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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 14

Energie

Immer teurer und profitabler

Einige Bereiche der Energiepolitik sind in letzter Zeit wieder in die Schlagzeilen geraten. Die erneute Beschleunigung des Zechensterbens an der Ruhr kurz nach der Gründung der Deutschen Steinkohle AG (DSK) und der anhaltende rosa-grüne Koalitionsschacher in NRW um den Braunkohletagebau Garzweiler haben nicht nur regionale Bedeutung. Insbesondere aber verdienen die Schrödersche Variante der Atomkraftpolitik und die ersten Schritte in Richtung Ökosteuer Beachtung. Welcher Raum wird hier überhaupt für "Reformen" geöffnet?
  In der letzten Zeit wurde die Energiepolitik hauptsächlich unter dem Thema "Ökosteuer" diskutiert. Mehr oder weniger geschickt gelang es einigen politischen Kräften, die Ökosteuer mit den Sozialabgaben zu verbinden, um sie akzeptabel zu machen. Die Parole hieá: Energieverbrauch muá teuerer, Arbeit muá billiger werden. Damit sollten Arbeitsplätze geschaffen und der Naturverbrauch verringert werden, zwei scheinbar von allen vernünftigen Menschen anzustrebende Ziele.
  Schon beim Auftauchen des Wortes "Ökosteuer" jedoch gingen die Unternehmer an die Decke. Der Standort Deutschland, das Autoland, der Chemiestandort, die Exporte, natürlich auch die Arbeitsplätze - alles werde durch die Ökosteuer gefährdet.
  Tatsache ist, daá in den genannten Industriezweigen und weit darüber hinaus nicht etwa die möglicherweise drohende Steuerbelastung, sondern insbesondere massive Rationalisierungsmaánahmen zu einem immensen Arbeitsplatzabbau führten. Dazu kommen Umstrukturierungen wie bei der Kohle.
  Bisherige Maánahmen der konservativ-liberalen Regierung förderten diesen Trend. Subventionen im Bergbau waren an Kapazitäts- und Personalabbau gebunden. Billige Energie und billiger Straáenverkehr für Unternehmen begünstigte Rohstoffverschwendung und Umweltverschmutzung. Die Liberalisierung des Strommarkts begünstigt den Groáverbraucher und die Stromproduzenten.
  Schon diese Maánahmen verteuerten den Energieverbrauch der Privatleute, die viel mehr pro Kilowattstunde bezahlen als groáe Unternehmen. Nachdem der Kohlepfennig als Aufschlag auf die Stromrechnung vom Verfassungsgericht gekippt wurde, vergröáerte sich dieser Abstand noch. In Sorge, daá die groáen stromfressenden Unternehmen der Chemie- und Stahlerzeugung ihren Strom nach der Liberalisierung im Ausland kaufen würden und die hiesigen Stromproduzenten und Gebietsmonopolisten den Importstrom durchleiten müáten, senkten RWE, Bayernwerk, VEW u.a. unisono die Preise für Industriestrom und erhöhten die Preise für die privaten Verbraucher. Gleichzeitig wurden die Energieversorgungsunternehmen umstrukturiert.
  Das Netz, die Stromerzeugung, und der Verkauf wurden in verschiedenen Tochterunternehmen aufgespalten. So konkurriert etwa Stromerzeugung aus Kohle- und Kernkraftwerken mit anderen Stromerzeugern bei der Einspeisung in alle Regionalnetze; Profite beim Verkauf können auch durch Stromimporte erzielt werden.
  In diese profitable Landschaft platzt nun die Ökosteuer. Schon vorher war klar: Die Unternehmen, insbesondere die mit "stromintensiver" Produktion, brauchen nichts oder wenig zu bezahlen. Und: jedes Unternehmen wird die Verteuerung natürlich über die Preise auf die Kunden abwälzen. Am Ende zahlt - wie beim grünen Punkt - der Verbraucher die ganze Ökosteuerzeche.
  Stromrechnung und Benzinverbrauch müssen aus Löhnen und Gehältern bezahlt werden, aber auch aus Renten, Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld. Als "Kompensation" werden die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,8 Prozentpunkte gesenkt. Das führt bei Unternehmen auf der einen und Lohn- und Gehaltsempfängern auf der anderen Seite rechnerisch zu je 3 Milliarden DM Einsparungen pro Jahr.
  Keinen Ausgleich erhalten diejenigen, die keine Sozialabgaben zahlen: Studierende, RentnerInnen, SozialhilfeempfängerInnen, Arbeitslose. Die sollen dann eben weniger fahren und weniger verbrauchen, während alle anderen weiter produzieren (und verschwenden) können wie gehabt.
  Diese Art Ökosteuer ist unsozial, denn sie bürdet die zusätzliche Abgabelast gerade nicht den Verursachern der Strahlung, der CO2-Emissionen, der Chemielasten auf.
  Der sog. Arbeitsplatzeffekt - der durch die Verbilligung der Arbeit durch Senkung des Rentenbeitrags auftreten soll - dürfte unmessbar sein. Welcher Unternehmer schafft einen Arbeitsplatz, bloá weil seine Lohnkosten um Bruchteile eines Prozentes sinken?
  Schon bisher wurden Lohnkosten in den Unternehmen abgebaut, die Lohnstückkosten zudem massiv gesenkt - das hat kaum Arbeitsplätze geschaffen.
  Garzweiler kommt - oder?
  Energie muá billig sein, damit die Unternehmen investieren und Arbeitsplätze schaffen: das ist das Glaubensbekenntnis Art.3 der Neoliberalen (Art.1 ist der mit den niedrigen Löhnen...). Damit wurde es zu einem der wichtigsten Regierungsprogrammpunkte in NRW unter Wolfgang Clement. Wettbewerbsfähigkeit - nur das ist gefordert.
  Und 15% Kapitalrendite bitteschön - so zuletzt lieá sich der RAG-Vorsitzende Neipp vernehmen. Nichts anderem dient Garzweiler. Nun "sichert Garzweiler auch Arbeitsplätze" - bei der Rheinischen Braunkohle sagt man das so.
  Bleiben wir einen Moment bei der Unterstellung, "Garzweiler" sichere Arbeitsplätze. Dann wäre verständlich, warum früher die IGBE, heute IGBCE, alles daran setzen will, daá Garzweiler II im Anschluá an den bisherigen Tagebau Garzweiler I kommt. Unklar wäre dann aber, warum sie sich mit dem gleichen Eifer gegen einen Ausstieg aus der Atomkraft wendet - schlieálich konkurrieren die Stromerzeugung aus Atomenergie und Braunkohle in der Grundlast.
  Das Projekt Garzweiler vernichtet mehrere Ortschaften, 7000 Menschen müssen umgesiedelt werden. Rheinbraun verpflanzt die Leute, baut neue Orte auf, füllt den Abraum wieder ins Loch und bepflanzt alles neu.
  Dazu wird wahnsinnig viel Wasser abgepumpt, es droht die Gefahr, daá Grundwasser und Vorflut der Feuchtgebiete entfällt und damit wichtiger Lebensraum für Tier und Mensch gefährdet ist. All das wird in Rechnung gestellt, und trotzdem ist der Strom aus der Braunkohle so günstig, daá das alles in Kauf genommen werden kann.
  Die Grünen in NRW hatten die Hoffnung, wenn sie mit an der Regierung sind, könnten sie über die wasserrechtliche Genehmigung durch Auflagen Garzweiler verhindern. Ihre Umweltministerin Höhn hielt die Koalition mit Clement aufrecht - und wurde nun doch gezwungen, die Genehmigung (mit einigen Auflagen) zu erteilen.
  Vorher hatte die IGBCE mit Stromabschaltungen gedroht. Fragen der Ökologie und die Frage nach der energiepolitischen Notwendigkeit, Braunkohle zu verstromen, werden zum Koalitionsschacher. Die SPD/Grünen-Regierung in NRW ist nicht in der Lage, das Problem des Widerspruchs zwischen der Schaffung von Arbeitsplätzen und der daraus entstehenden Belastung der Lebensqualität und der Umwelt zu lösen. Es findet gar kein ernsthafter demokratischer Meinungs- und Willensbildungsprozeá statt.
  Völlig aus den Augen verloren wird, mit welchen Mitteln die Rheinbraun bisher ihre Interessen durchgesetzt und welche Folgen das für die Energieversorgung und die Folgelasten im nächsten Jahrhundert hat.
  Also wird im Sinne der Energieversorger entschieden. Die Bewohner und ihre Interessen bleiben auf der Strecke - sie werden abgefunden. Ob Arbeitsplätze damit wirklich bis ins nächste Jahrtausend gesichert werden, ist äuáerst fraglich. Das Schicksal der Bergleute an der Ruhr sollte die Braunköhler eigentlich hellhörig machen.
  Schon wird in den Hinterzimmern von RWE und Rheinbraun gerechnet, ob nicht Importenergie - sei es als Importkohle oder Importstrom - billiger kommt. Wie ein brutaler Kommentar zum "rot"-grünen Kuhhandel wirkte der im RWE-Konzern vor kurzem angekündigte neue Personalabbau um 3000 Menschen.
  Deutsche Steinkohle AG - Importkohle AG
  Vor kurzem gründete die ehemalige Ruhrkohle AG, die heute in RAG AG umbenannt ist, die Deutsche Steinkohle AG (DSK). Schon vorher war der Bergbaubereich als Ruhrkohle Bergbau AG in Form einer Tochtergesellschaft neben sechs anderen "weiáen" Bereichen der RAG ausgegründet worden und trug nur noch zu 40 Prozent zum Umsatz des Konzerns bei. Nun wurden die Saarbergwerke AG für 1 DM eingekauft; ab Januar soll auch die einzige sonstige Zechengesellschaft Preuáag Ibbenbüren dazugehören. Dann ist der gesamte Steinkohlenbergbau der Bundesrepublik kapitalmäáig unter einem Dach.
  Alle Politiker und Kapitalisten loben diesen Schritt. Vergleichbar mit der Gründung der Einheitsgesellschaft an der Ruhr im Jahre 1968 sei nun die Möglichkeit für ein alle Zechen umfassendes Anpassungs- und Betriebsprogramm gegeben.
  Auch die Gewerkschaft IGBCE lobt die Gründung der DSK. In einem Flugblatt an alle Beschäftigten heiát es: "Die Gründung der DSK bietet zahlreiche Entwicklungschancen für die Zukunft, denn sie ist der Kern der RAG, eines groáen Unternehmens, das durch den Erfolg seiner wirtschaftlichen Aktivitäten Arbeitsplätze sichert, neue Arbeitsplätze schafft und die Wirtschaftskraft in den Revieren erhält."
  Ob der IGBCE-Vorsitzende Schmoldt und sein Stellvertreter Südhofer das aus der Sonderausgabe der Werkszeitung der RAG abgeschrieben haben? Die Stillegung Tausender von Arbeitsplätzen einige Wochen nach der Gründung zeigen, daá das Geschwätz über Arbeitsplatzschaffung nur heiáe Luft ist.
  Weiter heiát es: "Wir verlangen, daá die Vereinbarungen vom März 1997 bis zum letzten Komma erfüllt werden. Wer anderes im Sinn hat, der wird an unserem Widerstand scheitern."
  Das wird interessant, wie sich die IGBCE-Vertreter im Aufsichtsrat der DSK und der RAG-Muttergesellschaft Ende November und Mitte Dezember zu den neusten Stillegungsbeschlüssen des Bergbaus verhalten (siehe S.6) - weichen diese Beschlüsse doch erheblich von dem ab, was aufgrund der 97er Bonner Regelung vor einem Jahr als Anpassungsmaánahmen beschlossen wurde!
  Aber die Gründung der DSK ist auch aus Sicht einer ökologischeren Energieerzeugung problematisch. Wer immer meinte, die Rücknahme inländischer Förderung bedeute den Ausstieg aus der kohlendioxidreichen Steinkohleverstromung, ist nachhaltig eines Besseren belehrt worden. Jede Tonne, die bisher nicht im Ruhrgebiet oder an der Saar gefördert wurde, wurde durch Importkohle ersetzt.
  Zu diesem Zweck gründete die Ruhrkohle AG die Tochtergesellschaft "RAG Vertrieb und Handel AG", die insbesondere mit Importkohle handelt. Begründet wird das mit der Möglichkeit, den Strom- und Kokserzeugern Mischpreise und Mischqualitäten anbieten zu können. Erhebliche Investitionen im Duisburger Hafen vergröáern die Importkapazitäten.
  In den letzten Jahren stiegen die Importe von 13 auf 25 Millionen Tonnen im Jahr. Bis zum Jahr 2005, dem Ende des Anpassungsprogramms, soll die Importmenge auf 40 Millionen Tonnen steigen - genau die Differenz zu dem Abbau an inländischer Förderung von jetzt 45 auf dann etwa 30 Millionen Tonnen.
  Der Vorteil für die RAG liegt darin, daá die RAG Vertrieb und Handel zum sogenannten "weiáen" Bereich gehört, der Gewinne machen darf (und macht), während der "schwarze" Bereich, die DSK als Tochter der RAG, die Subventionen bekommt.
  Diese Konstruktion erinnert tatsächlich an die Gründung der Ruhrkohle vor 30 Jahren: die Einheitsgesellschaft blieb kapitalseitig im Besitz der früheren Zecheneigentümer, der Strom- und Stahlunternehmen an der Ruhr. Aber die verlustreichen Zechen waren sie los. Auch heute reiben sich in den Vorstandsetagen der VEBA und der VEW (die gröáten Aktionäre der RAG) die Eigentümer die Hände - das Unternehmen RAG läuft prima, und im Notfall kann die DSK sogar pleite gehen - das betrifft sie gar nicht mehr.
  Von einem Umstieg auf ökologische Stromproduktion wird auf Kongressen und Tagungen geredet, faktisch wird die billige Import- und Braunkohle massiv gestützt - auf Kosten der Bergleute und ihrer Familien, aber auch der Zulieferer und Stadtviertel. Wer vom Ausstieg aus der Atom- und Kohlestromproduktion redet, sollte diese Zusammenhänge im Kopf haben. Konzentration auf den Ausstieg aus der Atomenergie scheint angebracht.
  In der gesamten Energiepolitik sind wirklich demokratische Entscheidungen nicht gefragt. Weder die Beschäftigten noch die Betroffenen haben ernsthafte Möglichkeiten zu einer Lösungsfindung, wenn sich ihre Interessen widersprechen oder wenn sie als gemeinsamer Gegner der Energiemultis auftreten. Der Zorn der Bergleute, Streiks und Demonstrationen, Gleisblockaden der Anti-AKW- Bewegung zeigen das überdeutlich.
  Wer glaubte, die rosa-grüne Regierungsübernahme würde daran etwa ändern, braucht vielleicht eine Phase der Enttäuschung. Besser ist es, in klarer Absage an die herrschende Energiepolitik eigene Ziele zu formulieren. Vielleicht bietet die SPD-Grünen-Regierung einen Spielraum - bestimmt ist sie aber ein Teil und nicht die Lösung des Problems.
  Adam Reuleaux
 


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