschaftsversammlung am 11.November wurden die Kumpel, die schon aus dem Radio und der Zeitung Bescheid wuáten, erstmal vertröstet. Als nach einer halben Stunde Information die Versammlung vom Werkschef für beendet erklärt wurde, gab es Tumulte. Heftiger Zorn und Wut auf die da oben drohten, die Versammlung zu sprengen.
  Unter diesem Druck eröffnete der Betriebsrat die Versammlung als auáerordentliche Belegschaftsversammlung erneut, so daá die Kumpel zum Mikrofon konnten. Am Ergebnis änderte der Protest nichts. Sozialverträglich soll auch dieser Zechentod wieder abgehandelt werden. Alle Möglichkeiten des Vorruhestands, der Umschulung und Verlegung, der freiwilligen Abkehr sollen verstärkt werden, sagte der Gewerkschaftssekretär. Das kann noch nicht mal die Kumpel im passenden Alter beruhigen, die Ruhrkohle hat ihnen nun selbst den Fehdehandschuh hingeworfen. Bis Ende 1999 sollen 4 Millionen Tonnen Kohle weniger als vor einem Jahr geplant gefördert werden. Verkauft werden sie aber ziemlich sicher - die Ruhrkohle will diese Menge zusätzlich importieren. Der Gewinn wird über die Ruhrkohle Vertrieb und Handel beim Mutterkonzern RAG abgeliefert. Die Subventionen dafür sind der DSK sicher. Adam Reuleaux
 


zum Anfang