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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 10.12.1998, Seite 5

Jung gegen alt?

oder

Arm und reich?

Ältere Arbeitnehmer sind doch nicht an der Arbeitslosigkeit junger Menschen schuld. Dann wäre auch jeder schuld, der Überstunden macht." Dieser "Zwischenruf" in der Rentendebatte kam von Angelika Beier, Mitarbeiterin der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen, Bielefeld. Es klingt wie der Ausruf des Kindes in Andersens Märchen: "Der Kaiser ist doch nackt", als dieser einem applaudierenden Publikum seine angeblich feingesponnenen, aber nicht existierenden neuen Gewänder vorführte.
  Die brutale Wirklichkeit aber wird von IGM-Bezirksleiter Frank Teichmüller so dargestellt: "Im Durchschnitt ist in vielen Betrieben das ‚Ausscheidungsalter‘ auf 56 Jahre gesunken. Generell ist es bei uns zur Ausnahme geworden, bis zum Rentenalter zu arbeiten. Nach einer Untersuchung haben 1996 im Westen weniger als 30 Prozent und im Osten nur 5 Prozent der männlichen Arbeitnehmer bis zum 65.Lebensjahr gearbeitet. Bei Männern beträgt das Rentenzugangsalter 60 und bei Frauen 58 Jahre. Fazit: etwa drei Viertel der Beschäftigten sind bundesweit vor der gesetzlichen Altersgrenze in Rente gegangen … Vor dem Hintergrund, daß junge hochqualifizierte Arbeitnehmer entweder keine Arbeit finden oder durchschnittlich Qualifizierte von ihren Arbeitsplätzen verdrängen, muß die Frage beantwortet werden, ob es nicht einen Weg gibt, Beschäftigte früher in Rente gehen zu lassen."
  Müssen wir nicht auch hinzufügen: Solange die Rentabilität des Einzelbetriebs auch auf Kosten der gesamten Gesellschaft der Maßstab von "Wirtschaftlichkeit" ist, wird es profitabel bleiben, menschliche Arbeitskraft "erschöpfend" auszubeuten. Oder auch, wenn Rationalisierung höhere Profite garantiert, sie als Arbeitslose und – manchmal trickreich – als Rentner durch die Sozialversicherung versorgen zu lassen.
  Wenn wir jedoch statt "Jung gegen alt" die Frage nach arm und reich stellen, sieht das Problem völlig anders aus. Der DGB-Info-Service gewährt uns hier folgenden "Einblick": Nur 10 Prozent aller Haushalte besitzen bei uns 60 Prozent des Geldvermögens, das 3,56 Billionen DM beträgt. 14 Prozent der Haushalte sind ohne Geldvermögen. Am Grundvermögen, dessen Wert auf 6 Billionen Mark geschätzt wird, haben 50 Prozent der Haushalte einen Anteil. Völlig anders sieht es beim Produktivvermögen in Höhe von 3,5 Billionen Mark aus. Es ist im Besitz von nur 6 Prozent der Haushalte. 94 Prozent der Haushalte gehen leer aus.
  Statt Alte und Überstunden für die Arbeitslosigkeit verantwortlich zu machen, sollten wir vielleicht doch lieber in diesem Bereich nach einer Lösung des Problems suchen.
 


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