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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 19

Genosse Magritte

Aus Anlaß des 100.Geburtstags von Rene Magritte (1898-1967) bringen wir einen längeren Auszug aus einem Aufsatz, der 1997 in der KPÖ- Zeitschrift Weg und Ziel erschienen ist:

Der belgische Surrealist Rene Magritte wird 1945, damals 46 Jahre alt, Mitglied der Kommunistischen Partei Belgiens. [Ö] Rene Magritte kommentiert 1966, ein Jahr vor seinem Tod, in einem Gespräch mit E.C.Goossen seinen Eintritt 1945 in die KPB wie folgt: "1945 war ich Anhänger der Kommunistischen Partei und glaubte aufgrund erster Kontakte, das Zugeständnis erreichen zu müssen, daá Kunst mehr sein könnte als das, was die Kommunisten darunter verstanden: Propaganda. Aber ich bin gescheitert, wie übrigens die Surrealisten in Frankreich damit gescheitert sind." Und tatsächlich unternimmt Magritte nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs - oft gemeinsam mit seinen linken Maler- und Dichterfreunden - wiederholt den Versuch, zu einem organisierten Zusammenschluá der der KP nahestehenden Künstler zu kommen.
  "Wir, Nouge und ich, haben geglaubt, daá es uns möglich wäre, die kulturelle, künstlerische Orientierung dieser Partei von innen her in eine Richtung zu lenken, die mit unseren tiefen Sehnsüchten besser übereinstimmte. Wir haben darum an den Zusammenkünften einer Sektion teilgenommen, die auf Probleme der bildenden Kunst und der Literatur spezialisiert war."
  Der oben genannte Paul Nouge, Schriftsteller und 1919 Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Belgiens, ist für die linksbelgische Kulturszene und auch für Magrittes Verhältnis zu den Kommunisten sehr wichtig gewesen. Auch hat Nouge seit 1927 wiederholt Vorworte zu Magritte-Katalogen geschrieben und bei Ausstellungseröffnungen gesprochen.
  Ausführliches Material über das stets ambivalente KP-Mitglied Magritte finden wir in dem Dossier "Magritte und die Kommunistische Partei" (veröffentlicht in: Rene Magritte, Sämtliche Schriften [Hg. A.Blavier], München 1981). Hier ist auch die [Ö] von dem Magritte-Biografen Patrick Waldberg wiedergegebene Äuáerung des Künstlers über sein Wirken in der KP veröffentlicht:
  "Ich muáte meine Erwartungen sehr schnell herunterschrauben. Schon beim ersten Treffen kam ein Delegierter des Zentralkomitees, um uns zurechtzuweisen, wobei er sich auf einige 'materialistische' Begriffe aus dem Abendkurs stützte und es für nützlich hielt, uns zartfühlend zu mahnen: 'Vergeát nicht, daá ihr vor allem aus Fleisch seid!' Die folgenden Sitzungen waren kaum ermutigender. Wir hatten es mit Schwerhörigen zu tun. Man bat mich um zwei oder drei Plakatentwürfe. Alle wurden abgelehnt. Der Konformismus war in diesem Milieu genauso offenkundig wie in den borniertesten Kreisen der Bourgeoisie. Nach einigen Monaten unterbrach ich meine Besuche, und seitdem hatte ich keine Beziehungen mehr zur Partei. Es gab weder Ausschluá noch Bruch, aber, von meiner Seite, völlige Entfremdung, endgültige Entfernung."
  Doch bevor es in den 50er Jahren zu dieser "endgültigen Entfernung" kommt, gibt es noch manche Kontakte, Dispute und Konflikte. Vor allem geht es Magritte - ähnlich wie auch Breton in Frankreich - darum, die Autonomie und die spezifischen Möglichkeiten und Aufgaben der Kunst gegenüber einer vordergründigen Funktionalisierung durch die Kommunistische Partei zu verteidigen.
  Magritte betont zwar die Notwendigkeit des Kampfes der "revolutionären Künstler", erklärt aber immer wieder, daá es nicht ihre Aufgabe ist, Agitation und Propaganda zu betreiben oder erbauliche Bilder mit den bekannten Szenen aus dem Leben der Arbeiter zu machen, sondern bereits in der bestehenden, unzulänglichen Gesellschaft einen "Luxus des Denkens" vorwegzunehmen und auf die geistige Sprengkraft des Denkens - und Magritte sieht seine Bilder als Denk-Bilder - zu vertrauen.
  In der "Notiz für die Kommunistische Partei" aus den frühen 50er Jahren schreibt Magritte: "Während der Kampf auf politischer Ebene unter den gegenwärtigen Umständen nur z.B. das Recht auf Brot, eine Mindestforderung, einklagen kann, kann der Kampf der revolutionären Künstler unter den gegenwärtigen Umständen als Antwort auf eine Höchstforderung verstanden werden: die Eroberung eines Luxus des Denkens, eine Eroberung, die niemals aufzugeben dringend geboten ist."
  Und abschlieáend betont der Maler in seiner "Notiz": "Ein besseres Leben läát sich ohne einen wahrhaften Luxus nicht vorstellen. Es kann nicht erobert werden ohne den politischen Kampf und ohne den schwierigen Kampf, der von bestimmten revolutionären Künstlern geführt wird, die ihre Anstrengungen nicht einzig auf den Ausdruck politischer Ideen beschränken oder auf die erbauliche Darstellung bekannter Szenen aus dem Leben der Arbeiter."
  In einem anderen von Magritte konzipierten und von einigen anderen wie Paul Noug‚ und dem Magritte-Freund Marcel Marien, einem linken Fotografen, Filmer, Grafiker und Publizisten, mitunterzeichneten Brief beklagen die Künstler, "daá gerade ihr öffentliches Eintreten für die Sache des Kommunismus als Gegenleistung eine wahre Feindschaft und ein Miátrauen seitens der Kommunistischen Partei erfährt". [Ö]
  Auch bei den wiederholten Versuchen, sich direkt mit seinen Bildern an kulturellen Aktivitäten der Kommunistischen Partei zu beteiligen, kommt es zu einigen Miáverständnissen. Beispielsweise schon 1935 - Magritte hatte sich ja in der Zwischenkriegszeit in Belgien und auch in Frankreich an einigen linken Manifestationen beteiligt, so z.B. 1934 als Mitunterzeichner des antifaschistischen Manifests L'Action immediate - wird ihm, nachdem er in der kulturrevolutionären Zeitschrift Documentes 35 (November/Dezember 1935) sein Füáe-Bild Das rote Modell veröffentlicht hat, vorgeworfen, "mit dem Bild und seinem Titel zu verstehen zu geben, daá wir alle Füáe wären".
  Unglücklich endet auch der Versuch Magrittes, sich 1950 an der von der KP organisierten Ausstellung "Kunst und Frieden" zu beteiligen. Magritte beabsichtigt, sich mit dem Bild Der Überlebende an dieser Ausstellung zu beteiligen. In zwei Treffen - eines in Antwerpen mit Dockarbeitern und eines in Brüssel mit Bergleuten und Arbeitern - wird Magrittes Beitrag aber so sehr kritisiert, daá er ihn zurückzieht. [Ö]
  Auch an den Aktivitäten der belgischen Sektion des revolutionären Surrealismus [Ö] nimmt Rene Magritte von Fall zu Fall teil. Magritte bleibt stets auf der prosowjetischen Linie, trägt aber als Kulturschaffender manchen Konflikt mit den belgischen Kommunisten und mit dem Parteiapparat aus. Nicht annähernd so stark wie in Frankreich ist in Belgien die Auseinandersetzung zwischen Stalinisten und Trotzkisten gewesen, doch hat es diese Spannungen [Ö] in der belgischen Surrealistenszene auch gegeben.
  Die Intensität des Kommunisten Magritte, der ja großen Wert darauf gelegt hat, im Gewand eines Normalbürgers zu leben ("Rene Magritte hat sich unter der Maske eines Biedermanns als intellektueller Brandstifter betätigt" - aus der Museumszeitung der groáen Düsseldorfer Magritte-Ausstellung, Oktober-Dezember 1996), war zeitlebens sehr schwankend und von manch Frustrationen geprägt.
  Abschlieáend sollen vier Zitate das Spektrum dieses Engagements umreiáen (alle Zitate aus: Harry Torzyner, Ren‚ Magritte. Zeichen und Bilder, Köln 1977, S.79):
  "Der kommunistische Standpunkt ist auch der meine. Und mein Kampf hat seinen Wert nur insofern, als er sich der bürgerlichen Ideologie entgegenstellt, in deren Namen man Leben vernichtet" (1935).
  "Mein nicht sehr ausgeprägter 'Fanatismus' hindert mich daran, mit linken oder rechten Fanatikern zu sympathisieren. Vor die Wahl gestellt, gäbe es für mich kein Zögern: selbstverständlich verabscheue ich vor allem die Rechten" (1959).
  "In der Politik bin ich ein entschiedener Revolutionär. Der Mensch gehört der Welt - nicht die Welt dem Menschen. Macht, Gewalt, Eroberungen: das sind sinnlose Worte für mich. So sinnlos wie das Wort 'unbewuát'" (1965).
  "Ich bin kein 'Kämpfer' und weder kompetent noch energisch genug, mich für den politischen Kampf gerüstet zu fühlen. Wenn Du aber sagst, daá ich noch immer 'für den Sozialismus' sei, so ist das richtig. Das heiát, ich bin für ein System, das die ungerechten Besitzverhältnisse, die Zwänge und Kriege abschaffen will. Wie und wodurch - das weiá ich nicht. Auf dieser Seite stehe ich, trotz mancher Niederlage und Enttäuschung" (1965).
 
  Dieter Schrage
 
  Der Autor ist Kustos des Museums für Moderne Kunst in Wien.
 
  Aus: Dieter Schrage, "Genosse Magritte. Oder: das schwierige Verhältnis der Surrealisten zur KP", Weg und Ziel (Wien), 55.Jg., Nr.2, Mai 1997, S.55- 59.
 


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