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Der 5.außerordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall, der vom 29.November bis
2.Dezember stattfindet, ist der geplanten Organisationsreform gewidmet. Die IG Metall
wird umgekempelt - wie wird sie danach aussehen?
Auf dem Weg zu einer lernenden Organisation"
heißt der Entschließungsentwurf des IG-Metall-Vorstands, der auf dem
5.auáerordentlichen Gewerkschaftstag beraten wird. Ursprünglich sollte dieser
schon im September stattfinden. Aber als Gerhard Schröder noch vor den
Bundestagswahlen den Zweiten Vorsitzenden der IG Metall, Walter Riester, zum neuen
Arbeits- und Sozialminister kürte, war abzusehen, daá ein neuer Zweiter
Vorsitzender gewählt werden müßte.
Aus diesem Grund wurde der Gewerkschaftstag auf Ende November verschoben und
die Tagesordnung um den Punkt "Neuwahlen zum Vorstand" erweitert.
Entgegen dem Willen des Vorsitzenden Klaus Zwickel ist nun der 54jährige
Bezirksleiter von Niedersachsen, Jürgen Peters, für diese Aufgabe
nominiert worden. Peters wird einerseits dem linken Flügel zugerechnet,
andererseits wird ihm auch Flexibilität in Riesterscher Tradition nachgesagt.
Einen Gegenkandidaten gibt es nicht.
Die wichtigste Debatte auf dem Gewerkschaftstag wird jedoch die über die
Organisationsentwicklung sein. Eher unbemerkt von den beitragszahlenden
Mitgliedern, aber auch von einem groáen Teil der ehrenamtlichen Funktionäre,
hat der IGM-Vorstand eine Strukturveränderung der Organisation von langer
Hand vorbereitet. Auf dem Gewerkschaftstag 1992 in Hamburg wurde der Prozeá der
Organisationsentwicklung eingeleitet und die Mitglieder zu einer umfassenden
Diskussion aufgefordert.
Seit 1993 arbeiten Autoren an Positionspapieren. Doch erst im Juli 1997 stellte der
Vorstand das Projekt "Organisationsentwicklung" (OE) mit einem Papier
vor, das sich "Arbeits- und Architekturbuch" nennt. Es hat 86 Seiten und
ist schwer lesbar. Es wurde von der IGM-Spitze lange Zeit zurückgehalten und
hat in der Organisation und unter den Mitgliedern kaum eine Rolle gespielt. Erst zu
Beginn des Jahres 1998 wurde ein achtseitiges Extrakt daraus in die Organisation
gegeben.
Der OE-Prozeá verfolgt das Ziel, die IGM auf allen Ebenen transparenter und
schlagkräftiger zu machen. Das betreffende Papier, so heiát es in der
"politischen Arbeitsplanung" des Vorstands bis zum Jahr 1999, werde
Bestandteil der Alltagsarbeit der Gewerkschaft werden.
Wenn man sich durch die 86 Seiten des Architekturbuchs durchgekämpft hat,
kommt man zur Überzeugung, daá der kämpferische Teil der
Mitgliedschaft der IGM und deren Einfluá zurückgedrängt werden sollen
- und dies zu einem Zeitpunkt, da das Kapital die Belegschaften ständig mit
Massenentlassungen, Tarifbruch und Sozialabbau erpreát.
Mit dem Papier reagiert die IG Metall zunächst auf den drastischen Abbau von
Arbeitsplätzen und den Mitgliederschwund. Seit 1992 hat die IGM
durchschnittlich 20000 Mitglieder im Monat verloren, zunächst
überwiegend im Osten, dann auch im Westen. Auf den damit einhergehenden
Verlust an Beitragsaufkommen reagierte der Vorstand mit einem
Kostensenkungsprogramm. Ein Unternehmensberater wurde damit beauftragt, die
Organisationsabläufe zu überprüfen.
Das Ergebnis war ein Sparkatalog in sieben Punkten, in dem für sämtliche
Vorstandsbereiche Ausgabenbeschränkungen verfügt wurden mit dem
Ziel, die Ausgaben bis zum Jahr 1996 um 3 Prozent zu senken. Beim Personal wurden
Einschränkungen vorgenommen, die vom Einstellungs- und Gehaltsstopp bis
zum vorgezogenen Ruhestand reichten. Den Verwaltungsstellen wurde ein gesondertes
Personal- und Organisationskonzept verpaßt. Die Personengruppenausschüsse
wurden angehalten, die Häufigkeit von Konferenzen und
Zusammenkünften zu reduzieren.
Der Entschlieáungsantrag, der dem kommenden Gewerkschaftstag vorliegt, ist in
Handlungsfelder und Leitbilder aufgeteilt. Der Antrag beschreibt den
Organisationsaufbau, die Aufgaben des Vorstands, die Aufgaben der Bezirksleitungen
und der Ortsverwaltungen. Dazu heiát es: "Jede Arbeitsebene hat strategische,
dienstleistungsorientierte und operative Aufgaben in den jeweiligen Handlungsfeldern.
Der Vorstand ist für die Gesamtpolitik, die Strategie und das Gesamtbudget
verantwortlich und trifft hier die Entscheidungen. Die Dienste und Leistungen der IG
Metall werden durch eine flexible Arbeitsorganisation, Kosten-Nutzen-Betrachtungen,
politische Planung und Controlling konzentriert und optimiert."
Im Entschlieáungsentwurf steht auch etwas über die Entscheidungsstrukturen. Es
heiát dort, sie hätten sich bewährt. Gleichzeitig heiát es, die
Bezirkskonferenzen, die bisher jährlich getagt haben, sollten nur noch zweimal
in vier Jahren stattfinden. Die örtlichen Vertreterversammlungen sollten sich den
Bedürfnissen anpassen und nur noch dreimal im Jahr stattfinden. Bisher waren es
vier Versammlungen pro Jahr.
In der IG Metall gibt es auch eine Diskussion über den Abbau von
Verwaltungsstellen. Gut informierte Kollegen gehen davon aus, daá von den 180
Verwaltungsstellen nur noch 100 bestehen bleiben sollen.
Diese Entwicklung läát den Verdacht aufkommen, daá die
Bürokratisierung der Organisation weiter verfestigt werden soll. Damit schreitet
auch die Entpolitisierung der IG Metall weiter fort. Wenn es in der Entschlieáung
heiát, die Mitglieder werden ehrenamtlicher, dann muá man darauf hinweisen, daá es
eben die Versammlungen und Konferenzen waren, die den Mitgliedern die
Möglichkeit geboten haben, sich aktiv in die aktuelle gewerkschaftliche und
gesellschaftspolitische Diskussion einzuschalten.
Der Vorstand präsentiert die geplanten Strukturveränderungen als
Steigerung der Effizienz: "Die IG Metall wird durchsetzungsfähiger, sie ist
Gegenmacht und Gestaltungskraft."
Damit können die Menschen in Fabrikhallen und Büros nicht mehr viel
anfangen. In unzähligen Klein- und Mittelbetrieben, da wo heute ausgegliedert
und entlassen wird, wo man Tarifbruch durchsetzt und Betriebsvereinbarungen
unterlaufen werden, ist nicht mehr viel mitzugestalten. Was soll der Betriebsrat bei
Siemens gestalten, wenn die Bereiche, in denen 60000 Menschen beschäftigt
sind, zum Verkauf abgestoáen werden?
Viele erkämpfte tarifvertragliche Positionen aus der Nachkriegsgeschichte der
Gewerkschaften stehen heute zur Disposition. Die Gewerkschaften haben soziale
Errungenschaften kampflos aufgegeben. Inzwischen sind sie der gröáte
Arbeitslosenverband geworden. Die Entlassung von Hunderttausenden
leistungsfähigen Mitgliedern bezeichnet man zu Recht als Gewalt gegen
Menschen. Die damit verbundene Enteignung von Wissen und Erfahrung ist ein
gesellschaftlicher Skandal. Es wäre nötig, daá die IG Metall gerade in der
augenblicklichen, schwierigen Lage der Öffentlichkeit ein neues
kämpferisches Programm präsentierte.
In der Entschlieáung aber heiát es zu den gegenwärtigen Herausforderungen:
"Der Wandel der Arbeitsgesellschaft zeigt sich in vielen Formen. Betriebs- und
Unternehmensstrukturen verändern sich. Ausgründungen stehen auf der
Tagesordnung. Die Zahl der Klein- und Mittelbetriebe, für die noch keine
gewerkschaftliche Betreuungsstruktur existiert, steigt. Es gibt immer weniger Betriebe
mit freigestellten Betriebsratsmitgliedern und Vertrauensleuten. Gleichzeitig nimmt die
Zahl der Betriebe mit Haustarifen zu."
Auch wenn sich die Arbeitswelt verändert hat, ist der Grundwiderspruch
zwischen Kapital und Arbeit doch nicht aufgehoben. Man kann nicht von einer neuen
Partnerschaft reden, wenn das Unternehmerlager ständig neue Angriffe auf das
Betriebsverfassungsgesetz organisiert.
In den Gewerkschaftlichen Monatsheften von 1993 hat der ehemalige Hauptkassierer
der IG Metall, Werner Schreiber, folgende Position zum Selbstverständnis der
Gewerkschaft formuliert: "Würden wir heute die groáe akademische Frage
vom Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre über den seligmachenden Weg der
Gewerkschaften stellen: konfliktorisch oder kooperativ, Anpassung oder Widerstand,
Kampfverband oder Versicherungsverein, so würde die Antwort kurz und
eindeutig sein." Im weiteren Artikel beschreibt er, daá die IG Metall mehr
Versicherungsverein sein muá.
Entgegen dieser Position sind wir der Auffassung, daá die IG Metall Kampfverband
bleiben muá. Nur in der Entwicklung und Durchsetzung von Forderungen, die die
Interessen der Mitglieder widerspiegeln, machen Gewerkschaften einen Sinn.
Man kann davon ausgehen, daß die vorliegende Entschlieáung fast nur im Bereich der
hauptamtlichen Funktionäre diskutiert worden ist. In der IG-Metall-Zeitung
direkt (Nr.10/98) heißt es unverblümt: "Organisationsentwicklung der IG
Metall - das ist doch eine Sache für Hauptamtliche, sagen sich viele
Betriebsräte und Vertrauensleute. Hauptsache, die haben den Laden im
Griff."
Nach unseren Erfahrungen wurde der Entschlieáungsantrag nur in wenigen
Verwaltungsstellen gelesen. In NRW haben das nur die Verwaltungsstellen Aachen,
Gelsenkirchen und Wuppertal getan und Anträge an den ao.Gewerkschaftstag
gestellt.
Soweit ein Basiswiderstand gegen den Entschlieáungsentwurf ausgemacht werden
kann, betrifft er die Personengruppen und ihre Arbeit. Die heutige Form der
Personengruppenarbeit geht mit einem bestimmten Bild von Minderheitenschutz und
Einfluánahme einher. Viele Sekretäre, sowohl auf Vorstands- wie auf
Verwaltungsstellenebene, haben ihren persönlichen Werdegang mit der
Personengruppenarbeit verbunden. Sie haben sich auf ihrem persönlichen Weg
sehr für diese Arbeit eingesetzt.
Über diese Frage hat es in einigen Basisorganisationen viel Diskussion gegeben.
Die IG Metall will nur Frauen und Jugend als Personengruppen bestehen lassen. Hierzu
hat die Verwaltungsstelle Unna (NRW) einen wichtigen Antrag gestellt, in dem sie
fordert, daá auch die Angestellten als Personengruppe behandelt werden. Die
Verwaltungsstelle Gelsenkirchen fordert in ihrem Antrag, alle Arbeitnehmer,
einschlieálich der Arbeitslosen, sollten von der IGM vertreten werden
Das Mitteilungsblatt der IG Metall, direkt, zitiert in seiner Ausgabe Nr.22/98 einen
Kommentar von Frank Stroth, Erster Bevollmächtigter in Neckarsulm:
"Nach vier Jahren muá ich leider sagen: Die IG Metall hat den Prozeá der
Organisationserneuerung nicht vollzogen. Im Vorstand wurde die Reformdebatte
allenfalls auf Sparflamme geführt, nur wenige haben sich engagiert. Das
Ergebnis ist: OE wurde nicht ,von oben' vorgelebt, nicht mitgetragen und konnte
deshalb auch nicht gelingen.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Erneuerung heißt immer auch
Ungewißheit, bedeutet, Privilegien aufzugeben. Dazu war letztlich niemand im
Vorstand bereit. Auch in der Belegschaft der Vorstandsverwaltung sank die
Bereitschaft, sich in den OE-Prozeß einzuklinken. Denn immer stärker wurde
der Eindruck, letztlich gehe es nicht um Reform, sondern nur um den Abbau von
Stellen..."
Willi Scherer