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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 17

Türkei

Repression gegen Samstagsmütter in Istanbul

Bilder von Frauen in der Türkei gehen derzeit auch durch die bundesdeutsche Presse. Die Frauen halten Bilder von ihren Söhnen in den Händen, die im Krieg gegen die kurdische Befreiungsbewegung umgekommen sind. Lautstark forden sie die Auslieferung des in Rom verhafteten PKK- Führers Öcalan. Das wird vom türkischen Staat gern gesehen und die weltweite Verbreitung dieser Bilder entsprechend gefördert.
  Massiv bekämpft werden dagegen kurdische Frauen, die Bilder von ihren "verschwundenen" Angehörigen in den Händen halten: Die Samstagsmütter, die nach dem Vorbild der berühmten Madres de la Plaza de Mayo aus Argentinien jeden Sonnabend gegen das Verschwinden ihrer Töchter, Söhne und Ehemänner protestieren.
  Seit August 1998 ist es zur Regel geworden, daá es dabei zu gewaltsamen Übergriffen und Verhaftungen durch die Polizei kommt. Während das in bundesdeutschen Zeitungen schon länger keine Meldung mehr wert ist, ist das samstägliche Protestieren für die Frauen zur gefährlichen Mutprobe geworden
  Die Samstagsmütter demonstrieren seit Mai 1995 jeden Sonnabend in Istanbul. Frauen unterschiedlicher politisch-oppositioneller Richtungen treffen sich vor dem Galatasaray-Gymnasium, auch Männer beteiligen sich, und halten Bilder von Ermordeten oder "Verschwundenen" in die Höhe. Sie verteilen rote Nelken als Symbol für jede Vermiáte und jeden Vermiáten.
  Zum Beispiel Hanim Tosun: ihr Mann, Fehmi Tosun wurde am 19.Oktober 1995 um 19 Uhr vor seinem Haus im Istanbuler Stadtteil Avcilar von drei Polizeibeamten in Zivil verschleppt. Hanim Tosun hat seine Festnahme beschrieben:
  "An dem Tag, als er entführt wurde, hatte Fehmi Urlaub. Meine beiden Töchter, die von der Arbeit kamen, erzählten, daá mein Mann vor dem Haus mit zwei Männern sprach, die sie nicht kannten. Als ich das hörte, bin ich auf den Balkon gegangen, und da habe ich gesehen, wie zwei kräftige Männer Fehmi an den Armen festhielten und ihn in Richtung eines weiáen Autos der Marke Broadway zerrten. Fehmi schrie: 'Hilfe, sie nehmen mich mit und bringen mich um.' Er wehrte sich dagegen, in das Auto gestoáen zu werden. Ich lief schreiend nach unten. Als ich unten ankam, hatten sie es noch nicht geschafft, Fehmi in den Wagen zu ziehen. Er schrie die ganze Zeit. Ich lief auf das Auto zu, aber es fuhr ganz schnell mit ihm davon. Ich hatte die Nummer nicht erkannt, aber zwei oder drei Studenten, die dabei waren, konnten sie mir sagen. Es war die Nummer 34UD597."
  Hanim Tosun ging daraufhin zur Polizeiwache in Avcilar und am darauffolgenden Tag zur Vertretung des türkischen Menschenrechtsvereins IHD in Istanbul. Auf ihre Anfragen beim Staatssicherheitsgericht und bei verschiedenen Polizeiwachen erhielt sie keine Antwort.
  "Ich hatte eine schriftliche Anfrage an den Staatsanwalt am Staatssicherheitsgericht gerichtet, und danach kamen Polizisten von der Wache in Avcilar und durchsuchten das Haus. Dann ging ich nach Gayrettepe [zur Polizeiwache] und da sagten sie: 'Hier ist er nicht. Welche politische Einstellung hat er denn?'"
  Eine zynische Frage, denn die politische Einstellung von Fehmi Tosun behauptet die türkische Polizei schon seit Jahren besser zu kennen als er selbst. 1988 war er wegen des Verdachts auf Unterstützung der PKK festgenommen, gefoltert und anschlieáend zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden.
  Nach seiner Freilassung lebte er mit seiner Familie in der Westtürkei, bis er an jenem Oktobertag entführt wurde und für immer verschwand.
  So oder so ähnlich finden diese Entführungen statt, teilweise werden die Ermordeten später aufgefunden, manche Familien erhalten nie mehr ein Lebenszeichen der "Verschwundenen".
  Erstaunlich ist, daá die staatlichen "Sicherheitskräfte" ihre Opfer oft nicht heimlich entführen, sondern Augenzeugen in Kauf nehmen. Die betroffenen Frauen und Männer werden vom Arbeitsplatz abgeholt, beim Einkaufen abgefangen oder ganz offen im Kreis von Verwandten und FreundInnen mitgenommen.
  Manchmal bestätigen sogar Mitgefangene, sie in der Polizeizentrale gesehen zu haben. Wenn aber die Angehörigen der Opfer bei Gericht nach dem Verbleib fragen, wird eine Festnahme geleugnet.
  Die Auflistung von Namen "Verschwundener" des Menschenrechtsvereins IHD ist lange. Das "Verschwindenlassen" ist in der Türkei und Kurdistan, wie auch in anderen autoritär geführten Ländern, weltweit eine Methode Oppositionelle mundtot zu machen, Widerstand zum Schweigen zu bringen und andere abzuschrecken. Spezielle militärische Anordnungen begünstigen dies.
  So können Personen, die aufgrund der Antiterrorgesetze festgenommen werden, in den zehn türkischen Provinzen, in denen der Ausnahmezustand herrscht, bis zu 30 Tage festgehalten werden, ohne daá sie Kontakt zu Angehörigen oder einem Rechtsbeistand aufnehmen dürfen. In den übrigen Landesteilen beträgt dieser Zeitraum 15 Tage.
  Zwischen den Verhören werden die Gefangenen unter unhygienischen Bedingungen in stickigen, überfüllten Zellen zusammengepfercht. Da sie keinen Kontakt zur Auáenwelt aufnehmen können, sind sie den Verhörbeamten völlig ausgeliefert. Meistens werden die Gefangenen in diesem Zeitraum gefoltert und zu Geständnissen gepreát.
  Gefangene Frauen werden nicht selten vergewaltigt oder demütigenden Untersuchungen bezüglich ihrer Jungfräulichkeit unterzogen.
  Eine der Hauptinitiatorinnen der Samstagsmütter ist Emine O‡ak. Ihr Sohn, Hasan O‡ak, wurde am 21.März 1995 von der Istanbuler Polizei verhaftet und später in einem namenlosen Grab gefunden. Frau O‡aks Nachforschungen paáten der Polizei nicht, sie erhielt eine einmonatige Haftstrafe, weil sie während eines Verfahrens vor Gericht gerufen hatte: "Wir wollen unsere Söhne!"
  Nach einem Besuch am Grabe ihres Sohnes wurden sie und ihre Familie schwer geschlagen und "zur Polizeistation von Kü‡ükköy gebracht, wo das Schlagen fortgesetzt wurde. Dabei verwendeten sie hauptsächlich Schlagstöcke, zudem schlugen sie uns unsere Köpfe gegen Schränke."
  Mit diesen Terrormethoden versucht die türkische Polizei von Anfang an die Samstagsmütter einzuschüchtern und ihren Protest zu beenden.
  Aber Emine O‡ak und viele andere Frauen haben sich nicht abhalten lassen; dafür wurden sie am 8.Dezember 1996 von der Internationalen Liga für Menschenrechte in Berlin mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet.
  Mittlerweile hat sich die Situation für die Samstagsmütter verschärft. Im August dieses Jahres wurden die Aktionen der Frauen durch den Staat für illegal erklärt, was sie jedoch nicht abhielt sich weiterhin vor dem Galatasaray-Gymnasium zu treffen. Die Polizei greift die Samstagsmütter seitdem massiv an: brutale Schlagstockeinsätze, Massenfestnahmen, Folter und Miáhandlungen in den Gefängnissen.
  Aber der Protest dieser Frauen ist mittlerweile eine politische Gröáe geworden, die nicht so leicht mundtot gemacht werden kann. Veranstaltungen in der BRD mit Frauen aus der Türkei sind gut besucht, es haben sich in vielen Städten Solidaritätskomitees gegründet, die die Forderungen der Samstagsmütter unterstützen.
  Nezaket Polat
 
  Nezaket Polat aus Bad Säckingen ist im Freiburger Solidaritätskomitee für die Samstagsmütter engagiert.
 


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