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Bilder von Frauen in der Türkei gehen derzeit auch
durch die bundesdeutsche Presse. Die Frauen halten Bilder von ihren Söhnen in
den Händen, die im Krieg gegen die kurdische Befreiungsbewegung
umgekommen sind. Lautstark forden sie die Auslieferung des in Rom verhafteten PKK-
Führers Öcalan. Das wird vom türkischen Staat gern gesehen und
die weltweite Verbreitung dieser Bilder entsprechend gefördert.
Massiv bekämpft werden dagegen kurdische Frauen, die Bilder von ihren
"verschwundenen" Angehörigen in den Händen halten: Die
Samstagsmütter, die nach dem Vorbild der berühmten Madres de la Plaza
de Mayo aus Argentinien jeden Sonnabend gegen das Verschwinden ihrer
Töchter, Söhne und Ehemänner protestieren.
Seit August 1998 ist es zur Regel geworden, daá es dabei zu gewaltsamen
Übergriffen und Verhaftungen durch die Polizei kommt. Während das in
bundesdeutschen Zeitungen schon länger keine Meldung mehr wert ist, ist das
samstägliche Protestieren für die Frauen zur gefährlichen Mutprobe
geworden
Die Samstagsmütter demonstrieren seit Mai 1995 jeden Sonnabend in Istanbul.
Frauen unterschiedlicher politisch-oppositioneller Richtungen treffen sich vor dem
Galatasaray-Gymnasium, auch Männer beteiligen sich, und halten Bilder von
Ermordeten oder "Verschwundenen" in die Höhe. Sie verteilen rote
Nelken als Symbol für jede Vermiáte und jeden Vermiáten.
Zum Beispiel Hanim Tosun: ihr Mann, Fehmi Tosun wurde am 19.Oktober 1995 um
19 Uhr vor seinem Haus im Istanbuler Stadtteil Avcilar von drei Polizeibeamten in
Zivil verschleppt. Hanim Tosun hat seine Festnahme beschrieben:
"An dem Tag, als er entführt wurde, hatte Fehmi Urlaub. Meine beiden
Töchter, die von der Arbeit kamen, erzählten, daá mein Mann vor dem
Haus mit zwei Männern sprach, die sie nicht kannten. Als ich das hörte,
bin ich auf den Balkon gegangen, und da habe ich gesehen, wie zwei kräftige
Männer Fehmi an den Armen festhielten und ihn in Richtung eines weiáen Autos
der Marke Broadway zerrten. Fehmi schrie: 'Hilfe, sie nehmen mich mit und bringen
mich um.' Er wehrte sich dagegen, in das Auto gestoáen zu werden. Ich lief schreiend
nach unten. Als ich unten ankam, hatten sie es noch nicht geschafft, Fehmi in den
Wagen zu ziehen. Er schrie die ganze Zeit. Ich lief auf das Auto zu, aber es fuhr ganz
schnell mit ihm davon. Ich hatte die Nummer nicht erkannt, aber zwei oder drei
Studenten, die dabei waren, konnten sie mir sagen. Es war die Nummer
34UD597."
Hanim Tosun ging daraufhin zur Polizeiwache in Avcilar und am darauffolgenden Tag
zur Vertretung des türkischen Menschenrechtsvereins IHD in Istanbul. Auf ihre
Anfragen beim Staatssicherheitsgericht und bei verschiedenen Polizeiwachen erhielt sie
keine Antwort.
"Ich hatte eine schriftliche Anfrage an den Staatsanwalt am
Staatssicherheitsgericht gerichtet, und danach kamen Polizisten von der Wache in
Avcilar und durchsuchten das Haus. Dann ging ich nach Gayrettepe [zur Polizeiwache]
und da sagten sie: 'Hier ist er nicht. Welche politische Einstellung hat er
denn?'"
Eine zynische Frage, denn die politische Einstellung von Fehmi Tosun behauptet die
türkische Polizei schon seit Jahren besser zu kennen als er selbst. 1988 war er
wegen des Verdachts auf Unterstützung der PKK festgenommen, gefoltert und
anschlieáend zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden.
Nach seiner Freilassung lebte er mit seiner Familie in der Westtürkei, bis er an
jenem Oktobertag entführt wurde und für immer verschwand.
So oder so ähnlich finden diese Entführungen statt, teilweise werden die
Ermordeten später aufgefunden, manche Familien erhalten nie mehr ein
Lebenszeichen der "Verschwundenen".
Erstaunlich ist, daá die staatlichen "Sicherheitskräfte" ihre Opfer oft
nicht heimlich entführen, sondern Augenzeugen in Kauf nehmen. Die betroffenen
Frauen und Männer werden vom Arbeitsplatz abgeholt, beim Einkaufen
abgefangen oder ganz offen im Kreis von Verwandten und FreundInnen
mitgenommen.
Manchmal bestätigen sogar Mitgefangene, sie in der Polizeizentrale gesehen zu
haben. Wenn aber die Angehörigen der Opfer bei Gericht nach dem Verbleib
fragen, wird eine Festnahme geleugnet.
Die Auflistung von Namen "Verschwundener" des Menschenrechtsvereins
IHD ist lange. Das "Verschwindenlassen" ist in der Türkei und
Kurdistan, wie auch in anderen autoritär geführten Ländern,
weltweit eine Methode Oppositionelle mundtot zu machen, Widerstand zum Schweigen
zu bringen und andere abzuschrecken. Spezielle militärische Anordnungen
begünstigen dies.
So können Personen, die aufgrund der Antiterrorgesetze festgenommen werden,
in den zehn türkischen Provinzen, in denen der Ausnahmezustand herrscht, bis
zu 30 Tage festgehalten werden, ohne daá sie Kontakt zu Angehörigen oder
einem Rechtsbeistand aufnehmen dürfen. In den übrigen Landesteilen
beträgt dieser Zeitraum 15 Tage.
Zwischen den Verhören werden die Gefangenen unter unhygienischen
Bedingungen in stickigen, überfüllten Zellen zusammengepfercht. Da sie
keinen Kontakt zur Auáenwelt aufnehmen können, sind sie den
Verhörbeamten völlig ausgeliefert. Meistens werden die Gefangenen in
diesem Zeitraum gefoltert und zu Geständnissen gepreát.
Gefangene Frauen werden nicht selten vergewaltigt oder demütigenden
Untersuchungen bezüglich ihrer Jungfräulichkeit unterzogen.
Eine der Hauptinitiatorinnen der Samstagsmütter ist Emine O‡ak. Ihr Sohn,
Hasan O‡ak, wurde am 21.März 1995 von der Istanbuler Polizei verhaftet und
später in einem namenlosen Grab gefunden. Frau O‡aks Nachforschungen
paáten der Polizei nicht, sie erhielt eine einmonatige Haftstrafe, weil sie während
eines Verfahrens vor Gericht gerufen hatte: "Wir wollen unsere
Söhne!"
Nach einem Besuch am Grabe ihres Sohnes wurden sie und ihre Familie schwer
geschlagen und "zur Polizeistation von Kü‡ükköy gebracht,
wo das Schlagen fortgesetzt wurde. Dabei verwendeten sie hauptsächlich
Schlagstöcke, zudem schlugen sie uns unsere Köpfe gegen
Schränke."
Mit diesen Terrormethoden versucht die türkische Polizei von Anfang an die
Samstagsmütter einzuschüchtern und ihren Protest zu beenden.
Aber Emine O‡ak und viele andere Frauen haben sich nicht abhalten lassen;
dafür wurden sie am 8.Dezember 1996 von der Internationalen Liga für
Menschenrechte in Berlin mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille
ausgezeichnet.
Mittlerweile hat sich die Situation für die Samstagsmütter
verschärft. Im August dieses Jahres wurden die Aktionen der Frauen durch den
Staat für illegal erklärt, was sie jedoch nicht abhielt sich weiterhin vor
dem Galatasaray-Gymnasium zu treffen. Die Polizei greift die Samstagsmütter
seitdem massiv an: brutale Schlagstockeinsätze, Massenfestnahmen, Folter und
Miáhandlungen in den Gefängnissen.
Aber der Protest dieser Frauen ist mittlerweile eine politische Gröáe geworden,
die nicht so leicht mundtot gemacht werden kann. Veranstaltungen in der BRD mit
Frauen aus der Türkei sind gut besucht, es haben sich in vielen Städten
Solidaritätskomitees gegründet, die die Forderungen der
Samstagsmütter unterstützen.
Nezaket Polat
Nezaket Polat aus Bad Säckingen ist im Freiburger Solidaritätskomitee
für die Samstagsmütter engagiert.