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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 6

Schlanke Gewerkschaft

IG Metall "reformiert" sich

Der 5.außerordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall, der vom 29.November bis 2.Dezember stattfindet, ist der geplanten Organisationsreform gewidmet. Die IG Metall wird umgekempelt - wie wird sie danach aussehen?
  Auf dem Weg zu einer lernenden Organisation" heißt der Entschließungsentwurf des IG-Metall-Vorstands, der auf dem 5.auáerordentlichen Gewerkschaftstag beraten wird. Ursprünglich sollte dieser schon im September stattfinden. Aber als Gerhard Schröder noch vor den Bundestagswahlen den Zweiten Vorsitzenden der IG Metall, Walter Riester, zum neuen Arbeits- und Sozialminister kürte, war abzusehen, daá ein neuer Zweiter Vorsitzender gewählt werden müßte.
  Aus diesem Grund wurde der Gewerkschaftstag auf Ende November verschoben und die Tagesordnung um den Punkt "Neuwahlen zum Vorstand" erweitert. Entgegen dem Willen des Vorsitzenden Klaus Zwickel ist nun der 54jährige Bezirksleiter von Niedersachsen, Jürgen Peters, für diese Aufgabe nominiert worden. Peters wird einerseits dem linken Flügel zugerechnet, andererseits wird ihm auch Flexibilität in Riesterscher Tradition nachgesagt. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht.
  Die wichtigste Debatte auf dem Gewerkschaftstag wird jedoch die über die Organisationsentwicklung sein. Eher unbemerkt von den beitragszahlenden Mitgliedern, aber auch von einem groáen Teil der ehrenamtlichen Funktionäre, hat der IGM-Vorstand eine Strukturveränderung der Organisation von langer Hand vorbereitet. Auf dem Gewerkschaftstag 1992 in Hamburg wurde der Prozeá der Organisationsentwicklung eingeleitet und die Mitglieder zu einer umfassenden Diskussion aufgefordert.
  Seit 1993 arbeiten Autoren an Positionspapieren. Doch erst im Juli 1997 stellte der Vorstand das Projekt "Organisationsentwicklung" (OE) mit einem Papier vor, das sich "Arbeits- und Architekturbuch" nennt. Es hat 86 Seiten und ist schwer lesbar. Es wurde von der IGM-Spitze lange Zeit zurückgehalten und hat in der Organisation und unter den Mitgliedern kaum eine Rolle gespielt. Erst zu Beginn des Jahres 1998 wurde ein achtseitiges Extrakt daraus in die Organisation gegeben.
  Der OE-Prozeá verfolgt das Ziel, die IGM auf allen Ebenen transparenter und schlagkräftiger zu machen. Das betreffende Papier, so heiát es in der "politischen Arbeitsplanung" des Vorstands bis zum Jahr 1999, werde Bestandteil der Alltagsarbeit der Gewerkschaft werden.
  Wenn man sich durch die 86 Seiten des Architekturbuchs durchgekämpft hat, kommt man zur Überzeugung, daá der kämpferische Teil der Mitgliedschaft der IGM und deren Einfluá zurückgedrängt werden sollen - und dies zu einem Zeitpunkt, da das Kapital die Belegschaften ständig mit Massenentlassungen, Tarifbruch und Sozialabbau erpreát.
  Mit dem Papier reagiert die IG Metall zunächst auf den drastischen Abbau von Arbeitsplätzen und den Mitgliederschwund. Seit 1992 hat die IGM durchschnittlich 20000 Mitglieder im Monat verloren, zunächst überwiegend im Osten, dann auch im Westen. Auf den damit einhergehenden Verlust an Beitragsaufkommen reagierte der Vorstand mit einem Kostensenkungsprogramm. Ein Unternehmensberater wurde damit beauftragt, die Organisationsabläufe zu überprüfen.
  Das Ergebnis war ein Sparkatalog in sieben Punkten, in dem für sämtliche Vorstandsbereiche Ausgabenbeschränkungen verfügt wurden mit dem Ziel, die Ausgaben bis zum Jahr 1996 um 3 Prozent zu senken. Beim Personal wurden Einschränkungen vorgenommen, die vom Einstellungs- und Gehaltsstopp bis zum vorgezogenen Ruhestand reichten. Den Verwaltungsstellen wurde ein gesondertes Personal- und Organisationskonzept verpaßt. Die Personengruppenausschüsse wurden angehalten, die Häufigkeit von Konferenzen und Zusammenkünften zu reduzieren.
  Der Entschlieáungsantrag, der dem kommenden Gewerkschaftstag vorliegt, ist in Handlungsfelder und Leitbilder aufgeteilt. Der Antrag beschreibt den Organisationsaufbau, die Aufgaben des Vorstands, die Aufgaben der Bezirksleitungen und der Ortsverwaltungen. Dazu heiát es: "Jede Arbeitsebene hat strategische, dienstleistungsorientierte und operative Aufgaben in den jeweiligen Handlungsfeldern. Der Vorstand ist für die Gesamtpolitik, die Strategie und das Gesamtbudget verantwortlich und trifft hier die Entscheidungen. Die Dienste und Leistungen der IG Metall werden durch eine flexible Arbeitsorganisation, Kosten-Nutzen-Betrachtungen, politische Planung und Controlling konzentriert und optimiert."
  Im Entschlieáungsentwurf steht auch etwas über die Entscheidungsstrukturen. Es heiát dort, sie hätten sich bewährt. Gleichzeitig heiát es, die Bezirkskonferenzen, die bisher jährlich getagt haben, sollten nur noch zweimal in vier Jahren stattfinden. Die örtlichen Vertreterversammlungen sollten sich den Bedürfnissen anpassen und nur noch dreimal im Jahr stattfinden. Bisher waren es vier Versammlungen pro Jahr.
  In der IG Metall gibt es auch eine Diskussion über den Abbau von Verwaltungsstellen. Gut informierte Kollegen gehen davon aus, daá von den 180 Verwaltungsstellen nur noch 100 bestehen bleiben sollen.
  Diese Entwicklung läát den Verdacht aufkommen, daá die Bürokratisierung der Organisation weiter verfestigt werden soll. Damit schreitet auch die Entpolitisierung der IG Metall weiter fort. Wenn es in der Entschlieáung heiát, die Mitglieder werden ehrenamtlicher, dann muá man darauf hinweisen, daá es eben die Versammlungen und Konferenzen waren, die den Mitgliedern die Möglichkeit geboten haben, sich aktiv in die aktuelle gewerkschaftliche und gesellschaftspolitische Diskussion einzuschalten.
  Der Vorstand präsentiert die geplanten Strukturveränderungen als Steigerung der Effizienz: "Die IG Metall wird durchsetzungsfähiger, sie ist Gegenmacht und Gestaltungskraft."
  Damit können die Menschen in Fabrikhallen und Büros nicht mehr viel anfangen. In unzähligen Klein- und Mittelbetrieben, da wo heute ausgegliedert und entlassen wird, wo man Tarifbruch durchsetzt und Betriebsvereinbarungen unterlaufen werden, ist nicht mehr viel mitzugestalten. Was soll der Betriebsrat bei Siemens gestalten, wenn die Bereiche, in denen 60000 Menschen beschäftigt sind, zum Verkauf abgestoáen werden?
  Viele erkämpfte tarifvertragliche Positionen aus der Nachkriegsgeschichte der Gewerkschaften stehen heute zur Disposition. Die Gewerkschaften haben soziale Errungenschaften kampflos aufgegeben. Inzwischen sind sie der gröáte Arbeitslosenverband geworden. Die Entlassung von Hunderttausenden leistungsfähigen Mitgliedern bezeichnet man zu Recht als Gewalt gegen Menschen. Die damit verbundene Enteignung von Wissen und Erfahrung ist ein gesellschaftlicher Skandal. Es wäre nötig, daá die IG Metall gerade in der augenblicklichen, schwierigen Lage der Öffentlichkeit ein neues kämpferisches Programm präsentierte.
  In der Entschlieáung aber heiát es zu den gegenwärtigen Herausforderungen: "Der Wandel der Arbeitsgesellschaft zeigt sich in vielen Formen. Betriebs- und Unternehmensstrukturen verändern sich. Ausgründungen stehen auf der Tagesordnung. Die Zahl der Klein- und Mittelbetriebe, für die noch keine gewerkschaftliche Betreuungsstruktur existiert, steigt. Es gibt immer weniger Betriebe mit freigestellten Betriebsratsmitgliedern und Vertrauensleuten. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Betriebe mit Haustarifen zu."
  Auch wenn sich die Arbeitswelt verändert hat, ist der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit doch nicht aufgehoben. Man kann nicht von einer neuen Partnerschaft reden, wenn das Unternehmerlager ständig neue Angriffe auf das Betriebsverfassungsgesetz organisiert.
  In den Gewerkschaftlichen Monatsheften von 1993 hat der ehemalige Hauptkassierer der IG Metall, Werner Schreiber, folgende Position zum Selbstverständnis der Gewerkschaft formuliert: "Würden wir heute die groáe akademische Frage vom Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre über den seligmachenden Weg der Gewerkschaften stellen: konfliktorisch oder kooperativ, Anpassung oder Widerstand, Kampfverband oder Versicherungsverein, so würde die Antwort kurz und eindeutig sein." Im weiteren Artikel beschreibt er, daá die IG Metall mehr Versicherungsverein sein muá.
  Entgegen dieser Position sind wir der Auffassung, daá die IG Metall Kampfverband bleiben muá. Nur in der Entwicklung und Durchsetzung von Forderungen, die die Interessen der Mitglieder widerspiegeln, machen Gewerkschaften einen Sinn.
  Man kann davon ausgehen, daß die vorliegende Entschlieáung fast nur im Bereich der hauptamtlichen Funktionäre diskutiert worden ist. In der IG-Metall-Zeitung direkt (Nr.10/98) heißt es unverblümt: "Organisationsentwicklung der IG Metall - das ist doch eine Sache für Hauptamtliche, sagen sich viele Betriebsräte und Vertrauensleute. Hauptsache, die haben den Laden im Griff."
  Nach unseren Erfahrungen wurde der Entschlieáungsantrag nur in wenigen Verwaltungsstellen gelesen. In NRW haben das nur die Verwaltungsstellen Aachen, Gelsenkirchen und Wuppertal getan und Anträge an den ao.Gewerkschaftstag gestellt.
  Soweit ein Basiswiderstand gegen den Entschlieáungsentwurf ausgemacht werden kann, betrifft er die Personengruppen und ihre Arbeit. Die heutige Form der Personengruppenarbeit geht mit einem bestimmten Bild von Minderheitenschutz und Einfluánahme einher. Viele Sekretäre, sowohl auf Vorstands- wie auf Verwaltungsstellenebene, haben ihren persönlichen Werdegang mit der Personengruppenarbeit verbunden. Sie haben sich auf ihrem persönlichen Weg sehr für diese Arbeit eingesetzt.
  Über diese Frage hat es in einigen Basisorganisationen viel Diskussion gegeben. Die IG Metall will nur Frauen und Jugend als Personengruppen bestehen lassen. Hierzu hat die Verwaltungsstelle Unna (NRW) einen wichtigen Antrag gestellt, in dem sie fordert, daá auch die Angestellten als Personengruppe behandelt werden. Die Verwaltungsstelle Gelsenkirchen fordert in ihrem Antrag, alle Arbeitnehmer, einschlieálich der Arbeitslosen, sollten von der IGM vertreten werden
  Das Mitteilungsblatt der IG Metall, direkt, zitiert in seiner Ausgabe Nr.22/98 einen Kommentar von Frank Stroth, Erster Bevollmächtigter in Neckarsulm:
  "Nach vier Jahren muá ich leider sagen: Die IG Metall hat den Prozeá der Organisationserneuerung nicht vollzogen. Im Vorstand wurde die Reformdebatte allenfalls auf Sparflamme geführt, nur wenige haben sich engagiert. Das Ergebnis ist: OE wurde nicht ,von oben' vorgelebt, nicht mitgetragen und konnte deshalb auch nicht gelingen.
  Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Erneuerung heißt immer auch Ungewißheit, bedeutet, Privilegien aufzugeben. Dazu war letztlich niemand im Vorstand bereit. Auch in der Belegschaft der Vorstandsverwaltung sank die Bereitschaft, sich in den OE-Prozeß einzuklinken. Denn immer stärker wurde der Eindruck, letztlich gehe es nicht um Reform, sondern nur um den Abbau von Stellen..."
  Willi Scherer
 


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