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Einige Bereiche der Energiepolitik sind in letzter Zeit
wieder in die Schlagzeilen geraten. Die erneute Beschleunigung des Zechensterbens an
der Ruhr kurz nach der Gründung der Deutschen Steinkohle AG (DSK) und der
anhaltende rosa-grüne Koalitionsschacher in NRW um den Braunkohletagebau
Garzweiler haben nicht nur regionale Bedeutung. Insbesondere aber verdienen die
Schrödersche Variante der Atomkraftpolitik und die ersten Schritte in Richtung
Ökosteuer Beachtung. Welcher Raum wird hier überhaupt für
"Reformen" geöffnet?
In der letzten Zeit wurde die Energiepolitik hauptsächlich unter dem Thema
"Ökosteuer" diskutiert. Mehr oder weniger geschickt gelang es
einigen politischen Kräften, die Ökosteuer mit den Sozialabgaben zu
verbinden, um sie akzeptabel zu machen. Die Parole hieá: Energieverbrauch muá
teuerer, Arbeit muá billiger werden. Damit sollten Arbeitsplätze geschaffen und
der Naturverbrauch verringert werden, zwei scheinbar von allen vernünftigen
Menschen anzustrebende Ziele.
Schon beim Auftauchen des Wortes "Ökosteuer" jedoch gingen die
Unternehmer an die Decke. Der Standort Deutschland, das Autoland, der
Chemiestandort, die Exporte, natürlich auch die Arbeitsplätze - alles
werde durch die Ökosteuer gefährdet.
Tatsache ist, daá in den genannten Industriezweigen und weit darüber hinaus
nicht etwa die möglicherweise drohende Steuerbelastung, sondern insbesondere
massive Rationalisierungsmaánahmen zu einem immensen Arbeitsplatzabbau
führten. Dazu kommen Umstrukturierungen wie bei der Kohle.
Bisherige Maánahmen der konservativ-liberalen Regierung förderten diesen
Trend. Subventionen im Bergbau waren an Kapazitäts- und Personalabbau
gebunden. Billige Energie und billiger Straáenverkehr für Unternehmen
begünstigte Rohstoffverschwendung und Umweltverschmutzung. Die
Liberalisierung des Strommarkts begünstigt den Groáverbraucher und die
Stromproduzenten.
Schon diese Maánahmen verteuerten den Energieverbrauch der Privatleute, die viel
mehr pro Kilowattstunde bezahlen als groáe Unternehmen. Nachdem der Kohlepfennig
als Aufschlag auf die Stromrechnung vom Verfassungsgericht gekippt wurde,
vergröáerte sich dieser Abstand noch. In Sorge, daá die groáen stromfressenden
Unternehmen der Chemie- und Stahlerzeugung ihren Strom nach der Liberalisierung
im Ausland kaufen würden und die hiesigen Stromproduzenten und
Gebietsmonopolisten den Importstrom durchleiten müáten, senkten RWE,
Bayernwerk, VEW u.a. unisono die Preise für Industriestrom und
erhöhten die Preise für die privaten Verbraucher. Gleichzeitig wurden die
Energieversorgungsunternehmen umstrukturiert.
Das Netz, die Stromerzeugung, und der Verkauf wurden in verschiedenen
Tochterunternehmen aufgespalten. So konkurriert etwa Stromerzeugung aus Kohle-
und Kernkraftwerken mit anderen Stromerzeugern bei der Einspeisung in alle
Regionalnetze; Profite beim Verkauf können auch durch Stromimporte erzielt
werden.
In diese profitable Landschaft platzt nun die Ökosteuer. Schon vorher war klar:
Die Unternehmen, insbesondere die mit "stromintensiver" Produktion,
brauchen nichts oder wenig zu bezahlen. Und: jedes Unternehmen wird die Verteuerung
natürlich über die Preise auf die Kunden abwälzen. Am Ende zahlt
- wie beim grünen Punkt - der Verbraucher die ganze
Ökosteuerzeche.
Stromrechnung und Benzinverbrauch müssen aus Löhnen und
Gehältern bezahlt werden, aber auch aus Renten, Sozialhilfe oder
Arbeitslosengeld. Als "Kompensation" werden die Beiträge zur
Rentenversicherung um 0,8 Prozentpunkte gesenkt. Das führt bei Unternehmen
auf der einen und Lohn- und Gehaltsempfängern auf der anderen Seite
rechnerisch zu je 3 Milliarden DM Einsparungen pro Jahr.
Keinen Ausgleich erhalten diejenigen, die keine Sozialabgaben zahlen: Studierende,
RentnerInnen, SozialhilfeempfängerInnen, Arbeitslose. Die sollen dann eben
weniger fahren und weniger verbrauchen, während alle anderen weiter
produzieren (und verschwenden) können wie gehabt.
Diese Art Ökosteuer ist unsozial, denn sie bürdet die zusätzliche
Abgabelast gerade nicht den Verursachern der Strahlung, der CO2-Emissionen, der
Chemielasten auf.
Der sog. Arbeitsplatzeffekt - der durch die Verbilligung der Arbeit durch Senkung des
Rentenbeitrags auftreten soll - dürfte unmessbar sein. Welcher Unternehmer
schafft einen Arbeitsplatz, bloá weil seine Lohnkosten um Bruchteile eines Prozentes
sinken?
Schon bisher wurden Lohnkosten in den Unternehmen abgebaut, die
Lohnstückkosten zudem massiv gesenkt - das hat kaum Arbeitsplätze
geschaffen.
Garzweiler kommt - oder?
Energie muá billig sein, damit die Unternehmen investieren und Arbeitsplätze
schaffen: das ist das Glaubensbekenntnis Art.3 der Neoliberalen (Art.1 ist der mit den
niedrigen Löhnen...). Damit wurde es zu einem der wichtigsten
Regierungsprogrammpunkte in NRW unter Wolfgang Clement.
Wettbewerbsfähigkeit - nur das ist gefordert.
Und 15% Kapitalrendite bitteschön - so zuletzt lieá sich der RAG-Vorsitzende
Neipp vernehmen. Nichts anderem dient Garzweiler. Nun "sichert Garzweiler
auch Arbeitsplätze" - bei der Rheinischen Braunkohle sagt man das
so.
Bleiben wir einen Moment bei der Unterstellung, "Garzweiler" sichere
Arbeitsplätze. Dann wäre verständlich, warum früher die
IGBE, heute IGBCE, alles daran setzen will, daá Garzweiler II im Anschluá an den
bisherigen Tagebau Garzweiler I kommt. Unklar wäre dann aber, warum sie sich
mit dem gleichen Eifer gegen einen Ausstieg aus der Atomkraft wendet - schlieálich
konkurrieren die Stromerzeugung aus Atomenergie und Braunkohle in der
Grundlast.
Das Projekt Garzweiler vernichtet mehrere Ortschaften, 7000 Menschen müssen
umgesiedelt werden. Rheinbraun verpflanzt die Leute, baut neue Orte auf, füllt
den Abraum wieder ins Loch und bepflanzt alles neu.
Dazu wird wahnsinnig viel Wasser abgepumpt, es droht die Gefahr, daá Grundwasser
und Vorflut der Feuchtgebiete entfällt und damit wichtiger Lebensraum
für Tier und Mensch gefährdet ist. All das wird in Rechnung gestellt, und
trotzdem ist der Strom aus der Braunkohle so günstig, daá das alles in Kauf
genommen werden kann.
Die Grünen in NRW hatten die Hoffnung, wenn sie mit an der Regierung sind,
könnten sie über die wasserrechtliche Genehmigung durch Auflagen
Garzweiler verhindern. Ihre Umweltministerin Höhn hielt die Koalition mit
Clement aufrecht - und wurde nun doch gezwungen, die Genehmigung (mit einigen
Auflagen) zu erteilen.
Vorher hatte die IGBCE mit Stromabschaltungen gedroht. Fragen der Ökologie
und die Frage nach der energiepolitischen Notwendigkeit, Braunkohle zu verstromen,
werden zum Koalitionsschacher. Die SPD/Grünen-Regierung in NRW ist nicht
in der Lage, das Problem des Widerspruchs zwischen der Schaffung von
Arbeitsplätzen und der daraus entstehenden Belastung der Lebensqualität
und der Umwelt zu lösen. Es findet gar kein ernsthafter demokratischer
Meinungs- und Willensbildungsprozeá statt.
Völlig aus den Augen verloren wird, mit welchen Mitteln die Rheinbraun bisher
ihre Interessen durchgesetzt und welche Folgen das für die Energieversorgung
und die Folgelasten im nächsten Jahrhundert hat.
Also wird im Sinne der Energieversorger entschieden. Die Bewohner und ihre
Interessen bleiben auf der Strecke - sie werden abgefunden. Ob Arbeitsplätze
damit wirklich bis ins nächste Jahrtausend gesichert werden, ist äuáerst
fraglich. Das Schicksal der Bergleute an der Ruhr sollte die Braunköhler
eigentlich hellhörig machen.
Schon wird in den Hinterzimmern von RWE und Rheinbraun gerechnet, ob nicht
Importenergie - sei es als Importkohle oder Importstrom - billiger kommt. Wie ein
brutaler Kommentar zum "rot"-grünen Kuhhandel wirkte der im
RWE-Konzern vor kurzem angekündigte neue Personalabbau um 3000
Menschen.
Deutsche Steinkohle AG - Importkohle AG
Vor kurzem gründete die ehemalige Ruhrkohle AG, die heute in RAG AG
umbenannt ist, die Deutsche Steinkohle AG (DSK). Schon vorher war der
Bergbaubereich als Ruhrkohle Bergbau AG in Form einer Tochtergesellschaft neben
sechs anderen "weiáen" Bereichen der RAG ausgegründet worden
und trug nur noch zu 40 Prozent zum Umsatz des Konzerns bei. Nun wurden die
Saarbergwerke AG für 1 DM eingekauft; ab Januar soll auch die einzige
sonstige Zechengesellschaft Preuáag Ibbenbüren dazugehören. Dann ist
der gesamte Steinkohlenbergbau der Bundesrepublik kapitalmäáig unter einem
Dach.
Alle Politiker und Kapitalisten loben diesen Schritt. Vergleichbar mit der
Gründung der Einheitsgesellschaft an der Ruhr im Jahre 1968 sei nun die
Möglichkeit für ein alle Zechen umfassendes Anpassungs- und
Betriebsprogramm gegeben.
Auch die Gewerkschaft IGBCE lobt die Gründung der DSK. In einem Flugblatt
an alle Beschäftigten heiát es: "Die Gründung der DSK bietet
zahlreiche Entwicklungschancen für die Zukunft, denn sie ist der Kern der RAG,
eines groáen Unternehmens, das durch den Erfolg seiner wirtschaftlichen
Aktivitäten Arbeitsplätze sichert, neue Arbeitsplätze schafft und die
Wirtschaftskraft in den Revieren erhält."
Ob der IGBCE-Vorsitzende Schmoldt und sein Stellvertreter Südhofer das aus
der Sonderausgabe der Werkszeitung der RAG abgeschrieben haben? Die Stillegung
Tausender von Arbeitsplätzen einige Wochen nach der Gründung zeigen,
daá das Geschwätz über Arbeitsplatzschaffung nur heiáe Luft
ist.
Weiter heiát es: "Wir verlangen, daá die Vereinbarungen vom März 1997
bis zum letzten Komma erfüllt werden. Wer anderes im Sinn hat, der wird an
unserem Widerstand scheitern."
Das wird interessant, wie sich die IGBCE-Vertreter im Aufsichtsrat der DSK und der
RAG-Muttergesellschaft Ende November und Mitte Dezember zu den neusten
Stillegungsbeschlüssen des Bergbaus verhalten (siehe S.6) - weichen diese
Beschlüsse doch erheblich von dem ab, was aufgrund der 97er Bonner Regelung
vor einem Jahr als Anpassungsmaánahmen beschlossen wurde!
Aber die Gründung der DSK ist auch aus Sicht einer ökologischeren
Energieerzeugung problematisch. Wer immer meinte, die Rücknahme
inländischer Förderung bedeute den Ausstieg aus der kohlendioxidreichen
Steinkohleverstromung, ist nachhaltig eines Besseren belehrt worden. Jede Tonne, die
bisher nicht im Ruhrgebiet oder an der Saar gefördert wurde, wurde durch
Importkohle ersetzt.
Zu diesem Zweck gründete die Ruhrkohle AG die Tochtergesellschaft
"RAG Vertrieb und Handel AG", die insbesondere mit Importkohle
handelt. Begründet wird das mit der Möglichkeit, den Strom- und
Kokserzeugern Mischpreise und Mischqualitäten anbieten zu können.
Erhebliche Investitionen im Duisburger Hafen vergröáern die
Importkapazitäten.
In den letzten Jahren stiegen die Importe von 13 auf 25 Millionen Tonnen im Jahr. Bis
zum Jahr 2005, dem Ende des Anpassungsprogramms, soll die Importmenge auf 40
Millionen Tonnen steigen - genau die Differenz zu dem Abbau an inländischer
Förderung von jetzt 45 auf dann etwa 30 Millionen Tonnen.
Der Vorteil für die RAG liegt darin, daá die RAG Vertrieb und Handel zum
sogenannten "weiáen" Bereich gehört, der Gewinne machen darf
(und macht), während der "schwarze" Bereich, die DSK als Tochter
der RAG, die Subventionen bekommt.
Diese Konstruktion erinnert tatsächlich an die Gründung der Ruhrkohle
vor 30 Jahren: die Einheitsgesellschaft blieb kapitalseitig im Besitz der früheren
Zecheneigentümer, der Strom- und Stahlunternehmen an der Ruhr. Aber die
verlustreichen Zechen waren sie los. Auch heute reiben sich in den Vorstandsetagen der
VEBA und der VEW (die gröáten Aktionäre der RAG) die
Eigentümer die Hände - das Unternehmen RAG läuft prima, und
im Notfall kann die DSK sogar pleite gehen - das betrifft sie gar nicht mehr.
Von einem Umstieg auf ökologische Stromproduktion wird auf Kongressen und
Tagungen geredet, faktisch wird die billige Import- und Braunkohle massiv
gestützt - auf Kosten der Bergleute und ihrer Familien, aber auch der Zulieferer
und Stadtviertel. Wer vom Ausstieg aus der Atom- und Kohlestromproduktion redet,
sollte diese Zusammenhänge im Kopf haben. Konzentration auf den Ausstieg aus
der Atomenergie scheint angebracht.
In der gesamten Energiepolitik sind wirklich demokratische Entscheidungen nicht
gefragt. Weder die Beschäftigten noch die Betroffenen haben ernsthafte
Möglichkeiten zu einer Lösungsfindung, wenn sich ihre Interessen
widersprechen oder wenn sie als gemeinsamer Gegner der Energiemultis auftreten. Der
Zorn der Bergleute, Streiks und Demonstrationen, Gleisblockaden der Anti-AKW-
Bewegung zeigen das überdeutlich.
Wer glaubte, die rosa-grüne Regierungsübernahme würde daran
etwa ändern, braucht vielleicht eine Phase der Enttäuschung. Besser ist es,
in klarer Absage an die herrschende Energiepolitik eigene Ziele zu formulieren.
Vielleicht bietet die SPD-Grünen-Regierung einen Spielraum - bestimmt ist sie
aber ein Teil und nicht die Lösung des Problems.
Adam Reuleaux