Artikel |
Der belgische Surrealist Rene Magritte wird 1945, damals
46 Jahre alt, Mitglied der Kommunistischen Partei Belgiens. [Ö] Rene Magritte
kommentiert 1966, ein Jahr vor seinem Tod, in einem Gespräch mit
E.C.Goossen seinen Eintritt 1945 in die KPB wie folgt: "1945 war ich
Anhänger der Kommunistischen Partei und glaubte aufgrund erster Kontakte,
das Zugeständnis erreichen zu müssen, daá Kunst mehr sein könnte
als das, was die Kommunisten darunter verstanden: Propaganda. Aber ich bin
gescheitert, wie übrigens die Surrealisten in Frankreich damit gescheitert
sind." Und tatsächlich unternimmt Magritte nach Beendigung des Zweiten
Weltkriegs - oft gemeinsam mit seinen linken Maler- und Dichterfreunden -
wiederholt den Versuch, zu einem organisierten Zusammenschluá der der KP
nahestehenden Künstler zu kommen.
"Wir, Nouge und ich, haben geglaubt, daá es uns möglich wäre, die
kulturelle, künstlerische Orientierung dieser Partei von innen her in eine
Richtung zu lenken, die mit unseren tiefen Sehnsüchten besser
übereinstimmte. Wir haben darum an den Zusammenkünften einer
Sektion teilgenommen, die auf Probleme der bildenden Kunst und der Literatur
spezialisiert war."
Der oben genannte Paul Nouge, Schriftsteller und 1919 Gründungsmitglied der
Kommunistischen Partei Belgiens, ist für die linksbelgische Kulturszene und
auch für Magrittes Verhältnis zu den Kommunisten sehr wichtig gewesen.
Auch hat Nouge seit 1927 wiederholt Vorworte zu Magritte-Katalogen geschrieben
und bei Ausstellungseröffnungen gesprochen.
Ausführliches Material über das stets ambivalente KP-Mitglied Magritte
finden wir in dem Dossier "Magritte und die Kommunistische Partei"
(veröffentlicht in: Rene Magritte, Sämtliche Schriften [Hg. A.Blavier],
München 1981). Hier ist auch die [Ö] von dem Magritte-Biografen
Patrick Waldberg wiedergegebene Äuáerung des Künstlers über
sein Wirken in der KP veröffentlicht:
"Ich muáte meine Erwartungen sehr schnell herunterschrauben. Schon beim
ersten Treffen kam ein Delegierter des Zentralkomitees, um uns zurechtzuweisen,
wobei er sich auf einige 'materialistische' Begriffe aus dem Abendkurs stützte
und es für nützlich hielt, uns zartfühlend zu mahnen: 'Vergeát
nicht, daá ihr vor allem aus Fleisch seid!' Die folgenden Sitzungen waren kaum
ermutigender. Wir hatten es mit Schwerhörigen zu tun. Man bat mich um zwei
oder drei Plakatentwürfe. Alle wurden abgelehnt. Der Konformismus war in
diesem Milieu genauso offenkundig wie in den borniertesten Kreisen der Bourgeoisie.
Nach einigen Monaten unterbrach ich meine Besuche, und seitdem hatte ich keine
Beziehungen mehr zur Partei. Es gab weder Ausschluá noch Bruch, aber, von meiner
Seite, völlige Entfremdung, endgültige Entfernung."
Doch bevor es in den 50er Jahren zu dieser "endgültigen
Entfernung" kommt, gibt es noch manche Kontakte, Dispute und Konflikte. Vor
allem geht es Magritte - ähnlich wie auch Breton in Frankreich - darum, die
Autonomie und die spezifischen Möglichkeiten und Aufgaben der Kunst
gegenüber einer vordergründigen Funktionalisierung durch die
Kommunistische Partei zu verteidigen.
Magritte betont zwar die Notwendigkeit des Kampfes der "revolutionären
Künstler", erklärt aber immer wieder, daá es nicht ihre Aufgabe ist,
Agitation und Propaganda zu betreiben oder erbauliche Bilder mit den bekannten
Szenen aus dem Leben der Arbeiter zu machen, sondern bereits in der bestehenden,
unzulänglichen Gesellschaft einen "Luxus des Denkens"
vorwegzunehmen und auf die geistige Sprengkraft des Denkens - und Magritte sieht
seine Bilder als Denk-Bilder - zu vertrauen.
In der "Notiz für die Kommunistische Partei" aus den frühen
50er Jahren schreibt Magritte: "Während der Kampf auf politischer Ebene
unter den gegenwärtigen Umständen nur z.B. das Recht auf Brot, eine
Mindestforderung, einklagen kann, kann der Kampf der revolutionären
Künstler unter den gegenwärtigen Umständen als Antwort auf eine
Höchstforderung verstanden werden: die Eroberung eines Luxus des Denkens,
eine Eroberung, die niemals aufzugeben dringend geboten ist."
Und abschlieáend betont der Maler in seiner "Notiz": "Ein besseres
Leben läát sich ohne einen wahrhaften Luxus nicht vorstellen. Es kann nicht
erobert werden ohne den politischen Kampf und ohne den schwierigen Kampf, der von
bestimmten revolutionären Künstlern geführt wird, die ihre
Anstrengungen nicht einzig auf den Ausdruck politischer Ideen beschränken oder
auf die erbauliche Darstellung bekannter Szenen aus dem Leben der
Arbeiter."
In einem anderen von Magritte konzipierten und von einigen anderen wie Paul Noug‚
und dem Magritte-Freund Marcel Marien, einem linken Fotografen, Filmer, Grafiker
und Publizisten, mitunterzeichneten Brief beklagen die Künstler, "daá
gerade ihr öffentliches Eintreten für die Sache des Kommunismus als
Gegenleistung eine wahre Feindschaft und ein Miátrauen seitens der Kommunistischen
Partei erfährt". [Ö]
Auch bei den wiederholten Versuchen, sich direkt mit seinen Bildern an kulturellen
Aktivitäten der Kommunistischen Partei zu beteiligen, kommt es zu einigen
Miáverständnissen. Beispielsweise schon 1935 - Magritte hatte sich ja in der
Zwischenkriegszeit in Belgien und auch in Frankreich an einigen linken
Manifestationen beteiligt, so z.B. 1934 als Mitunterzeichner des antifaschistischen
Manifests L'Action immediate - wird ihm, nachdem er in der
kulturrevolutionären Zeitschrift Documentes 35 (November/Dezember 1935)
sein Füáe-Bild Das rote Modell veröffentlicht hat, vorgeworfen,
"mit dem Bild und seinem Titel zu verstehen zu geben, daá wir alle Füáe
wären".
Unglücklich endet auch der Versuch Magrittes, sich 1950 an der von der KP
organisierten Ausstellung "Kunst und Frieden" zu beteiligen. Magritte
beabsichtigt, sich mit dem Bild Der Überlebende an dieser Ausstellung zu
beteiligen. In zwei Treffen - eines in Antwerpen mit Dockarbeitern und eines in
Brüssel mit Bergleuten und Arbeitern - wird Magrittes Beitrag aber so sehr
kritisiert, daá er ihn zurückzieht. [Ö]
Auch an den Aktivitäten der belgischen Sektion des revolutionären
Surrealismus [Ö] nimmt Rene Magritte von Fall zu Fall teil. Magritte bleibt stets
auf der prosowjetischen Linie, trägt aber als Kulturschaffender manchen Konflikt
mit den belgischen Kommunisten und mit dem Parteiapparat aus. Nicht
annähernd so stark wie in Frankreich ist in Belgien die Auseinandersetzung
zwischen Stalinisten und Trotzkisten gewesen, doch hat es diese Spannungen [Ö]
in der belgischen Surrealistenszene auch gegeben.
Die Intensität des Kommunisten Magritte, der ja großen Wert darauf gelegt hat,
im Gewand eines Normalbürgers zu leben ("Rene Magritte hat sich unter
der Maske eines Biedermanns als intellektueller Brandstifter betätigt" -
aus der Museumszeitung der groáen Düsseldorfer Magritte-Ausstellung,
Oktober-Dezember 1996), war zeitlebens sehr schwankend und von manch
Frustrationen geprägt.
Abschlieáend sollen vier Zitate das Spektrum dieses Engagements umreiáen (alle
Zitate aus: Harry Torzyner, Ren‚ Magritte. Zeichen und Bilder, Köln 1977,
S.79):
"Der kommunistische Standpunkt ist auch der meine. Und mein Kampf hat
seinen Wert nur insofern, als er sich der bürgerlichen Ideologie entgegenstellt, in
deren Namen man Leben vernichtet" (1935).
"Mein nicht sehr ausgeprägter 'Fanatismus' hindert mich daran, mit linken
oder rechten Fanatikern zu sympathisieren. Vor die Wahl gestellt, gäbe es
für mich kein Zögern: selbstverständlich verabscheue ich vor allem
die Rechten" (1959).
"In der Politik bin ich ein entschiedener Revolutionär. Der Mensch
gehört der Welt - nicht die Welt dem Menschen. Macht, Gewalt, Eroberungen:
das sind sinnlose Worte für mich. So sinnlos wie das Wort 'unbewuát'"
(1965).
"Ich bin kein 'Kämpfer' und weder kompetent noch energisch genug, mich
für den politischen Kampf gerüstet zu fühlen. Wenn Du aber sagst,
daá ich noch immer 'für den Sozialismus' sei, so ist das richtig. Das heiát, ich
bin für ein System, das die ungerechten Besitzverhältnisse, die
Zwänge und Kriege abschaffen will. Wie und wodurch - das weiá ich nicht. Auf
dieser Seite stehe ich, trotz mancher Niederlage und Enttäuschung"
(1965).
Dieter Schrage
Der Autor ist Kustos des Museums für Moderne Kunst in Wien.
Aus: Dieter Schrage, "Genosse Magritte. Oder: das schwierige Verhältnis
der Surrealisten zur KP", Weg und Ziel (Wien), 55.Jg., Nr.2, Mai 1997, S.55-
59.